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Die Gleichheit

Der seit der Gründung des Vereins für Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse bestehende wöchentliche Näh- und Flickkursus wird weitergeführt. Lehrerinnen sind des Nähens fundige Genofsinnen, die sich freiwillig zur Verfügung gestellt haben. Durch diese Ein­richtung hoffen die Genofsinnen in erster Linie die jungen Mädchen zu fesseln. Die Nähabende werden besser besucht als die Versamm lungen. Bis jetzt sind 90 Frauen und Mädchen in den sozial demokratischen Verein übergetreten. Hoffentlich wird die Zahl der weiblichen Organisierten bald steigen. Marg. Hüttner.

Bericht über die Entwicklung der proletarischen Frauen­bewegung im niederrheinischen Agitationsgebiet. Am 5. Ja nuar d. J. fand in Düsseldorf eine Konferenz der Genofsinnen des niederrheinischen Agitationsgebiets statt, welche die Einführung des jetzt im Bezirk geltenden Kartensystems beschloß. Weitere Be­ratungen führten zur Einsetzung einer Kommission zur Förderung der Frauenagitation, die ihren Gig in Düsseldorf haben sollte und zu deren Vorsitzenden die Unterzeichnete gewählt wurde. Die Düsseldorfer Genossinnen hielten es jedoch für besser, ihre alte Or ganisationsform bis zur Änderung des Vereins- und Versamm­lungsgesetzes beizubehalten, und lehnten deshalb die Beschlüsse der Konferenz ab. Die Kommission konnte infolgedessen nicht gewählt werden, und die Unterzeichnete sab sich gezwungen, die Geschäfte allein zusammen mit der Agitationsfommission weiterzuführen. Zunächst fanden zur Aufklärung der Genossinnen über die neue Organisationsform Sigungen in Barmen, Mülheim ( Ruhr), Gräfrath , Essen- West, Solingen , Rheydt und M.- Glads bach statt. Nach eingehender Klarstellung stimmten die Genossinnen dieser Orte den Konferenzbeschlüssen bei. In Ohligs wurde die Bewegung erfolgreich neu aufgebaut, ebenso in Solingen . In Hespe und Reuß wurde versucht, die Proletarierinnen aufzu flären und zur Betätigung heranzuziehen. In Hespe mit Erfolg. Hier erregte die Beteiligung der proletarischen Frauen am öffent lichen Leben sehr viel Unwillen in bürgerlichen Kreisen. Die Polizei schickte dem Vertrauensmann der Genossen des Ortes eine Vor­ladung, weil angeblich in seiner Wohnung eine Versammlung statt­gefunden haben sollte, und auch der Hauswirt untersagte ihm das Abhalten von Versammlungen in seinem Heim. Gute Fortschritte macht die Bewegung zurzeit in Maryloh, wie überhaupt im Duisburger Kreis. Die Genossinnen der kleinen Orte sind äußerst rührig im Dienste ihrer Überzeugung. In manchen der Volksvers fammlungen, die in Solingen , Rheydt , M.- Gladbach, Remscheid , Ronsdorf , Hespe , Maryloh, Heißen, Duisburg , Krefeld usw. tagten, ließ der Besuch der Frauen zu wünschen übrig. Bei Berücksichtigung der Wirtschaftskrise und dem mit ihr verbundenen Fallen des Mitgliederstandes der modernen Arbeiterorganisationen muß man jedoch anerkennen, daß bie proletarische Frauenbewegung sich tapfer gehalten hat. In einzelnen Orten ist die Zahl der Gleichheit"-Abonnenten gefallen, in anderen etwas gestiegen. Insgesamt dürfte sie jetzt etwa 4000 betragen. Die Bemühungen zur Förderung der Agitation erhellen aus den 548 Postausgängen: Karten, Briefe, Drucksachen, Abrech nungsformulare und Zirkulare, darunter einige, welche die Frauen zur eifrigen Teilnahme an der Maifeier und der Landtagswahl aufforderten. Ein Flugblatt zur Landtagswahl wurde in 8000 Exemplaren verteilt. Die Einnahmen der Genossinnen betrugen 1027,91 t., die Ausgaben 762 Mt., der Kassenbestand stellt sich auf 265,91 Mt. Unter den Ausgaben befinden sich 426,89 Wit., die dem Zentralagitationsfonds der deutschen Genossinnen überwiesen worden sind. Die niederrheinischen Genossinnen sind an eine syste­matische Tätigkeit in der Bewegung gewöhnt und stellen all ihre freie Zeit in ihren Dienst. Die Kinderfrankheiten der Frauenbewegung, die sich früher verschiedentlich geltend machten, schwinden mehr und mehr. Hoffen wir, daß die Bewegung sich träftig weiter entwickelt. Die proletarischen Frauen und Mädchen müssen das neue Vereins­recht tüchtig ausnußen, damit ihm bald das allgemeine Frauenwahl­recht folgt. Wilhelmine Kähler .

Politische Rundschau.

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Ein faft unglaublicher Vorfall hat plöglich wieder einmal die Unerträglichkeit des jetzigen Zustandes ins grellste Licht gerückt, daß der Deutsche Kaiser sein eigener Rangler ist. Bei wichtigen Handlungen des Staatsoberhauptes, die die inter­nationale Stellung des Reiches aufs tiefste berühren, wird der dem Reichstag verantwortliche Reichskanzler einfach beiseite ges schoben. Die auswärtige Politik Deutschlands , sein Verhältnis zum Ausland, Angelegenheiten, die das Schicksal von 60 Millionen deutscher Einwohner in erheblichem Maße beeinflussen können-

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Nr. 3

Krieg und Frieden hängen eng damit zusammen, werden so von einem einzigen Menschen bestimmt, der dem Parlament nicht ver­antwortlich ist. Dank der Jämmerlichkeit der deutschen Reichs­verfassung die dem Reichstag keinen Einfluß auf die Ernennung des obersten Reichsbeamten gibt und dank der noch größeren Jämmerlichkeit der bürgerlichen Parteien hat sich das Selbst­herrschertum, der Absolutismus in Deutschland in den letzten beiden Jahrzehnten immer offener entfalten können. Er zeigt sich in dem vorliegenden Falle in seiner ganzen Bedrohlichkeit und seiner totalen Unverträglichkeit mit dem natürlichen Anspruch einer mündigen Nation, ihre Geschicke selbst zu bestimmen.

meint

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Im Londoner Daily Telegraph " wurde dieser Tage eine Unter redung veröffentlicht, die Wilhelm II , mit einem englischen Diplo maten gepflogen hat. Wie sich nachträglich trotz aller anfänglichen und nur zu sehr berechtigten Zweifel herausgestellt hat, ist die Ver­öffentlichung mit Zustimmung des Kaisers geschehen. Dieser hat sich sonderbar genug und durchaus irrtümlicherweise, wie die Auf­nahme in England zeigt, davon eine Besserung der deutsch - eng­lischen Beziehungen versprochen. Die Außerungen des Kaisers be zwecken nämlich, die Engländer von seiner Freundschaft für sie zu überzeugen, ihnen die Besorgnis zu nehmen, daß Deutschland Englands Macht zu zerstören plane. Der Kaiser wendet dazu frei­lich ganz untaugliche Mittel an. Es kann die Engländer wenig beruhigen, wenn er ihnen erklärt, daß er seine Freundschaft für ihr Land allezeit betätigt habe, obgleich in weiten Kreisen der mittleren und unteren Klassen des deutschen Volkes keine freund­schaftliche Gesinnung für England vorherrsche. Was außerdem total falsch ist und nur die mangelhafte Bekanntschaft des Kaisers mit der Gesinnung des deutschen Voltes beweist. Die Arbeiter­lasse die Wilhelm II. doch mit der Bezeichnung untere Klassen" ist in ihrer großen flassenbewußten Mehrheit von jeder Englandsfeindschaft absolut frei, das haben erst neulich wieder ihre imposanten, herzlichen Rundgebungen beim Empfang der Friedens deputation des englischen Proletariats in Berlin bewiesen. Der Kaiser beruft sich weiter auf sein Verhalten während des Buren­friegs. Damals sei die öffentliche Meinung Deutschlands england­feindlich gewesen, er aber habe sich geweigert, die Abgesandten der Buren zu empfangen. Als der Krieg auf der Höhe stand, sei die deutsche Regierung von Frankreich und Rußland eingeladen worden, gemeinsam England zur Beendigung des Krieges aufzufordern, um die Burenrepubliken zu retten und ihren Feind bis in den Staub zu demütigen. Er aber habe sofort die Anregung abgelehnt und zugleich der Königin Viktoria Mitteilung von den Plänen der beiden Mächte und von seiner Antwort gemacht. Und noch weiter iſt Wilhelm II. im Interesse Englands gegangen. Im Dezember 1899 hat er, so teilt er mit, als Antwort auf einen sorgenvollen Brief der Königin Viktoria den seiner Meinung nach besten Feldzugs­plan für England ausarbeiten, ihn vom Generalstab begutachten und nach England senden lassen. Dieser Plan sei zum großen Teil mit jenem zusammengefallen, nach dem später Lord Roberts die Buren niedergeworfen habe. Zum Schlusse hat Wilhelm II. er klärt, daß die deutsche Flotte keine Bedrohung Englands darstelle. Ihre erste Aufgabe sei, den Handel zu schüßen, außerdem brauche Deutschland eine starke Flotte, um mitreden zu können, wenn das Schicksal des Stillen Ozeans entschieden werde. Der Kaiser wies in diesem Zusammenhang auf die Erhebung Japans und das nationale Erwachen Chinas hin.

Der Eindruck, den diese Auslassungen in England gemacht haben, ist nicht der vom Kaiser gewünschte. Es läßt sich nicht vermeiden, daß die Engländer bei den Mitteilungen über die Hal­tung Wilhelm II. während des Burenkriegs an die Depesche denten, die er 1896 nach dem Fehlschlagen des Jamesonraubzugs an den Präsidenten Krüger richtete. Zudem hat sich die französische wie die russische Presse sofort für die Enthüllung der Pläne revan chiert, die ihre Regierungen einst gegen England geschmiedet haben sollen. Sie stellte fest, daß die deutsche Regierung in einem früheren Zeitpunkt des Krieges Frankreich zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen England zu gewinnen versucht habe. Das Einvernehmen Frankreichs und Rußlands mit England wird durch die nachträg­lichen Enthüllungen Wilhelms II. nicht gestört, da diese Staaten zurzeit durch gemeinsame Interessen verbunden sind. Dagegen wurde in ihnen allen lebhaftes Unbehagen geweckt, weil die Aus­lassungen des Raisers als Versuch empfunden werden, ihr Ein­vernehmen miteinander zu sprengen. Geradezu zerstörend aber für das internationale Ansehen des Deutschen Reiches ist die eine Tat­sache, welche Wilhelm II. mitgeteilt hat, nämlich daß er vertrau liche Anfragen Frankreichs und Rußlands sofort an England weiter geben ließ, dem sie verborgen bleiben sollten. Vielfach wird in der Presse des Auslandes erklärt, daß es jetzt wohl niemanden