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Die Gleichheit
Artikel über uns ausgeschüttet worden ist. Trotz des Spottes bleiben wir auf unserer Forderung bestehen, und wer uns braucht, mag persönlich mit uns die Sache besprechen. Was den angegebenen Speisezettel betrifft, so mögen die sämtlichen Hausfrauen" sich darüber beruhigen, denn wir fordern so etwas nicht, wir begnügen uns gern mit weniger, wenn es nur ordentlich und hinreichend ist, was aber noch lange nicht immer der Fall ist. Auf die Schokolade verzichten wir gern, deren bekommen wir von morgens bis abends in Hülle und Fülle; auch Fischspeisen bekommen wir, aber nur in Gestalt von Bücklingen und Häringen; Desserts und schwarzen Raffee überlassen wir gern den Feinschmeckern. Auch von Flüssigem war im Artikel die Rede. Davon haben wir mehr als genug, und zwar in der Wilt und im Waschtrog. Die Hausfrauen wollen, wenn sie wieder zur Welt kämen, alle Waschfrauen werden. Oho! Die würden dann noch mehr als das spöttisch angegebene Menü verlangen und noch viel höheren Lohn. Und wenn sie das alles erhielten, so würden sie es trotzdem ganz sicher bei einer einzigen Wäsche bewenden lassen, an die zweite gingen sie nicht mehr heran. Es ist wirklich keine Kleinigkeit, bei Regen, Sturm, Wind und Rälte 15 bis 18 Stunden waschend am Wasser zu verbringen. Darum, alles was recht ist, leben und leben lassen. Die sämtlichen Waschfrauen von Wilh."
Die Antwort ist ebenso flar als treffend. Die Hausfrauen von Wiltz haben es übrigens gar nicht nötig, noch einmal geboren zu werden, um des Glückes teilhaftig zu werden, als Waschfrauen sich im Dienste von albernen und hochnäßigen Gänsen täglich 15 bis 18 Stunden bei fargem Lohne und schmaler Kost abzurackern. Sie können das ja sofort probieren. Wir meinen aber, daß sie nicht bloß zu schwach und ungeschickt, sondern auch zu faul und dumm dazu wären, um sich als Waschfrauen ehrlich durchs Leben zu schlagen. Der Vorgang erweist sinnenfällig, wie bitter not auch den häuslichen Lohnstlavinnen jeder Art die Organisation tut.
Das Telephon gegen die Dienenden. Statt des Dienstbuchs wird in Stuttgart das Telephon dazu benußt, den Hausangestellten ihr Fortkommen zu erschweren. Ein Beispiel dafür teilt uns eine Genossin mit. Bei einer Herrschaft in Stuttgart stellte sich ein Mädchen vor. Kaum hatte es die Türe wieder hinter sich ge schlossen, so ging die Dame ans Telephon und Klingelte bei einer Dienstherrschaft an, die ihr von dem Mädchen genannt worden war. Auf das genaueste erkundigte sie sich über dieses und erhielt " gewissenhaft" Antwort auf ihre Fragen, ob das Mädchen hißig sei, die Kinder schlage usw. Die Dame erfuhr auch, daß das Mädchen ein Kind habe, und erhielt Nachricht über seine persön lichsten Angelegenheiten. Eine in der Familie beschäftigte Näherin hielt ihr vor, daß ein Mädchen durch derartige Anfragen und Ausfünfte an der Fürsorge für sein Kind und in seinem eigenen Weitertommen gehindert werde. Darauf gebrauchte die bessere" Frau Ausreden und verließ das Zimmer. Es kommt den Herrschaften, von denen manche ihren Dienstboten lieber Steine statt Brot geben möchten, nicht darauf an, für eine solche Erkundigung ein telephonisches Gespräch nach weit entfernten Orten zu bezahlen. Kurz, das Telephon ermöglicht es den Herrschaften, in der bequemsten Weise Dienende herunterzureißen, zu brandmarken und zu schädigen. Es ist in seiner Wirkung noch tückischer als das Dienstbuch. Gegen dessen Mißbrauch kann sich die Hausangestellte wehren, gegen ge hässige telephonische Auskünfte nicht, sie schleichen im Dunklen. Nur eine starke Dienstbotenorganisation mit einem leistungsfähigen Stellennachweis tann gegen den Mißbrauch des Telephons gegen die Dienenden ankämpfen. Daß die Herrschaften in Stuttgart nicht aus besserem Holze geschnitzt sind wie die anderer Orte, zeigt auch ein Vorfall, von dem uns die gleiche Genossin Kenntnis gibt. Eine Hausfrau hatte bei schlechter Laune an ihrem Mädchen alles mög liche auszusehen. Einmal erklärte sie es für schmutzig, das andere Mal lobte sie es über das Schellendaus. Eines Tages sagte sie zu dem Mädchen, es solle lieber aufs Land gehen, den Saustall misten und in den Pferdeställen herumschaffen, dazu passe es. Als das Mädchen darauf ganz ruhig erwiderte:" Nein, das können Sie tun", verprügelte ihm die Gnädige" in Gegenwart des Kinderfräuleins den Rücken. Leider diente die Mißhandelte ihre Kündigungszeit noch ab. Das sollte kein Mädchen tun, dem Unrecht in seinem Dienstverhältnis geschieht. Die Hausangestellten machen viel zu wenig Gebrauch von ihren fargen Rechten. Wollten sie nur alle der freien Dienstbotenorganisation beitreten, welche die Aufgabe hat, sie zum Selbstbewußtsein und zur Wahrung ihrer Rechte zu erziehen, so wäre manches besser. Die Organisation gibt den Hausangestellten den Rückhalt, der ihnen vereinzelt mangelt.
Nr. 21
Frauenarbeit auf dem Gebiet der Industrie, des Handels- und Verkehrswesens.
Auf die Lage der Handlungsgehilfinnen wirst wiederum der Geschäftsbericht der Ortstrantentasse Berlins für den Gewerbebetrieb der Kaufleute, Handels. Leute und Apotheker für 1908 wertvolle Streiflichter. Er enthält fast nichts als Zahlen, trockene, nüchterne Zahlen. Allein diese reden eine eindringliche Sprache. Während die Krankenkasse 1908 einen Zuwachs an männlichen Mitgliedern um 1,25 Prozent gegen 2,5 Prozent in 1907 aufwies, stieg die weibliche Mitgliederzahl 1907 um 8,3 Prozent, im Jahre 1908 aber um 9,92 Prozent. Was will das anders besagen, als daß das Rapital auch im tauf. männischen Gewerbe seine Fangarme mit immer größerer Gier nach den billigen weiblichen Arbeitskräften ausstreckt? Dazu eine andere Tatsache, welche die Ziffern befunden. Sowohl die Zahl der männlichen wie der weiblichen Mitglieder sinkt in den höheren Lohnklassen, in den unteren dagegen steigt sie. Das zeugt von wachsendem Elend, von sinkenden Löhnen für eine immer größere Schar Handelsangestellter. Und wiederum ist es die Frau, die das Kapital auch im Handelsgewerbe schlechter entlohnt und damit härter ausbeutet und größerer Not überliefert als den Mann. Die niedrigen Gehälter, welche im allgemeinen die Gehilfinnen und Hilfsarbeiterinnen beziehen, schaffen einen günstigen Boden für allerlei Krankheiten und verweisen obendrein die weiblichen Mitglieder in die niederen Lohnklassen der Versicherten. So sind die weiblichen Angestellten in zweifacher Beziehung übler daran als ihre männlichen Kollegen. 23,56 Prozent aller Krankheitsfälle und 22,49 Prozent aller Krankheitstage der männlichen Mitglieder entfallen auf die erste Lohnklasse; bei den versicherten weiblichen Handelsangestellten dagegen fommen 23,42 Prozent Krankheitsfälle und 22,88 Prozent der Krankheitstage auf die beiden niedersten Lohntlassen. 58,36 Prozent, also mehr als die Hälfte der erkrankten Gehilfinnen und Hilfsarbeiterinnen gehören der vierten und fünften Lohnklasse an und müssen sich mithin an einer Unterstützung genügen lassen, die kaum hinreicht, sie vor der äußersten Not zu schüßen und keineswegs die nötige Pflege und Ernährung sichert. Dieser Umstand wirkt in der gleichen Richtung wie die Ausbeutung, welche die weibliche Handelsangestellte bei ihrer Berufstätigkeit erfährt. Die Statistik der Krankenkasse spiegelt das getreulich wider. Hungergehälter, lange Arbeitszeiten, eine tägliche überanstrengung der Kräfte, unregelmäßige und farge Mahlzeiten, furs, all die Übelstände, über welche die weiblichen Erwerbstätigen im Handelsgewerbe mit Recht Klagen, müssen sie nicht die Gesundheit untergraben? Es ist da nicht verwunderlich, daß die weiblichen Mitglieder der Ortstrankenkasse häufiger und länger erkranken als die männlichen. Von je 100 männlichen Mitgliedern erkrankten 1907: 39,54, 1908: 40,87. Die Zahl der erkrankten Gehilfinnen und Hilfsarbeiterinnen stellte sich jedoch im Jahre 1907 auf 40,83 und 1908 auf 42,66 vom Hundert. Krankheitstage, die mit Erwerbss unfähigkeit verbunden waren, entfielen auf jedes männliche Mitglieb 1907: 10,70, 1908: 11,31, auf jedes weibliche Mitglied 1907: 14,11, 1908: 14,64.
Die weiblichen Erwerbstätigen im Handelsgewerbe sind, wie schon aus den obigen Angaben hervorgeht, in zwei große Gruppen geschieden: in die Handelshilfsarbeiterinnen und Handlungsgehil finnen. Bei jeder treten bestimmte Berufskrankheiten hervor. Unter den Leiden der Handelshilfsarbeiterinnen nehmen die Erkrankungen der Atmungsorgane mit 17,72 Prozent aller Krankheiten den ersten Platz ein. Auch Krankheiten der Knochen, Muskeln, Sehnen und Haut sind häufig genug, fie liefern 13,24 Prozent aller Erkrankungen, die Zahl der Erkrankungen der Harn- und Geschlechtsorgane ist ebenfalls verhältnismäßig bedeutend. Dagegen leidet eine größere Anzahl der Handlungsgehilfinnen an Störungen der Entwicklung, Ernährung und Krankheiten des Nervensystems. Auch von Erkrankungen der Verbauungsorgane werden die Handlungsgehilfinnen mehr heimgesucht als die Handelshilfsarbeiterinnen. Die Handlungsgehilfinnen der beiden Altersgruppen von 15 bis 20 Jahren stellen fast die Hälfte, nämlich 47,07 Prozent der Krankheitsfälle, die ersten drei Altersgruppen von 15 bis 25 Jahren zusammen 73,40 Prozent, also beinahe drei Viertel aller Erkrankungen! In den Jahren der Entwicklung und Blüte, wo alle menschlichen Kräfte nach Entfaltung drängen, siechen also drei Viertel der Handlungsgehilfinnen als Opfer ihres Berufs dahin. Das Elend der im Handelsberuf Tätigen, der Männer wie der Frauen, wird zweifelsohne verschärft durch ihren kleinbürgerlichen Dünkel. Vom Standesbewußtsein" beseelt, halten sie sich für etwas Besseres wie die gewerblichen Arbeiter und Arbeiterinnen, obgleich sie ebenso, ja manchmal mehr wie diese ausges beutet werden. So zögern sie, sich den Proletariern anzuschließen
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