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Die Gleichheit

lofe Frauen zu fördern und diesen Institutionen die Möglichkeit zu geben, den Beweis zu erbringen, daß sie den Frauen von wirk lichem Nußen sind. Die Resolution verlangte auch die Gründung landwirtschaftlicher Kolonien für Frauen und forderte des weiteren bas Ministerium auf, mit den örtlichen Komitees zusammenzuarbeiten, um arbeitslose Frauen besser mit Arbeit zu versorgen, die nicht nur vorübergehender Art sein soll. Auf wiederholte Eingaben der Frauen im Sinne diefer Forderungen hatte die Regierung geantwortet, daß der Leiter des betreffenden Ministeriums, Mr. John Burns, der ehemalige revolutionäre Sozialdemokrat und jetzige liberale Miniſter, die Werkstätten für arbeitslose Frauen nur als ein Experiment erklärt habe, das die darauf gefeßten Erwartungen nicht erfüllte, so daß die weitere Fortführung der Einrichtungen nicht gerechtfertigt sei. In der Diskussion über diese Frage erhoben die anwesenden Delegierten bittere Klagen über die viel zu kurze Dauer und den beschränkten Umfang dieses Versuches. In London wurden zum Beispiel nur drei solcher Werkstätten errichtet, statt mindestens einer für jeden Bezirk. Die Resolution gelangte mit einem Amendement zur Annahme, in dem die Regierung aufgefordert wird, dem Pars lament ein Gesetz vorzulegen, das durch Reform des herrschenden Produktionssystems danach strebt, die Ursachen der Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Es wurde erklärt, daß dieses Amendement als die Anerkennung des Rechts auf Arbeit aufgefaßt werden müsse.

Die Konferenz verhandelte dann über die Fürsorge für Schul. finder. Die Genofsinnen Kerrison, Bentham und MacDonald traten warm für das Recht der Kinder des Voltes auf staatliche Fürsorge ein. Ihren Ausführungen entsprachen die Resolutionen, denen die Konferenz ihre Zustimmung gab. Die eine von ihnen fordert, daß die ärztliche Inspektion der Schultinder durch unent geltliche ärztliche Behandlung vervollständigt werden müsse, und daß die Staatskasse zu den Mitteln beizutragen habe, die für diese Zwecke weiterhin erforderlich sein würden. Die andere ersuchte die Arbeiterabgeordneten, mit allem Nachdruck die Regierung aufzus fordern, durch Gesetz die Schulspeisung in den Gemeindeschulen aller Orte obligatorisch einzuführen, und zwar solle die Speisung auch während der Ferien fortdauern.

Eine lange Diskussion fand zu der dritten Frage der Tages­ordnung statt: Mutterschaftsfürsorge durch den Staat. Ges nossin Bruce Glasier referierte darüber. Ihrer Ansicht nach muß bie Hauptaufgabe des Staats in dieser Sache sein, die Familie aufrechtzuerhalten und zu stärken. Der Staat soll folglich nicht allgemeine Mutterschaftsversicherung schaffen, sondern den Vater zwingen oder in den Stand setzen, selbst seine Kinder zu ernähren. Nicht Unterstützung der Mütter, sondern bessere Löhne für die Männer solle die Losung sein. Nur in Ausnahmefällen solle der Staat den Müttern Unterstützung gewähren. Genossin Bruce Glasier befannte sich auch im Hinblick auf die Familie als Gegnerin der Arbeit verheirateter Frauen, will jedoch diese nicht ausdrücklich verboten wissen. Diese Ausführungen muten nach unserer Ansicht sehr eigentümlich an und beweisen eine große Un­flarheit über die geschichtliche Bedeutung der Frauenarbeit und die sozialen Zusammenhänge, unter denen sie sich durchsetzt. Sie lassen erkennen, daß die Genoffin das Entscheidende übersieht: daß die großen übel, welche Hand in Hand mit der Frauenarbeit auftreten, nicht dieser selbst eigentümlich sind, sondern dadurch entstehen, daß fie kapitalistisch ausgebeutet wird. Einige Diskussionsrednerinnen wendeten sich denn auch gegen den Standpunkt der Referentin und betonten insbesondere, daß es unmöglich sei, die Erwerbsarbeit der verheirateten Frauen zu verbieten. Genossin Ward insbesondere protestierte dagegen, daß man die verheiratete Frau auf die Haus. haltung beschränken wolle, wodurch sie in wirtschaftliche Abhängig feit von irgend jemand geraten müsse. Genoffin MacDonald hin gegen vertrat ebenfalls die überzeugung, daß die verheiratete Frau ins Heim gehöre. Nach ihr tommt es besonders darauf an, das Berantwortlichkeitsgefühl der Eltern zu stärfen und zu prüfen, ob nicht etwa durch staatliche Unterstüßungseinrichtungen für die Mütter der Lohn des Mannes gesenkt werde. Leider kam es in der wich­tigen Fragedie unseres Dafürhaltens von feiner Seite richtig erfaßt und vertreten wurde nicht zu einer Beschlußfassung der Ronferenz.

Zu verzeichnen ist noch, daß diese sich in einer Resolution das gegen erklärte, daß die Empfänger von Armenunterstützung des Wahlrechts verluftig gehen. Des weiteren stimmte sie einem An­trag des Vereins der Eisenbahnarbeiterinnen( Railway Women's Guild) zu, der eine staatliche Witwenversicherung forderte, die ins besondere Witwen berücksichtigen solle, die für fleine Kinder zu sorgen haben oder infolge von Alter und Krankheit erwerbsunfähig find. Schließlich sprach sich die Konferenz noch für die Verstaat­lichung der Krankenhäuser aus.

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Im Anschluß an die Tagung fand abends eine große Agitations. versammlung statt, in der Genossin Bondfield den Anwesenden ans Herz legte, sich nicht durch Vorurteile und das Herkommen davon abhalten zu lassen, selbst zu denten und im Interesse der Gesamtheit zu handeln. Die erwerbstätigen Frauen sollten ihre Zeit nicht mit sinnlosen Vorwürfen gegen die Männer vergeuden, sondern anerkennen, daß bereits so viele Männer für die Interessen der Frauen eintreten. Ganz besonders sei das seitens der Arbeiter partei der Fall.

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Der Labour Leader", das Organ der Unabhängigen Arbeiterpartei, hat der Konferenz zwei Artikel gewidmet. Der eine davon würdigt lobend die Arbeiten und Leistungen der Liga, der andere beschäftigt sich mit der Frage der Mutterschaftsfürsorge. Der Labour Leader" stellt sich in ihr auf den Standpunkt der Genossinnen Bruce Glasier und Mac Donald und wendet sich ziemlich scharf gegen einen Brief des Genossen H. G. Wells , der die gesellschaftliche Mutterschaftsfürsorge als eine sozialistische For derung angesprochen hatte. Was auf der Konferenz und im Organ der Unabhängigen Arbeiterpartei gegen den Mutterschutz durch die Gesellschaft gesagt worden ist, das wäre uns im Lager kleinbürgers licher, vor allem christlicher Reformer verständlicher gewesen als in dem von Sozialisten. J. B. Askew.

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I. K. Eintreten der englischen Genoffinnen für die Arbeits­lofen. Noch immer wütet in England die Krise und wirft Scharen von Arbeitern und Arbeiterinnen brotlos und obdachlos auf das Pflaster. Das schreiende Elend, das sich auf Schritt und Tritt zeigt, hat auch die Genossinnen beider sozialistischer Richtungen veranlaßt, für die Arbeitslosen einzutreten. Der Frauenklub der sozial­demokratischen Partei im Bezirk Poplar und die betreffenden Zweigorganisationen der Liga für Frauenarbeit entfendeten ge­meinschaftlich im Interesse der Arbeitslosen eine Deputation an den Armenrat des genannten Stadtteils. Mac Kay forderte die Lokalbehörden, das Ministerium für Angelegenheiten der Lokal­verwaltung und das Zentralkomitee zur Bekämpfung der Arbeits­losigkeit auf, sofort Maßregeln zu ergreifen, um durch Schaffung der nötigen Arbeitsgelegenheit der furchtbaren Not im Bezirk wirt, sam zu steuern. Genossin Holland frug die Armenpfleger: Was sollen wir Frauen anfangen, wenn unsere Männer arbeitslos sind, feine Nahrung für die Kleinen zu Hause ist, teine Feuerung und keine Hilfe für die Kinder, die hungrig zur Schule gehen müssen? Wenn wir nicht auf anständige Weise Nahrung bekommen, so bleibt nichts anderes übrig, als daß wir zu unguten Mitteln unsere Zus flucht nehmen müssen." Diese Worte wurden von den zahlreichen Arbeitern, die auf den Galerien den Verhandlungen folgten, mit lebhaftem Beifall aufgenommen. Genossin Holland fügte noch hinzu: " Ich gehe nicht in das Arbeitshaus. Lieber möchte ich meine Kinder unter der Erde sehen, als daß ich mich von ihnen trennte. Die den Arbeitslosen das zumuten, sollten einmal selbst probieren, wie es im Arbeitshaus ist." Die Genossen, welche dem Armenrat an gehören, beleuchteten noch scharf den durch die Arbeitslosigkeit ge­schaffenen Notstand. So kam es zu dem Beschluß, das Ministerium um die Befugnisse zu ersuchen, die Notleidenden ausgiebiger unter­stüßen zu können.

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Eine Demonstration arbeitsloser Frauen, die von der Liga für Frauenarbeit veranstaltet worden war, fand in London unter dem Vorsitz von Genossin Ramsay Mac Donald statt, welche der Unabhängigen Arbeiterpartei angehört. Das Versamm lungslokal war dicht mit Frauen besezt, von denen viele ihre Kinder mitgebracht hatten. Es sprachen die Genoffinnen Bondfield, Macarthur, Moore und andere noch, darunter Crooks, Ar beitervertreter im Parlament. Einstimmig wurde schließlich eine Resolution angenommen, welche die unzulänglichen Maßnahmen der liberalen Regierung zur Unterstügung arbeitsloser Frauen scharf verurteilte und eine Vermehrung wie eine bessere Ausgestaltung der Londoner Werkstätten für weibliche Arbeitslose forderte, ebenso die Errichtung landwirtschaftlicher Kolonien für Frauen. Die Re­solution betonte außerdem, daß den Frauen nicht bloß vorüber, gehend, sondern dauernd durch entsprechende Beschäftigung ges holfen werden müsse. J. B. Astem.

Zur Beachtung!

Leider konnten wir aus Mangel an Raum die in den Protest. versammlungen gegen den Stillstand der Arbeiterschutzgesetzgebung und für eine einheitliche Arbeiterversicherung angenommene Reso lution über die Invalidenversicherung nicht veröffentlichen. Sie wird in nächster Nummer erscheinen.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Betfin( Bundel), Wilhelmshöhe, Boft Degerloch bet Stuttgart .

Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttgart .