272

Frauenbewegung.

"

Die Gleichheit

Ein rheinisch- westfälischer Frauentag" wurde am 24. und 25. April in Köln   abgehalten. Die zu einem Verband zusammen­geschlossenen bürgerlichen Frauenvereine Rheinlands und Westfalens hatten dazu ihre Delegierten entsendet. Rein äußerlich wurde in den zwei Tagen viel Arbeit geleistet. Außer dem Geschäftsbericht standen folgende Fragen zur Erörterung: Die Alfoholumfrage bei den Industriellen"," Die preußische Mädchenschulreform", Die Frau in der Schulverwaltung"," Die Frau als Volksschullehrerin"," Die Frau in der Wohnungsinspektion"," Die Frau in der Gewerbe­inspektion"," Die Frau und die Krankenkassenwahlen"," Politische Kurse für Frauen"," Die Frau in der Vormundschaft"," Die Frau als Gefängnisbeamtin"," Praktische Hilfsarbeit an Gefangenen", Die Frau als Polizeischwester"," Die Frau in der öffentlichen Waisenpflege"," Säuglingsfürsorge"," Die Frau in der öffentlichen Armenpflege", Die Frau in der städtischen Trinkerfürsorge", Die Frau in der Tuberkulosefürsorge" und" Die Frau als Bezirks­hebamme". Dazu kam ein öffentlicher Vortrag über Die Frau im politischen Leben", und verschiedene Begrüßungen und Festessen fehlten nicht. Man kann sich wohl vorstellen, in welcher Weise das reichhaltige Programm erledigt wurde: auf jeden Vortrag tam ungefähr eine Viertelstunde, die Diskussionsrednerinnen mußten fich gar mit fünf Minuten Redezeit begnügen, es sei denn, daß sie sich eines flingenden Titels erfreuten.

Bezeichnend für den Geist, der auf diesem Frauentag" herrschte, ist folgender Vorgang: Als Fräulein Dr. Baum ihren Vortrag über Die Frau in der Gewerbeinspektion" gehalten hatte, wollte eine Delegierte in der Diskussion über Arbeiterschutz sprechen. Die Vorsitzende schnitt ihr aber das Wort ab mit der Bemerkung, das gehöre nicht zum Thema, über Arbeiterschuh dürfe nicht geredet werden! Die Delegierte dankte darauf für diese Art Redefreiheit und für die fernere Teilnahme an Verhandlungen, die so geführt wurden. In der Tat wurde kein Problem ernsthaft erörtert. Das Ganze war viel mehr eine Schaustellung als eine arbeitssame und fruchtbringende Tagung, ein wahrer Damentag, nicht aber ein Frauentag!

Die Krönung der Veranstaltung sollte ein öffentlicher Vortrag von Helene Lange   über Die Frau im politischen Leben" bilden. Die Rednerin war wegen Krantheit nicht erschienen, aber sie hatte das Manuskript ihres Vortrages eingeschickt, das den Zuhörern vorgelesen wurde. Helene Lange   führt die Veränderung in der Stel­lung der Frau im öffentlichen Leben richtig auf die Umwälzungen zurück, die die wirtschaftliche Entwicklung gebracht hat. Der Staat solle die Rechtsform für die moderne Volkswirtschaft bilden, des­halb müsse er den Frauen das gleiche Staatsbürgerrecht gewähren wie den Männern. Das Ziel der Frauenbewegung müsse die Er­ringung der politischen Rechte sein. In der Diskussion versicherten einige nationalliberale Parteigrößen die Damen mit schönen Worten ihres Wohlwollens. Genosse Julian Borchardt  , welcher in dieser öffentlichen Versammlung anwesend war, wies demgegenüber dar­auf hin, daß die nationalliberale Partei bisher noch nichts für die Frauenbewegung getan habe, obgleich sie lange Zeit die parlamen­tarische Macht in Händen hatte. Die Frauen sollten deshalb nicht auf schöne Phrasen hören, sondern auf die Taten der Parteien achten. Die Sozialdemokratie trete grundsätzlich für die Rechte der Frauen ein, unbefümmert um den Dant oder Undank der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen.- Solche Tagungen wie die der rheinisch­westfälischen Damen haben für die Frauen und Mädchen der Ar­beiterklasse nur nebengeordnetes Interesse. Sie haben weit größere Aufgaben zu lösen. Die bürgerliche Frau tämpft gegen den bürger­lichen Mann; aber beide wollen die heutige Klassengesellschaft auf­recht erhalten. Die Arbeiterin fämpft dagegen mit dem Arbeiter gegen die heutige Klassenherrschaft, für die Menschwerdung des Proletariats. Männliche und weibliche Proletarier haben in gleicher Weise unter der kapitalistischen   Ausbeutung zu leiden; sie müssen sich deshalb in gemeinsamen Organisationen zusammenschließen, gemeinsam um eine bessere Gesellschaftsordnung ringen.

Verschiedenes.

e. p.

Ter ,, Makel der Vorehelichkeit". Der Jugendfürsorgever band der Berliner   Lehrerschaft, die Landesvereine preußischer Volks­schullehrerinnen usw. famen zum Reichstag mit einer Petition wegen Abänderung des Gesezes betreffend die Beurkundung des Personenstandes. Sie verlangen, daß auf den Formu laren der Standesämter zur Geburtsbeurtundung der Vermert über die voreheliche Geburt der durch die nachfolgende Ehe legitimierten

Nr. 17

Kinder wegfalle. Durch die bisherige Praxis müßten diese legiti mierten Kinder das ganze Leben lang an dem unverschuldeten Makel ihrer vorehelichen Geburt" leiden. Die elterliche Autorität, die nachhaltige Erziehung werde benachteiligt, die Familienharmonie zerstört und die moralische Widerstandsfähigkeit des Kindes ge­schwächt. Interessant in der Begründung ist auch der Passus, daß zahlreiche Inhaber solcher Geburtsurkunden aus Furcht vor der Öffentlichkeit und Gefährdung ihrer gesellschaftlichen, amtlichen oder wirtschaftlichen Stellung sich zum Zölibat verurteilen; daß solche Fälle auch nicht selten das Konkubinat begünstigen, dürfte taum angezweifelt werden können."

-

Die Begründung läßt erkennen, daß die Auffassung und das Interesse der besitzenden Klasse bei dieser Art Jugendfürsorge" in erster Reihe in Frage kommt. Das Vorurteil gegen vorehelich" und unehelich Geborene ist in Arbeiterkreisen kaum anzutreffen, mo nicht das Vermögen oder das in Aussicht stehende Erbe ge heiratet wird. Die aufgeklärten Proletarier beurteilen die Menschen­würde nach dem Charakter und den Leistungen des einzelnen und nicht nach den Umständen, unter denen der Gottähnliche" ins Leben trat, am allerwenigsten nach seinem ihm zustehenden Stammbaum oder Vermögen. Hören wir noch furz, was die Reichsregie rung auf die Petition antwortete. Schon seit einigen Jahren trafen die Bundesstaaten in voller Würdigung der mit der Auf­deckung der vorehelichen Geburt verbundenen Härten" Anordnungen zur Erteilung abgekürzter Bescheinigungen aus den Geburtsregistern der Standesämter, zum Beispiel für Schul- und Unterrichts. zwecke, mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde auch für andere Zwecke, nicht aber ohne weiteres für die Eheschließung. Im Gegensatz zu den Bittstellern ist die Reichsregierung der Auffassung, daß standesamtlich eine Täuschung des einen Verlobten über die voreheliche Geburt des anderen nicht erleichtert und bei nachträg­licher Aufdeckung des wahren Sachverhaltes das eheliche Ver hältnis zerrüttet" werden dürfe. Besonders aber forderten die Konsequenzen der Rechtssicherheit, daß über die bisherige Grenze der Erleichterung nur hinausgegangen werde, soweit die Verantwortlichkeit der Standesbeamten und die gesetzliche Beweis traft der Urkunden nicht berührt würden. Darüber seien bereits Erwägungen beim Bundesrat im Gange. Die Mehrheit der Petitionskommission überwies die Angelegenheit dem Reichskanzler als Material zu der dort lagernden Resolution der Freisinnigen. Es ist bezeichnend für die bürgerliche Gesellschaft, daß sie ihre " Jugendfürsorge" auch in dieser Hinsicht nicht auf alle unehelichen Kinder ausdehnt. Bei diesem Anlaß erinnern wir uns an einen Fall, der vor etwa zwei Jahrzehnten passierte. Das uneheliche Kind einer Theaterchoristin wurde eine Künstlerin ersten Ranges, eine Opernsängerin von Weltberühmtheit. Als sie den Zenith ihrer Laufbahn erreichte und auch mit irdischen Gütern gesegnet war, bewarben sich mehrere Stützen der besseren Gesellschaft um die Ehre, als Vater der unehelichen Diva anerkannt zu werden. Die Künstlerin pfiff auf ihre posthumen Väter und heiratete einen Kunst­freund, der ihre voreheliche Geburt nicht als Matel  " empfand. mg.

Berichtigung.

In einem Agitationsbericht aus dem Wahlkreis Hanau- Bocken­heim- Gelnhausen- Orb befindet sich ein Druckfehler. Es heißt in dem Bericht: Die Wahlkreisorganisation zählte am 1. April d. J. in 22 Orten rund 560 Frauen als Mitglieder." Das stimmt nicht, fie zählte 760 weibliche Mitglieder.

Zur Antwort. Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin betreffend sind so zahlreiche Korrespondenzen eingelaufen, daß wir sie auf diesem Wege beantworten müssen. Genossinnen und Ge­nossen wünschen den Preis der Selbstbiographie zu erfahren und wie es kommt, daß die außerordentlich wertvolle und für das weib­liche Proletariat bestimmte Schrift nicht in einem Parteiverlag er­schienen ist. Die Verfasserin hatte sich wegen der Herausgabe ihrer Arbeit zuerst an die Buchhandlung Vorwärts" gewendet. Diese aber lehnte den Verlag ab unter Gründen, die uns allerdings nicht ftichhaltig erscheinen. So kommt es, daß die Jugendgeschichte" in einem bürgerlichen Verlag erschienen ist. Jede Parteibuchhandlung oder Kolportagestelle kann das Büchlein jedoch leicht beschaffen. Es kostet ungebunden nur 1 Mt. Wir empfehlen den Genossinnen Die Redaktion. nochmals dringend, es sich anzuschaffen.

"

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Betfin( Bundel), Wilhelmshöhe, Poft Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttgart  .