350 Die Gleichheit Nr. 2 2 Ich seh' euch ohne Kummer scheiden, Denn Gutes habt ihr nie getan. Da kommen schon die neuen beiden— Ich seh' sie ohne Hoffnung nahn! Johanne« Trojan. Einst war der„Kladderadatsch" gut demokratisch. Jetzt ist er bös konservativ, insofern als er von neuen Ideen nichts wissen mag und gern den Kohl auswärmt, der schon unseren Großvätern, sofern sie Feinschmecker waren, arges Bauchgrimmen gemacht hat. Georg Davidsohn . Wir anerkennen gewiß das Recht des Salirckers, Humoristen usw. ans die weiteste künstlerische Bewegungsfreiheit und lachen gern über jeden Witz und Scherz, ganz gleich, auf wessen Kosten er ge« schieht, vorausgesetzt, daß der Witz gut ist. Allein für die durchschnitt« liche bürgerliche Reimerei über die Dienstboten kommt diese grund- säyliche Frage gar nicht in Betracht. Sie hat mit Kunst nicht das geringste gemein, und an Stelle des ihr mangelnden Witzes tritt die bewußte und gewollte Herabwürdigung einer proletarischen Schicht. Wenn es ihnen nur um die künstlerische Ausnutzung des Stoffes zu tun wäre, den das häusliche Leben für Witz und Satire bietet, warum üben dann die bürgerlichen Reimschmied« ihre schwachen Kräfte so gut wie ausschließlich an den Dienenden und nicht auch an den„Hausehren" und ihren Töchtern? Warum läßt zum Beispiel der Verfasser der„Perlenschnur" nicht eine„Gnädige" den Finger erst in die Nase und dann in die Butler bohren? Sintemalen doch recht viele Damen die unsaubersten Gewohnheiten haben und für die Reinlichkeit ihres Haushalls wie ihrer Person lediglich aus die Fürsorge und Arbeit der Dienenden angewiesen sind. Was in Reimereien der gebrandmarklen Art sich spiegelt, das ist die hochnäsige Auffassung einer herrschenden Klasse, die sich trotz allem Hochmut von der Arbeit ihrer Sklaven abhängig fühlt. Darum tat auch die„Frankfurter Zeitung " mehr, als die„Perlen- schnür" nur der„unverdienten Ehre des Abdrucks zu würdigen". Sie rechtfertigte den Abdruck damit, daß die Geschmacklosigkeiten des „Kladderadatsch"„in vielen Herzen ein verständnisvolles Echo finden würden". Die Franksurterin aber protzt gewöhnlich ebenso gern mit ihrer modernen„Geisteskultur" wie mit ihrem„sozialen Emp« finden". Kellnerinnenfrage. Frau Jelliuet„berichtigt" weiter. Sie schreibt unS: •„Esist unwahr, daß, wieHelene Grünberg in?ir. 21 Ihres Blattes ausführt,„ich gegen meine eigenen Ansichten Front mache", daß ich„schnell umsattle" und„mich eines anderen besonnen haben müsse". Wahr ist dagegen, daß ich meine Forderung in demselben Umfang, in dem sie bereits dem 6. bayerischen Frauentag vor- gelegen hat, aufrecht erhalte, wofür ich als Beweis auf meinen so- eben erschienenen„Entwurf einer Petition betreffend das Verbot weiblicher Bedienung in Gast« und Schaukwirlschaften" hinweise, zu welchem mir die auf der Münchener Versammlung vorgebrachten gegnerischen Argumente die wichtigsten Waffen in die Hand ge- geben hatten. Wie diese Waffen gewirkt haben, dafür diene als Beweis, daß gerade seit dem Erscheinen dieses Petitionsentwurfs, also gerade nach der Münchener�Versammlung, auf der ich die „riesige Niederlage" erlitten habe, die meisten Unterschriften mir zugegangen sind. Damals verfügte ich über ungefähr 17 ovo, heute über ungefähr 00000, Es»st unwahr, daß ich je behauptet habe, Millionen Deutsche würden mein Auftreten segnen. Wahr ist nur, daß ich eine dahin- gehende Behauptung eines Dritten zitiert habe. Es ist unwahr, daß ich„Tausenden von Kellnerinnen ihr Brot habe nehmen wollen". Wahr ist vielmehr, daß ich von Anfang an erklärt habe, daß die- jenigen, die bereits Kellnerinnen sind, es müßten bleiben dürfen. Es ist unwahr, daß die mir zuteil geworden« Zustimmung „aus den oberen GesellschaslSschichten stammt". Wahr ist dagegen, daß sie aus allen Schichten kommt, da nicht nur in den„oberen Kreisen" sozial denkende Frauen sind, die es nicht mit ansehen wollen, wie Mädchen mißbraucht werden, sondern es auch Frauen der ar- bellenden Klaffe gibt, welche dafür eintreten, daß ihre Geschlechts- genossinnen nicht den männlichen Gelüsten geopfert werden. Camilla Jellinek -Heidelberg . Frau Jellinek hat uns die Veröffentlichung der vorstehenden Ausführungen unter Berufung auf Z 11 des Preßgesetzes als Ukas zugeherrscht unter Verzicht auf alle die Formen, die unter gebildeten oder wenigstens höflichen Menschen sonst üblich zu sein pflegen. Es ist natürlich der Dame eigene Sache, daß sie sich selbst aus dem Kreise der Leute ausscheidet, die so bescheidenen Ansprüchen an ihr« persönliche Entwicklung genügen. Dagegen müssen wir ihr mit allem gebührenden Respekt bemerken, daß sie sich völlig zu Unrecht auf ß 11 des PreßgesetzeZ beruft. Die auf„soziale Ge- sinnung" geeicht« Frau Jellinek scheint keinen blauen Dunst davon zu haben, was dieser Paragraph eigentlich besagt, und daß er ihr auch nicht ein Titelchen formalen Rechtsanspruchs darauf gewährt, in der„Gleichheit" zum Wort zu kommen. Trotz des§ 11 wäre es unser formales Recht gewesen, ihre Einsendung als belanglose Stilübung in den Papierkorb zu werfen. Dagegen haben wir eS jetzt wie jederzeit als unsere moralische Pflicht gehalten, Ange« griffen«» die Möglichkeit zu geben, ihre Sache zu verteidigen. Was dies« Sache aber selbst anbelangt, so hat die Heidelberger Frauen- rechtlerin in Wirklichkeit das nicht berichtigt, was den Ausgangs- und Mittelpunkt der Streitsrage anbelangt. Das war nicht bloß das geforderte Verbot des Kellnerinnenberufs, sondern die Begründung, die Frau Jellinek ihrer Forderung gegeben hatte, nämlich die Unsitt- lichkeit des Berufs. Indem sie die Kellnerinnen ohne weiteres den Prostituierten gleich wertete, hat sie ihnen eine schwere Beleidigung zugefügt. Dagegen und nicht nur gegen das Verbot des Berufs haben sich die Kellnerinnen in München und Nürnberg gewehrt, und das hat Genossin Grünberg zurückgewiesen. Das ganze Ge- seire von„wahr" und„unwahr" rührt auch nicht mit einer Silbe an diesen Tatbestand. Was aber das„wahr" und„unwahr" über die Stellung von Frau Jellenik zum Verbot des Kellnerinnenberufs anbelangt, das auch nicht mit einem einzigen sachlichen Grund zu stützen gesucht wird, so verwahrt sie sich ganz überflüsstgerweis« gegen den Verdacht, sie könne etwas gelernt haben. Wohl alle Leserinnen der„Gleichheil" haben begriffen, daß Genossin Grün- bergs Wendungen von dem„Umsatteln" usw. ironisch gemeint waren. Nur Frau Jellinek ist das entgangen. Aber freilich: wäre dies nicht der Fall gewesen, so hätte die Dame ja nicht mit einer neuen Berichtigung an die Öffentlichkeit treten können. Welcher Schade für die aufhorchende Mit- und Nachwelt und— für Frau Jellinek Frauenstimmrecht« Ein allgemeiner WahlrechtSkougrcst der schwedischen Frauen ist in Stockholm abgehalten worden. Die Veranstaltung ging von der„Schwedischen Landesvereinigung für das poli- tische Frauenwahlrecht" aus und war von mehr als Svo Dele- gierten besucht, welche die verschiedensten Landesleile und Parteien verlraten. Auch bekannte Genossinnen nahmen an dem Kongreß teil. Die„Landesvereinigung" erklärt sich nämlich prinzipiell als eine politisch neutrale Organisation, die lediglich Fraueninteressen dient. Das ist unseres Erachtens eine Illusion, die nur dort festgehalten werden kann, wo die Klassengegensätze nicht schroff aufeinander- prallen, nicht mit aller Wucht auch in das Leben der Frauen ein- greifen, dort in ihren Wirkungen nicht bewußt empfunden und ge- würdigt und in politische Aktionen umgesetzt werden, die Bedeutung beanspruchen können. Mit der größeren Zuspitzung der Wirtschaft- lichen und sozialen Zustände in Schweden und der wachsenden Wichtigkeit der Frauenbewegung war in den Kreisen der schwedischen Frauen selbst der Glaube an die politische Neutralität der„Landes- verelnigung" ins Wanken geraten. Das kaiu zum Ausdruck, alS eine ausgesprochen konservative Frau mit der Leitung der Organi- sation betraut wurde und Bittgänge der Frauenrechtlerinnen vor den Königsthron erfolgten. Auf der Tagesordnung des Kongresses stand denn auch ein Vortrag von Fräulein Wahlquist-Sundsvalt über„Parteipolitik und Frauenwahlrechtssrage". Er gipfelte in der Forderung, daß die„Landesvereinigung" ihre bisherige poli- tische Neutralität bewahren müsse. Der proklamierte Grundsatz stieß auf keinen Widerspruch, was jedoch kein Beweis dafür ist, daß er sich auf die Dauer tatsächlich in der Wirklichkeit durch- zusetzen vermag, sondern nur die verhältnismäßige geschichtliche Unreife der Verhältnisse und ihr entsprechend die theoretische Uli- klarheit der Frauen bekundet. Mit anderen Worten: er hat nur die Bedeutung eines frommen Wunsches, aber nicht die einer Kraft. welche die soziale Entwicklung zu meistern vermag. Und als frommer Wunsch konnte er nur unangefochten bleiben, weil der Kongreß zur zentralen Frage der politischen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts— allgemeines Frauenwahlrecht oder Damenwahlrecht— keine Stellung nahm. Wäre das der Fall gewesen, so hätte di« politische Neutralität der Frauenrechtlerinnen sofort ihr Ende er- reicht. Dafür spricht schon die Talsache, daß keine der schwedischen Frauenrechtlerinnen auf dem Internationalen Frauenstimmrechts- kongreß zu London für das allgemeine Frauenwahlrecht eingetreten ist. Unsere Genossinnen Ruth Gustafson und Kala Dalström haben in wackerer, wohldurchdachter Weise das allgemeine Frauenwahlrecht gefordert und begründet. Genossin Gustafson berichtete über die Wahlrechtsarbeit der sozialdemokratischen Frauen und führte dabei aus, daß die Proletarierinnen sich nicht mit einem
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20 (2.8.1909) 22
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