Nr. 17
Die Gleichheit
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Prinzip oder irgend einen Beschluß der Partei zu verstoßen. Wie liegen die Dinge? Die Petition, die, wie ich ausdrücklich hervor- gehoben habe, an einer großen Unklarheit leidet, verlangt eine Ab- Änderung der Slädteordnung dahin, daß auch den grundbesitzenden, wirtschaftlich selbständigen und steuerzahlenden Frauen das Stimm- recht eingeräumt wird. Sie weist auf die segensreiche Mitarbeit der Frauen in den Armen-, Waisen- und Echuldepntationen hin, bezeichnet die Mitarbeit der Frauen auch auf den übrigen kommu- nalen Gebieten als berechtigt und erwünscht und kommt zu dem Schlüsse, daß es nur einen Weg gibt, den Frauen nicht etwa nur den wohlhabenden Frauen den ihnen gebührenden Einfluß auf die Gemeindeangelegenheiten einzuräumen, nämlich ihnen ebenso wie den ländlichen Grundbesitzerinnen das kommunale Wahlrecht zu geben und zugleich die Vorschriften des§ öS der Städteordnung entsprechend zu erweitern.(§ B9 handelt von der Zusammensetzung der Deputationen.) Bekanntlich ist auch das Stimmrecht der Männer heute leider kein allgemeines, es unterliegt gewissen Einschränkungen, und zwar im großen und ganzen denselben Einschränkungen, wie sie Frau Schmidt-BürNy für das Frauenwahlrecht fordert. Die Petentin verlangt also das Frauenstimmrecht im allgemeinen in demselben Umfange, wie es heute den Männern zusteht, ja insofern will sie den Frauen sogar ein größeres Stimmrecht einräumen, als sie es allen steuerzahlenden Frauen geben will, während das Stimmrecht der Männer an die Veranlagung von einem bestimmten Einkommen beziehungsweise an einen Zensus gebunden ist. Da der Begriffselbständig" in allen preußischen Wahlgesetzen so zu verstehen ist, daß selbständig derjenige ist, der versügungsfähig, im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte, nicht gefangen oder im Kon» kurse und nicht entmündigt ist, fo würden tatsächlich, wenn der Petition Folge gegeben würde, alle Arbeiterfrauen das Stimmrecht erlangen, die eine gewinnbringende Tätigkeit ausüben und infolge dessen Steuern zu zahlen haben. Gab uns also die Petition an sich keinen Anlaß, dafür einzu- treten, daß sie in den Papierkorb wandert, so haben uns die Ver- Handlungen in der Kommission geradezu gezwungen, den Antrag auf Überweisung als Material zu unterstützen. Die Kommission ist nämlich mit Rücksicht darauf zur Tagesordnung übergegangen, weil sie der Mehrheit viel zu weit geht. Sollten wir uns etwa auf die Seite der Reaktion schlagen und mit den Konservativen zu- sammeu für Übergang zur Tagesordnung stimmen? Die Fraktion kann auch nach nochmaliger reiflicher Erwägung und nach Prüfung des Artikels der Genossin Wurm nicht einsehen, daß sie einen Fehler begangen hat. im Gegenteil, sie hätte die Interessen gerade der proletarischen Frauen geschädigt, wenn sie nicht für über- Weisung als Material eingetreten wäre, übrigens darf man nicht außer acht lassen, daß eine Petition noch lange kein Gesetzentwurf ist, und daß man sich, wenn man der Regierung eine Petition über- weist, deshalb doch nicht mit jedem Wort derselben einverstanden erklärt. Mit dieser Überweisung als Material bezwecken wir ledig- lich, die Frage des Fraucnstimmrechts, der die Regierung völlig ablehnend gegenübersteht, in Fluß zu bringen. Unserer Abstimmung über einen etwaigen späteren Gesetzentwurf wird dadurch in keiner Weise präjudiziert. Wenn der Gesetzentwurf vorliegt, woran neben- bei bemerkt auf absehbare Zeit nicht zu denken ist, dann ist die llliöglichkeit gegeben, zu prüfen, ob er tatsächlich nur den Frauen der Bourgeoisie Vorteile bringt, oder ob nicht vielmehr die Arbeite» rinnen davon Vorteil haben. Sollte letzteres der Fall sein, dann würde wohl auch Genossin Wurm das als Abschlagszahlung be- trachten und dafür stimmen. Sollte es sich dagegen lediglich um ein« Erweiterung der Rechte der besitzenden Frauen handeln, dann würde darüber, daß wir solchen Entwurf ablehnen müssen, inner- halb der Kreise der Genossen und Genossinnen keinerlei Meinungs- Verschiedenheit entstehen. Ich begnüge mich mit diesen wenigen Ausführungen, ich hoffe, auch Genossin Wurm wird nunmehr eingesehen haben, daß ihre Besürchtuug, als bewege sich die Fraktion auf der schiefen Ebene, unbegründet ist. Wenn nicht, dann können wir uns ja auf dem bevorstehenden Preußentag weiter sprechen. Paul Hirsch  .
In seiner Erwiderung auf meinen Artikel behauptet Genosse Hirsch, ich.hätte mich über den Vorgang, den ich kritisierte, unzu- reichend informiert. Seine lange Erwiderung habe ich aber ver- gebens nach einer neuen Tatsache durchsucht, die von mir nicht berücksichtigt worden wäre. Er behauptet zweitens, ich hätte gerade da zu zitieren ausge- hört, wo er zeige, daß er nicht für ein Vorrecht der Besitzenden eingetreten und alsonicht so ganz stockreaktionär sei, wie es mir vorschwebe." Was habe ich nun in Wirklichkeit nicht zitiert? Und
was steht in dem Satz, den Genoffe Hirsch für so außerordentlich bedeutsam hält, daß er seiner ganzen Haltung ein anderes Gepräge geben soll? Daß Genosse Hirsch nimmermehr dafür eingetreten wäre, nur den grundbesitzenden Frauen Stimmrecht zu ver- leihen. Diesen Satz zu zitieren war für mich völlig überflüssig, weil ich die viel weitergehende Auslegung, die Genosse Hirsch der Petition gegeben hat, wörtlich aus dem Stenogramm angeführt habe:Nicht nur den grundbesitzenden, sondern allen selbständige», allen steuerzahlenden Frauen das Stimmrecht zu geben." Daß Genoffe Hirsch nicht noch hinter der reaktionären Petition zurückbleibt, versteht sich von selbst das wollte nicht einmal der Freisinn. Sogar, wenn ich diesen für einen Sozialdemokraten selbst- verständlichen Standpunkt noch besonders hervorgehoben hätte, so würde damit nicht das geringste an der Auffassung geändert worden sein, die Genoffe Hirsch über den Geist der Petition zum Ausdruck brachte. Seine Ausführungen beweisen, daß er auch jetzt noch nicht sieht, wie unzureichend die Forderungen der Petition sind, selbst nach der günstigen Auslegung, die er ihr gibt. Genosse Hirsch sagt:Würde der Petition Folge gegeben werden, so erlangten alle Arbeiterfrauen das Stimmrecht, die eine gewinnbringende Tätigkeit ausüben und infolge dessen Steuern zu zahlen haben." Für wen trifft das zu? Doch nur, wie ich ausführte, für die un- verheirateten Arbeiterinnen Witwe» inbegriffen. Sobald die Arbeiterin heiratet, ist nicht sie Steuerzahler, sondern der Mann, gleichgültig, ob sie einen Erwerb ausübt oder nicht. Alle verheirateten Prvletarierinnen, auch die er­werbstätigen Arbeiterinnen, wären demnach auf Grund des von Frau Schmidt- Bürkly geforderten Wahlrechts von diesem aus- geschlossen, während das Wahlrecht bürgerlichen Frauen zu- fallen würde, welche Besitzerinnen von Grundstücken, Geschäften, Fabriken und dergleichen sind. Genosse Hirsch übersieht vollkommen den s 10 des preußischen Einkommensteuergesetzes, der besagt: Dem Einkommen eines Steuerpflichtigen wird das in Preuße» steuerpflichtige Einkommen seiner Ehefrau hinzugerechnet, und zwar ohne Rücksicht auf das zwischen den Eheleuten geltende Güterrecht usw." Was aber das Wahlrecht der steuerzahlenden unver- heirateten Arbeiterinnen anbetrifft, so dürften gegebenen Falles recht wenig« dieses iiiecht ausüben können, denn die meisten Arbeiterinnen heiraten, bevor sie das wahlberechtigte Alter, in Preußen das 24. Lebensjahr erreicht haben. Es verhält sich also genau so, wie ich in meinem Artikel aus- geführt habe:In Deutschland   würden zwar manche unverheirateten Arbeiterinnen das Wahlrecht erhalten, aber in weitaus über- wiegendem Maße käme es den Frauen der bürgerlichen Klassen zugute." Wenn Genosse Hirsch meint, die Petition enthalte sogar die weitergehende Forderung, allen steuerzahlenden Frauen das Wahlrecht zu geben, dieses also nicht, wie es bei dem be- siehenden Männerwahlrecht der Fall ist, an einen bestimmte» Steuersatz zu binden, so würde selbst dieS der großen Mass« der Prvletarierinnen nichts nützen, weil sie eben über- Haupt nicht Steuerzahlerinnen sind, auch wenn sie ein steuerpflichtiges Einkommen haben! Daß die Fraktion für Überweisung der Petition als Material ge- stimmt hat, habe ich mit keinem Worte getadelt. Ich habe michmit aller Schärfe" nur dagegen gewendet, daß in den Forderungen dieser Petition eine Annäherung an unseren Standpunkt zu sehen sei. übrigens, auch wenn unsere Fraktion zusammen mit de» Konservativen für Übergang zur Tagesordnung gestimmt hatte, so würde sie sich damit doch keineswegs, wie Genosse Hirsch es be- zeichnet,auf die Seite der Reaktion geschlagen" haben. Im parla- inentarischen Leben ereignet es sich oft genug und kann sich ii» Reichstag   vielleicht bald wiederholen, daß Konservative und Sozial- demokraten aus ganz entgegengesetzten Gründen zusammenstimmen. Die langen Ausführungen, die Genoffe Hirsch zur Verteidigung der Haltung der Fraktion verwendet, sind also überflüssig. Nicht gegen die Überweisung als Material habe ich mich gewendet, sondern gegen die Begründung, die Genosse Hirsch dazu gab. Und ob mit dieser Begründung der preußische Parteitag einverstanden sei» wird, darum handelt es sich allein. Genosse Hirsch hat wörtlich gesagt:Die Petentin scheint aber auf dein Standpunkt zu stehen, und damit nähert sie sich unserer Ausfassung, daß die Städteverordnung dahin ergänzt werden soll, daß nicht nur den grundbesitzenden, sondern allen selbständigen, allen steuerzahlenden Frauen das Stimmrecht gegeben wird." Ich wiederhole, daß es nach meiner Ausfassung und wohl auch der Mehrzahl der Parteigenossen, ein Irrtum ist,«ine An- Näherung an unseren Standstuntt darin zu sehen, daß nur der