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Die Gleichheit

Die Statistik verzeichnet für 1907 etwas geringere Erfolge der Kämpfe als im Vorjahr. Von den 2792 Kämpfen waren 59 Prozent Angriffstreits. In 30 Prozent mußte gegen eine versuchte Verschlechterung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse ge­tämpft werden, in 11,5 Prozent schritten die Unternehmer zu Aussperrungen. Erfolgreich endeten die Kämpfe in 48 Prozent, teilweise erfolgreich in 25 Prozent, erfolglos in 22 Prozent. Der größte Anteil an den wirtschaftlichen Kämpfen entfällt wiederum auf das Baugewerbe mit 1011 Rämpfen und 81 000 Beteiligten; es folgt die Metallindustrie mit 472 Kämpfen und 53000 Beteiligten, dann die Holzindustrie mit 307 Kämpfen und 30000 Beteiligten. Die Bekleidungs, Leder- und Textilindustrie weist zwar nur 254 Kämpfe auf, doch standen in diesen nicht weniger als 51 000 Arbeiter und Arbeiterinnen. Insgesamt sind 54 Verbände im Kampfe gewesen. Der Verlust an Arbeitszeit, der aus den Kämpfen erwachsen ist, dürfte etwa rund 5 000 000 Tage betragen, der Ausfall an Verdienst 22 Mil­lionen Mark. An den Angriffstreits waren beteiligt 131 427 männ liche und 11517 weibliche Personen, insgesamt also 142944 Proletarier, an den Abwehrstreits 33 348 Personen, an den Aus­sperrungen allein aber 104738 Arbeiter und Arbeiterinnen. Die von den Unternehmern beliebte Kampfesform der Aussperrung ist im Berichtsjahr noch brutaler angewendet worden als früher. Die Zahl der davon betroffenen Proletarier ist nämlich gestiegen, wenn­gleich die Zahl der Aussperrungen selbst zurückgegangen ist. Der Umstand legt die Erklärung nahe, daß die Geschlossenheit der Unter­nehmer in ihren Organisationen zunimmt. Eine Mahnung das für die Arbeiter und Arbeiterinnen, ein Gleiches zu tun! Sie müssen ihre gewertschaftlichen Organisationen ausbauen und kräftigen, müssen den Gegnern eine feste Phalang entgegenstellen, um mit eiserner Konsequenz für die Erfüllung der berechtigten Forderungen fämpfen zu fönnen.

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Von einer internationalen Streitstatistik haben wir in letzter Zeit ebenfalls gehört. Herr Dr. M. Meyer hat sich der mühevollen Arbeit unterzogen, durch eine Statistik der Streiks und Aussperrungen im In- und Ausland festzustellen, wo die Streif­lust am größten ist. Nach seinen Zahlenergebnissen würden in Teutschland die wenigsten wirtschaftlichen Kämpfe stattfinden. Im Hinblick auf sie tönnte also das Verslein berechtigt erscheinen: Wir sind Germanen fromm und brav, wir schlafen gemütlichen Pflanzenschlaf." Einige Blätter fühlen auch bereits das Bedürf­nis, unter Hinweis auf die Feststellungen des Herrn Doktors, sich gegen den bekannten Vorwurf von Unternehmerblättern zu wehren, diß bei uns zulande am meisten gestreift wird. Wir halten das für ein sehr überflüssiges Bemühen. Es wäre sehr viel darüber zu reden, ob die beliebte Schlußfolgerung aus den vorliegenden Zahlen überhaupt gezogen werden könne, noch mehr aber darüber, wie diese Zahlen selbst zustande gekommen sind, und welchen Wert man ihnen beimessen darf. Uns dünkt ihr Wert gleich Null, und die ganze Arbeit als eine statistische Spielerei, wie sie heute viel­fach Mode geworden ist. Es sieht furchtbar gelehrt und wissen­schaftlich aus, wenn jemand an einem statistischen Zahlenapparat herumturnt, außerdem aber ermöglicht dieser angenehme Zeitver­treib, alles Genehme zu beweisen und alles Unangenehme zu be­streiten, ganz wie es der Wunsch oder Auftrag will. Wer da weiß, wie ungemein schwer es für das internationale Sefretariat der Gewerkschaften ist, einigermaßen zutreffende Zahlen über den Mitgliederstand usw. der internationalen Gewerkschaftsorgani­fationen zusammenzubringen, wird unsere Vorsicht, um nicht zu sagen unser Mißtrauen angesichts der internationalen Statistik des Herrn Dr. Meyer begreifen.

Eine ungefähre Vorstellung von der zurzeit herrschenden Ar­beitslosigkeit erhalten wir dank einer Umfrage, die der Holz= arbeiterverband an seine Zahlstellen gerichtet hat. Von 769 Filialen mit 143 552 Witgliedern wurden 11748 Arbeitslose er­mittelt. Davon erhielten 3379 Mitglieder rund 42000 Mt. Unter­stüßung für 31000 Tage, dazu 6528 Mitglieder rund 10 500 Mf. Reiseunterstützung für etwa 11000 Tage. Die Arbeitslosigkeit ist in der Industrie nach einer kurzen Abnahme wieder im Steigen begriffen. In Berlin   ist die Zahl der Arbeitslosen von 3000 auf 1500 gesunken, jedoch Mitte Oftober wieder auf 1800 empor­gegangen. Und das in einer Zeit, wo die Holzindustrie gute Konjunktur haben sollte! Wie in den betreffenden Gewerben, so ist auch in anderen schlechter Geschäftsgang die Regel. Arbeits­losigkeit, drückende Not und dabei Lebensmittelteuerung der Preis für Schweinefleisch zieht bereits wieder erheblich an und bösartige neue Steuerpläne! Welch furchtbares Zukunftsbild starrt dem deutschen Arbeiter entgegen.

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Der Unternehmerterrorismus gedeiht im Reiche der vollendeten Rechtsgarantien" sehr üppig. Das neueste Stückchen dieser Art

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wird von dem Eisenhüttenwert Marienhütte zu Pozenau gemeldet. Das Werk machte die Bestellung von 500 000 Ziegeln davon abhängig, daß auf der Ziegelei ein bestimmter Arbeiter ent­lassen werde. Was denn auch geschah. Der Unternehmerpresse ist die Entrüstung abbanden gekommen, mit der sie über den sozial­demokratischen Terrorismus tobt, sie schweigt den Fall tot. Ver­zeichnet sei im Anschluß an dies Kapitel die zopfig- progige Be­stimmung der Oberpostdirektion zu Hamburg   betreffend die Ausbildung von Telephonistinnen. Sie gipfelt in dem Sage: " Junge Mädchen, die gedient haben oder Fabrikarbeiterinnen waren, sind von der Anstellung ausgeschlossen." Die Beamtenkaste und mit ihr der Standesdünkel bei Hungergehalt soll in Reinfultur gezüchtet werden. Auch gilt es offenbar, das Eindringen von Ele­menten in die Zunft zu verhüten, die sozialdemokratisch durchseucht sind oder ihrer Abstammung und seitherigen Betätigung nach dazu neigen fönnten, sich von dem sozialdemokratischen Gift anstecken zu lassen.

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Freilich: es gibt auch noch gutgefinnte" Arbeiterorganisationen. Ein leuchtendes Beispiel in dieser bösen Zeit sind die katholischen Arbeitervereine( Siz Berlin). Sie haben dem Heiligen Vater eine Huldigungsadresse und einen Peterspfennig von 25 000 Lire über­reicht. Dieser Betrag dient offenbar einem würdigeren Zweck als die Unterstützungssummen, die von den wirtschaftlichen Rämpfen zur Besserstellung der Arbeiter und Arbeiterinnen gefordert werden. Das Unternehmertum fann ruhig die Existenz derartiger Organi­sationen dulden und begönnern. Sie gefährden nicht seinen Profit, sie stüzen seine Macht. #

Notizenteil. Dienstbotenfrage.

Fort mit der Gesindeordnung, das ist die Losung, welche auch die Hamburger Dienstboten nicht verstummen lassen dürfen, wenn sie ihre Lage gründlich bessern wollen, das heißt nichts anderes, als sie in Einklang bringen mit ihren Leistungen im Haushalt und den Ansprüchen an eine menschenwürdige Existenz. Die Gesindeordnungen, die im Deutschen Reiche gelten, sind im allgemeinen höchst einseitig auf den Vorteil, die Annehmlichkeit der Herrschaften zugeschnitten. Betrachtet man die Stellung, die sie den Dienstboten anweisen, so rufen gar manche der diesbezüglichen Bestimmungen die Erinnerung daran wach, daß es im Altertum Stlaven, im Mittelalter Leibeigene und Hörige gegeben hat. In den Gesindeordnungen lebt in der Tat noch ein Überrest jenes un­beschränkten persönlichen Herrschaftsrechts des Menschen über den Menschen weiter, das in früheren Zeiten bestanden hat. Sie sind ein reaktionäres Erbstück, das die besitzenden und herrschenden Klassen sich aus den Tagen der Leibeigenschaft und Hörigkeit gerettet haben. Während das Gesetz die gewerblichen Arbeiter wenigstens dem Buchstaben nach für gleichberechtigt mit ihren Arbeitgebern ertlärt, stempeln die Gesindeordnungen die Dienenden zu Menschen zweiter Güte, geringeren Rechts. Sie machen sie sozial gleich fam zu Unwürdigen, welche auch in den Dingen des persön lichsten Lebens der Vormundschaft der Herrschaften unterstellt sind. Die guten Hausfrauen" werden das als eine übertreibung be zeichnen. Und doch ist das im Grunde so, wenn es gerade einer guten Hausfrau" beliebt und möglich ist, voll die Rechte auszu nußen, welche ihr als Herrschaft" die Gesindeordnung in vielen unserer deutschen Vaterländer verleiht. Gewiß, die Dienstmädchen find nicht Silavinnen, sie sind auch nicht Leibeigene. Onein! Sie haben ja freies Verfügungsrecht über ihre Person, sie können fich ihre Herrschaft wählen! Da sie sich der alten leidigen Gewohnheit, zu essen, nicht entschlagen können, so müssen sie eine Herrschaft suchen. Aber von dem Augenblick an, wo sie von ihrem Wahlrecht" Gebrauch gemacht und aus freier Vers fügung sich in einen Dienst begeben haben, können sie nicht mehr frei über sich selbst bestimmen. Das Verfügungsrecht bekommt die Herrschaft, und die Gesindeordnungen besiegeln es ihr. Wir fragen, was einem Mädchen von dem persönlichen Bestimmungsrecht übrig bleibt, wenn die Herrschaft das Recht hat, bei Nacht wie bei Tag seine Dienste zu jedweder Leistung einzufordern, ihm zu erlauben oder zu verwehren, daß es ausgehen darf usw. usw.? Die Dienenden selbst werden die beste Antwort auf unsere Frage geben fönnen, denn sie spüren am eigenen Leibe, was es heißt, mit allerlei Pflichten belastet einer Herrschaft gegenüberzustehen, der das Gesetz nicht bloß Hechte, sondern Vorrechte eingeräumt hat. Die schonungslose Ausnutzung ihrer Kräfte, der sie preisgegeben sind, muß zu körperlichen Leiden, ja oft genug zu dauerndem Ruin der Gesund­heit führen. Einsichtslose, hartherzige Herrschaften, an denen kein