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Einem müden Kämpfer.
Don Leon bolig.
Daß so viel Schönheit Hunger leidett Daß so viel Heldenfinn verdirbt! Daß so viel Niedertracht sich weidet, Wenn eine stolze Hoffnung stirbt!" Du haft mit Mannesmut gestritten, Run aber der entneroten Hand Der Hammer deines 3orns entglitten, Schaust du voll Bitterkeit ins Land. Weit hinten in verflammten Gluten Wie schwerer Sonnenuntergang Scheint alle Hoffnung zu verbluten, Die einst dein Kämpferherz durchdrang. Schau auf, fchau auf, du mader Streiter! Roch weitet sich dem Sturm die Welt, Roch steht die Schar der Wegbereiter Mit Trotz und Siegerblick im Feld!
Roch immer, wenn sich Augen dunkeln Und made Helden schlafen gehn, Siehst du der Jugend Sterne funkeln Und neue Kräfte auferstehn.
Und alle Schönheit, deren Scherben Dein Herz ergrimmt versunken wähnt, Wird nicht in Ewigkeit verderben, Wenn auch ein Abgrund vor dir gähnt. Jm Erdenschoß, dem sie entnommen, Reift sie zu köstlichem Ertrag;
Bald wird der rechte Bergmann kommen Schon lauscht das Volk dem Stundenschlag!
Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag. Wie er für die Welt im ganzen Schiwa und Wischnu, Zerstörer und Erhalter in einer Person ist, kann ich freilich nicht auseinandersehen, denn das ist die Sache der Geschichte; aber schildern fann ich, wie er im einzelnen zerstörend und erhaltend wirkt und wirken wird, bis an der Welt Ende. Dem Hunger, der heiligen Macht des echten, wahren Hungers widme ich diese Blätter, und sie gehören ihm auch von Rechts wegen, was am Schluß hoffentlich vollkommen flar geworden sein wird. Mit letzterer Versicherung bin ich einer weiteren Vorrede, welche zur Gemütlichkeit, Erregung und Aufregung des Lesers doch nur das wenigste beitragen würde, überhoben und beginne meine Geschichte mit unbegrenztem Wohlwollen sowohl gegen die Mitwelt und Nachwelt, als auch gegen mich selber und alle mir im Lauf der Erzählung vorübergleitenden Schattenbilder des großen Entstehens, Seins und Bergehens- des unendlichen Werdens, welches man Weltentwickelung nennt, welches freilich ein wenig interessanter und reicher als dieses Buch ist, das aber auch nicht, wie dieses Buch, in drei Teilen zu einem befriedigenden Abschluß kommen muß.
Die Gleichheit
und mit Hohn, Berachtung und beleidigtem Selbstgefühl sprach sie:
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9.24
"
Gib' n Zeichen, daß du noch bei's labendige Dasein bift, Anton!" brummte der Meister Grünebaum. Set' n Meister Unwirrsch, Ihr seid ein Narr! Laßt Euch an die Mensch und' n Mann, wirf die Weibsleute raus, alle, bis Wand malen!... Ob es einer ist? hat die Welt je so auf bis auf die Base Schlotterbeck dort. Denn obschonst was gehört von solchem alten, verständigen Menschen und der Deibel die Graden und die Ungraden nimmt, so ist das Hausvater?... Ob es einer ist!? Meister Unwirrsch, ich doch die einzigste drunter, die' nen Menschen wenigstens alle glaube, nächstens verlernt Ihr noch, einen Stiefel von einem Stunde einmal zu Worte kommen läßt. Willst du nicht? Schuh zu unterscheiden. Da sieht man's recht, was für ein fannst du nicht? darfst du nicht? Auch gut, so faß hinten Leiben es ist, wenn die Gottesgabe so spät fommt. Ist das meine Jade, daß ich dich sicher aus den Tunmult bringe; tein Junge, den Jhr da haltet? Ist das wirklich fein Junge, fomm' die Trepp' herauf und laß es gehen, wie es will. Also fein richtiger, echter Junge? Jesus , wenn die alte Kreatur der Junge ist da? Na, gottlob, ich dachte schon, wir hätten nicht das arme Geschöpf in den Armen hielte, so möchte ich wieder vergeblich gelauert." ihr schon eine Tachtel um solch' ne nichtsnutige, fürwitzige Durch die Weiber schoben sich seitwärts die beiden HandFrage stechen! Kein Junge!? Wohl ist es ein Junge, Ge- werksgenossen, gelangten mit Mühe auf den Hausflur und vatter Bechdraht zwar feiner von die schwersten; aber stiegen die enge, fnarrende Treppe hinauf, welche in das doch' n Junge wie was! Und wieso ist's fein Junge? Jst obere Stockwerk des Hauses führte, allwo die Base Schlotter nicht der Buohnohparthe, der Napohglion wieder unterwegens beck ein Stübchen, eine Rammer und eine Küche gemietet übers Waffer, und gibt's nicht Krieg und Razbalgerei zwischen hatte, und wo also die Familie Unwirrsch nur noch über ein heut und morgen, und braucht man etwa teine Jungen, und Gemach gebot, welches so mit Gegenständen von allerlei werden nicht etwa in jeziger gesegneter und geschlagener Art vollgepfropft war, daß für die beiden ehrenwerten Gilde Zeit mehr Jungen als Mädchen drum in die Welt gefeht, brüder kaum noch der nötige Platz zum Niederhocken und und kommen nicht auf ein Mädchen drei Jungen, und kommt Seelenaustausch übrig blieb. Kisten und Kasten, KräuterIhr mir so, Gevatter, und wollt einer gewickelten und ge- bündel, Maiskolben, Lederbündel, Zwiebelbündel, Schinken, wiegten Berschon nichtswürdige Fragen stellen? Laßt Euch Würste, unendliche Rumpeleien waren hier mit wahrhaft an die Wand malen, Gevatter Unwirrsch, und drunterschreiben, genialer Geschicklichkeit neben, unter, über, vor und wofür ich Euch halte. Gebt her den Jungen, Ihr seid gar zwischeneinander gedrängt, gehängt, gestellt, gestopft und nicht wert, daß er sich mit Euch abgibt marsch fort mit geworfen, und kein Wunder war's, wenn der Schwager Euch zu Eurer Frau am Ende fragt Ihr die auch noch, Grünebaum hier seinen zweiten Pantoffel verlor. ob's ein Junge ift!" Unsanft wurde das Wickelkind aus den Armen des verachteten, niedergeschmetterten Baters gerissen, und nach abermaligem Atemholen humpelte der Meister Anton Unwirrsch in die Rammer zu seiner Frau, und die Glocken des Feier abends läuteten immer noch; wir aber wollen weder die beiden Ehegatten noch die Glocken stören fie sollen ihre Gefühle ausklingen lassen, und niemand soll drein reden und schreien dürfen.
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Aber die letzten Strahlen der Sonne fielen durch die beiden niedrigen Fenster in den Raum; vor den Nachbarinnen und der Frau Tiebus war man in Sicherheit. Auf zwei Riften setzten sich die beiden Meister, einander gegenüber, nieder, reichten sich die Hände und schüttelten sie während wohl gezählter fünf Minuten.
„ Gratulabumdum, Anton!" sagte Nikolaus Grünebaum. " Ich danke dir, Nikolaus!" sagte Anton Unwirtsch. ,, Vivat, er ist da! Vivat, er lebe hoch!
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nochmals, ab-" schrie aus vollem Halse der Meister Grünebaum, brach aber ab, als ihm der Schwager die Hand auf den Mund drückte.
Arme Leute und reiche Leute leben auf verschiedene Art in dieser Welt; aber wenn die Sonne des Glücks in ihre Hütten, Häuser oder Paläste scheint, so vergoldet sie mit ganz dem nämlichen Schein die hölzerne Bank wie den" Nicht so laut, um Gottes willen nicht so laut, Nillas! Die Sammetseffel, die getünchte Wand wie die vergoldete, und Frau liegt hier gerade unter uns und hat so schon ihre liebe mehr als ein philosophischer Schlaufopf will bemerkt haben, Not mit den Weibern." daß, was Freude und Leid betrifft, der Unterschied zwischen Die Faust ließ der neue Onkel auf seine Knie fallen: reichen und armen Leuten gar so groß nicht sei, wie man Hast recht, Bruderherz; der Deibel hole die Graden auf beiden Seiten oft, sehr oft, ungemein oft denkt. Wir und die Ungraden. Aber nun geh' mal los, Alter, wie ist dir wollen das dahingestellt sein lassen; uns genügt es, daß denn zumute? Allewege ganz und gar nicht wie sonsten? das Lachen nicht Monopol und das Weinen nicht Servitut Ho ho! wie sieht denn die Kröte aus? Alles an die rechte ist auf diesem rundlichen, an beiden Polen abgeplatteten, Stelle? Nafe, Mund, Arm und Bein? Nichts vermalhört? feuergefüllten Ball, auf welchem wir uns ohne unseren Willen Alles in Ordnung: Strippen und Schäfte, Oberleber, Spanne, einfinden, und von welchem wir ohne unseren Willen abgehen, Hacken und Sohle? Gut verpicht, vernagelt und adrett ge nachdem uns der Zwischenraum zwischen Kommen und Ge- wichst?" hen fauer genug gemacht wurde.
Jn. armer Leute Haus schien jetzt die Sonne, das Glück beugte sein Haupt unter der niederen Tür und trat lächelnd herein, beide Hände offen zum Gruß darbietend. Es war hohe Freude über die Geburt des Sohnes bei den Eltern, dem Schuster Unwirrsch und seiner Frau, welche so lange darauf gewartet hatten, daß sie nahe daran waren, solche Hoffnung gänzlich aufzugeben.
" Alles, wie es sein muß, Bruderherz!" rief der glückliche Vater, die Hände aneinanderreibend.„ Ein Staatsjunge! Gott fegne uns in ihm. D, Niklas, tausenderlei wollt' ich bir sagen, aber es würgt mich zu sehr in der Kehle; alles geht rund mit mir um
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„ Laß es gehen, wie's will; wenn die Kate vom Dach geworfen ist, muß sie sich erst besinnen," sagte der Schwager Grünebaum. Die Frau ist doch wohlauf?"
„ Gott sei's gebantt. Sie hat sich gehalten wie eine Heldin; teine Kaiferin hätt's beffer gemacht."
" Sie ist eine Grünebaum," sagte Nikolaus mit Selbstbewußts sein, und die Grünebäume tönnen im Notfall die Zähne zusammenbeißen. Auf was für'n Namen willst du den Jungen gehen lassen, Anton?"
Mit der hageren Hand fuhr der Vater des Neugeborenen über die hohe, furchenreiche Stirn und starrte einige Augenblicke durch das Fenster ins Weite. Dann sagte er:
Und nun war er doch gekommen, gekommen eine Stunde vor dem Feierabend! Die ganze Kröppelstraße wußte bereits um das Ereignis, und selbst zum Meister Nikolaus " Da haben wir den Jungen! Da haben wir ihn endlich Grünebaum, dem Bruder der Wöchnerin, welcher ziemlich endlich!" rief der Vater meines Helden und tat einen am anderen Ende der Stadt wohnte, war die frohe Bot langen erleichternden Atemzug, wie ein Mann, der langes schaft gedrungen. Ein grinsender Schusterjunge, der seine vergebliches Sehnen, schwere Arbeit, viele Mühen und Sorgen Pantoffeln, um schneller laufen zu können, unter den Arm getragen hat und endlich glücklich zu einem glücklichen Ziel genommen hatte, brachte die Nachricht dahin und schrie sie gekommen ist. Mit Klugen, glänzenden Augen fab er herab atemlos dem Meister in das weniger taube Ohr, was zur auf das unansehnliche, fümmerliche Stück Menschentum, Folge hatte, daß der gute Mann während fünf Minuten„ Getauft soll er werden auf drei Handwerksgenossen. welches ihm die Wehemutter in die Arme gelegt hatte, grad' viel dümmer aussah, als er war. Jetzt aber war er bereits Johannes soll er heißen wie der Poete in Nürnberg und als die Feierabendglocke erklang. Eine Träne stahl fich über auf dem Wege zur Kröppelstraße, und da er als Bürger, Jafob wie der hochgelobte Philofophus von Görlitz , und die hagere Backe des Mannes, und die scharfe, spize, tluge Hausbesitzer und ansässiger Meister die Pantoffel nicht unter wie zwei Flügel sollen ihm die beiden Namen sein, daß er väterliche Nase sentte sich immer tiefer gegen das unbedeu- den Arm nehmen konnte, so war davon die Folge, daß damit aufsteige von der Erde zum blauen Himmel und tende, faum erkennbare Näschen des Neugeborenen, bis sie ihn der eine treulos an einer Straßenecke verließ, um das sein Teil Licht nehme. Aber zum Dritten will ich ihn plöglich mit einem Ruck wieder emporfuhr und sich ängstlich Leben auf eigene Hand oder vielmehr auf eigener Sohle Nikolaus nennen, damit er immer wisse, daß er auf der fragend gegen die gute, hilfreiche Frau, die so viel zu seinem anzufangen. Erde einen treuen Freund und Fürsorger habe, an welchen Entzücken beigetragen hatte, richtete. er sich halten kann, wenn ich nicht mehr vorhanden bin."
" D Frau Gevatterin Gevatterin Ziebus, es ist doch wirklich, wirklich einer? Sagt's noch einmal, daß Ihr Euch nicht irrt daß dem wirklich, wirklich also ist!"
Als der Oheim Grünebaum in dem Hause seines Schwas gers antam, fand er daselbst so viele gute Nachbarinnen mit" Das nenn' ich' nen Sah mit' nem Kopf von Sinn und Ratschlägen und Meinungsäußerungen vor, daß er sich in Verstand und' nem dicen unsinnigen Schwanz. Die Namen seiner jammerhaften Eigenschaft als alter Junggesell und gib ihm, und es soll für uns alle drei Perschonen' ne Ehre Die Wehemutter, welche bis jetzt mit selbstbewußtem, ausgesprochener Weiberhaffer höchst überflüssig erscheinen sein; aber mit den alten närrischen Todesschrullen bleib mir lächelndem Kopfnicken der ersten zärtlichen Begrüßung zwischen mußte. Er erschien sich auch in solchem Lichte und wäre vom Leibe. Fett bist du nicht, und' nen Ochsen schlägst du Vater und Sohn zugefehen hatte, hob nun ebenfalls ihre beinahe umgekehrt, wenn ihn nicht der Gedanke an den in auch gerade nicht mit der bloßen Faust nieder; aber den Nase sehr ruckartig, verscheuchte mit einer unnachahmlichen dem„ Lärmfal" elendig verlassenen Schwager und Handwerks- Bechdraht kannst du noch manch hübsches Jährlein ziehen, Bewegung beider Arme alle Geister und Geisterchen des genossen doch dazu gebracht hätte, seine Gefühle zu bemeistern. du alter spintisierender Bücherhafe." Wohlwollens und der Zufriedenheit, von welchen fie bis Brummend und grunzend drängte er sich durch das Frauen- Der Meister Unwirrsch schüttelte den Kopf und brachte jezt umflattert wurde, stemmte die Fäuste in die Seite, volt und fand endlich richtig den Schwager in einer die Rede auf anderes, und mancherlei sprachen die beiden auch nicht sehr beneidenswerten und leuchtenden Lage und Schwäger noch miteinander, bis es vollständig dunkel in der Der Hungerpaftor". Von Wilhelm Raabe . Berlin , Verlag Stellung. Rumpelfammer geworden war. von Otto Janke . Wir veröffentlichen das erste Kapitel aus Raabes Man hatte den Armen vollständig beiseite geschoben. feinfinnigem Roman, um bei der herannahenden Weihnachtszeit die Aus der Kammer der Wöchnerin hatte ihn die Frau Tiebus Aufmerksamkeit unserer Leserinnen auf die Werte eines echten Dichters zu lenken, der leider viel zu wenig unter den Massen bekannt ist. hinausgemaßregelt; in der Stube unter den Nachbarinnen Gewiß: es ist nicht die sozialistische Gedankenwelt, die in Raabes war er auch vollkommen überflüssig; der Gevatter GrüneSchöpfungen lebt und webt. Es ist die Welt des Kleinbürgertums, baum entdeckte ihn endlich kümmerlich in einem Winkel, wo welche in unseren Tagen mehr und mehr von den Fluten der groß- er zusammengedrückt auf einem Schemel saß und Teilnahme tapitalistischen Entwicklung verschlungen wird. Aber diese Welt ist nur an der Hauskate fand, die sich an seinen Beinen rieb.' 3 ist die Base Schlotterbed," sagte Unwirrsch. Schieb' mit den Augen und der Seele eines ganzen Künstlers geschaut und Aber in seinen Augen war noch immer jener Glanz, der nur den Riegel zurück; wir haben lange genug hier oben geschildert, der, von demokratischer Gesinnung tief durchbrungen, mit aus einer anderen Welt zu stammen scheint: Der Meister gesessen; vielleicht darf ich die Frau noch einmal sehen." den„ Kleinen Leuten" fühlt. Das erste Kapitel des" Hungerpaftors" Unwirrsch hörte nichts von dem Flüstern und Schnattern Brummend gehorchte der Schwager, und die Base leuchtete enthält ein in sich abgeschlossenes warmempfundenes Gemälde klein bürgerlichen Lebens, das in anschaulicher Weise eine Vorstellung von der Weiber, er sah nichts von ihrem Durcheinander, er sah mit ihrer Lampe in die Rammer. Raabes Kunst gibt. Wir wollen nicht verfehlen, den Arbeiter- auch den Schwager nicht, bis dieser ihn an den Schultern bibliotheken nahezulegen, ihre Unterhaltungsliteratur durch die An- padte und ihn auf nicht sehr sanfte Art ins Bewußtsein Berantwortlich für die Bedaktion: Fr. Klara Bettin( Sunbel), Wilhelmshöhe schaffung von Raabes Werken zu bereichern. zurückſchüttelte.
Es flopfte jemand an die Tür, und der Meister Grüne baum rief:
Wer ist mich da? Weibervolk wird nicht hereingelassen!" " Ich bin's," rief eine Stimme draußen.
Wer?"
" Iche!"
( Schluß folgt.)