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Die Gleichheit
zurückgewiesen. Bedauerlich und doch erklärlich genug. Manch eine Familie ist von der privaten Mildtätigkeit der Besitzenden abhängig, und die scheint nicht wie die Sonne über Gerechte und Ungerechte, sondern sie kommt nur braven Schäflein zugute. Die christliche Wohltätigkeit und Barmherzigkeit ist eine Fessel, die das werftätige Volk an den Wagen des Rückschrittes fetten, die es im Joche der Ausbeutung erhalten soll. Die Aufgabe unserer Ge= noffinnen und Genossen muß es sein, die Frauen immer wieder darauf hinzuweisen, daß sie sich mit Hilfe einer starken Organifation bald mehr und Besseres erkämpfen fönnen als die Brosamen, bie man ihnen heute aus Gnade als Almosen zuwirft. Die Or ganisation, welche dieses Ziel verfolgt, finden die Proletarierinnen aber nicht bei den muckerischen Dunfelmännern und Betschwestern, fie tritt ihnen nur entgegen in Gestalt der Vereinigungen, welche die aufgeklärten Arbeiter und Arbeiterinnen selbst schaffen. In folchen Organisationen ist der Platz aller Frauen, die von Arbeit, Sorge und Entbehrungen gedrückt eine bessere Zukunft für sich und die Ihrigen ersehnen.
Natalie Liebknecht.
2.
Überraschend schnell ist ein Leben zur Rüfte gegangen, das reich und glücklich in jenem hohen Sinne gewesen ist, als eine in der Sonne der Liebe und in rauhen Lebensstürmen gereifte Entwicklung und Betätigung der Geistes- und Herzensgaben reich und glücklich macht. Natalie Liebknecht, die tapfere, aufopfernde Lebensgefährtin unferes unvergeßlichen„ Alten" ist nicht mehr. Ein sanfter Tod hat sie aus dem Kreise der Verwandten und Freunde entführt, mit denen sie in herzlicher Zuneigung und geistiger Harmonie ver bunden war. *
Es war Natalie Liebknecht nicht an der Wiege gesungen worden, daß der größte und der beste Teil ihres Lebens hinter den Wagens burgen des fämpfenden Proletariats verlaufen sollte. Als Tochter des Hofgerichtsadvokaten Neh in Darmstadt , eines Mitglieds der Frankfurter Nationalversammlung , unfeligen und lächerlichen Angedenkens, war sie in dem Frieden einer geschützten bürgerlichen Existenz aufgewachsen und hatte eine treffliche geistige Bildung empfangen, die selbstverständlich von bürgerlichen Anschauungen getragen war. Da begegnete sie sich im Hause Ludwig Büchners, des Berfassers von Kraft und Stoff", mit Wilhelm Liebknecht , den die Agitation für die Wahlen zum Zollparlament im Frühjahr 1868 nach Süddeutschland geführt hatte. Das Zusammentreffen wurde für beide entscheidend, ihr Schicksal war fortan nur eines.
Kein stilles, umfriedetes Heim nahm die junge Frau zu tändeln den Flitterwochen auf. Wilhelm Liebknecht war noch nicht lange aus der Londoner Flüchtlingskolonie in die Heimat zurückgekehrt und hatte sich hier sofort als revolutionärer Vorfämpfer des sich sammelnden Proletariats in den heißesten politischen Streit gestürzt. Er war ein Gehaßter und Gehegter, ja geradezu ein Geächteter. Die Not und Schwere feines Kampfeslebens hatte ihm vorzeitig die Jugendgeliebte entrissen, die ihm als Gattin ins Eril gefolgt war. Seine Häuslichkeit war nicht viel mehr als ein Zeltlager, in bem zwei verwaiste Mädchen nach Mutterpflege und Mutterliebe verlangten. Der Existenz fehlte jede gesicherte Grundlage; Lieb Inechts Einkünfte als Schriftsteller und Vortragender waren mehr als winzig, und das Gehalt, das er später als sozialdemokratischer Redakteur bezog, würde, heute niemand dem letzten Laufburschen. in der Expedition eines Parteiblattes zu bieten wagen. Not und Sorge hauchten Natalie, der„ Tochter aus gutem Hause", den Willtommensgruß ins Gesicht, kaum daß sie die Schwelle ihrer neuen Heimat überschritten hatte, und sie blieben lange Jahre ihre treuesten Begleiterinnen. Die ökonomische wie die moralische Verantwort lichkeit, die auf ihren Schultern ruhte, wuchs mit jedem der fünf Buben, die sich im Laufe der Zeit zu den zwei Mädchen gefellten. Es war Natalie Liebknechts Stolz und Glück, mit nimmer rastender Tatkraft und Hingebung an die Ihren, an das, was ihr als Weib und Mutter heilige Lebensaufgabe dünfte, trotz der harten Ungunst der äußeren Verhältnisse ein behagliches Familienleben zu schaffen, das als Quickborn dem leidenschaftlichen Kämpfer die Kräfte stählte und die junge Brut gesund, start an Leib und Seele heranwachsen ließ. Wie viel mußte sie nicht entbehren, tragen und auch- tapfer , umlernen", um dieses Ziel zu erreichen. Der Dienst der Freiheit ist ein schwerer Dienst", nicht bloß für die Freiheitshelden selbst, auch für die Ihrigen. Natalie Liebknecht erfuhr das im reichsten Maße. Zweimal zertrümmerten die Stürme, welche über die junge sozialdemokratische Arbeiterbewegung dahinbrausten und ihre Führer am härtesten trafen, die bescheidene Häuslichkeit, welche Frau Natalie mit unendlicher Liebe und hohem Sinne aufgebaut hatte. Nur wenige Jahre nach ihrer Verheiratung brach der DeutschFranzösische Krieg aus, und das mutvolle Bekenntnis zu dem sozia
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listischen Ideal der internationalen Brüderlichkeit des revolutionären Proletariats, das Bebel und Liebknecht in den Zeiten des weißglühenden Chauvinismus ablegten, entfesselte Fluten des Hasses und der Verfolgungen gegen die Kühnen. Der Hochverratsprozeß ward eingeleitet und schloß nach einer strengen Untersuchungshaft von 100 Tagen mit der Verurteilung zu zwei Jahren Festung, welche Liebknecht und Bebel in Hubertusburg verbüßten. Einige Jahre später, und das Sozialistengefeß schüttete seine bösesten Schrecken auch über die Familie Liebknecht aus. Wie früher die Besuche von Weib und Kindern in Hubertusburg, so führten nun zehn Jahre lang die sonntäglichen Ausflüge nach Borsdorf die Familie zufammen. Viel Rührendes und Erhebendes, Tapferes und Heiteres haben in diesen Zeiten die Wände des Bauernhauses gehört, gefehen, in welcher Liebknecht eine Zuflucht gefunden hatte. Die Liebe hatte Natalie Liebknecht in das Lager des kämpfenden Proletariats geführt, die überzeugung ließ sie hier heimisch werden. Das innerlichste Miterleben der Jdeen, die den geliebten Mann bewegten, der Ziele, für die er sich ganz einsette, machten sie zur Genoffin, und eifrige Lektüre vollendete, was das Gefühl begonnen hatte. Die Wunden, die der Kampf ihr und den Ihren schlug, trug sie darum ohne Jammern und Bitterfeit mit dem hohen Mut des Glaubens an eine große Sache, der sie in ihrer Weise diente. Und wahrlich, sie hat sich um die große Sache des Proletariats wohl verdient gemacht. Indem sie die Hauptlast der Haus- und Erziehungssorgen auf ihre Schultern nahm, indem sie dem ungestümen Kämpfer eine Stätte der Ruhe und Raft bereitete, hat sie dem vorwärtsstürmenden Heerhaufen der proletarischen Klassenfämpfer ihren ältesten hervorragenden Führer bis ins hohe Alter hinein in jugendlicher Frische und Nüftigkeit erhalten. Was der ,, Soldat der Revolution" uns gewesen ist.und bleibt: das ist in hohem Maße auch der Frau gefchuldet, bie in hochherziger Gesinnung sein Los in den schlimmen Tagen geteilt und gemildert hat.
Nach vielen Lebenshärten war Genoffin Liebknecht ein milder Lebensabend befchieden. Mit stolzer Freude verfolgte sie den Vormarsch des fämpfenden Proletariats, wertete sie die Verehrung und Liebe, welche die dankbaren Massen für den Alten" bekundeten, sah sie das prächtige Emporblühen ihrer Kinder. Aus dem Rückblick auf die Vergangenheit und dem Ausblick auf die beranreifende Zukunft ward ihr die Kraft, Liebknechts jähen Tod mit Fassung zu tragen. Und als sich für die Mutter erneuerte, was einst das junge Weib erfahren, als Karl Liebknecht dem Vater gleich wegen angeblichen Hochverrats für lange Monate hinter Festungsmauern verbannt wurde: fannte sie weder feiges Verzagen, noch unwürdiges Klagen. Ihre Überzeugungstreue, ihr Bürgerstolz war nicht geringer als ihre Mutterliebe, und in Zeilen, die einen unvergänglichen Adel der Gesinnung atmeten, durfte sie sich mit Recht rühmen, ihre Kinder zu aufrechten, wahrhaftigen Männern, zu würdigen Trägern des Baternamens erzogen zu haben.
In den revolutionären Stürmen, welche die Zukunft für das Proletariat in ihrem Schoße trägt, tann dieses neben der streitbaren Kämpferin auch des stillen weiblichen Heldentums nicht entraten, das Natalie Liebknechts Leben so hoch über die enge Sphäre Kleinbürgerlichen Aschenputteltums emporgehoben hat. So ist den Proletarierinnen ihr Schicksal nicht bloß ein dankbares Erinnern an vergangene große Tage, sondern eine lebendige Mahnung zur Tat. Es hat die Werte gezeigt, welche für den proletarischen Befreiungsfampf auch die Frau einsehen kann, der Natur und Umstände es versagen, das weiche Herz mit Erz gepanzert in die Schlacht zu ziehen.
Wenn wir alle, die wir ihres Wesens Freundlichkeit erfahren haben, die wir als Freunde die Zartheit und Stärke dieses Herzens fannten, mit Immortellen in den Händen an Natalie Liebknechts Grab treten, so ziemt es dem kämpfenden Proletariat, hier einen vollen Lorbeerzweig niederzulegen.
Politische Rundschau.
Der Ausgang der Wahlrechtsdebatten im preußischen Dreiklassenhaus hat wieder einmal gezeigt, daß die ArbeiterKlasse in der Wahlrechtsfrage von den bürgerlichen Parteien so gut wie nichts zu erwarten hat. Obgleich die Parteien, die sich als Gegner des Dreiklaffenwahlrechts geben, die Mehrheit im Landtag haben, tam nicht einmal ein Beschluß für das geheime und direkte Wahlrecht zustande. Mit drei Stimmen Mehrheit fielen selbst diese sehr gemäßigten Anträge, weil die tapferen und eifrigen Bekämpfer des Klassenwahlrechts so arg schwänzten, daß die Junker aus der Minderheit zur Mehrheit wurden. Daß der freisinnige und der polnische Antrag auf gleiches Wahlrecht fielen, versteht sich am Rande. Die Nationalliberalen möchten zwar das die Junker be