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Die Gleichheit
geistigen Kultur, dem Genuß der herrschenden Minderheit und der Armut, der Unwissenheit und Roheit, dem frassen Elend der Massen. So der andere Kontrast zwischen der mit dem wachsenden Wohlstand hervorbrechenden und sich austobenden urwüchsigen rohen Sinnenluft und der von christlichen Eiferern gepredigten und betätigten Askese. So auch der Abstand zwischen den Worten vieler Geistlicher und Mönche und ihrem Leben. All diese Erscheinungen und andere noch nahmen in dem Maße überhand, als das mittelalterliche Wirtschafts- und Gesellschaftsleben sich dem Höhepunkt seiner Entwicklung näherte und sich in seinem Schoß bereits die Kräfte regten, welche die fapitalistische Produktion und die moderne bürgerliche Gesell schaft vorbereiteten. Die alten Einrichtungen begannen sich zu wandeln, die überkommenen gesellschaftlichen Bande zwischen den Menschen wurden gelockert, die Gefühls- und Ideenwelt des einzelnen, ja großer Bevölkerungsschichten wurde erschüttert. Die nicht abreißenden Kämpfe zwischen den verschiedenen ges sellschaftlichen Klaffen, zwischen den Vertretern der geistlichen und weltlichen Macht, Kirche und Staat, die Fehden und Kriege, welche die Fürsten und niedrigen Adligen unter sich führten, trugen mit ihrem Gefolge von Ruin und verheerenden Seuchen nicht wenig dazu bei, die Phantasie zu schrecken und in fteter Spannung zu halten. Die Menschen der Zeit fonnten weder die natürlichen noch die gesellschaftlichen Kräfte erkennen, die hinter den auf sie einstürmenden Erscheinungen standen. Sie erblickten daher in ihnen das Walten übernatürlicher Kräfte segen oder verderbenbringender Art. So wurde im menschlichen Bewußtsein der Boden bereitet, auf dem der Hexenglaube üppig, einer Giftblüte gleich, emporwucherte.
Die Kirche war machtlos, durch ihre Lehre dem einsetzenden Auflösungs- und Umgestaltungsprozeß der Gesellschaft zu wehren. Ihre Macht über die Geister fam ins Wanken, wie ihre weltliche Herrschaft. Ein Teil ihrer Vertreter sah mit ehrlicher Einfalt in den Zeitvorgängen Teufelswert, mit redlichem, blind wütendem Fanatismus schürte er Herenglauben und Herenverfolgungen, ein anderer Teil nugte sie im Interesse der kirchlichen Buchstabengläubigkeit und des materiellen Vorteils firch licher Institutionen wie einzelner Persönlichkeiten. Die eigent liche Inquisition gedieh in Deutschland nicht recht und wurde hier nicht populär wie in den romanischen Ländern. Dafür boten aber die Herenprozesse und Hexenverfolgungen reichen Ersatz. Die Vertreter der Kirche riefen gegen die Heren den Arm der weltlichen Obrigkeit an und bewaffneten ihn. An den Herenprozessen haben die Inquisitoren, die Keterrichter gegen 200 Jahre einen hervorragenden, entsetzlichen Anteil gehabt. Sie waren die gefürchteten und furchtbaren Werkzeuge der Kirche. Die Stellung eines Inquisitors verband eine ungewöhnliche Macht mit gutem Einkommen und fast völliger Unabhängigkeit. Jede Denunziation von Personen, die der Hererei und Ketzerei verdächtig waren, wurde mit geistlicher Wohltat und flingender Münze belohnt. Jedem Zeugen, selbst dem„ Ehrlosen" und Mitschuldigen, wurde Glauben geschenkt und das Verschweigen des Namens zugesichert. Die Einmauerung oder der Scheiter haufen waren die gewöhnlichen Strafen für Hererei, überdies Einziehung der Güter, die meist so verteilt wurden, daß zwei Drittel den Grundherren, das letzte Drittel den Richtern, Schöppen, Geistlichen, Angebern, Spionen und Scharfrichtern zufiel. Jede Anklage wurde belohnt. Die Herenprozesse eröffneten also den Habsüchtigen geradezu unbegrenzte Einnahmequellen und reizten ihre Gier aufs höchste. Schnell begeisterten sich geistliche und weltliche Fürsten für sie. Beide, wie auch die Städteobrigkeiten lockte das gute materielle Geschäft, und die Geistlichkeit erhoffte außerdem von ihnen eine Festigung ihrer Herrschaft. Aus dem Mitgeteilten ist ersichtlich, daß die Herenprozesse in die Hand einzelner Menschen eine furchtbare Gewalt legten, während die übrigen so gut wie vogelfrei waren. Wer sich wissentlich oder unwissentlich die Feindschaft eines anderen zugezogen hatte, war machtlos in dessen Hände gegeben, sobald er von ihm der Hererei angeklagt wurde. Dem Angeklagten fehlte jede Möglichkeit freizukommen. Durch die Folter wurde auch den Unschuldigsten das Geständnis der ihnen angedichteten Schuld abgepreßt.
Nr. 3
Widerruf ließ man nicht gelten, und eine Appellation gegen den Urteilsspruch des Gerichts gab es nicht. Die aufgestachelte fanatische Phantasie der Angeber, Spione und Inquisitoren hatte freiesten Spielraum, gegen die Opfer die wahnwitzigsten Anklagen zu erdichten, deren Falschheit nicht erwiesen werden fonnte. Die Kirche und ihre Träger gewannen aber durch die Kezer- und Hexenprozesse an Popularität, denn statt als Verfolger erschien der Inquisitor als Befreier der Menschheit von gemeingefährlichen Bösewichten, und die Größe der Verbrechen rechtfertigte die Grausamfeit seines Verfahrens. Als Ketzer verfielen die Heren und Herenmeister zugleich auch der weltlichen Gerichtsbarkeit. Wie die Leserinnen später sehen werden, hat die Reformation in punkto Herenglauben und Hexenprozesse keine Besserung gebracht. Das Luthertum hat umgekehrt das Seinige zur Verteufelung" des religiösen Bewußtseins beigetragen, wie Scherr in seiner„ Deutschen Kultur- und Sittengeschichte" richtig sagt. Und Kolb bemerkt in seiner„ Kulturgeschichte der Menschheit"( Band II, Seite 434):„ Natürlich ließ es die katholische Kirchenheiligkeit an dem frommen Werke des Herenverbrennens nicht fehlen. Aber die protestantische Frömmigkeit wollte nicht zurückbleiben; ja die Verfolgungen waren in den von Protestanten bewohnten Gebieten sogar noch zahlreicher als in denen mit katholischer Bevölkerung."
Frankreich ist das Land, in dem die ersten Herenprozesse stattfanden. Die bekannteste der dort wegen Zauberei Verurteilten ist Johanna d'Arc , die Jungfrau von Orleans, die Heldin von Schillers gleichnamigem Drama. Johanna selbst hielt sich für eine Auserwählte Gottes, der sie berufen hätte, ihr Vaterland aus dem Joche Englands zu befreien. Ihr fanatischer Glaube teilte sich dem Heere mit, das sie von Sieg zu Sieg führte. Den Engländern galt die Jungfrau natürlich als eine Here, die mit dem Teufel im Bunde stände, und als sie in die Hände ihrer Feinde geriet, wurde sie als solche verbrannt. Shakespeare hat Johanna in seinem Königsdrama, Heinrich VI." ebenfalls als Here aufgefaßt.
Von Frankreich aus nahmen die Herenprozesse ihren Weg nach Deutschland , wo sie sich schnell in erschreckender Weise mehrten. Im Jahre 1446 wurden in Heidelberg die ersten Heren verbrannt. 1484 erließ der Papst Innozenz VIII . eine Bulle, die die Verfolgung der Heren in Deutschland sanktionierte und Herentribunale als religiöse Institutionen einsetzte. Diese Bulle gab den zwei Inquisitoren und Professoren der Theologie, Sprenger und Institoris , denen sich noch als dritter Gremper zugesellte, den Auftrag, wider alle und jede Personen, welch Standes und Ranges sie sein mögen, das Amt der Inquisition zu vollziehen und die Personen selbst, welche sie der vorbemeldeten Dinge für schuldig befinden, in Haft zu bringen und an Leib und Vermögen zu strafen". Sprenger und seine Freunde verfaßten darauf ein dickes lateinisches Buch, das den Namen " Herenhammer" trägt, weil es die Heren gleichsam zusammenhämmern, zermalmen sollte. Es erschien im Jahre 1489 mit Billigung der theologischen Fakultät von Köln am Rhein , schrieb das Verfahren vor, das bei den Herenprozessen zu beobachten war, und erlangte bei den Hexenrichtern kanonisches Ansehen. Der„ Herenhammer" bezeichnet jeden Zweifel an der Wirklichkeit des Zauberwesens als Hererei. Dem weiblichen Geschlecht wird darin die Neigung zum Verkehr mit dem Teufel zur Last gelegt, da schon Eva sich von der Schlange habe ver führen lassen. Da niemals vor oder nachher eine so große Sünde wie Hererei mit des Teufels Hilfe begangen worden sei, so sollten auch solche Schuldigen, die bereuten, nicht wie andere Retzer mit Gefängnis, sondern stets mit dem Tode bestraft werden. Die beiden Ketzerrichter Sprenger und Institor haben allein achtundvierzig Heren zum Scheiterhaufen verurteilt.
Aus der Bewegung.
( Fortsetzung folgt.)