266 Die Gleichheit Nr. 17 Kreis derjenigen Wahlberechtigten erweitert wird, die auf Grund einer Sleuerzahiung wahlberechtigt sind. Ich kann daher das, was ich in meinem Artikel bereits gesagt, nur wiederholen: „Ein Wahlrecht für einzelne Schichten der Bevölkerung wirkt nicht als Etappe auf dem Wege zum allgemeinen Wahlrecht. Im Gegenteil: indem das Privileg des Wahlrechts für steuer- zahlende Frauen die Wünsche bürgerlicher Schichten befriedigte und deren Macht stärkte, würde es gerade verhindern, daß das Wahlrecht auf alle Frauen ausgedehnt wird." Dafür bietet Norwegen und Dänemark , wo ein beschränktes Frauenwahlrecht in den Kommunen bereits eingeführt ist, den besten Beweis. In Norwegen besteht seit dem Jahre 1901 das beschränkte Frauenwahlrecht zu den Kommunen, dem 19V7 das ebenfalls be- schränkte politische Wahlrecht für das weibliche Geschlecht folgte. Während das Wahlrecht für die Männer ein allgemeines ist, ist das für die Frauen an ein bestimnites versteuerbares Einkommen gebunden.' Bei Einführung des beschränkten Frauenwahlrechts in Gemeinde und Staat wurde von bürgerlicher Seite wiederholt und nachdrücklich erklärt, daß es ein Korrektiv gegen das allgemeine Männerwahlrecht sein solle. Ungefähr die Hälfte aller großjährigen Frauen besitzt das Wahlrecht nicht, infolge der reaktionären Be- stimmung, die sowohl für die Gemeinde- wie für die Storthing- wählen gelten. Auch unsere Genossen hatten seinerzeit für die Gesetze gestimmt, welche die reaktionäre„Reform" im demokratischen Mäntelchen schufen. Sie ließen sich von der Hoffnung leiten, daß diesem beschränkten bald das allgemeine Wahlrecht folgen werde. Diese Hoffnung hat sich, wie es vorauszusehen war, als trügerisch erwiesen. Die besitzende Klasse denkt gar nicht daran, sich selbst aus ihrer Machtstellung zu verdrängen und den Besitzlosen gleiche Rechte einzuräumen. Ahnlich liegen die Dinge in Dänemark , wo das allgemeine Wahl- recht in der Gemeinde sowohl für Männer wie Frauen durch eine Steuerklausel beschränkt ist, so daß nach einer amtlichen Statistik, die der„Vorwärts" am 12. Mai 1909 mitteilte, im ganzen Lande von den im Wahlrechtsalter stehenden Männern nur 75'/, Prozent, von den Frauen 62 Prozent wahlberechtigt sind, in der Kommune Kopenhagen aber beispielsweise bloß 67 Prozent der Männer und 46 Prozent der Frauen. Dabei ist zu bedenken, daß den ver- heirateten Frauen das steuerbare Einkommen des Ehemannes an- gerechnet wird. Die vorliegenden Ziffern allein schon erweisen, wie reaktionär das Wahlrecht ist, und wie recht unsere Genossen in Dänemark daran taten, gegen die kommunale Wahlrechtsreform zu stimmen, die nur eine Stärkung des Besitzes bedeutet. Diese beiden Beispiele genügen, den durch nichts gerechtfertigten Optimismus des Genossen Hirsch in einen nur allzu gerechtfertigten Pessimismus zu verwandeln. Warum sollten gerade in Preuße», dem reaktionärsten aller Kulturländer, die Dinge sich anders ent- wickeln, als sie sich auf Grund der bestehenden Wirtschaftsordnung und des herrschenden Systems notwendig entwickeln müssen? Das widerspräche allen bisher gemachten Erfahrungen. Jedes beschränkte Wahlrecht und jeder dahin führende Kompromiß stärkt die Reaktion und ist von uns abzulehnen, selbst auf die Gefahr hin, daß unsere Gegner aus dieser Ablehnung Kapital zu schlagen suchen. Dem preußischen Parteitag bleibt es vorbehalten, über unsere Taktik auch in dieser Frage zu entscheiden. Mathilde Wurm . Aus der Bewegung. Von der Agitation. Zur Agitation unter den Proletarierinnen veranstaltete die Landesorganisation für Mecklenburg kürzlich Ver- sammltmgen in Boitzenburg, Lübtheen , Hagenow , Gade- busch, Rehna , Schönberg , Greversmühlen, Kriwitz, Lütz und Parchim . Die Unterzeichnete behandelte in ihnen das Thema:„Tie Frau im politischen Leben". Der Besuch war sehr gut; an den Versammlungen zu Boitzenburg, Lübtheen und L ülz nahmen 300 bis 600 Personen teil. Die Zahl der Ausnahme» für die Partei schwankte in den einzelnen Versammlungen zwischen 3 und 23. Für die Parteipresse wurden neue Leser gewonnen. In allen Orten ward der Wunsch laut, daß die gleiche Tour im Herbst wieoerholt werden möge. So schreitet allerwärts die Aufklärung der arbeitenden Frauen vorwärts, auch dort, wo es kaum zu hoffen war: in den Domänen der Großgrundbesitzer. Die neuen Anhänger zu halten und sie weiter aufzuklären, ist nun Sache der Genossen und Genossinnen der genannten Orte. Marie Wackwitz . ' Genaueres darüber in:„Zur Frage de» Frauenwahlrecht»' von Klara Zectin. Berlin . Buchhandlung Botwärt». In der Stadt Mülheim a. Rh. und den halbländlichen Orten Dellbrück , Porz, Dunnwald und Weihershagen, die zu dem Reichstagswahlkreis Mülheim-WipPerfuhrt-GnmmerSbach gehören, fanden in der Zeit vom 13. bis 18. April Volksversamm- lungen statt, in denen Genossin Sel in ger-Saalfeld über„Die Lag« des arbeitenden Volkes in Deutschland ' sprach. Wie stark der Einfluß des jede Volksaufklärung fürchtenden Zentrums auf die Bevölkerung des RiesenkreiseS ist, beweist die Tatfache, daß den organisierten Arbeitern in anderen Orten desselben als den ge- nannten keine Lokale zur Verfügung stehen. Die klerikale Sippe fürchtet am meisten, daß eine Frau zu Frauen redet, und hinter- treibt jede Versammlung, in der ein„rotes Frauenzimmer" referieren soll. Erfreulicherweise waren die erwähnten Versammlungen trotz allem von Frauen stark besucht; in den ländlichen Orten überwog sogar die Zahl der weiblichen Teilnehmer die der männlichen. Nach- dem Genossin Selinger in überzeugenden Ausführungen die Be- Häuptling, die Lage des arbeitenden Volkes in Deutschland habe sich gebessert, widerlegt und ein ergreifendes Bild der traurigen Wirklichkeit gezeichnet hatte, wandt« sie sich an die erschienenen Frauen, endlich ihre stumpfsinnige Gleichgültigkeit gegen das öffent- liche Leben abzulegen, ihre Männer zum Kampfe aufzurufen, sich diesem anzuschließen und die Kinder zu Menschen zu erziehen, die Unrecht und Bedrückung Haffen. Eine wertvolle Stütze im Be- sreiungskampf sei ihnen die„Gleichheit". Die Ausführungen der Referentin fanden in allen Versammlungen begeisterte Zustimmung; in Porz traten sämtliche anwesende Frauen der politischen Organi- fation bei und auch in den übrigen Orten manche bisher noch nicht organsierte Proletarierinnen. A. Stroinski. über das Thema:„Die Frau und der Sozialismus" referierte die Unterzeichnete kürzlich in einer von Frauen gut besuchten Mit- gliederversammlung der Parteiorganisation zu Nordenham und in Volksversammlungen zu Elberfeld , Hameln , Göttingen , Boveten, Münden-Hannover und Lipoltshausen. Die Versammlungen waren, abgesehen von der in Hameln , sehr stark besucht und brachten der politischen Organisation einen guten Er- folg. In Göttingen traten die ersten 20 Frauen der Partei bei und in Boveten, einem ländlichen Orte in der Nähe Göttingens, wo viele Proletarierinnen Heimarbeit in der Tabakindustrie leisten, fanden zum erstenmal fünf Frauen den Mut, an einer Versammlung teilzunehmen. Vier davon organisierten sich und versprachen, durch eifrige Betätigung ihre Leidensgenossinnen aus ihrer Ängstlichkeit und Gleichgültigkeit aufzurütteln. Zu wünschen übrig ließ der Besuch einer Versammlung zu Ostern bürg, in der das Thema behandelt wurde:„Die gegenwärtige Krise und ihre Folgen". Am 1. Mai referierte die Unterzeichnete in Münden -Hannover über das Thema:„Die wirtschaftliche und politisch« Stellung der Frau" und nach einer Pause von 15 Minuten über:„Die Bedeutung des 1. Mai". Mit großer Ruhe lauschten die Anwesenden von Anfang bis zu Ende den Vorträgen und gaben mehrfach ihrer begeisterten Zustimmung Ausdruck. 25 Frauen schlössen sich der Organisation an. Eine für den 2. Mai in dem ländlichen Orte Uschlag ge- plante Versammlung unter freiem Himmel verfiel wegen„Gesähr- dung der öffentlichen Sicherheit' dem landrätlichen Verbot. Eme solche anzunehmen, lag jedoch kein Grund vor, denn das betreffende Grundstück ist eingezäunt und ohne öffentliche Störung zugänglich. An einer Volksversammlung in Lipoltshausen am 2. Mai nahmen auch Schulmeister teil, die sich durch wiederholte Störung der Versammlung bemerkbar machten. Ihr Betragen fand allge- meine Verurteilung unter den Versammellen, die mit großer Auf- merksamkeit den Ausführungen der Referentin lauschten. Unter der Heiterkeit der übrigen Teilnehmer mußten sich die Herren„Volks- erzieher' eine treffende Zurechtweisung von dem Vorsitzenden und der Rednerin gefallen lassen.— Durch Versammlungen in Melle , Steinhude , Hemelingen und Bremen wurden den Gewerk- schafte» Mitglieder zugeführt. A. Bosse-Bremen . Um die Agitation unter dem weiblichen Proletariat zu fördern, trafen die Vorstände der Orlsvereine Leipzig-Plagwitz, Leipzig - Lindenau und Leipzig -Schleußig für den dreizehnten sächsischen Reichstagswahlkreis verschiedene Veranstaltungen. Genossin Grad- n au er- Dresden sprach im März in einer öffentlichen Versamm- lung über:„Die Frau im Emanzipationskampf der Arbeiterklasse." Die Genossen und Genossinnen halten erwartet, daß in dem industrie- reichen Westen, in dem die Versammlung stattfand, die Arbeite- rinnen zahlreicher erscheinen würden, hatten sie es doch an einer umfangreichen Agitation nicht fehlen lassen. Um auch denen, welche wochentags keine Zeit haben, Gelegenheit zum Versammlungsbesuch zu geben, wurden an Sonntagen Elternabende abgehalten, in denen Lehrerinnen über ihre reiche Erfahrung auf dem Gebiet der Er- ziehung sprachen. Am ersten Abend wurde das Thema behandelt:
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20 (24.5.1909) 17
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