Nr. 3
19. Jahrgang
Die Gleichheit
Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen
Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder
Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Poft vierteljährlich obne Bestellgelb 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig.
Jabres- Abonnement 2,60 Mark.
Inhaltsverzeichnis.
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Der Reformschwindel der Strafprozeßordnungsentwürfe. II. Von H. B.- Die Krisis in der Textilindustrie. Von H. Jädel. Kinder als„ Berbrecher". Von Dr. Siegfrieda. Verkäuferinnenelend. Von Rich. Seidel. Die Konsumentenbewegung in Berlin . Von Gertrud Lodahl. Bur Dienstbotenfrage. Von E. H. Herenglauben und Herenprozesse. Eine fulturhistorische Sfizze von Anna Blos. ( Forts.) Aus der Bewegung: Von der Agitation.
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Von den Organisationen.
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Bericht über die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung im niederrheinischen Agitationsgebiet. Politische Rundschau. Von H. B. Gewerkschaftliche Rundschau.
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Notizenteil: Dienstbotenfrage. Soziale Gesetzgebung. recht. Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. Die Frau in öffentlichen Ämtern.
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Mutter und Kind.
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Frauenstimms Fürsorge für
Der Reformschwindel der Strafprozeßordnungsentwürfe.
II.
Die Zahl der offenen Verschlechterungen, welche die Entwürfe enthalten, ist groß, so groß, daß es unmöglich ist, sie im Rahmen eines Artikels sämtlich zu behandeln. Wir müssen uns daran genügen lassen, drei besonders gefährliche Anschläge auf die Rechtsgarantien zu betrachten, die dem Angeklagten heute zustehen.
Eine der wichtigsten dieser Garantien ist die Öffentlichkeit des Verfahrens. Sie darf heute nur ausgeschlossen werden, wenn durch die Verhandlungen eine Gefährdung der Staatsficherheit oder Sittlichkeit droht. Künftig soll das Gericht die Offentlichkeit aber auch ohne diese Gründe nach freiem Ermessen ausschließen können, wenn es sich um Strafsachen gegen Jugendliche oder um Beleidigungsprozesse handelt. Die Straf fachen gegen Jugendliche werden im allgemeinen besonderen Jugendgerichten zugewiesen, Schöffengerichten, deren Vorsitzender möglichst der Vormundschaftsrichter und deren Schöffen in der Jugenderziehung besonders erfahrene Personen sein sollen.( Der Entwurf zählt darunter die Lehrer auf, läßt aber in den Bes stimmungen über die Auswahl der Schöffen ruhig stehen, daß Volksschullehrer nicht zum Schöffenamt zu berufen sind!) Die Einsetzung von Jugendgerichten ist ein Fortschritt, an dem nur zu tadeln ist, daß er eine Halbheit bleibt, da die Errichtung der Jugendgerichte nicht obligatorisch gemacht wird. Die Bestimmung über das Recht des Gerichts, bei Jugendstrafsachen nach freiem Ermessen die Offentlichkeit auszuschließen, wird in der Begründung als eine Maßregel zugunsten der jugend lichen Angeklagten hingestellt, deren Schamgefühl geschont werden solle. Die Absicht ist an und für sich sehr löblich- indes wird die erstrebte Schonung des Schamgefühls zu teuer erkauft durch den Entzug der wichtigen Rechtsgarantien, die die Öffentlichkeit darstellt. Die öffentliche Kritik der Recht sprechung ist eines der wesentlichsten Mittel, um übergriffe der Justizorgane zu verhüten oder doch einzudämmen und um den Richtern zu zeigen, wie ihre Sprüche vom Rechtsempfinden des Volkes beurteilt werden. Der neue Zweig der Jugend
Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit find zu richten an Frau Klara Zetkin ( Zundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart . Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furtbach- Straße 12.
gerichtsrechtsprechung bedarf gerade zu seiner gesunden Ent wicklung des Einwirkens der öffentlichen Meinung in besonderem Maße. Ist doch mit der Bezeichnung Jugendgericht" noch lange teine Rechtsprechung dieser Gerichte gegeben, welche aus voller Erkenntnis der Aufgaben fließt, welche die Gesellschaft gegen die verwahrloste Jugend hat. Erst kürzlich hat der Vorfigende eines Jugendgerichtshofs zu Magdeburg erklärt, daß strenge Strafen am besten dem jugendlichen Verbrechertum entgegenwirken tönnten.
Muß es aber schon abgelehnt werden, die Öffentlichkeit bei Jugendstrafsachen beschränken zu lassen, so gilt das noch viel mehr für die Beleidigungsprozesse. Was bringt jedoch die " Reform" in dieser Beziehung? Sowie einer der Beteiligten in einem Beleidigungsprozeß den Ausschluß der Öffentlichkeit Rücksicht auf den Inhalt der Verhandlungen. fordert, so soll das Gericht befugt sein, ihn zu beschließen, ohne
Diese Bestimmung entspringt aus dem dringenden Bedürf nis der herrschenden Klassen, ihre unsauberen Geschichten den Blicken der Offentlichkeit möglichst zu entziehen. Die letzte Veranlassung zu dem Vorschlag des Entwurfs ist der Prozeß Moltke- Harden, der einen stinkenden Sumpf auf den„ Höhen der Gesellschaft" aufdeckte, einen Verfall des sittlichen Fühlens und der geistigen Fähigkeiten von erschreckendem Umfang in den Kreisen der herrschenden Junker enthüllte. Aber es handelt sich nicht nur darum, die Standalaffären der oberen Zehntausend zu vertuschen. Auch die ernste Kritit an öffentlichen Mißständen, auch die Aufdeckung von Übergriffen und Verfehlungen der regierenden Bureaukratie, von unverschämter Ausbeutung und Knechtung wirtschaftlich Abhängiger durch sozial Mächtige: das alles soll erschwert, soll noch mehr eingeschnürt und be hindert werden, als dies ohnehin schon das geltende Recht und seine Auslegung tun.
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Welch geradezu ungeheuerliche Konsequenzen die zum Gesetz erhobene Bestimmung haben müßte, das liegt auf der Hand. Oft genug werden namentlich gegen die Presse- Beleidi gungsklagen angestrengt, die mit einer Verurteilung enden, weil entweder die Richter in irgend einem derben Wort der an dem Kläger geübten Kritik formale Beleidigung erblicken, oder weil sie den Wahrheitsbeweis nicht in allen Stücken erbracht sehen. Bei öffentlicher Verhandlung ist es dann wenigstens möglich, daß die Offentlichkeit feststellen fann, was wahr ist an den Vor würfen, die der Angeklagte erhoben hat. Seine Verurteilung ist nicht die völlig unverdiente Rehabilitierung des Klägers. Wird aber auf dessen Verlangen hinter verschlossenen Türen verhandelt, so erfährt die Öffentlichkeit nur das Urteil mit einer vielleicht sehr mageren Begründung, und der Kläger fommt um die verdiente Brandmarkung völlig herum. In dem Beleidigungsprozeß, den der einstige Herrscher des Saarreviers, der Bergrat Hilger gegen den Bergmann Krämer angestrengt hatte, hätte auf Verlangen Hilgers geheim verhandelt werden müssen. Die Öffentlichkeit würde nie von der moralischen Stäupung gehört haben, die das System des Herrn Hilger in der Verhandlung erfuhr. Sie hätte lediglich Kenntnis vom Urteil erhalten und wegen der Verurteilung des Angeklagten