Nr. 22

Mit den Armen fein Erbarmen, Schonend reicher Junter Schränke! Immer Dienst und Buß' und Brüchte, Daß der Teufel sich erbarme, Immer Zehnten, neue Zebnten, Immer zahlen muß der Arme. Hezt den Räuber eurer Habe, Auf zur Wehr, den Fuchs zu prellen! Brellt ihn rafch, bevor er meiter Euch mit Steuern prellt und Zöllen!

Aus der Bewegung.

Die Gleichheit

Ad. G.

Von der Agitation. In Schwarzendamm und Reinfeld  bei Oldesloe  , Ortichaiten des neunten schleswig  - Holsteinschen Reichstagswahlkreises, referierte die Unterzeichnete über: Die politische Lage". Die Versammlung in Schwarzendamm war von 50 Personen besucht, von denen einige einen Weg von zwei Stunden zurückgelegt hatten, um ihr beizuwohnen. An der Rein. felder Versammlung nahmen über 100 Personen teil. In zwei gut besuchten Versammlungen zu Neustadt   in Holstein und Burg auf Fehmarn   lautete das Thema: Die Finanzreform" oder ,, Wer bezahlt die neuen Steuern?" In allen Bersammlungen waren Frauen anwesend. Der Partei gehören in Neustadt schon mehrere Frauen an, während sie in Reinfeld   erst ein einziges weibliches Mitglied hat und ihr in Burg auf Fehmarn   die erite Genoffin nach der Versammlung beitrat. Jm legteren Orte war es etwas Neues, daß eine Frau über Politik referierte. Wlanche Männer hatten den Besuch der Verfan.nlung mit der Begründung abgelehnt, daß fie fich von einer Frau nichts erzählen lassen wollten. Aber das Versammlungslokal war besetzt, und die Anwesenden bezeugten durch Zustimmungen und beifällige Außerungen, daß sie die ungeheure Belastung des Volfes durch die neuen Steuern aufs schärffte verurteilen. Ein Teil der Besucher zog die Konsequenz davon und trat der Partei bei. Linchen Baumann.

Im Agitationsbezirk Görlitz  - Lauban   referierte die Unterzeichnete in der Zeit vom 18. Juni bis 6. Juli in Volksversammlungen zu Penzig, Sagan, Glogau  , Neufalz, Mallwig, Tiefenfurt, Alt Warthen, Naumburg  , Wenig- Rackwig, Leschwig­Krauschen, Lauban  , Langenö13, Reichenbach, Krausewit Weißwasser, Wiefau, Martlifa und Görlig. Die behandelten Themata lauteten: Die Frau als Arbeiterin, Mutter, Staatss bürgerin und ihre Rechtlofigfeit" und" Die Frau im politischen Leben". Wit Ausnahme von Neusalz   waren in allen Orten die Bersammlungen glänzend besucht, in manchen reichten die Säle nicht aus, die herbeigefommene Maffe aufzunehmen. Die Beteiligung der Frauen war besonders zahlreich, und überall tam lebhaftes Interesse für die behandelten Fragen zum Ausdruck. Den Ver­sammlungen in Neusalz  , Mallwig, Naumburg   und Reichens bach wohnten auch Gegner bei. In Mallwig batte schon nach­mittags ein Herr Strauß seine Anwesenheit angemeldet, ob er fich abends unter den Gegnern in der Versammlung befand, fonnte nicht festgestellt werden. Jedenfalls blieb die wiederholte Aufs forderung zur Wortmeldung erfolglos. Auch in der Naumburger  Versammlung hüllten sich die anwesenden drei Gegner in Schweigen. Writ den Armen voll Büchern tamen fünf Reichslügenverbändler in die Versammlung zu Reichenbach. Im Laufe des Referats verdufteten sie bis auf zwei. In der Distussion dieser Versamm lung erflärte der Amtsrichter Poppe, er hätte teine Ursache, gegen bas Referat zu polemisieren. Es habe sich auf einer Bahn bewegt, die der sozialdemokratischen Rednerin alle Ehre mache. Als Jurist, nicht als Amtsrichter, wolle er nur einige fleine Fehler berichtigen, bie der Reverentin bei ihren statistischen Angaben unterlaufen wären. Die Versammlung, die anfänglich stürmisch zu verlaufen versprach, und die trop des strömenden Regens überfüllt war, endete mit einem großen Erfolg unserer Sache. Wider Erwarten war auch die Versammlung in Glogau   überfüllt, die Hälfte der Anwesenden maren Frauen. Ste, wie auch eine Anzahl Wänner traten dem fozialdemokratischen Verein bei und abonnierten die Parteizeitung. Eine erfolgreiche Agitationstour wie diese entschädigt die Referentin reichlich für alle Wühe und Strapazen ihres Wirtens. Hoffentlich werden die für unsere Eache Gewonnenen zu tüchtigen Sozial demokraten erzogen. Marie Wacwig.

In der Gegend von Jena   und im Ländchen Reuk fanden Bersammlungen statt, in denen die Unterzeichnete über das Thema Sprach: Die Berfahrenheit der Reichsfinanzen". Die Agitation erstreckte sich auf folgende Orte: Bürgeln  , Berta, Weida  , Meustedt, Beulenroda, Greiz  , Hermannsgrün, Pohli,

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Dölau, Gera  , Debwitsch, Triebes   und Langenberg. Die Textilindustrie tft in der ganzen Gegend vorherrschend, und das Einkommen der Proletarier ist äußerst niedrig und unsicher, so daß sie besonders hart durch die Verteuerung der verschiedensten Konfumartikel getroffen werden, welche als Folge der neuen Zölle und Steuern eintritt. Die Versammlungen waren durchweg mäßig besucht, doch wurden in jeder neue Miltglieder und Abonnenten für die Presse gewonnen. Auch in Jena   fand eine Versammlung statt, in der die Referentin das Thema behandelte: Liberalismus und Frauenbewegung". Dort bemühen sich die liberalen Parteien, der proletarischen Frauenbewegung entgegenzuarbeiten. Vor furzem versuchten die liberalen Damen und Herren, die Arbeiters frauen mit einer Taffe Tee zu födern. Ab und zu lassen sie einen Vortrag über die Pflichten der Frauen bei der Kindererziehung und ähnliche Fragen halten. Von dem Recht der Frau und von ibrer Erweckung zum Bewußtsein ihrer Interessen ist in diesen Zusammenfünften nie die Rede, auch nicht von der Notwendigkeit der politischen Betätigung des weiblichen Geschlechts. Der Ver­sammlungsbesuch bewies, daß die Arbeiterfrauen in Jena   sehr wohl wissen, daß die Sozialdemokratie in Deutschland   noch immer die einzige Partei ist, die ehrlich für das volle Recht der Frauen tämpit. Zahlreiche Beitrittserklärungen zur Partei waren das Ergebnis des Abends. W. K.

Politische Rundschau.

Nachdem der Schnapsblock seine Steuerplünderung programm mäßig vollendet hatte und der Reichstag   am 13. Juli geschlossen worden war, erhielt das Deutsche Reich eine neue Regierung. Während die Mitglieder des Parlaments nach Hause geschickt waren, ernannte der Kaiser den neuen Reichsfangler. So fonnte auch nicht der Schatten eines Scheins entstehen, als ob etwa die Volksvertretung bei der Auswahl des verantwortlichen Leiters der deutschen   Politik irgend einen noch so kleinen Einfluß ausgeübt hätte. In nicht mißzuverstehender Weise hat das per sönliche Regiment wieder einmal dem deutschen   Volke zu verstehen gegeben, daß es gleich einem Unmündigen nicht mitzureden hat bei der Wahl des Mannes, der der Verfassung nach den größten Einfluß auf die Gestaltung seiner Geschicke haben soll und der es vor dem Auslande zu vertreten hat. Das persönliche Regiment tonnte den Novembersturm des Vorjahres dant der schwächlichen Konstitution des deutschen   Bürgertums gemächlich überstehen. Hinter ihm verbirgt sich die Macht der oftelbischen Junter. Sie sind's, bie unter Wlithilfe des Zentrums den Reichskanzler Bülow gestürzt und den bisherigen Staatssekretär des Innern v. Bethmann- Holl­ weg   zum Kanzler gemacht haben. Dem verbündeten Zentrum paẞt der neue Wann viel weniger als den Konservativen, alldieweil er die tonservativ- liberale Blockpolitik mitgemacht hat. Im Reichs­tag zählt das Zentrum fast doppelt so viel Size, als die Konser vativen, und ginge es nach der parlamentarischen Macht, 10 müßten seine Wünsche bei der Kanzlerwahl weit schwerer wiegen als die der Junter. Aber nicht parlamentarische Macht entscheidet, sondern der Einfluß bei Hofe und in der Verwaltung, und da sind die Konservativen weit stärter als die Schwarzen. Den Junfern aber paßt der neue Kanzler, denn dieser Sproß eines reich gewordenen, getauften und schließlich geadelten jüdischen Handelsgeschlechts ist einer der Ihren, ein Junter in Herz und Nieren, ein Hasser des Strebens der Wassen nach Gleichberechtigung, ein begeisterter Vers teidiger des preußischen Dreiflassenwahlrechts. Zur Rechtferti gung diefer Schmach wußte er seinerzeit im baß erstaunten preu­ßischen Dreitlaffenhause ein paar Sätze des Philosophen Kant   zu misbrauchen, was ihm sofort den Ruf eines großen Gelehrten und tiefen Philosophietenners eintrug. Nach Posadowskys Sturz wurde Bethmann- Hollweg  , der bis dahin preußischer Polizeiminister gewesen war, Staatssetretär des Innern, versicherte sein warmes Interesse an der Sozialreform und brachte einige sozialpolitische Gezegentwürfe ein, die noch aus der Hinterlassenschaft Posadowskys stammten und in der in Preußen- Deutschland   üblichen Weije jedes fleine Viertel Fortschritt durch erhebliche Verschlechterungen des Rechts der Arbeiter wieder ausglichen. Vor allem ist der neue Reichs­tanzler ein schmiegsamer Herr, der noch weniger als Bülow Neigung haben wird, den Junfern irgend etwas zu verweigern oder gar aufzuzwingen. Damit entspricht er der Situation, die dank des Buruckweichens der bürgerlichen Opposition durch die Diktatur der Junferschaft getennzeichnet wird. Bülow hat der Versuch das Amt getostet, diese Dittatur um ein weniges zu lockern, den Liberalen zwar nicht etwa die volle Gleichberechtigung mit den Konservativen, aber doch eine gewisse Mehrung ihres Einflusses auf Kosten der Junter zu geben. Es ist sicher: so verhaßt auch die Erbschafts­