Nr. 3

Die Gleichheit

und das Leben vieler vollständig vernichten, können nicht ohne Einfluß sein auf das Fühlen und Denken und Streben der Massen. Das lebendige Sein bestimmt das Bewußtsein des Menschen. Die frankende bürgerliche Gesellschaft schafft Boden für sozialistisches Empfinden. Die Arbeiter werden emp­fänglich für die Lehren der Sozialdemokratie. Auch die Krisis mit ihren revolutionierenden Wirkungen auf die Arbeiterklasse muß unter dem Einfluß der emsigen sozialdemokratischen Propas ganda zu einer Stärkung der proletarischen Klassenbewegung führen. Wohl bleiben die gewerkschaftlichen wie politischen Or ganisationen von der Krisis nicht unberührt. Mancher, dem in dieser Zeit der mangelnden Beschäftigung das nötigste fehlt oder der noch nicht genügend innerlich gefestigt ist, geht vers loren. Aber trotz vorübergehender Schwächung muß sich die Werbefraft der Organisationen steigern, weil Tausenden noch indifferenten oder feindlichen Brüdern und Schwestern die Augen aufgehen, Tausende den Jdeen der Organisation zu gänglich werden und die Notwendigkeit gemeinsamen Ringens der Arbeiterklasse erkennen. Was für die Arbeiterklasse im allgemeinen gilt, das gilt auch für die einzelnen Schichten der Klasse und selbstverständlich auch für die in der Textil industrie beschäftigten Personen. Die Krisis lehrt ihnen jetzt eindringlich: Wir leben nicht in der besten aller Welten; der einzelne Arbeiter ist wehrlos der Unternehmerwillkür preis­gegeben.

Seit vielen Monaten hoffen Arbeiter und Unternehmer auf Besserung der Geschäfte. Immer wieder wurde von sogenannten fachmännischen Autoritäten" Besserung für die allernächste Beit" prophezeit, aber immer erwiesen sich die Prophezeiungen als falsch. Die bedeutendsten Zweige der Industrie liegen still. In der Baumwollspinnerei beraten zurzeit die verschieden ften Bezirksverbände die Frage einer weiteren Betriebsein schränkung. Noch liegen aus der Zeit der Hochkonjunktur eine Fülle von Aufträgen vor. In dem Glauben an die Beständig feit des guten Geschäftsgangs hatten die Webereibesitzer auf lange Lieferfristen Bestellungen aufgegeben. Da fam der Nieder­gang. Die Webereibefizer fonnten ihre Waren nicht verkaufen, und die beim Spinner bestellten Garne wurden nicht abge­fordert. Die Aufträge stehen auf dem Papier. Die Spinnerei besitzer waren genötigt, die Produktion einzuschränken und die Lager zu füllen. Jetzt wird gemeldet, daß die Spinner auf Lieferung der bestellten Garne bestehen wollen. Da die Garne seinerzeit zu den damals hohen Preisen gekauft wurden, mittler­weile aber die Preise sehr zurückgegangen sind und außerdem die Webereibesitzer einen großen Teil ihres Kapitals in den auf Vorrat produzierten Waren brach liegen haben, werden zahlreiche Konkurse der weniger kapitalkräftigen Webereibesitzer die notwendige Folge sein.

Die Zahl der arbeitslosen Weber und Weberinnen und ihrer Hilfsarbeiter wird steigen. Schon heute leiden die Arbeiter der Baumwollweberei bitterste Not. In Schlesien wie in der sächsischen Lausiz, in Rheinland , in Westfalen, im Elsaß und den süddeutschen Baumwollwebereien ist seit langer Zeit die Zahl der wöchentlichen Feiertage ver­mehrt und die tägliche Arbeitszeit verkürzt. In einigen Orten der sächsischen Lausitz ist es geradezu Bestimmung, daß der Baumwollweber nicht mehr als 5 Mt. pro Woche verdienen darf. Ist das doch der Fall, dann muß er beim Abrechnen der Kette noch einige Tage auf Einlegen einer neuen Kette warten. In Schlesien führt die Krisis zur Abwanderung zahlreicher Proletarierfamilien und zum Übergang in andere Berufe.

Auch in den anderen Branchen der Industrie findet eine nicht unerhebliche Verschiebung der Arbeiter statt. Eine große Anzahl der Zahlstellen des Verbandes der Arbeiter meldet eine mehr oder minder große Abwanderung von Mitgliedern. Wie der Kapitalismus innerhalb weniger Monate Hundert tausende Proletarier aus der Neuen Welt in die Alte zurück­transportiert und sie je nach Bedarf wieder dorthin abschiebt, so schiebt er auch im Inland viele Tausende Arbeiter- Männer und Frauen- von dem einen Ende des Reiches

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nach dem anderen. Der Zuftrom nach den wenigen Plätzen, wo die Krisis noch nicht zu Betriebseinschränkungen geführt hat, ist deshalb größer als sonst, damit wächst aber auch die Konkurrenz der Arbeiter gegeneinander. Und wie in diesen beiden bedeutenden Zweigen der Textilindustrie, so sieht es mit wenigen Ausnahmen auch in den übrigen aus. Die Metropole der deutschen Stickereiindustrie Plauen im Vogtland mit ihren vielen Zehntausenden Arbeiterinnen und Arbeitern wartet schon länger als ein Jahr sehnsüchtig auf die ausländischen, ganz besonders amerikanischen Einkäufer. Immer neue Muster werden angeboten. Die Muster werden mit Interesse" be­trachtet, aber die Bestellungen bleiben aus. Die dort so lange vorhanden gewesene lebhafte Nachfrage nach Arbeitskräften, ganz besonders nach weiblichen, existiert nicht mehr. Der Zuzug von außen, welcher in der fabelhaften Entwicklung Plauens zur Erscheinung fommt, hat nachgelassen. Das Überangebot trat an die Stelle des Mangels. Und wenn Plauen leidet, dann leiden die von diesem abhängigen Orte des oberen und niederen Vogtlandes, Falkenstein , Auerbach , Elber­ feld usw. Die deutsche Königin der Vigogne" Werdau in Sachsen und deren Nachbarstadt Crimmitschau , sowie die entsprechenden Betriebe M.- Gladbachs und des Rhein­landes haben schon längst die Arbeitswoche auf fünf Tage gefürzt.

Kurz, überall Stockung und Stillstand. Feststellungen im Mai ergaben bereits, daß Hunderttausende im ganzen Reiche mit verkürzter Arbeitszeit beschäftigt wurden. Seitdem hat sich die Lage noch sehr verschlechtert. Arbeiterentlassungen in großem Umfang wurden nicht vorgenommen. Die Unternehmer befürchten Abwanderung in andere Berufe und daraus später resultierenden Arbeitermangel. Dafür suchen die findigen Herren in anderer Weise nach Möglichkeit die Kosten der Krisis auf die Arbeiter abzuwälzen. Lohnreduktionen sind an der Tages­ordnung. Viele Lohnkürzungen konnten trotz der Krisis von den organisierten Arbeitern zurückgewiesen werden. Aber noch ist die Zahl der organisierten im Vergleich zu den anderen gering. Widerstandslos mußten die unorganisierten Proletarier die Lohnreduktionen über sich ergehen lassen. Jetzt haben auch die Wirtereibesiger des Erzgebirges ihren Arbeitern eine 15 prozentige Lohnkürzung verkündet. In den rheinischen Tuchwebereien versuchen die Unternehmer jetzt in der Zeit der Krisis das Zweistuhlsystem einzuführen. Man macht Er­perimente zum Schaden der Arbeiter. Soweit die schweren Tuchstoffe in Frage kommen, tann es sich bei dem jezigen Stand der Dinge nur um Experimente handeln.

So sehen wir, wie die Krisis überall infolge der mangelnden Organisation die Kraft der Arbeiter außerordentlich schwächt. Die Aufgabe der organisierten Arbeiter muß es sein, den noch Fernstehenden dies zum Bewußtsein zu bringen. Aus dem Zweifel müssen die Arbeiter emporgehoben werden zur Erkennt nis. Indem wir ihnen die Ursachen und das Wesen der Krisis flar machen, erziehen wir sie und geben ihnen die Kraft, nun tüchtige Glieder der Organisation zu werden. Die rigorosen Lohnkürzungen in der Zeit der Krise und der hochgeschraubten Lebensmittelpreise auf der einen Seite, auf der anderen aber die Ohnmacht der meisten Textilarbeiter, das Vorgehen der Unternehmer mit Erfolg zurückzuweisen! Dieser Stand der Dinge muß in den Hunderttausenden bisher unorganisierter Textil arbeiter eine hochgradige Unzufriedenheit erzeugen und sie schließlich in größerer Zahl in die Gewerkschaft treiben. So wird die Organisation sich allmählich emporringen. Sie wird eine Macht werden trotz alledem, eine Macht, welche auch das bestorganisierte Unternehmertum bei der gewaltigsten Kapitals. konzentration respektieren muß. Wir erreichen das dank un­ablässiger Arbeit, und auch die Krisis mit ihren bösen Begleit­erscheinungen muß allgemein nach dieser Richtung wirken. Sie sät Wind, sorgen wir durch unsere aufklärende, organisierende Tätigkeit dafür, daß die kapitalistische Ordnung schließlich Sturm davon erntet.

H. Jäckel