Nr. 13 Die Gleichheit 207 anstaltet wie die vom 2S. Februar, welche von keiner Frauen- orcianisation getragen wurde, sondern von einer emporblühenden politischen Partei, die bereits eine Mitgliedschaft von 50 000 Männern und Frauen umfaßt. Der sozialistische Frauenstimmrechlsanlrag hat denn auch in weiten Kreisen Aufsehen erregt, und die gesamte kapitalistische Presse, welche sonst sozialistische Aeranstaltungen allzu gern totschweigt, war gezwungen, davon Notiz zu nehmen, m. st. 1. K. Eine offiziell« Auseinandersetzung über das Frauen- stimmrecht findet alljährlich in A l b a n y, der Hauptstadt des Staates New Uork, vor dem Justizkomilee der gesetzgebenden Ge- walten statt. Vor diesem parlamentarischen Ausschuß erscheint jedes- mal eine starke Delegation von Frauenstimmrechtlerinnen sowie eine Delegation jener beklagenswerten Feindinnen ihres eigenen Geschlechts, der Antifrauenrechtlerinnen. Beide entwickeln vor dem Justizlomitee ihre Gründe für und wider das Frauenstimmrecht. Die„Locialist Party", welche im vorigen Jahre bei dem offiziellen Empfang zum erstenmal vertreten war, hat dazu in diesem Jahre wieder ihre Delegierten entsandt. Die bürgerlichen Frauenrechtle- rinnen, die den Sozialismus noch mehr fürchten, als sie das Stimmrecht begehren, legten der Meinungsäußerung der Sozial- demokraten allerlei Schwierigkeiten in den Weg, so daß es der sozialistischen Delegierten Frau Anita C. Block nur mit größter Mühe gelang, das Wort zu erhalten, und ihr wie ihrem Mitdele- gierten wurden nur je fünf Minuten Redezeit gegeben. Daraufhin verzichtete Genossin Block zugunsten ihres Mitdelegierten auf ihre Ansprache und stellte diesen, den bekannten sozialistischen Schrift- steller und Redner, John Spargo, mit folgenden Worten vor: .Ich freue mich, Ihnen den einzigen Mann vorzustellen, der heule hierher gekommen ist, um die Sache der Frauen zu versechten, und ich bin stolz darauf, daß dieser Mann ein Vertreter der Sozia- listischen Partei ist." Genosse Spargo hielt eine treffliche An- spräche, in der er die Stellung des Sozialismus der Frauenbewe- gung gegenüber kurz begründete. Trotz der vorausgegangenen stillen Opposition der versammelten Frauenrechtlerinnen ernteten seine Aussührungen reichen Beifall. m. st. I. X. Das kommunale Frauenwahlrccht in Dänemark hat nach den bis jetzt vorliegenden Nachrichten sieben Frauen in der Stadt- verordnetenverfammlung von Kopenhagen Sitz und Stimme ver- liehen. Zwei der weiblichen Stadtverordneten sind Sozialdemo- kratinnen, zwei bürgerliche Radikale, zwei Konservative und die siebente wurde als unabhängige Kandidatin bürgerlicher Frauen- rechllerinnen gewählt. Wir werden über die Wahlen noch aus- sührlich berichten. I. X. Vom Kampf nm das politische Bürgerrecht der Frauen in Oesterreich . Im Monat Januar wurde bekanntlich das öfter- reichische Abgeordnetenhaus geschlossen, weil die nationalen Leiden- schaften einen solchen Grad erreicht hatten, daß eine parlamenla- rische Verhandlung nicht mehr möglich war. Die farbigen Bänder und der Bummel deutscher Studenten am Graben zu Prag hatten den nationalen Krakeel auf der Straße entsacht, die wahnsinnigen Hetzereien der tschechischen Nationalen, die kein deutsches Wort in den Straßen Prags mehr dulden wollten, halten ihn geschürt. Nun setzte sich das sinnlose Toben im Parlament fort. Es genügte die Redewendung eines Ministers, der jede beleidigende Absicht fem- lag, um den Reichsrat in eine Raufbude zu verwandeln. Es wurde getrommelt, gepfiffen, geblasen, Automobtlhuppen und Siebet- hömer ertönten. Ein deutschnationaler„Volksvertreter" erbat sich von einem tschechischen„Feind" das Nebelhorn zum Probieren. Daran konnte man ungefähr erkennen, wie sehr die Siationalen auf beiden Seiten Komödie spielen. Die Regierung fand es in der Situation für das bequemste, das Parlament zu schließen und die Abgeordneten nach Hause zu schicken. Durch die Schließung der Session waren alle schon eingebrachten Anträge hinfällig. Als da- her am 10. März das Parlament wieder eröffnet wurde, hat auch die sozialdemokratische Fraktion alle Anträge aufs neue ge- stellt, die sie schon im Laufe der vorherigen Session eingebracht hatte und die noch nicht erledigt waren. Unter diesen Anträgen befindet sich auch ein Antrag des Genossen Adler, der die Ab- änderung der Wahlordnung fordert, und zwar Ausdehnung des Wahlrechts auf die Frauen und Herabsetzung des Wahlrechtsalters auf 21 Jahre. Genosse Perner- storfer beantragt die Abänderung des Vereinsgesetzes, vor allem die Aufhebung der Beschränkungen, die für den Beitritt der Frauen zu politischen Vereinen bestehen. Es versteht sich, daß beide Anträge, welche für das weibliche Geschlecht die volle politische Gleichberechtigung verlangen, im Namen der sozialdemokratischen Fraktion gestellt worden sind. Die politischen Organisationen der Proletarierinnen werben bestrebt sein, den erhobenen Forderungen Nachdruck zu verleihen, um ihnen zum Siege zu verHelsen. a. p. Weibliche Fabrikinspektoren. Die Anstellung mindestens einer Beamtin für jeden preußischen Gewerbeinspektionsbezirk hat im Hause der Drei- llassenschmach die sozialdemokratische Fraktion in einem Antrag ge- fordert, der überhaupt eine bessere Ausgestaltung der Fabrik- inspektion bezweckte. Außer der bereits hervorgehobenen Forderung verlangte er noch, daß Arzte und Arbeiter zur Gewerbeaufsicht hinzugezogen werden. Genosse Borgmann begründete den Antrag in einer längeren sachkundigen Rede. An der Hand von reichem Material stellte er einleitend die lässige Durchführung des gesetz- lichen Arbeiterschutzes fest, hob hervor, daß es fast ausschließlich das Verdienst der Sozialdemokratie und Gewerkschaften ist, auf Mängel und Mißstände in der Gewerbeordnung hingewiesen zu haben, und übte scharfe Kritik an jener sogenannten„Mittelstands- Politik", welche die soziale Gesetzgebung vor den Handwerks- betrieben haltmachen lasse, wo recht oft die schamloseste Ausbeutung der Arbeitskräste an der Tagesordnung sei. Ohne ärztliche Sach- kenntnis, führte Genosse Borgmann weiter aus, sind die unter- suchenden und kontrollierenden Beamten der Gewerbeaufsicht nicht in der Lage, die einschlägigen Verhältnisse richtig zu beurteilen, wie es im Interesse der Arbeiter notwendig wäre. Auch die Hinzu- ziehung von Kräften aus der Arbeiterschaft zur Fabrikinspektion ist vollauf gerechtfertigt, da nur sie viele Dinge mit Sachkenntnis zu beurteilen vermögen. Die sozialdemokratische Forderung, die An- stellung zahlreicher Gewerbeaufsichtsbeamtinnen betreffend, findet ihre Begründung in zwei Tatsachen: die weibliche Arbeits- kraft dringt immer mehr in die Industrie ein, und die Arbeite- rinnen haben viel mehr Vertrauen zu weiblichen Aufsichtsbeamten als zu männlichen. Genosse Borgmann verwies daraus, daß das, was der sozialdemokratische Antrag fordere, in manchen Bundesstaaten bereits beginne, verwirklicht zu werden. Die bayerische Regierung zum Beispiel unterstützte die Ausstellung eines Arztes bei der Fabrikinspektion wie folgt: „Mit dem 1. Januar 1907 ist bei dem Staatsministerium des Königlichen Hauses und des Äußern ein Landesgewerbearzt als hygienischer Berater der Gewerbeaufsichtsbeamten angestellt worden. Ihm ist als selbständige Tätigkeit die Ausführung von Betriebs- besichtigungen in gesundheitsgefährlichen Gewerbezweigen, ein- schließlich der Hausindustrie, dann die Untersuchung gewerblicher Erkrankungen, namentlich Vergiftungen, und die Begutachtung von Maßnahmen zur Verhütung solcher Erscheinungen übertragen. Die Wirksamkeit seiner Tätigkeit hängt wesentlich davon ab, daß er förderliche Unterstützung bei den beamteten Ärzten und bei mit der Arbeiterversicherung, namentlich der Krankenversicherung , be- faßten Stellen findet. Die Bezirksärzte haben dem Landesgewerbc- arzte dienstfreundlich entgegenzukommen, ihre Beobachtungen un- aufgefordert mitzuteilen und bei der Ärzteschaft ihrer Bezirke da- hin zu wirken, daß auch diese den Landesgewerbearzt tunlichst unter- stützen. Die öffentlichen Krankenkassen werden ohne besondere» Aufwand an Zeit und Kosten imstande sein, dem Landesgewerbe- arzt auf sein Ersuchen erforderliche Aufschlüffe zu erteilen und von wichtigen Erscheinungen unaufgefordert Mitteilungen zu machen. Besonderer Wert ist darauf zu legen, daß gewerbliche Erkrankungen und Vergiftungen, auch verdächtige Fälle rechtzeitig dem Landes- gewerbearzt bekannt werden." Genosse Borgmann konnte mit Recht erklären, daß die Stellung- nähme der bayerischen Regierung ein neuer Beweis dafür sei, daß Preußen in der Welt hintendrein hinkt, wenn es sich um sozial- politische Reformen handelt. So berechtigte Forderungen der sozialdemokratische Antrag im Interesse der Ausgebeuteten erhob, so wenig energische und ernste Unterstützung fand er seitens der bürgerlichen Parteien des Geldsackparlaments, ob sie mit schäm- loser Offenheit eine arbeiterfeindliche Politik treiben wie die Kon- servativen, oder eine heuchlerisch geschminkte wie das Zentrum, die Nationalliberalen und der Rest. Der Konservative Hammer war außer sich über die Zumutung, zur Kontrolle über die Beob- achtung der Gesetzesvorschristen Arbeiter heranzuziehen. Werde ihr nachgegeben, so komme man, sieht er voraus, auf den besten Weg,— o Graus!— bald in jeder Werkstatt zu kontrollieren. Minister Delbrück suchte nachzuweisen, daß es nichts Idealeres gibt, als die preußische Sozialgesetzgebung. In Preußen hätte man schon eine übergroße Anzahl von Gewerbeaufsichtsbeamten. Was die Zuziehung von Frauen zur Fabrikinspektion betrifft, so werde jedes Jahr eine neue Beamtin angestellt, und dies Tempo des Vorgehens genüge vollkommen. Die Beteiligung der Arbeiter an der Ausübung der Gewerbeaufsicht halte er für höchst unzweck- mäßig. Das Zentrum, das Arbeiter in seinem Schlepptau hat, konnte sein unternehmerfürchtiges Herz nicht zu offen enthüllen.
Ausgabe
20 (29.3.1909) 13
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten