Nr. 13
19. Jahrgang
Die Gleichheit
Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen
Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder
Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Poſt vierteljährlich obne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jahres- Abonnement 2,60 mark.
Inhaltsverzeichnis.
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Etwas von der Verelendungstheorie. Von M. C. Der Weg der kapita listischen Wirtschaft. Von W.D.- Frauen- und Kinderarbeit in Sachsen . II. Von H. F. Die Jugendbibliotheken. Von Gustav Hennig.- Konfessionelle Arbeiterinnenorganisationen. Von der österreichischen Arbeiterinnenbewegung. Von a. p.
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Aus der Bewegung: Von der Agitation. person der Genosfinnen von Mombach . Bestimmungen betreffend den Kinderschutz. H. B. Gewerkschaftliche Rundschau.
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Jahresbericht der VertrauensDie wichtigsten gesetzlichen Politische Rundschau. Von Vom Kampfplatz der Textil
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arbeiter im Eulengebirge. Von ed. Notizenteil: Dienstbotenfrage. Frauenstimmrecht. Weibliche Fabrik inspektoren. Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. Die Frau in öffentlichen Amtern. Frauenbildung.
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Etwas von der Verelendungstheorie.
Einer der Haupteinwände, den unsere Gegner wider die wissenschaftlichen Grundlagen des Sozialismus erheben, ist der folgende. Sie sagen, daß der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, Karl Mary, behauptet habe, die fortschreis tende kapitalistische Wirtschaftsweise ließe den Arbeiter in immer tieferes Elend versinken. Trium phierend weisen unsere Widersacher darauf hin, daß dies gar nicht wahr sei, da die Lage der Arbeiter sich in den letzten Jahrzehnten gehoben habe: ihr Einkommen sei gestiegen, wie ihre Bildung; sie seien gesünder geworden und lebten in besseren Wohnungen und was dergleichen Dinge mehr sind. Damit sei, so erklärten sie weiter, ein Hauptgrund in Fortfall ge kommen, der zur unbedingten Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise führen solle.
Sehen wir einmal zu, ob die Beweise der Gegner richtig sind, oder ob diese- entweder in böser Absicht oder aber auch, weil sie die Sache nicht richtig verstehen die Angelegenheit auf ein ganz falsches Gebiet zu führen suchen, um auf diese Weise das Proletariat zu täuschen.
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Wir wollen von vornherein zugeben, daß sich die Lage der Arbeiter im großen und ganzen etwas gebessert hat. Das ist aber nicht geschehen, wie unsere Gegner so gern daherreden, durch die Fürsorge des Staates, der Gemeinden und der Unternehmer, sondern nur deshalb, weil die Arbeiterschaft sich in sehr großer Zahl gewerkschaftlich organisiert und auf politischem Gebiet sich als sozialdemokratische Partei zusammengeschlossen hat. Schritt für Schritt bringt das organisierte Proletariat vor, um die kleinsten Verbesse rungen durchzusetzen, und wenn nicht die kämpfenden Arbeiterscharen wären, so würde es dem Staate, der Gemeinde und den Unternehmern gar nicht einfallen, etwas für die Arbeiter zu tun. Alle Verbesserungen also müssen erst durch die Macht der Organisationen erzwungen werden. Außerdem sind sie jedoch nicht einmal groß: das scheint nur so. Was nuzt zum Beispiel Arbeitern und Arbeiterinnen der höhere Geldlohn, den sie erhalten, wenn sie für alle Lebensbedürfnisse mehr ausgeben müssen als früher. Mögen sie Fleisch, Brot, Gemüse, Obst, Milch, Kohlen, Petroleum, Kleider
Buschriften an die Redaktion der Gleichheit find zu richten an Frau Klara Zetkin ( 3undel), Wilhelmshöhe, Poft Degerloch bet Stuttgart . Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furtbach- Straße 12.
und sonst etwas kaufen oder sich eine Wohnung mieten: für alles müssen sie mehr Geld ausgeben; sie können sich da. her auch im günstigsten Falle nur wenig mehr leisten als früher, trozdem ihr Einkommen gestiegen ist. Wie sehr das zutrifft, kann jede Arbeiterin und jede Arbeiterfrau in den jetzigen teuren Zeiten am eigenen Leibe spüren.
Aber wenn sich der Wohlstand der Massen auch nur so wenig gehoben hätte, wie wir es vorhin zugestanden haben: Karl Marx würde mit seiner sogenannten Verelendungstheorie unrecht haben, wenn sie von ihm so aufgestellt worden wäre, wie unsere Gegner sie auslegen.
Es ist Mary gar nicht eingefallen, zu schreiben, daß das Elend der Arbeiter absolut stiege.( Absolut steigen heißt für sich allein betrachtet steigen, es will in unserem Falle besagen, daß die Summe des Elends beispielsweise im Jahre 1880 größer sein müßte als 1870; 1890 wieder größer als 1880; 1900 ebenfalls wieder größer als 1890; 1910 müßte ste die des Jahres 1900 übertreffen usw. Alle zehn Jahre oder auch nach einem beliebigen bestimmten Zeitraum müßte die Menge des Elends für den Proletarier sichtbar größer geworden sein und immer weiter steigen.) Der Satz von Mary, um den es sich handelt, spricht etwas ganz anderes aus, näm lich: daß dem Kapitalismus die Tendenz innewohne, das heißt daß er das Bestreben habe, daß er sich in der Richtung bewege, das Elend größer zu machen.
Daß Marx seine Worte in diesem Sinne gemeint hat, sieht jeder bei geringem Nachdenken ein. Die betreffende Stelle aus dem„ Kapital", dem großen Lebenswerk von Karl Marx , lautet wörtlich:„ Es wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Entartung, der Ausbeutung, aber," so fährt Marx dann weiter fort, auch die Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiter." Der zweite Teil des Sages wäre sinnlos( und Marr hat nie Sinnloses geschrieben), wenn er nicht zum Ausdruck bringen sollte, daß eben durch die Empörung der organisierten Arbeiter, dem Bestreben des Kapitalismus, den Prole. tarier zu verelenden, entgegengewirkt werde.
Da Mary weiterhin( auf derselben und der folgenden Seite) schreibt, daß die kapitalistische Hülle des Produktionsprozesses von den organisierten Proletariern gesprengt" werde, so ist es sicher, daß er von dieser Gegenwirkung gegen das Elend auch Erfolg erwartete. Denn: wer nachher das Ganze sprengen soll, muß vorher imstande sein, das Elend zu vermindern, in das ihn zu treiben der Rapitalismus die Tendenz hat.
Es gibt aber noch eine andere Stelle aus Mary' Werken, aus der unwiderleglich hervorgeht, wie die„ Verelendung" ges meint war. In seiner kleinen Schrift Lohnarbeit und Kapital "( die wir sehr zum Studium empfehlen) sagt Mary über die Lage der Arbeiter, wenn ihr Lohn wächst:
15. Auflage, Band I, S. 728.
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