Nr. 22

Die Gleichheit

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in Karlsruhe . Die Gründung solcher Organisationen geschieht just zu der Zeit, wo die Verwaltungen der Ortskrankenkassen Arbeitgeber wie Arbeitnehmervertreter sich energisch ihrer Haut wehren, um die Gefahr abzuwenden, die in Gestalt der von der Regierung geplanten Reichsversicherungsordnung der Selbstvers waltung der Krankenkassen droht. Die gelben Krankenkassenbeamten bieten sich als Vorspann für diese reaktionären Absichten an. Sie erklären tugendsam, den sozialdemokratischen Terror in den Kassen bekämpfen zu wollen, in Wirklichkeit leiten sie Wasser auf die Mühle, welche das Selbstverwaltungsrecht der Arbeiter in den Krankenkassen kurz und klein mahlen soll.

In dem Streitbilde, das uns Deutschlands Wirtschaftsleben zeigt, treten gegenwärtig besonders zwei Bewegungen hervor: die von seiten der Proletarier mit ungeschwächter Gnergie fortgeführten Kämpfe der städtischen Arbeiter in Riel und der Bau­arbeiter in Hamburg . An Versuchen, eine Einigung herbeizu­führen, hat es in beiden Städten nicht gefehlt, sie sind aber ohne Ergebnis geblieben. Der Kieler Magistrat hält rücksichtslos an seinem herrischen Unternehmerstandpunkt fest und findet damit volles Verständnis bei der bürgerlichen Majorität des Stadtparlaments. Von ihr wurden alle Vorschläge und Anträge unserer Genossen niedergestimmt, die eine Beilegung des Konfliktes herbeiführen wollten. Da der Gemeindearbeiterverband über reichliche Mittel verfügt und die Streikenden noch lange zu unterstützen im­stande ist, dürfte der Konflikt nicht bald zu Ende kommen. Hoffen wir, was wir von Herzen wünschen: daß er nicht mit einer glatten Kapitulation der Kämpfenden abschließen muß! Bei den Einigungs­verhandlungen, welche das Hamburger Gewerbegericht für den Kampf im Baugewerbe eingeleitet hat, stellten die Unternehmer so schofle Bedingungen für die Beilegung des Konfliktes, daß die Ar­beiter darauf nicht eingehen konnten, und daß auch der Vorsitzende des Gewerbegerichts ihnen die Annahme derselben nicht zu emp fehlen vermochte. Auch im Bauarbeiterstreit in Saar­ brücken ist die Situation unverändert. Verzeichnet muß die aggressive Haltung der Polizei werden, die beim Schutze der Arbeitswilligen sehr herausfordernd gegen die Ausständigen vor­geht. Ein Bauarbeiterausstand im oberschlesischen In­dustriegebiet führte nach kurzer Dauer zu ganz respektablen Er folgen der Streifenden. Sie errangen eine Lohnerhöhung von 3 Pfennig pro Stunde und noch andere Verbesserungen der Arbeits­bedingungen. Diese Erfolge sind um so höher einzuschäßen, als in diesem schwarzen Winkel Deutschlands die Gewerkschaftsbewegung nur langsam erstarken kann, so daß sie dieser Sachlage entsprechend bisher auch keine großen Errungenschaften zu zeitigen imstande war. Von größeren Lohnbewegungen ist noch die der Maschinisten und Heizer auf den Rheindampfschiffen und der Hafen arbeiter in Mannheim - Ludwigshafen zu erwähnen. Die Unternehmer wollten dort die Arbeiter zum Abschluß eines ver­schlechterten Tarifs zwingen. Sie rechneten bei dem unausbleib­lichen Kampfe auf das Wirken von Streifbrecheragenten, die unter Verschweigung des Sachverhaltes Arbeitswillige vermittelten. Zu ihrem Pech bekam die schöne kapitalistische Rechnung ein Loch. Als die angeworbenen Proletarier die Wahrheit erfuhren, ver­zichteten sie auf die Ehre, die Rausreißer zu spielen.

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Daß das neue Reichsvereinsgesetz der Polizeiwillkür zur Be­schränkung des Versammlungsrechtes der Arbeiter freien Spielraum gewährt, hat die seitherige Praris hinlänglich erwiesen. Und die preußische Justiz wetteifert mit der Polizei in Meisterstückchen tühner Auslegungskunst, welche dem gesunden Laienverstand unfaßbar sind. Was alles nicht hat schon juristische Weisheit in dem Begriffe einer politischen Versammlung entdeckt! Schöffengericht und Landgericht in Schlesien erklärten die Agitation für den Holzarbeiter verband als eine politische Angelegenheit und bestätigten damit den polizeilichen Strafbefehl von 5 Mt. gegen den Leiter der Versammlung, der es unterließ, diese politische Versammlung vor­schriftsgemäß anzumelden. Geradezu klassisch ist die Begründung des Schöffengerichtsurteils, das unter anderem sagt:

Die Erörterung wirtschaftlicher Angelegenheiten sei nur Bei­werk, denn der Redner war sich von Anfang an darüber klar, daß die Änderung der Lohn- und Arbeitsbedingungen zurzeit nicht an­gängig sei. Die Hauptsache war die Agitation für den Holzarbeiters verband mit dem ausdrücklichen Zugeständnis, Geld in die Kasse zu bekommen. Die Agitation für den Holzarbeiterverband aber ist eine politische Angelegenheit, denn der Verband ist, wie gerichts­bekannt ist, bestrebt, sozialpolitische Zwecke durch Einwirkung auf die Staatsgewalt zu bewirken. Das Werben von Mitgliedern aber stärkt die Stellung des Verbandes() und ist somit politische Be­tätigung. Danach ist die Versammlung über den rein wirtschaft­lichen Zweck hinausgegangen und dadurch anzeigepflichtig."

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Und das Landgericht schloß sich im wesentlichen dieser Aus­legung an und ließ noch den Genossen Timm aus München als Kronzeugen aufmarschieren, der einmal in einer Versammlung seitens der Gewerkschaften eine Einwirkung auf das Vereins- und Roalitionsrecht, auf die Handelsvertragspolitik und die gewerbliche Gesetzgebung verlangt haben und die Neutralität in diesen poli­tischen Fragen als dem Wesen der freien Gewerkschaften wider­sprechend verworfen haben soll.

Das 25jährige Jubiläum seines Bestehens beging der Stein­arbeiterverband Anfang des Monats Juli. Nach längeren Kämpfen um die Organisationsform hat er sich zur Klarheit über die Bedeutung der Zentralorganisation durchgerungen. Er zählt jetzt 18000 Mitglieder und hat im Verlaufe seiner Wirksamkeit manche Errungenschaft auf dem wirtschaftlichen Kampfplatz und auf sozialpolitischem Gebiet davongetragen. #

Genossenschaftliche Rundschau.

Die Gartenstadtbewegung, die wir aus England her schon länger kennen, fängt auch in Deutschland an, positive Resul tate zu zeitigen. Und zwar in der Form von Gartenstadtgenossen­schaften. Zu den bereits längere Zeit bestehenden in Dresden und Karlsruhe sind neuerdings Genossenschaften dieser Art auch in Nürnberg und Magdeburg ins Leben gerufen worden. Die ersten praktischen Resultate dürfte wohl Dresden zeitigen. Hier sind die Vorbedingungen( Landerwerb, Finanzierung usw.) bereits so weit gediehen, daß noch im Jahre 1909 eine Anzahl Häuser der Gartenstadt fertiggestellt werden. Das Gelände liegt reizend auf einem Hochplateau 100 Meter über Dresden , von drei Seiten mit Wald( Dresdener Heide) umgeben, in frischer reiner Luft, zirka eine Stunde von der Stadtgrenze entfernt. Die Fortführung der Dres dener Straßenbahn dahinaus ist bereits beschlossen und genehmigt, so daß auch eine leichte, schnelle und billige Kommunikation mit dem Herzen der Großstadt gesichert ist. Diese erste deutsche Garten­stadt trägt den poetischen Namen Hellerau . Ihre materielle Grund­lage hat sie in zwei miteinander korrespondierenden Genossen­schaften. Die eine ist Erwerberin und Besizerin aller Rechte am Grund und Boden. Sie schafft alle Vorbedingungen der nach mo­bernsten hygienischen Grundsäßen gedachten Bebauungsmöglich teiten, während die andere als Baugenossenschaft die Bebauung selbst nach den von der Bodengenossenschaft getroffenen Bestim= mungen besorgt. Sie will und soll besonders Kleinwohnungen für Arbeiter und den kleinen Mittelstand bauen. Damit ist in diesem Frühjahr begonnen worden. Vorläufig werden 500 000 Mt. zu diesem Zwecke verbaut. Aber auch kleine Villen wird man er­richten, und in ein besonderes Viertel werden die Deutschen Werk­stätten für Handwerkskunst in Dresden ihre Fabrikanlage, nach modernsten Grundsäßen ausgeführt, verlegen.

Bei der Besiedelung des Geländes soll darauf geachtet werden, das Land so gut als möglich vor Bodenspekulation zu bewahren. Der Mieter einer Villa kann das Haus von vornherein auf Lebens­zeit und auch für seine Erben mieten, er kann selbst jederzeit fün­bigen, während die Gesellschaft ihm gegenüber auf das Kündi­gungsrecht ausdrücklich verzichtet. Das Haus wird unter weitest­gehender Berücksichtigung der Wünsche des Mieters erbaut, dieser hat lediglich die zweite Hypothet des Hauses in Höhe von vier Zehntel des Baupreises zu zahlen. Die Hypothek wird ihm ver­zinst, während er selbst eine Miete entrichtet, die der fünfprozen­tigen Berzinsung der Baukosten seines Hauses und einer sechs­prozentigen Verzinsung des benötigten Grund und Bodens, pro Quadratmeter 6 Mt., entspricht. An der Bebauung des Villen­viertels werden mitwirken die Architekten Professor Schumacher und Hempel, Dresden , Geheimrat Dr.- Ing. Hermann Muthesius , Berlin , Professor Theodor Fischer und Professor Richard Riemer­ schmid , München .

In dem Gebiet für Kleinwohnungen ist gleichfalls das Ein­familienhaus die Regel. Man hofft, daß ein Quadratmeterpreis von 3 Mt. für den Grund und Boden zu ermöglichen ist, daß Wohnungen mit 3 bis 4 Zimmern je nach der Größe zu einem jährlichen Mietpreis von 240 bis 350 Mt. errichtet werden können. Hier soll im Durchschnitt der Quadratmeter bewohnte Fläche 5 Mt. kosten; er beträgt in Dresden 5,50 bis 6,50 Mt.

Zwischen dem Kleinwohnungsviertel und dem Villenviertel liegt das Land für den Fabrikbau der Deutschen Werkstätten für Hand­werkskunst. Dieser Bau ähnelt mehr einem breitgelagerten Guts­hof als einer Fabrit. Die Maschinenanlage liefert den Strom für die Straßenbahn Dresden- Klotzsche und für die ausgiebige elef trische Beleuchtung von ganz Hellerau . In allen Räumen wird stündlich die Luft vollkommen erneuert, da eine besondere Saug