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Die Gleichheit

und Verhöhnung des demokratischen Prinzips im allgemeinen, der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts im besonderen.

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Die Initiative zu der Veranstaltung ging von der rührigen Adult Suffrage Society aus( Verein für das Wahlrecht aller Großjährigen), deren energische, opferfreudige Seele Genossin Dora B. Montefiore   ist. Die Adult Suffrage Society hatte sich mit führenden englischen Gewerkschaftern und Sozialisten in Verbindung gefeßt, wie auch durch Vermittlung der internationalen Sekretärin der sozialistischen   Frauen mit den Genoffinnen verschiedener Länder. So sollte es zum Ausdruck kommen, daß in England die gewerk­schaftlich organisierten Arbeiter und Arbeiterinnen wie ihre Kongresse wiederholt beschloffen haben das allgemeine Wahl­recht aller Großjährigen fordern, und daß die Sozialisten das gleiche tun. Leider ließ auch das Meeting wieder erkennen was ja der Internationale Sozialistische Kongreß zu Stuttgart   bekundet hatte- daß die englischen Sozialisten nicht geschlossen hinter der Forde­rung des allgemeinen Wahlrechts stehen. Schuld daran trägt die Zersplitterung der beiden Fraktionen der Sozialdemokratischen Partei" und der Unabhängigen Arbeiterpartei" und die von der letzteren festgehaltene unklare prinzipielle Auffassung und Taktik, die in der Wahlrechtsfrage von durchaus bürgerlich- frauenrechtle= rischen Gedankengängen durchseucht und beherrscht ist. So kam es, daß an der Veranstaltung zwar Vertreter der Sozialdemokratischen Partei" teilnahmen, daß ihr aber die Unabhängige Arbeiterpartei" demonstrativ fernblieb. Und das in einer Situation, wo es gilt, alle sozialistischen, alle proletarischen Kräfte zusammenzufassen, um jene Stärkung der konservativen Partei, der reaktionärsten Schichten der Besitzenden abzuwehren, welche das beschränkte Frauenwahl­recht mit Naturnotwendigkeit zeitigen müßte, wo es gilt, statt ihrer eine gründliche Demokratisierung des Wahlrechts und der politischen Zustände herbeizuführen.

Das Meeting fand in der großen, schönen Holborn Town Hall statt und nahm einen prächtigen Verlauf. Die auf der Redner­tribüne Versammelten waren ein lebendiger Beweis dafür, daß der Eozialismus nur gleichberechtigte und gleichverpflichtete Kämpfer für die große Sache des Proletariats tennt, ohne Unterschied des Geschlechts, der Nationalität, des Berufs und anderer äußerer Merkmale. Neben Hyndman, dem dogmenstarren" Theoretiker und Führer der sozialdemokratischen Partei, der Praktiker Mac­pherson, ein alter, erprobter Gewerkschafter, Leiter des Ver­bandes der Handelsangestellten; neben Dora Montefiore  , die durch Geburt und Erziehung den besten" Kreisen angehört, und der Gräfin Warwick, der Trägerin eines der ältesten Adelstitel im Königreich, eine Arbeiterfrau aus dem Elendsviertel des Eastend, Frau Boyce, die im Dialekt spricht. Dazu eine finnische Sozial­revolutionärin und die Genossinnen Rollontay und Zetkin, von denen die erstere die organisierten russischen Textilarbeite rinnen vertrat, die letztere als internationale Sekretärin der sozialistischen   Frauen anwesend war. Den ausgesprochen sozia­listischen Elementen hatte sich für den Zweck des Abends ein bürgerlich radikales Parlamentsmitglied angeschlossen: Mr. Dickins son, der erste Abgeordnete, der im englischen Unterhaus einen Antrag auf die Einführung des allgemeinen Wahlrechts eingebracht und ihn seither zum zweiten Male gestellt hat.

Den Vorsitz des Meetings führte Genosse Macpherson, der Präsident der Adult Suffrage Society, der in martigen Worten den Humbug des reaktionären Damenwahlrechtes geißelte und die Forderung des allgemeinen Wahlrechtes aller Großjährigen be gründete. Die Resolution, welche diese Forderung erhob, betonte, daß das geltende Wahlrecht, das die Frauenrechtlerinnen für das weibliche Geschlecht fordern, nur einen von drei Großjährigen pos litisch gleichberechtigen würde. Sie wurde von Genossin Warwick trefflich begründet, welche die Forderung des allgemeinen Frauen­wahlrechtes durch interessantes Material über den Umfang der in­dustriellen Frauenarbeit unterstüßte. Genosse Hyndman   trat in einer witfunkelnden Rede dafür ein, daß die englischen Sozialisten mit mehr Nachdruck als seither für die politische Emanzipation des weiblichen Geschlechtes und das allgemeine Wahlrecht tämpfen müßten. Die eingelaufenen Solidaritätserklärungen von Organis fationen ausländischer Genossinnen verlas Genossin Montefiore. Es lagen Sympathiekundgebungen vor von den sozialdemokratischen Frauenorganisationen in Dänemark  , Finnland  , Holland  , Österreich   und der Schweiz  . Die internationale Note des Meetings wurde noch durch die Reden der Genofsinnen Kollontay und Bettin verstärkt, von denen die letztere die Forderung des Abends grundsätzlich zu begründen hatte. Von besonderem Interesse war die Rede des bürgerlich Radikalen Mr. Dickinson. Er be= leuchtete durch eine vernichtende Kritik der einzelnen Bestimmungen des geltenden Wahlrechtes, gestützt auf reiches Tatsachenmaterial,

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den stockreaktionären Charakter dieses Rechtes und der frauen­rechtlerischen Forderung: gleiches Recht für die Frauen unter den­selben Bedingungen wie für die Männer. Die Forderung des Wahlrechtes aller Großjährigen befürwortete er mit scharfer Logit vom Standpunkt der naturrechtlichen Philosophie und gab die Ver sicherung ab, daß nur dieses Wahlrecht auf eine Majorität im Unterhaus rechnen könne. Das Meeting fand einen wirkungsvollen Abschluß durch eine zündende Rede der Genossin Boyce, die vom Standpunkt der Proletarierin aus mit geradezu elementarer Be­redsamkeit und Wucht die Politik der Konservativen wie Liberalen einer scharfen Kritik unterzog und die werktätigen Massen auf­forderte, auch im Ringen für volles Bürgerrecht aller Großjährigen nur auf die eigene Kraft zu bauen, nicht zu bitten, sondern zu tämpfen und zu zwingen.

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Die Resolution gelangte einstimmig unter stürmischem Beifall zur Annahme, der übrigens auch alle Reden sehr oft unterbrochen und am Schlusse unterstrichen hatte. Zwei bemerkenswerte Büge der Veranstaltung seien noch hervorgehoben. Es wohnten ihr eine Gruppe Arbeiterinnen aus dem Eastend bei, die es sich- obgleich sie zu den Armsten der Armen gehören nicht hatten nehmen laffen, am Tage vorher sogenannte Sandwichplafate herumzutragen, um für das Meeting Propaganda zu machen. Die Bekundung der internationalen Solidarität wurde mit einem Jubel begrüßt, der fich nicht mit Worten beschreiben läßt, man muß ihn erlebt haben, um ihn sich vorstellen zu können. Die als kalt" verschrienen Eng­länder legten eine Begeisterungsfähigkeit an den Tag, wie sie größer auch bei den heißblütigen Romanen nicht angetroffen werden dürfte. Unter nicht endenwollendem Applaus entbot das Meeting den ausländischen Genossinnen herzlichsten Dank und Gruß.

Die Aktion der Adult Suffrage Society fand ihre Fortsetzung in der Maidemonstration im Hyde Park. Von einer eigenen Tribüne herab, um die sich sehr zahlreiche Zuhörerinnen und Zu hörer sammelten, wurde die Forderung des allgemeinen Wahlrechts aller Großjährigen von vielen Rednerinnen und Rednern begründet. Unter ihnen befanden sich die Genossinnen Montefiore, Kough, Boyce, Genosse Shaw und andere, ebenso die Genossinnen Kol lontay und Zetkin.

Die Ausführungen der Genossinnen und Genossen fanden großes Interesse und lebhafte Zustimmung. Gegen die Resolution, welche das allgemeine Wahlrecht forderte, wurden nur zwei Hände er­hoben. Die Sache des allgemeinen Wahlrechts marschiert! Das wird den Genossinnen aller Länder zur Genugtuung gereichen, die sich solidarisch mit dem Kampfe der englischen Schwestern und Brüder für volle politische Demokratie fühlen.

Der bürgerliche internationale Frauenstimmrechtskongres, zn London   hat vom 26. April bis 2. Mai unter reichlichem Ge­pränge und Festlichkeiten stattgefunden. Das wichtigste sachliche Ergebnis ist die offizielle, nicht wegzudeutelnde Bekundung, daß die erdrückende Mehrheit in dem Weltbund für Frauenstimmrecht" in Prinzip und Taktik nicht bloß konservativ, sondern ausgesprochen reaktionär ist. Sie liegt in zwei Tatsachen vor: In der Stellung­nahme des Kongresses zur Frage des allgemeinen Frauen­wahlrechts, wie sie in der Mundtotmachung der Delegierten der Adult Suffrage Society zum Ausdruck kam. In seinem Verhalten gegenüber den Suffragettes und ihrer Kampfestattit. Die Dele­gierten der Adult Suffrage Society zogen sofort die Konsequenz des Tatbestandes. Unter Protest verließen sie den Kongreß, an dem sie sich nur zu dem Zwecke beteiligt hatten, eine unbestreitbare flärende Entscheidung herbeizuführen. Wir werden in nächster Nummer auf den Kongreß ausführlich zurückkommen, nachdem die offiziellen Berichte darüber in der frauenrechtlerischen Presse vorliegen, was zurzeit noch nicht der Fall ist, wo diese Zeilen in Druckgehen müssen.

Die Einführung des Frauenstimmrechts hat fürzlich in Schweden   die gesetzgebenden Körperschaften beschäftigt. Der Ausschuß für Verfassungswesen des schwedischen Reichs­tags hatte über einen Antrag der Liberalen zu befinden, das aktive und passive Frauenwahlrecht einzuführen. Die Mehrheits stimmte dem Antrag zu und erklärte in der Begründung, daß der Ausschuß frühere Anträge zugunsten des Frauenwahlrechts abge= lehnt habe, um die Reform des Stimmrechts nicht zu verzögern. Acht Ausschußmitglieder, Abgeordnete der Ersten Kammer, erklärten sich gegen das Frauenwahlrecht, sechs von ihnen verlangten erst Untersuchungen über die voraussichtlichen Wirkungen der Neue­rung. Das Verhalten der acht oberen" Gesetzgeber ließ das weitere Schicksal bes liberalen Antrags ziemlich sicher voraussehen. Und es hat sich entsprechend erfüllt. Die Zweite Kammer des schwedi­schen Reichstags trat dem Antrag der Mehrheit des Verfassungs­ausschusses ohne Debatten und ohne formelle Abstimmung bei. Die Erste Kammer dagegen lehnte ihn ohne eine solche Abstimmung