Nr. 19

Die Gleichheit

jüngst stattgefundenen sechsten bayerischen Frauentag zu München . Frau Jellinek hatte in Heidelberg ein Kellnerinnenheim errichtet, nachdem schon vorher in Stuttgart durch die Initiative der Großhändlersgattin und bürgerlichen Philanthropin Frau Ottilie Duvernoy eine solche Anstalt ins Leben gerufen worden war. Diese Kellnerinnenheime haben Fiasto gemacht. Während Frau Duvernoy ( sie ist Herausgeberin der Zeitschrift Die deutsche Kellnerin") trotz diefes Mißerfolgs noch eine Hebung des Kellnerinnenstandes für möglich hält, ist Frau Jellinek pessimistisch geworden und erwartet das Heil, wie schon oben gesagt, nur in der Beseitigung des Kellnerinnenberufes.

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Die Heidelberger bürgerliche Frauenrechtlerin geht von der An ficht aus, daß die Kellnerinnen samt und sonders der Prostitution verfallen, daß sie die Verführerinnen der Studenten und vieler braver Ehemänner sind, und daß sie auf diese Weise dazu tun, das deutsche Familienleben zu zerstören. Frau Jellinek hat ohne Zweifel dazu beigetragen, daß die große Offentlichkeit, daß ganz besonders die bürgerlichen Kreise, neuerlich auf das Kellnerinnenelend hingewiesen worden sind. Wir fagen neuerlich, weil lange vor den Damen Jellinek und Duvernoy Vorfämpfer der zielbewußten Arbeiterklasse, vor allem Genossinnen in Berlin , so Genossin Ihrer und andere und die gewerkschaftlich organisierten Gastwirtsgehilfen der Frage des Kellnerinnenelends ihre Aufmerksamkeit zugewendet haben; weil auch seit langem schon ernste bürgerliche Sozialreformer ihr näher­getreten sind. Es sei an die weit zurückreichenden Versuche zur gewerkschaftlichen Organisierung der Kellnerinnen in Berlin erinnert, an die spätere planmäßige Arbeit dazu durch den Verband der Gastwirtsgehilfen, die besonders von München ausging und dank der rührigen Tätigkeit der Genoffin Niedermeŋer nicht erfolglos blieb. Auch die Broschüre Karl Schneidts über das Kellnerinnens elend verdient nicht vergessen zu werden, sowie die Tagung bürger licher Sozialreformer zu München , die sich eingehend mit der Ma­terie befaßte. Um auf Frau Jellinek zurückzukommen: die Schluß­folgerungen, die sie aus ihren Erfahrungen und Untersuchungen zieht, sind sehr anfechtbar. Es geht ihr wie so vielen bürgerlichen Frauen, die nach kurzer Beschäftigung mit einer ernsten Frage zu einer recht einseitigen Auffassung davon kommen und nicht lernen, sie in allen ihren Zusammenhängen zu begreifen.

Gegen die Auffassung von Frau Jellinek haben am 2. Juni die Münchener Kellnerinnen energisch protestiert. Insbesondere wehrten sie sich gegen die Behauptung, daß die große Masse der Kellnerinnen samt und sonders der Prostitution verfallen sei. Die etwa 250 bis 300 Nürnberger Kellnerinnen scheinen für die Frage weniger Interesse zu haben, als ihre Kolleginnen in München . Am 9. Juni fand im Historischen Hof" eine öffentliche Kellnerinnenversammlung statt, in der, wie in München , Genossin Grünberg, referierte und in der ebenfalls gegen die Bestrebungen der Frau Jellinek prote stiert werden sollte. Die Versammlung war nur mäßig besucht.

Genoffin Grünberg wandte sich zunächst gegen die Auffassung, daß alle Kellnerinnen Prostituierte seien. Protistuierte gebe es auch im Handelsgewerbe und unter den Fabritarbeiterinnen. Die Not zwinge auch viele von ihnen, zeitweilig im Laster das Brot zu suchen oder ständig einen Nebenerwerb. Der Beruf müsse dann lediglich als Deckmantel des Dirnengewerbes dienen. Nicht ange borene Lasterhaftigkeit sei die Ursache davon, sondern die kapita­listische Ausbeutung der proletarischen, besonders aber der weib­lichen Arbeitskraft und ihre Begleiterscheinungen: Hungerlöhne, Wohnungselend, sittliche Verwahrlosung von Kind auf usw. Die Anklage, die Kellnerinnen verführten die guten bürgerlichen Ehes männer, beweise nur die Verrottung der bürgerlichen Gesellschaft; vielfach sei die Ehe der Besitzenden nichts anderes als eine Prosti tution. Mehr angebracht als die Entrüstung über die moralischen Dualitäten der Kellnerinnen sei das Vorgehen gegen Wirte, Café tiers und Hoteliers, welche Kellnerinnen schamlos ausbeuten und mittelbar oder brutal unmittelbar auf die Prostitution verweisen. Ein großer Teil dieser Leute lasse sich von den Kellnerinnen förm lich ernähren. Vielfach bekommen diese nicht nur keinen Lohn, sondern sie müssen den Hoteliers und Cafétiers noch bezahlen. Es muß Bruchgeld entrichtet werden für Geschirr, das nicht etwa durch die Kellnerin, sondern durch andere Leute zerbrochen wurde. Zeis tungen, Streichhölzer und Zahnstocher muß häufig die Kellnerin beschaffen, oft muß diese auch noch Spülmädchen und Wasser mädchen bezahlen. Die Zechpreller seien in besseren" Gasthäusern häufiger als man denkt. Das Risiko in dieser Richtung trägt aber nicht der Wirt, sondern die Kellnerin. Auf Geheiß vieler Wirte muß sie dem Stammgaft Kredit gewähren; wird nicht bezahlt, so trägt sie den Schaden. Kassiererinnen erhalten einen Monatslohn von 50 bis 60 wt., davon müssen sie ihre hochelegante Kleidung bestreiten. Aber nicht nur die Wirte beuten die Kellnerinnen scham

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Ios aus, sondern auch die Stellenvermittler. Diese stecken oft unter einer Decke mit jenen. 5, 10 bis 15 Mt. haben Kellnerinnen für Vermittlung einer Stellung zu bezahlen. Dabei müssen fie ristieren, daß der Wirt schon am ersten Tag einen Streit provoziert und sie entläßt. Das Geld an den Stellenvermittler wurde umsonst ge­zahlt, und dieser legt wieder ein anderes Mädchen herein. Es gibt auch Stellenvermittler, die sich von Kellnerinnen ihre Zeche bezahlen lassen. Die Unfitte der Trinkgelder zwingt die Kellnerin, vor den Gästen recht demütig zu sein und sich gefällig zu erweisen. Die überlange Arbeitszeit, der Aufenthalt in rauchgeschwängerter Luft, die mit Alkoholdünsten erfüllt ist, reibt die Gesundheit der Kell nerin frühzeitig auf. Genoffin Grünberg wies das überzeugend nach und begründete dann die Forderungen, welche im Interesse der Kellnerinnen vertreten werden müssen. Sie sind aus der nach­stehenden Resolution zu ersehen, welche die Zustimmung der Ver­fammelten fand:

Die am 9. Juni tagende öffentliche Kellnerinnenversammlung erklärt, daß die von Frau Jellinek aus Heidelberg aufgestellten Forderungen auf gänzliche Beseitigung des Kellnerinnenberufes hinfällig sind. Die Versammelten sind überzeugt, daß die Miß­stände im Kellnerinnenberuf nur durch eine starke Organisation beseitigt werden können, und verpflichten sich, mit dem Verband Deutscher Gastwirtsgehilfen für nachstehende Forderungen einzu treten:

1. Abschaffung der Trinkgelderentlohnung, dafür Einführung eines Minimallohnes von 4 Mt. ohne Beköstigung, 3 Mt. mit Be­töftigung im Tag.

2. Die Arbeitszeit soll mit den entsprechenden Zwischenpausen nicht länger als 15 Stunden pro Tag betragen.

3. Nach jedem 15ftündigen Arbeitstag muß eine ununterbrochene Ruhepause von 9 Stunden eintreten.

4. Jede Woche muß ein Feiertag gewährt werden.

5. Abschaffung jeder Stellenvermittlung gegen Entlohnung, da für die Errichtung eigener Stellennachweise durch die Organisation oder Angliederung entsprechender Abteilungen an städtische pari­tätische Arbeitsnachweise."

In der Diskussion wurde von einigen Kellnerinnen hervor­gehoben, daß in Nürnberg viele Wirte Kellnerinnen nicht beschäf tigen, die der Organisation angehören. Es ist zu erwarten, daß die Nürnberger Kellnerinnen den ihnen von bürgerlicher Seite ge­machten Vorwurf damit beantworten, daß sie sich dem Verband der Gastwirtsgehilfen anschließen, um mittelst seiner für die Hebung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage zu kämpfen. +

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Frauenbewegung.

Die elfte Generalversammlung des Vereins Frauenbildung Frauenstudium fand Ende Mai in Bonn statt. Die Organis sation dient vor allem dem Kampf der bürgerlichen Frauen um höhere Bildung als Vorbedingung für höhere Berufstätigkeit. Sie hat in dieser Beziehung manch Anerkennenswertes geleistet. Auch die letzte Generalversammlung verhandelte über zwei Fragen, welche prinzipiell im Interesse der Gleichberechtigung des weiblichen Ges schlechts liegen, solange aber die kapitalistische Klassengesellschaft besteht, praktisch nur für die besigende Frauenwelt von Bedeutung sind. Sie sprach sich für eine durchgreifende Reform des höheren Mädchenschulwesens in Preußen aus, des weiteren für die Zulassung der seminaristisch gebildeten Lehrerinnen zum Studium und zum Oberlehrerinnenegamen.

Recht intereffante Streiflichter auf die Gesellschaftsschichten, die sich die besseren" dünfen, warf der Bericht über die Koloniale Frauenschule, welche der Verein in Witzenhausen bei Kassel unterhält. Der Vater dieses Unternehmens ist der Imperialismus, der kapitalistische Weltmachtskoller, der die besitzenden und aus­beutenden Klaffen in Deutschland ergriffen hat. Seine Mutter ist die mit der kapitalistischen Entwicklung steigende Schwierigkeit für bürgerliche Mädchen, rechtzeitig durch die Ehe eine standesgemäße" Versorgung zu erhalten. Natürlich ist das Kind reichlich mit patrio­tisch- idealistischem Tauswasser besprengt worden. Die Schule foll dem Zweck dienen, deutsche Frauen mit den Kenntnissen und Fähigkeiten auszurüsten, daß sie als Bahnbrecherinnen und Träge­rinnen vaterländischer Kultur nach Afrika und sonstwohin ziehen fönnen, wo die Leist, Peters usw. durch Prügeln und Hängen den Boden dafür vorbereiten. Aber alles Taufwasser ist außerstande gewesen, die Züge der Elternschaft abzuwaschen. Und so mußte die Berichterstatterin, Frau von Loën- Weimar, mit Betrübnis gestehen, daß die Schule meist als bequemes Heiratsbureau betrachtet werde