212 Die Gleichheit Nr. 14 Lohnarbeiter und der-arbeiterin gegenüber, weil jeneZ ihm völlig schütz- und rechtlos überliefert ist. Eine ganze Reihe von übelständen im Theaterwesen treffen Mann und Frau mit gleicher Härte. Wir nennen nur die Schutzlosigkcit in Alter und Krankheit, die Arbeitslosigkeit außer- halb der Saison. Aber auch die Bestimmungen der Verträge, die unter Mißachtung aller Menschenrechte der Ausgebeuteten einseitig im Unternehmerinteresse abgefaßt sind, benachteiligen mit wenigen Ausnahmen die männlichen wie die weiblichen Bühnenangehörigen in gleicher Weise. So steht es den Direk- toren frei, ob und wie oft sie ein Bühnenmitglied beschäftigen wollen. Da die Schauspieler außer der Gage auf das ihnen für jedes Auftreten zustehende Spielhonorar angewiesen sind, kann der Unternehmer also mißliebige Künstler jederzeit pekuniär wie künstlerisch ruinieren. Macht sich die Direktion eines Kon- traktbniches schuldig, so hat sie eine Konventionalstrafe zuzahlen; begeht aber ein Bühnenmitglied dasselbe Verbrechen, so soll es auch nach Bezahlung der Konventionalstrafe noch drei Jahre brotlos sein; bezahlt es die Konventionalstrafe nicht, sogar fünf Jahre! Als kontraktbrüchig gilt schon der Schauspieler, der einmal zu spät zur Probe oder zur Vorstellung kommt. Auch in bezug auf das Kündigungsrecht haben die Theaterleiter sich weitgehende Vorrechte garantiert. Dazu kommt eine Reihe von Paragraphen, welche sich direkt gegen die weiblichen Bühnenmitglieder richten. Heiratet eine Künstlerin, so muß sie sich verpflichten, auf jede Bühnentätig- keit für die Dauer des Vertrags zu verzichten; für die Bühnen« leitung ist der Vertrag ohne weiteres vom Tage der Eheschließ- ung an kündbar. Einer verheirateten Soloküustlerin kann die Direktion von dem Tage an, da mau ihr die Mutterschaft au- merkt, alle Bezüge vorenthalten. Uneheliche Mutterschaft aber gilt als Grund für sofortige Entlassung. Unter den Ungerechtigkeiten dieser Bestimmungen hatte die Masse der Schauspieler von jeher schwer gelitten. Als aber in den« neuen Entwurf eines Bühnenvertrages der Theater- direktoren die bisherige Rechtlosigkeit der Bühnenkünstler ver- ewigt werden sollte, setzte in Berlin jene Protestbewegung der in der»Bühileiigenossenschaft* organisierten Schauspieler und Schauspielerinnen ein, die in den letzten Wochen zum ersten- mal seit langer Zeit die Aufmerksamkeit des Publikums auf die verrotteten Zustände in der Theaterwelt lenkte. Da hörte man dann auch von der geradezu jammervollen Entlohnung, mit der alles, was nicht große berühmte Namen trägt, sich ab- speisen lassen muß. Von 25000 deutschen Bühnenangehörigen haben 40 Prozent ein Jahreseinkommen von unter 1000 Mk., und nur 10 Prozent ein solches über 3000 Mk. Während 90 Prozent der Arbeitgeber Reingewinne von Zehntausenden einstecken und nur etwa 10 Prozent keine geschäftlichen Erfolge haben, leben 90 Prozent der Bühnenangehörigen in bitterer Armut, und nur 10 Prozent gelingt es, in die Höhe zu kommen. Also genau das umgekehrte Verhältnis! Monatsgagen von 30 bis 60 Mk. sind für junge Anfänger nichts Seltenes. Und die Frauen werden beim Theater, weil sie Frauen sind, noch schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Eine achtbare Künstlerin hatte es in 26 Leidensjahren nie über einen durch- schnittlichen Monatsverdienst vou 95 Mk. gebracht. Monats« gagen von 35 bis 120 Mk. rechnen schon zum guten Durch- schnitt. Am Hofthcater in Kassel erhält eine erste Kraft 130 Mark Monatsgehalt. Aber auch diese Summen sind nicht als Reinverdienst an- zusehen. Ein raffiniert ausgedachtcs Strafgeldersystem ermög« licht es der Direktion, den Künstlern und Künstlerinnen auf ganz legale Art einen Teil der Gage wieder abzunehmen. 5 Prozent der Gage fließen außerdem für die ganze Kontrakt- dauer in die Tasche des Agenten, 5 Prozent in die Pensions - lasse. Einen ständigen Posten des Schauspielerbudgets bilden ferner die Kollekten für die große Zahl der notleidenden Kol- legen. Von dem, was dann noch übrig bleibt, soll nicht nur der Lebensunterhalt, sondern auch der Toilettenaufwand be- stritten werden, den die Bühne erfordert. Während nach dem geltenden Schauspielerrecht der Direktor dem männlichen Bühnen- künstler die historische, einschließlich der phantastischen Tracht zu liefern hat, halten die Direktoren der Bühnenkünstlerin gegen- über an dem uralten Gewohnheitsrecht fest, ihr alle Ausgaben für die Bühnentoilette aufzubürden. Von der dürftigen Gage hat sie nicht nur die Anschaffungskosten für eine Reihe von historischen Kostümen, für Trikots, Perrücken, Handschuhe, Schuhzeug, Schminke zu decken, sondern auch die sehr hohen laufenden Beträge für die moderne Garderobe. In Anbetracht der unsinnigen Ansprüche, die heute das zahlungsfähige Publi- kum an die Schönheit und Echtheit der historischen Kostüme, wie an die Pracht und Eleganz der modernen Toiletten zu stellen beliebt, ist das eine Last, die höchstens die kleine Zahl glänzend honorierter Bühnensterne zu tragen vermag. Den anderen bleibt nur die Wahl, entweder zu Hungen, , oder sich bei der Selbstanfertigung der Garderobe, zu der doch auch nicht alle Künstlerinnen befähigt sind, zu überarbeiten. Ein so un- billiges Verlangen sollte niemand stellen, der weiß, wie an- strengend und nervenzerstörend die Berufstätigkeit der Schau- spielerin ohnehin ist. Täglich 3 bis 4 Stunden Probe, mehrere Stunden Rollenstudium, abends 4 bis 5 Stunden Aufenthalt im Theater bilden eine mehr als ausreichende Arbeitslcfftung. Für diejenigen, welche schnell Karriere machen wollen, bleibt noch ein dritter Ausweg: die Prostitution.... Es gibt viele Theaterdirektore», welche ihre Schauspielerinnen verblümt und unverblümt auf diesen Weg verweisen, und sehr viele Künstle- rinnen gehen ihn, gezwungen durch die Rot, verleitet durch den Ehrgeiz, rasch vorwärtszukommen. Sehr, sehr oft entscheidet nicht das Talent, sondern die kostbare Ausmachung, welche die einzelne Künstlerin ihren Rollen zu geben vermag, für die Förderung, die ihr von der Direktion zuteil wird. So haben wir also in der Kostümfrage im Zusammenhang mit der Niedrigkeit der Gagen die Hauptursache zu suchen für den moralischen Schmutz und die Fäulnis der Theaterzustände, über welche ftomme Philister dann mit heuchlerischem Augenverdrchen zetern. Lange hatten die Schauspielerinnen sich widerstandslos unter die Willkürherrschaft des Unternehmertums gebeugt, die sie schwerer traf als ihre männlichen Kollegen. Die meisten hielten sich sogar der 1871 geschaffenen Organisation, der„Genossen- schaft deutscher Bühnenangehöriger"', fern. Mit dieser Gleich- gültigkeit aber war es mit einem Male vorbei, als der bereits erwähnte neue Bühnenvertragsentwurf den Künstlern und Künstlerinnen zum Bewußtsein brachte, daß man sie von neuem mit Sklavcnketten fesseln wolle. Ter von einer eneegischen Gruppe geführten Protestbewegung schloffen sich auch die Frauen mit großer Begeisterung an. Gemeinsan, forderte man zur Ab- Hilfe all der schreienden Mißstände im Theaterwesen den Erlaß eines Reichstheatergesetzcs. Die Frauen aber leiteten kürzlich in einer Berliner Versammlung noch eine besondere Agitation gegen die heutige Behandlung der Kostümsrage ein. Sie for- derten, daß die gegenwärtig nur bei einigen Hoftheatern üb- liche Lieferung der historischen Kostüme allgemein eingeführt, darüber hinaus aber auch die Garderobe, die daS A, Proton in modernen Stücken erfordert, von der Direktion geliefert werden müsse. Das Kostüm gehöre mit zur Ausstattung des Stückes, und es sei ein unverschämtes Ansinnen, daß die Künftkvinnen dem Direktor die Stücke ausstatten sollen. Die Schaafcüele- rinnen forderten außerdem, daß auch ihnen wie den Sange- rinnen und Tänzerinnen zur Schonung ihrer Gesundheit die sogenannten Respektstage allmonatlich gewährt werden, ohne daß ihnen, wie dieS heute üblich ist, die Gage gekürzt wwbe. In schöner Solidarität haben sich hervorragende Bühnen- künstlerinnen Berlins , die es eigentlich„nicht nötig" haben, an die Spitze der Bewegung gestellt, um die wirtschaftliche Bester- stellung der notleidenden Kolleginnen in der Provinz, wie der jungen Anfängerinnen herbeizuführen. Die so lange abseits verharrten, stehen nun mit einem Schlage mitten in den wirtschaftlichen Kämpfen unserer Tage, und ganz wie in den Gewerkschaftsversammlungen der Loh:r> arbeiter und-arbeiterinnen erklingen hier Schlagworte wie: .Lohnkampf",„Kampf gegen die Ausbeutung",„Hinein in die
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20 (12.4.1909) 14
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