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Die Gleichheit
monatlich ganze drei Mark. Daß die Frauen seiner Tage löhner bei ihm zu fronden verpflichtet sind, umschreibt der Pächter des Ritterguts Adlig- Bütow( Hinterpommern), ein Herr Gildemeister, schamhaft dadurch, daß es in seinem Vertrag heißt:
„ Außerdem muß er( der Tagelöhner) täglich einen zweiten Mann(!) stellen, welcher alle Frauenarbeit gut verrichten tann...."
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Für diesen Frauenarbeit verrichtenden Mann bietet der biedere Agrarier nicht weniger als 30 Pf.! Falls etwa ein Fremder ohne Erlaubnis ins Quartier genommen wird oder von der Familie jemand auf fremde Arbeit geht, sind diesem Herrn„ bloß" 2 Mt. Strafe zu zahlen! Die Leute fönnen, so denken die Agrarier jedenfalls, froh sein, daß sie bei uns arbeiten dürfen.
Der Gutsbesitzer v. Kameke , dem das Dominium Biziker ( Kreis Köslin ) gehört, bestimmt über die Frauenarbeit in dem bei ihm geltenden Vertrag:
„ Die Frauen find gehalten, falls nicht schon drei Mann zur Arbeit sind, von der Heuernte bis nach der Kartoffelernte an den Nachmittagen zur Schafschur und Waschen sowie Schlachten den ganzen Tag auf Bestellung zu erscheinen.
Beim Waschen und Schlachten erhalten sie ihren Tagelohn, auch muß zum Waschen und Schlachten jede Frau, die bestellt wird, erscheinen, gleichviel, ob schon drei Wann auf Arbeit sind. Wenn die Frauen regelmäßig tommen, erhalten sie ein halben Raften Kartoffeln, wenn sie unregelmäßig fommen, namentlich wenn fie verbotene Arbeit beim Eigentümer oder Bauern machen, nicht."
Charakteristisch ist, daß in dem ganzen Vertrag die Höhe des Geldlohnes der Frau nicht genannt ist. Dazu wird der Herr gewiß seine Gründe haben. In einem„ Anhang" zum Vertrag will dieser Agrarier den Arbeitern plausibel machen, um wieviel Mal mehr sie auf dem Lande besser leben als in der Stadt. Er veröffentlicht daher eine Zusammenstellung dar über nicht etwa, was der Arbeiter wirklich verdient, denn dann würde ja das Gegenteil bewiesen, o nein, was eine Deputantenfamilie dem Gutsherrn fostet"! Darin ist der Jahresverdienst der Frau mit 30 Mif. angegeben. Da behaupte noch einer, daß unseren Agrariern das 1oziale Verständnis mangele!
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In der Haus- und Feldwirtschaft erschöpft sich aber nicht die Tätigkeit der landwirtschaftlichen Arbeiterin. Wie ihre Schwester in der Industrie hat sie natürlich noch den eigenen Haushalt zu versehen, der durch die Verpflichtung zur Stellung von zwei und mehr Hofgängern natürlich nicht gerade klein ist. Aber auch diese Arbeit ist nicht die einzige Nebenarbeit. Be fanntlich geschieht die Entlohnung auf dem Lande zum großen Teil in Naturalien: Getreide, Kartoffeln usw. Diese Naturalien aber müssen die Leute vielfach selbst anbauen und ernten. Für die Arbeit geben die Agrarier nichts aus, und deshalb gilt es für die Landproletarier, in den Abendstunden, vor allem aber am Sonntag den zu heiligen wohl nur dem Agrarier vor geschrieben ist, die müden Knochen zu rühren: das Garten-, Kartoffel- und Flachsland zu bestellen, vom Unfraut zu reinigen und schließlich den Ertrag zu ernten, den Torf zu stechen, das Futter für Schweine und Ziegen oder im herrschaftlichen Stall stehende Milchfühe zu beschaffen usw. Diese Arbeiten fallen großenteils der Frau zu, und sie erfordern große Gewissen haftigkeit, da jede Nachlässigkeit" Bestrafung zur Folge hat. Und mit Geldstrafen, von denen niemand weiß, wo sie bleiben, sind die Agrarier schnell zur Hand.
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Bei solcher Schusterei ist es kein Wunder, wenn von Jahr zu Jahr die Zahl der Unfälle in den landwirtschaftlichen Betrieben steigt. Die zunehmende Verwendung von Maschinen, der Mangel an Schutzbestimmungen, die Wißachtung der vorhandenen durch die Agrarier: alle diese Umstände tragen eine Gefährdung von Leben und Gesundheit der Arbeiter und Arbeiterinnen in sich. Im Jahre 1906 wurden 144289 in der Landwirtschaft erlittene Unfälle angemeldet. Allein unter den Schwerverlegten befanden sich nicht weniger als 18443 Frauen, 1802 Knaben und 697 Mädchen im Alter von unter 16 Jahren. 2872 Unfälle waren tödlich und 61887 hatten eine längere als
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dreizehnwöchige Erwerbsbeschränkung zur Folge. Dabei ist zu berücksichtigen, daß mangels geeigneter Belehrung die Verunglückten vielfach unterlassen, die Unfallversicherung in Anspruch zu nehmen.
Trotz des Arbeitermangels ist in der Landwirtschaft die Unsicherheit der Existenz für die Proletarier durchaus nicht geringer als in der Industrie. Mit dem Verlust der Stellung wird aber der ländliche Arbeiter in Pommern meist zugleich obdachlos. Gelingt es ihm nicht, anderweit einen Platz zu er halten, so ist die Sorge um die Wohnung die brennendste, denn auf dem Lande sind die Mietwohnungen rar. Aber auch die angebauten Feldfrüchte, die etwa noch in der Erde stecken, sowie nicht verbrauchtes Deputat muß er zurücklassen, wenn er außer Stellung kommt. Die ganze Arbeit, die er dafür aufgewendet hat, ist ihm verloren. Daß unter solchem Elend die Frauen am meisten zu leiden haben, bedarf wohl faum näherer Begründung. Auf ihren Schultern ruht die Sorge um die Familie, wenn der Mann eine entferntere Arbeitsstelle aufsuchen muß und nicht sogleich einen Vorschuß an Geld und Getreide usw. erhält.
Die Schaffung eines ausreichenden Arbeiterinnenschutzes auch für die Landwirtschaft ist gebieterische Notwendigkeit. Ein solcher wird allerdings nicht loszulösen sein von unseren sonstigen Forderungen in bezug auf die Landarbeiter: Koalitionsfreiheit, Beseitigung der Ausnahmegeseze und Gesindeordnungen usw. Deshalb gilt es, nachdem der Reichstag die diesbezüglichen sozialdemokratischen Anträge an eine Kommission verwiesen hat, immer wieder auch die Forderung nach ausreichendem Schutz der ländlichen Proletarierinnen zu betonen.
Proletarierlos.
Eine wahre Geschichte.
Ich habe sie beide in den ersten Jahren ihrer Ehe gekannt, als fie noch jung und glücklich waren. Beide mit warmer Begeisterung für die Ziele der Arbeiterbewegung erfüllt. Wie oft habe ich mit ihr an den Fabriftoren gestanden, um die dort Fronenden durch Handzettel auf die Versammlungen ihrer Or ganisation hinzuweisen. Keine Flugblattverbreitung oder Zei tungsagitation wurde unternommen, bei der er nicht einer der Eifrigsten gewesen wäre, furz: beide Genossen, wie sie sein sollen.
Schon einigemal batten sie die Hoffnung auf Elternfreude begraben müssen, da die Kinder tot zur Welt famen. Da endlich vor sieben Jahren wurde ihnen das Glück zuteil, einen gefunden Knaben ihr eigen zu nennen. Doch ach! Das so heiß ersehnte Mutterglück mußte die Frau mit ihrer Gesundheit bezahlen. Infolge der schweren Entbindung wurden ihr beide Beine vollständig gelähmt. Sie verlor den Mut nicht. War doch ihr Kind gesund, ihr Gatte von rührender Besorgnis um sie erfüllt. Nichts wurde unversucht gelassen, um ihre Gesundheit wiederherzustellen. Er nahm die Pflichten der Frau und Mutter auf sich, ohne zu murren, immer von der Hoffnung beseelt, seine geliebte Frau wieder gesund zu sehen. Wie er sie auf seinem Rücken trug, das Kind in den Armen, um beide für einige Zeit der treuen Obhut seiner betagten Eltern zu übergeben! Wie willig er alle Entbehrungen auf sich nahm! Und doch, keine Änderung zum Besseren, eher zum Schlechteren.
Dann wurde nach vier Jahren das zweite Kind geboren, ein zartes Mädchen, gesund wie das Brüderchen. Die Mutter blieb gelähmt.
Ich verlor die Familie seitdem aus den Augen. Erst jetzt erfuhr ich durch Zufall, daß der Mann frant in einer Heil stäke untergebracht ist, und daß der Exekutor wegen rückständiger Steuern im Hause war, freilich ohne Erfolg für die Steuerbehörde. Wo sollen auch bei Proletariern überflüssige Dinge herkommen? Ich suchte meine lieben alten Bekannten sofort auf, und da enthüllte sich mir ein furchtbar trauriges Bild.
Die Lähmung hat auch die Hände der Frau ergriffen, so daß fie nur mit vieler Mühe und kaum leferlich ihren Namen