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Die Gleichheit
Zu seinem Todestag, 11. April 1908. Wenn ich den Namen Arnold Dodel ausspreche, so weiß ein jeder Proletarier, woran ich denke. Die meisten haben seine Schriften' gelesen, und allen ist es bekannt, daß er ein Erzieher zur naturwissenschaftlichen Bildung, ein begeisterter Freund des Volfes und um einen Grundzug seines Wesens durch ein homerisches Wort zu bezeichnen, ein Rufer im ein Rufer im Streit" gewesen ist. Das neunzehnte Jahrhundert, das Jahr hundert der Naturwissenschaft und des Sozialismus, brauchte Menschen, die den gerüsteten Heerscharen mit starker, eindring, licher, unvergeßlicher Stimme die Kampfesparole zuriefen. Einer der würdigsten von ihnen ist Arnold Dodel gewesen. Als Lehrer der Botanik an einer Universität erkannte er früh die Bedeu tung des Darwinismus für die Forschung und für das Leben. Mit der ganzen Wucht seines Wesens setzte er sich für die neue Lehre ein; aber von allen, die Seite an Seite mit ihm stritten, unterscheidet er sich in einem wesentlichen Zuge. Bevor er Professor wurde, hatte er als Volksschullehrer gewirkt; und niemals betonte er später den Wert der Entwicklungslehre nur als Gelehrter für die Forschung, sondern auch und eigentlich in erster Linie als Voltserzieher für die großen Aufgaben der Pädagogik. Es ist vielleicht kein bloßer Zufall, daß bei den jenigen Schweizern, die sich ernstliche Verdienste um den Fortschritt der Kultur erworben haben, das pädagogische Interesse im Vordergrund ihrer Wirksamkeit stand. Wir brauchen nur an die Namen Rousseau und Pestalozzi , an die erzieherischen Tendenzen in den Dichtungen Jeremias Gotthelfs und Gottfried Rellers zu erinnern. Arnold Dodel hat seine schweizerische Herfunft ebensowenig wie in der Art seines literarischen Ausdrucks, so auch darin nicht verleugnet, daß er als Vorfämpfer des Darwinismus seinen Blick vor allem auf die Jugend, auf die emporſteigende Bewegung der Generationen gerichtet hielt. Und das mag wohl in erster Linie der Grund dafür gewesen sein, daß er den Weg zum Sozialismus fand. Gleichzeitig wurzelt aber auch in diesem pädagogischen Interesse seine edle und reine Achtung vor dem Weibe, insofern es Mutter und Er zieherin ist. In längst verflossenen Jahren, als junger Dozent der Naturwissenschaften an der Universität Zürich , ist er lebhaft für das Hochschulstudium der Frauen eingetreten, um dann über diese Forderung hinaus, von sozialistischen Ideen getragen, weiterzuschreiten zu der umfassenderen: der vollen, uneingeschränkten Gleichstellung des Weibes in der Gesellschaft. Die Menschwerdung unseres ganzen Geschlechts wird erst vollendet sein mit der Menschwerdung des Weibes. In der ganzen Auffassung dieses Gedankens, seiner Gründe und seiner Konsequenzen, zeigt es sich klar, wie Dodel den naturwissenschaftlichen Darwinismus mit seinem Sozialismus, das heißt mit dem erzieherischen Interesse für die Vollendung des Lebens in dem Aufstieg ferner Generationen, aufs engste verfnüpfte. Die Unterdrückung des Weibes ist in wirtschaftlichen Erscheinungen begründet. Der Untergang des primitiven Kommunismus und die Entstehung des Privateigentums machte das Weib zum Eigentum, zur Sflavin des Mannes. Dieses wirtschaftliche Geschehen fand seinen entsprechenden und wirksamen Ausdruck in dem biblischen Mythos von der Erschaffung des Weibes aus einer Rippe des Mannes und von seiner Schuld an der Vertreibung aus dem Paradies. Diese Mythen haben seit Jahrhunderten die Gesinnung der Menschen beeinflußt und vergiften noch heute den Geist von Tausenden, die der Erziehung der Kirche ausgeliefert sind. Der Kampf für die volle Gleichberechtigung der Frau muß sich also sowohl gegen das Privateigentum als die soziale Wurzel aller Ungleichheit, vie auch gegen den verderblichen Mythos richten. Den Kampf gegen das Privateigentum führt der Sozialismus; denjenigen gegen die kirchliche Frrlehre die naturwissenschaftliche Aufklärung. In seinem größeren Aufsatz, betitelt„ Vom Weibe", sagt Arnold 1 Alle für diesen Aufsatz benutzten Schriften von Arnold Dodel find
erschienen im Verlag Diet Stuttgart, Internationale Bibliothek. * Internationale Bibliothet, Band 26 b. Seite 180.
Nr. 14
Dodel:„ Die ökonomische Entwicklung unserer gegenwärtigen Gesellschaft wird zur Korrektur der Unnatürlichkeit, zur Sühne des Unrechts führen, das der Mann in Ansehung des Weibes durch Jahrtausende der Menschheitsentwicklung begangen hat." Und an ciner anderen Stelle seiner Schriften ruft er die Forderung aus:„ Die Frau muß erst selbst zur Ehrfurcht vor ihrer eigenen Mission erzogen werden. Sie muß lernen, im heiligen Naturgeschehen die Gesetze der Zeugung zu erkennen und das Schwergewicht ihrer Verantwortlichkeit beim Bauen der Brücken ins Reich des Unendlichen zu erfassen."
Wir wissen jetzt, aus welcher gemeinsamen Wurzel diese beiden Gedanken, die Dodel an ganz verschiedenen Stellen seiner Schriften als bedeutsame Anregungen ausgesprochen hat, hervorgegangen sind. Es ist das Wesen des Mannes selbst, seine scharf gezeichnete, eindrucksvolle Persönlichkeit. Er war und blieb immer ein Schulmeister von der rechten Art, ein Volfserzieher. Er richtete seine Worte stets im Geiste an eine Jugend, die um Ideale ringt. Und diese seine Worte selbst tragen das Zeichen der Jugend: Aufrichtigkeit, die unfähig ist, fich hinter einer Maske zu verbergen. Für jeden, der Dodel einmal nahegetreten ist, muß es unmöglich sein, in der Erinnerung das Bild eines Mannes zu verwischen, dessen Persön lichkeit so charakteristisch war. Arnold Dodel war von vollendeter Natürlichkeit. Einem Kinde gleich war er unfähig, seine Gedanken und Gefühle berechnend zu verbergen. Kaum war es ihm möglich, den Strom seines Erlebens einzudämmen; über sich selbst in zweiter Instanz zu Gericht zu sitzen. Sowie sich eine Vorstellung ihm aufdrängte, griff er schnell und sicher nach dem Worte, das niemals zweideutig und meistens siegreich war; er griff danach wie einer, der das Schwert zieht. Denn in seinem Innern brannte, wie das ewige Licht im Heiligtum, eine tief erregte, man fann fast sagen zornige Begeisterung für die Wahrheit.
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Langsam, langsam drängt sich die Aprilsonne durch den Nebel. Zuweilen rauscht ein fruchtbarer Frühlingsregen herab. In den Parkanlagen am Zürichberge singen Amseln und Finken ihre ersten Lieder, und in dem schönen, jezt schweigsamen und verlassenen Garten der Villa Arnold Dodels erschließen die Primeln ihre sonnenfarbenen Blüten dem jungen Lichte. Vielleicht warten sie, wie in früheren Zeiten, darauf, daß der alternde Mann, der sonst so lebhaft, voll so tiefen Verständnisses das Erwachen der Erde genoß, aus dem Hause heraustrete, um seine Lieblinge zu grüßen. Sie warten umsonst. Das Leben da drinnen ist stumm geworden. Denn im vergangenen Jahre, zur selben Zeit, da die ersten Blüten sich öffneten, schlossen sich seine Augen für immer.
Sein Mund ist nun verstummt, aber sein Wort lebt weiter. Das Losungswort, das der treue ,, Rufer im Streit" unter die kämpfenden Reihen warf, wird nicht sterben. Es gehört zu den Worten, die da helfen uns zum Siege zu führen.
Der Schutz der Heimarbeiter in der Reichstagskommission.
gh. Kurz vor den Osterferien des Reichstags begann in der Kommission die Beratung derjenigen Bestimmungen in dem " Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung", die sich auf die„ Hausarbeit" beziehen. Die Bestimmungen sollen einen besonderen Titel( 7a) der Gewerbeordnung bilden und nach dem ersten Paragraphen des Titels (§ 139n) auf die Werkstätten angewendet werden, in denen: 1. der Arbeitgeber ausschließlich solche Personen beschäftigt, die zu seiner Familie gehören,
2. eine oder mehrere Personen gewerbliche Arbeit verrichten, ohne von einem den Werkstattbetrieb leitenden Arbeitgeber beschäftigt zu sein.
1 Internationale Bibliothek, Band 26 b, Seite 210.
* Internationale Bibliothet, Band 34, Seite 208.