330 Die Gleichheit Nr. 21 öffnen würde, durch welches das Proletariat schreiten könnte. Courage hat er nur, wenn er mit der Rechten gegen die Sozialdemokratie, das heißt gegen die Arbeiterklaffe vorgehen kann. So ist er denn auch jetzt bei den NeichitagSverhandlungen stets der Sozialdemokratie in den Rücken gefallen, wenn sie versuchte, dem Schnapsblock bei seinem Raubritt Hinderniff» in den Weg zu legen. Würde der Liberalismus der Sozialdemokratie in solchem Kampfe zur Seit» marschieren, so hätte sich wohl eine Verzögerung der Verhandlunge» erzielen lassen, daß Regierung und Schnapsblock das unheilvoll» Werk vorläufig aufgeben müßten und der Reichstag aufzulösen wäre. Aber danach verlangt es offenbar den Liberalismus gar nicht, trotz aller großen Worte, womit er die Auflösung fordert. Und so wird denn voraussichtlich in wenigen Tagen, mit Hilfe von Schlußanträgen und Nachtsitzungen, die Junkerschaft den Volks« plünderungszug vollenden können. Ganz besonders niederträchtig ist die Rolle, die dabei das Zentrum spielt. Unbedenklich opfert eS die armen Tabakarbeiter, die Brennerei- und Zündhölzchenarbeiter und«arbeiterinnen, um zur Macht zu gelangen und wieder Regierungspartei zu werden, damit die Sprößling» des Zentrumsadels und der Zentrum?« bourgeoisie als Beamte gute Karriere machen können. Die Tabak- steuererhöhung wurde von der Zentrumsfraktion fast geschloffen angenommen. Nur zehn Mitglieder von der 106 Mann starken Fraktion stimmten dagegen und acht enthielten sich der Stimme. Unter diesen IS ist bezeichnenderweise nicht derchristliche Ar- beitervertreter" Giesberts. Er stimmte für die Aushungerung der Tabakarbeiter, er zeigte mehrMut" als seine Kollegen in der christlichen Arbeitervertretung", die mit Nein stimmten. Für dies» mutige Tat" wird Herr GiesbertS von der Zentrumspreffe laut gepriesen. Er habe, so verkünden dieKölnische Volkszeitung' und dieGermania", als echter Volksvertreter gehandelt, indem er die Interessen der Gesamtheit denen einer einzelnen Klaffe voran- stellte! Besonders wird hervorgehoben, daß Herr Giesberts eine Unterstützung für die Tabakarbeiter durchgesetzt hat, die durch die Steuergesetzgebung des Zentrums arbeitslos, die um ihre Existenz gebracht werden, damit die reichen Erben nicht zu zahlen brauchen. In der Tat tat er da?, aber die Unterstützung sieht auch danach aus! Alles Nähere über ihre Ausfolgung ist den Regierungen der Einzelstaaten überlaffen worden, und die Höhe der Unterstützung soll ganze drei Viertel des entgangenen Jahresverdienstes betragen. Da die Löhne der Mehrheit der Tabakarbeiter sehr niedrig stehen, da mancher arme Heimarbeiter kaum sechshundert Mark im Jahr verdient, so bedeutet diese Unterstützung einen jämmerlichen Bettel- Pfennig, der zum Sterben zuviel und zum Leben zuwenig ist. Die Sozialdemokratie hatte einen Antrag eingebracht, der den arbeits- los werdenden Tabakarbeitern eine Entschädigung sicherte, die je nach der Zeit, die der Betreffende schon sein Gewerbe ausübte, einen Mindestbetrag von 500 bis 2500 Mark betragen sollte. Aber daS war den Herren Junkern und denen vom Zentrum natürlich viel zu viel. Tags darauf konnten sie dafür um so splendider sein: da bewilligten sie im Handumdrehen 40 bis 50 Millionen jährlich« Liebesgabe für die edlen Schnapsbrenner. Nur ganz vereinzelte Freisinnige stimmten mit für den sozialdemokratischen Antrag, von ihnen abgesehen wurde er von allen bürgerlichen Parteien abge- lehnt. Und alle bürgerlichen Parteien stimmten auch dagegen, als die Sozialdemokratie später beantragte, den infolge der neuen Steuern arbeitslos werdenden Brennerei- und Zündholzarbeitern wenigstens dasselbe zu gewähren, was für die Tabakarbeiter be- schloffen worden war. Der Zentrumsmann Erzberger hatte sogar die Stirn, zu erklären, daß den mit Phosphor arbeitenden Zündholzarbeitern durch die Einschränkung der Produktion ein Dienst erwiesen werde. Das ist der frechste Hohn, der sich denken läßt, denn natürlich arbeiten die Proletarier in diesen gesundheits- gefährlichen Betrieben nicht zum Vergnügen, sondern weil die Not sie dazu zwingt. Gerade in der Zündholzindustrie ist im Gefolge der Steuer größere Arbeitslosigkeit zu befürchten, da die Zünd- Hölzer erheblich verteuert werden, so daß der Verbrauch an ihnen merklich zurückgehen dürfte. Natürlich hat der Schnapsblock, während er so die Steuer- ausplünderung des Volles betreibt, nicht die geringste Lust, die hohen Profite der Großgrundbesitzer durch eine wenigstens zeit- wellige Aushebung der Getreidezölle oder wenigstens der Einsuhr- scheine zu gefährden. Mag der Getreidepreis noch so hoch steigen und das Brot noch so klein werden, die Not der Massen erhöht den Gewinn der agrarischen Schnapphähne. Die Jnterpella« tion der Soziald emo kratie, die auf die gewaltige Getreide- teuerung hinwies und die Öffnung der Grenzen forderte, stieß auf schärfste Ablehnung bei der Regierung, den Parteien des Schnapsblocks und auch bei den Nationalliberalen. Nur der Frei« sinn trat für die Forderung ein, doch zeigte er dabei auch keine besondere Schneid. Und dabei will der Liberalismus der Welt weiSmachen, daß er jetzt, da er nicht etwa das Blockjoch abgeworfen hat, sondern aus dem Block hinausgeworfen worden ist, wahrhaft liberale Politik machen und dem Junkertum energisch zu Leibe gehen werde! Am 8. und 4. Juli tagten nicht weniger als drei liberal« Partei- tage, der der Nationalliberalen, der Freisinnigen Vereinigung und der Freisinnigen Volkspartei . Alle drei verkündeten diese Mär der Öffentlichkeit und wollten ihr klarmachen, welche Verdienste doch der Liberalismus sich um das deutsche Volk erwerbe, indem er die Finanzreform des Schnapsblocks ablehne. Dabei hätte wenig gefehlt, und der Liberalismus würde im Bunde mit den Junkern dem Volke vierhundert Millionen neuer Verbrauchssteuern beschert haben. Daß diese Bescherung nun ohne ihn zustande kommt, ist wahrhaftig alles eher als ein Beweis seiner Tugend. Diese eine Tatsache wiegt schwerer als alle die schönen Reden der Baffermann und Naumann, die auf diesen Tagungen so taten, als wäre die schmähliche Blockära gar nicht gewesen. Das Versagen des Libe- ralismus vor der Aufgabe, den Schnapsblock an der Vollendung der Steuerplünderung zu hindern und die Reichstagsauflösung zu erzwingen, zeigt auf� neue, daß auf dem faulen Holze des Libera- lismus kein grüner Zweig mehr wächst. Auch der neugegründete Bauernbund wird ihm nicht auf die Bein« helfen. Er stellt sich zwar zum Bund der Landwirt« in Opposition und will gegen diese Vertretung des Großgrundbesitzes die Interessen des Klein- besitzes wahrnehmen, trägt aber durchaus reaktionäre Züge und ist der Ansicht, daß an den Schutzzöllen nicht gerüttelt werden darf. Freikonservative und nationalliberale Abgeordnete sind seine Ge- vattern und Leiter. Der Schnapsblock hat sich auch als Antibeamtenblock etabliert. Die Vorlage der Reichsregierung über die Aufbesserung der Reichsbeamten war von der Kommission des Reichstags in der ersten Lesung wesentlich verbessert worden. Jetzt hat die schnapsblöckliche Mehrheit der Kommission auf das Unannehmbar der Regierung die Verbesserungsbeschlüsse wieder umgestoßen. Der Schuapsblock kämpft wohl gegen ein Regierungs-Unannehmbar, wenn es den Interessen der reichen Erben gilt, nicht aber, wenn es sich um die der Beamten dreht, zumal um die der Unter- b e a m t e n, die, wie immer, auch diesmal die Zeche zahlen sollen. Zugleich hat die Kommission die Erhöhung der Soldaten- löhnung bis auf das Jahr 1910 verschoben, was wahrscheinlich auf Sankt Nimmerlein heißt. Die Söhne des Volkes im bunten Rock können warten. H.B. Gewerkschaftliche Rundschau« Den bürgerlichen Schmocks wie den Führern der gegnerischen Gewerkschaften ist dieser Tage die Petersilie ihrer niedrigen Schaden- freude über denRückgang der sozialdemokratischen Gewerkschaften" gründlich verhagell worden. Die Christlichen rückten nämlich mit ihrer Jahresabrechnung heraus. Nachdem sie sich lange wie die Ziege am Strick gesperrt hatten, mußten sie nun bekannt geben, daß daS Krisenjahr 190S ihnen«inen Verlust von 23 882 Mit­gliedern gebracht hat. Im Verhältnis zum Mitgliederstand haben die Christlichen 9 Prozent, unser« freien Gewerkschaften dagegen nur 4 Prozent ihrer Organisierten eingebüßt. Dabei ist noch zu beachten, daß dem Mitgliederbestand der Christlichen einige größere Verbände zugezählt worden sind, die sich erst im Berichtsjahr dem Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften angeschlossen haben. Die H i r s ch- D u n ck e r s ch e n sind vorsichtiger. Sie veröffentlichen ihre Mitgliederzahlen überhaupt nicht, sondern nur eineneuge- ordnete" Abrechnung, aus der sich jeder selbst seinen Vers über ihren Mitgliederstand und ihreStärke" machen kann. Tatsache ist, daß die Zeit langsam, aber sicher mit diesen zwieschlächligen Organisationsgebilden aufräumt, und daß gerade die Periode der gegenwärtigen großen Krise ihnen mächtig zusetzt. An Stelle des Zimbel- und Posaunenjubels über denKrebsgang der freien Ge- werkschaften" ist nun im Lager der gewerkschaftlichen Musterknaben, die brav an der Ewigkeit der Lohnarbeit, das heißt der kapita- listischen Ausbeutung der Arbeitenden festhalten, eitel Trübsalblasen getreten. Recht mageren Trost nur gewährt die Versicherung oder richtiger der offenbare Schwindel, daßdie christlichen Gewerk- schasten die wirtschaftlichen Schwierigkeiten de? Jahres 1908 ver- hältnismäßig gut überstanden haben". Wie dasverhältnismäßig" gemeint sein soll, müßten die Trostspender erklären. In Wirklich- keit hat sich erwiesen, daß von allen Arbeiterorganisationen die freie» Gewerkschaften am besten die Wirtschaftskrise überstanden haben. Das festgefügte Bollwerk ihrer Organisation vermag am