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Die Gleichheit

rinnen die Kleinen durch Gesang und Deflamation. Am Schluffe bekam jedes Kind Apfel, Nüsse und Pfefferkuchen. Aus diesen Ausführungen fönnen die Genoffinnen ersehen, wie reich an Arbeit das letzte Jahr für die Dresdener Kinderschutzkommission war. Entschädigung für alle Mühe und Arbeit ist ihren Mitgliedern das Bewußtsein, vielen Kindern eine bessere Behandlung, beffere Lebensbedingungen und einige fröhliche Stunden verschafft zu haben. Auch im kommenden Jahre soll unser Losungswort sein: Mehr Schutz den Kindern". Im Auftrag der Kinderschutzkommission: Hedwig Kunze.

Politische Rundschau.or

Die Unersättlichkeit der Junker, die im Bunde mit dem Zentrum in der Rumpfkommission des Reichstags die Lasten der soge nannten Reichsfinanzreform fast völlig von sich abzuwälzen suchen, hat wahrhaftig die Handels- und Industrieherren in Harnisch gebracht. Am 12. Juni haben sie im Zirkus Schumann zu Berlin eine imposante Protestversammlung abgehalten. Sie war vom Zentralverband der Industriellen- der berüchtigten Organisation der einflußreichen Scharfmacher der schweren Industrie und vom Zentralverband des deutschen Bank und Bankiergewerbes einberufen und von einer stattlichen Anzahl von Unternehmers organisationen aller Art, Industrieverbänden, Berufsgenossen­schaften, Börsenvorständen, Handels- und Matlerkammern usw. beschickt. Auch Detaillisten und Gewerbekammern, Innungsver bände und die Deutsche Mittelstandsvereinigung waren vertreten, sowie ein paar Vereine kaufmännischer Angestellter, die noch vom Harmoniedusel befangen sind. Das Bureau wies die bedeutendsten und schwersten" Männer der deutschen Unternehmerschaft auf: Ballin, Borsig, Kirdorf , Stinnes, Hilger, v. Mendelssohn, Kämpf usw. Heftige Reden wurden gehalten gegen das Steuerwerk der ton­servativ- flerifalen Koalition, das heißt gegen die aus der Rumpf­kommission hervorgegangenen neuen Steuervorschläge, nicht etwa gegen die von der Regierung präsentierten indirekten Steuern auf den Massenverbrauch. Bei der Verteidigung ihres Portemonnaies fanden die Herren die Einigkeit, zu der sie sonst wegen der mannig­fach auseinandergehenden Interessen der verschiedenen Gruppen nicht kommen fonnten. Gegen die Agrarier, speziell gegen den Bund der Landwirte, führten die Herren auch eine Sprache, die an Entschiedenheit nichts zu wünschen übrig ließ. Besonders der Vorsitzende und erste Redner, der Vorsitzende des Zentralverbandes des deutschen Bant- und Bankiergewerbes, Geheimrat Dr. Rießer, zog rücksichtslos vom Leder. Er proklamierte den Kampf gegen die Vorherrschaft der Agrarier überhaupt und zeigte sehr treffend, daß sie nur durch eine Reform des preußischen Wahlrechtes ge­brochen werden könne.

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Donnernder Beifall begleitete die Reden, und unter großer Begeisterung wurde eine geharnischte Protestresolution von den 6000 Versammelten so viel zählt die liberale Presse- ein­stimmig angenommen und der Hansabund für Gewerbe, Handel und Industrie" gegründet. Als Massenorganisation des Bürger­tums" soll er dem Bund der Landwirte entgegentreten. Der Name des Bundes soll ein Programm ausdrücken; er soll er­innern an die stolzen Zeiten des mittelalterlichen Städtebundes, der die nordischen Meere beherrschte und troßig mit Junkern und Königen stritt. Er sagt aber mehr, als die Gründer der neuen Organisation meinen. Die alte Hansa war die Organisation der über Kleinbürger und Bauern herrschenden Handelsaristokratie. Die neue Hansa ist die Organisation der modernen Finanz, Handels­und Industriebarone, die nicht nur die Junker beiseite drängen, fondern auch das Proletariat und das Kleinbürgertum ausbeuten und niederhalten wollen. Offiziell heißt es natürlich, daß Volts. und Staatswohlfahrt" das Ziel des Hansabundes ist, und wenn dieses Aushängeschild die Proletarier verleiten würde, die Kraft ihrer Masse den Herren Unternehmern zu leihen, so wäre es denen sicherlich sehr angenehm. Indes sind die Herren, die der Vers sammlung das Gepräge gaben, der deutschen Arbeiterklasse viel zu gut bekannt, als daß ein solcher Versuch Aussicht auf Erfolg haben könnte. Biel zu deutlich redet die Tatsache, daß der Hansabund mit der Belastung der arbeitenden Massen durch 350 Millionen neuer Verbrauchssteuern durchaus einverstanden ist und sich empört wehren würde, wäre der Ersatz dieser Steuern durch direkte, durch Besitzsteuern zu besorgen.

Selbst dem Blindesten müßte übrigens der heftige Ausfall des Rohlengewaltigen Kirdorf gegen die Arbeiterschußgefehgebung die Augen öffnen. Es ist in der Versammlung zwar Widerspruch gegen Kirdorfs Ausführungen laut geworden. Indes die Frage bleibt offen, welche es unter den Tausenden waren, die diesen Widerspruch erhoben, und welchen Einfluß fie auf den Kurs des Bundes haben

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werden. Kirdorf war es auch, der es in dem Machtbewußtsein des einflußreichen Industriemagnaten nicht über sich gewinnen konnte, feine abweichende Meinung über die Erbschaftssteuer zu unterdrücken. Ein Anzeichen davon, daß im Schoß des neuge backenen Bundes erhebliche Interessenkonflikte schlummern, die seine Festigkeit und Schlagfertigkeit vielleicht gar bald auf harte Proben stellen können. Ob mit dem Hansabund als feststehendem Faktor fünftig in der inneren Politik des Reiches zu rechnen ist, muß sich also erst noch ausweisen. Hält er und entwickelt er sich nach den Wünschen seiner Gründer, so bedeutet das für die bürgerlichen Parteien ein Bersehungsferment mehr; eine Vermehrung und Vers deutlichung ihrer Abhängigkeit von wirtschaftlichen Interessengruppen. Das eigentliche Wesen der bürgerlichen Parteien als Vertretungen be­stimmter Kapitalistengruppen wird dann weit schärfer noch als biss her sichtbar werden. Das ist eine Entwicklung, die die Sozialdemo fratie nicht zu bedauern hätte. Je klarer das Wesen der Parteien zutage tritt, um so mehr Aussicht ist für sie, für sich die großen Scharen Proletarier und verwandter Schichten zu gewinnen, die heute noch bürgerlichen Parteien folgen. Allerdings darf das Proletariat die neue mächtige Organisation der tapitalistischen Unternehmerschaft als Feind nicht unterschätzen. Der Kampf ist jedoch sein Element, in dem es erstarkt und reift.

Die Empörung der Träger des beweglichen Kapitals gegen das Attentat der Junker und des Zentrums auf ihren Geldbeutel hat die Reichsregierung übrigens schon vor der Versammlung im Zirkus Schumann zu spüren bekommen. Die einflußreichen Herren der großen Finanz und der Industrie haben ihre Beziehungen zu Regierungsstellen und zum Hofe ausgenüßt. Der von Ballin informierte Kaiser soll den Junfern grollen. Und da auch die füd­deutschen Bundesregierungen an der Erbschaftssteuer festhalten, so ist dem Reichskanzler das Rückgrat gegen seine geliebten Agrarier ein wenig gesteift worden. Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung" hat einige halbwegs energische Wendungen gegen das Werk der Rumpftommission aufgebracht. Bezeichnenderweise spricht sie sich aber gleichzeitig für eine stärkere Belastung von Branntwein und Tabat aus, als sie die Kommission vorgeschlagen hat. Nicht minder bedeutsam ist es, daß sie lediglich Abgaben für unannehmbar erklärt, welche der Börse und Großindustrie zuwider sind: nämlich die Wertpapiersteuer, die Mühlenumsatzsteuer und den Kohlenausfuhrzoll. Gegen Kaffee und Teezoll und die Streich­holzsteuer verlautet tein Sterbenswörtchen. Am Vorabend des Wiederzusammentritts des Reichstags will die Regierung neue Steuerprojekte bekannt geben, die auf einer Zusammentunft der Finanzminister der Einzelstaaten ausgearbeitet worden sind. Neben einer sehr milden Erbschaftssteuer, die den Großgrundbesitz fast ganz frei lassen würde, soll sich darunter auch eine entschieden zu verurteilende Steuer auf Feuerversicherungspolicen befinden. H.B. BITS

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Gewerkschaftliche Rundschau.

Außer kräftigen Frontangriffen gegen die Sozialpolitik, welche dem Proletariat wahrlich wenig genug gibt, versuchen die Scharf, macher auch Flankenangriffe, überfälle und Buschtleppereien gegen die Arbeiterklasse selbst, um ihr die Errungenschaften wieder ab­aujagen, die sie in zähem, opferreichen Ringen dant ihrer Organi fationen erobert hat. Neuerdings hat im scharfmacherischen Lager jemand gegen die Tarifverträge vom Leder gezogen. Ein großer Teil der politischen Parteien und theoretischen Sozialpolitiker, so wurde behauptet, sei von der Jdee der Tarifverträge hypnoti fiert und wirke für ihre Ausbreitung in allen Gewerbezweigen. Die Befürworter der Neuerung bedächten jedoch nicht, daß Tarif verträge nur auf Kosten der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Ins dustrie auf dem Weltmarkt und zum Schaden der Konsumenten und Steuerzahler abgeschlossen werden fönnten. Wer die Machtgelüfte der Gewerkschaftsangestellten kenne, der wisse, daß sie danach strebten, den inneren Geschäftsbetrieb der Unternehmungen ent= scheidend zu beeinflussen. Von den Zugeständnissen weiterer Ber­günstigungen für das Arbeitspersonal werde wie von etwas Selbst­verständlichem geredet und so fort. Das Gerede soll dem Publikum Sand in die Augen streuen, um die Tatsache zu verdunkeln, baẞ die Herren Scharfmacher lediglich gegen die Tarifverträge hetzen, damit das tapitalistische Unternehmertum fich ungehindert die Taschen auf Kosten der ausgebeuteten Lohnarbeiterschaft füllen kann. Ganz besonders soll auch den staatlichen und städtischen Behörden da­vor graulich gemacht werden, ihre Arbeiten nur an tariftreue Firmen zu vergeben. Der Vorstoß des kapitalistischen Klopffechters dürfte jedoch erfolglos bleiben. An die Gemeingefährlichkeit der Tarifverträge glaubt heute tein halbwegs vernünftiger Mensch mehr