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Die Gleichheit
der Kinder fort, in die Fabriken hineinholt. Die weibliche Arbeitskraft wird ja schlechter bezahlt als die männliche, das Fleisch der Töchter des Volkes ist billiger als das der Männer; das ist das Entscheidende!
Mit moralischer Entrüstung ist gegen diese Erscheinung nichts auszurichten. Schwinden wird sie erst mit der kapita listischen Wirtschaftsweise. Aber ihre schlimmsten Auswüchse fönnen beschnitten werden, wenn in der Arbeiterbewegung immer mehr für die Verwirklichung des grundsätzlichen Standpunktes gefämpft wird: Gleiche Entlohnung für gleiche Arbeit!
W. D.
" Die Wissenschaften blühen, es ist eine Freude zu leben!" Zum geflügelten Wort ist dieser Ausspruch Ulrich v. Huttens geworden, der als einer der aufgeklärtesten Männer seiner Zeit galt und ein eifriger Kämpfer gegen die Macht der geistigen Finsternis im Mittelalter war. Und doch vermochte es ein solcher Mann von ritterlichem Geiste und wissenschaftlicher Bedeutung über sich, als Richter einem Prozeß gegen einen Bauberer beizuwohnen, ohne Einspruch zu tun gegen die furchts baren Anflagen, die gegen schwache unschuldige Geschöpfe erhoben werden konnten.* Er ließ das Urteil aussprechen und vollstrecken, wie es vor ihm so unzählige Ritter und Herren getan, die noch heute hoch gepriesen werden als Beschützer der Schwachen, namentlich aber als Beschützer und Verherrlicher des weiblichen Geschlechtes. In den Herenprozessen, wo ihre Ritterlichkeit wahrlich angebracht gewesen wäre, schwiegen die Ritter, teils weil sie selbst in den Banden des Aberglaubens lagen, teils wohl auch, weil das Eintreten für die armen verfolgten Opfer mit eigener großer Gefahr verbunden war.
Versenken wir uns in die Zeit, wo Herenprozesse und der Glaube an Zauberei in Blüte standen, so überkommt uns ein Gefühl der Erleichterung darüber, daß die Mächte, die die furchtbaren Erscheinungen ermöglichten, gebrochen sind, daß der einzelne nicht mehr schutzlos dem Wüten des Aberglaubens preisgegeben ist. Und doch liegt jene Zeit nicht gar so weit hinter uns, und so ganz befreit von Furcht vor überirdischen Mächten und Bauberglauben, wie wir gern annehmen möchten, sind leider auch viele Menschen im zwanzigsten Jahrhundert noch nicht. Nicht lange ist es her, da wurde aus Amerika berichtet, daß eine alte Frau von ihren eigenen Angehörigen in der schreck lichsten Weise gequält und dann getötet worden war, da diese, von religiösem Wahnsinn befallen, die Dämonen austreiben wollten, die angeblich in der Greisin wohnten. Mitleidslos hatten die Kinder das Jammergeschrei der Mutter gehört, das ihrer Meinung nach von den Dämonen ausgestoßen wurde. Sie sollen sehr erstaunt gewesen sein, daß nach der endlich gelungenen Austreibung der bösen Geister die Mutter nicht wieder zum Leben zurückkehrte! Heutzutage wird eine derartige Tat als Verbrechen gestraft, aber alle Strafen sind nicht imstande, den Geist des Aberglaubens zu vernichten, der solche Taten hervorruft. Gegen ihn hilft nur Aufklärung, Erziehung zur gei ftigen Freiheit.
Nicht nur in Amerika , auch bei uns herrscht der Aberglauben noch viel stärker, als manche glauben. Wenn es zu viel oder zu wenig regnet, wenn das Vieh nicht fressen will oder die Hühner feine Eier legen, so wird in weiten Kreisen, namentlich der ländlichen Bevölkerung, nicht nach den natürlichen Ursachen geforscht, sondern die Schuld daran irgend einer alten Frau beigemessen, häufig einer Zigeunerin, die dann von dem ganzen Dorf gefürchtet und verfolgt wird. Wie oft sieht man auf dem Lande davon ab, bei Krankheitsfällen den Arzt zuzuziehen! Man wendet sich an eine Persönlichkeit, die sich die Dummheit der lieben Mitmenschen zunuze macht oder auch ohne eigenes Butun in den Ruf übernatürlicher Macht ge
胃 ・
Nr. 2
kommen ist, und läßt durch fie die Krankheit besprechen" oder Geheimmittel geben, die mit 3auberformeln" hergestellt sind. Und nicht nur die Landbevölkerung steckt noch im Aberglauben. Auch in den sogenannten„ gebildeten Kreisen" der Städte findet man ihn in erschreckendem Maße. Wie wäre es sonst möglich, daß dort die Wahrsagerinnen einen starten Zulauf haben, daß an Liebestränke usw. geglaubt wird, daß die Gesundbeterei in Mode gekommen ist? Auch die Gesundbeterei wird meist von Frauen ausgeübt unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß der Kranke sich nicht von einem Arzte behandeln lassen darf. Und steckt in dem Spiritismus nicht ein großer Rest des Glaubens der früheren Geschlechter an allerhand Dämonen und Geister! Heute wird das Überlebſel dieses Glaubens oder vielmehr Aberglaubens mit wissenschaftlichem Namen belegt und übt bis in die höchsten, einflußreichsten gesellschaftlichen Kreise hinein seine Macht. Mancher Entschluß, der das öffent liche Leben berührte, ist durch die„ Geister" beeinflußt worden, die ein geschicktes Medium zitiert hat. Daß der Wille des Stärkeren den Willen des Schwächeren unterworfen hat durch Vorspiegelung übernatürlicher Kräfte, wie Geister zitieren usw., darüber werden die Opfer des Aberglaubens wohl felten klar. Es gibt eben auch heute noch viel zu wenig Menschen, die einen so tiefen und klaren Einblick in das natürliche und gesellschaftliche Geschehen haben, daß sie auch das anscheinend Unerklärliche und Geheimnisvolle zu verstehen vermögen, die in sich so gefestigt oder von den Umständen begünstigt sind, daß sie sich mit eigener Kraft durchsetzen und mit den äußeren und inneren Kämpfen des Lebens fertig werden.
Solange die Völker auf einer niedrigeren Kulturstufe standen, suchten sie die Mächte, die das Leben des einzelnen und der Gesamtheit beeinflußten, in den Naturkräften, die ihnen gegenständlich in den Naturerscheinungen vor Augen traten. Später vergeistigten sie diese Kräfte und nannten sie Götter, Teufel, Dämonen, Heren usw. Alles, was die Menschen sich nicht erklären konnten, hielten sie für Zauberei, in der sich irgendwelche übernatürliche Macht offenbarte. Vieles von dem, was ehemals als Zauberei und Teufelswerk galt, ist heute durch die wissenschaftlichen Forschungen und Feststellungen über Elektrizität, Magnetismus, Hypnose usw. erklärt. Aber wie viele Entdecker wissenschaftlicher Wahrheiten, wie viele Erfinder von Neuerungen, welche auf der Erkenntnis der Naturkräfte beruhen, wurden von ihren Zeitgenossen als Zauberer verfolgt und gequält. In unseren Tagen der Erfolge des Grafen Zeppelin und anderer, in unseren Tagen der chauvinistischen Träume von einer Kriegsluftschiffflotte ist es interessant, daran zu erinnern, wie frühere Geschlechter über die Aeronautik dachten. Ein Bahnbrecher der Luftschiffahrt, Bartholomen- Laurenço de Gusmao, im Jahre 1685 in Portugal geboren, konstruierte eine Hohlkugel, in der er sich schwebend zu halten vermochte. Er reiste nach Lissabon und baute mit der Unterstützung des Königs Johann VI. einen riesigen Flugapparat, der vor dem Königsschloß aufstieg. Das Volk jubelte dem Erfinder zu, die Regierung unterstützte ihn, aber die Inquisition nannte ihn Magier und Betrüger, forderte ihn vor ihr Tribunal, und nach langer Verhandlung mit der üblichen Tortur wurde er zu einer durch strenges Fasten verschärften Haft verurteilt. Alle seine Zeichnungen und Papiere wurden verbrannt. Damit war die Erfindung vernichtet, denn als es Peter Gusmao gelang, nach Spanien zu entfliehen, war er ein gebrochener Mann, der früh starb. Aus einigen geretteten Dokumenten konnte festgestellt werden, daß er wirklich eine brauchbare Flugmaschine erdacht hatte, doch waren die Aufzeichnungen zu lückenhaft, um danach die Erfindung zu rekonstruieren.
Bekanntlich wurden in den früheren Zeiten gerade die Frauen häufig der Verbindung mit überirdischen Gewalten, mit dem Teufel und der Kenntnis besonderer Zauberfünfte beschuldigt. Es erklärt sich das aus mancherlei Ursachen, denen die Stellung der Frau als Priesterin, Weissagerin und Ärztin bei manchen Völkern, denen die Unkenntnis des natürlichen, geheimnisvoll erscheinenden Entwicklungsprozesses der Leibess frucht, die Macht des erotischen Gefühls und anderes noch zu