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Die Gleichheit
Gerade deshalb machen wir die Arbeiterinnen noch besonders auf jene Zusammenkünfte und Beschlüsse der Fabrik- und Handelsherren aufmerksam. Der kommende Winter wird wichtige Rämpfe im Reichstag bringen. Diese Kämpfe dürfen sich aber nicht allein auf den Reichstag beschränken. Die Arbeiter und Arbeiterinnen müssen sich daran beteiligen. Durch ihren Druck auf die Parteien und Regierungen müssen sie den Ausgang der Kämpfe entscheiden. Deshalb sollte auch jede Arbeiterin den Verhandlungen über die Reform der Arbeiterversicherung und über den Ausbau des gesetzlichen Arbeiterschutzes aufmerksam folgen; jede Genossin müßte Aufklärung über die Bedeutung dieser Angelegenheiten in immer weitere Kreise tragen. Es ist Zeit, daß die ausgebeuteten Massen ihre Klassenintereffen mit dem gleichen schneidigen Klassenbewußtsein verfechten, das die Vertreter des Ausbeutertums auf ihren Tagungen befundet haben. Das muß ihre Antwort auf die Beschlüsse jener Herren sein.
( Schluß.)
Es ist unmöglich, heute an dieser Stelle auch nur flüchtig die Balladen zu würdigen, die mit den Dramen zusammen Schillers Volkstümlichkeit begründet haben. Es sei nur be tont, daß auch in ihnen die Tendenz start hervortritt, durch die künstlerische Veranschaulichung der siegreichen Macht einer Idee zu wirken, zu erziehen. Künstlerisch am höchsten stehen wohl Die Kraniche des Jbykus". Wundervoll ist der melodische Fluß dieser Verse, der lebendige, ungefünftelte Rhythmus, die plastische Kraft der Bilder, die mit den einfachsten Worten gestaltet werden. Solange Waldesrauschen Sinn und Geist mit geheimnisvollen Schauern erfüllt, Musik die Seelen in ihren Tiefen erschüttert: wird uns der Zauber dieser Ballade in seinen Bann ziehen.
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Am schärfften ausgeprägt erscheint Schillers dualistische Weltanschauung in seinen philosophischen Gedichten. Har monisch stimmt die künstlerisch edle Form und der reiche, tiefe Gedankeninhalt zusammen. Diese philosophische Lyrik hat nicht ihresgleichen. In ihr ist die Kunst, das Morgentor des Schönen", durch das man in der Erkenntnis Land" dringt. Konzentrierter noch als in den Dramen, weil in engerem Rahmen zusammengefaßt, tritt uns in diesen Gedichten Schillers Wesenheit entgegen. Sie sind die Bekenntnisse seines Glaubens, unsterbliche Dokumente seines verzehrenden Ringens nach der Wahrheit, die befreit. Deutlich spiegeln sie die Entwicklung wider, die hinüberleitet von dem heißen Bedürfnis des Karlsschülers, die Mittelfraft zu finden zwischen Sinnen- und Geistes welt, zwischen dem Sollen und Können, zu der Weltanschauung des reifen Mannes. Ihr zentraler Punkt war die Überzeugung, daß der Kunst die historische Mission zufalle, der Menschheit die Wahrheit zu enthüllen und sie zur Freiheit zu führen. An dem Ausgang dieser Entwicklung steht der kirchlich fromme Bibelglaube, der noch in den„ Räubern" und in„ Kabale und Liebe " die Vision des jüngsten Gerichts aufsteigen ließ. Sie ist von den stark wirkenden Einflüssen Rousseauscher Gedankengänge befruchtet worden. Der Tod brach sie frühzeitig ab, nachdem sich der Dichter, von Körner angeregt, in die Rantsche Philosophie vertieft hatte.
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Die Kantsche Ethik verwarf Schiller entschieden als eine modernisierte Form des Bibelglaubens, die das firchliche Dogma schützt. Dagegen fand er in Kants Asthetik die Mittelkraft", nach welcher er in seinen Jugendabhandlungen gesucht hatte. Kant hatte in seiner Ästhetik der Kunst die Kraft zugesprochen, den Zwiespalt zwischen Sinnenwelt und Sittengesetz zu lösen. Das Reich der Kunst stellte er als verbindendes Glied zwischen die Welt der Erscheinungen, in welcher der Mensch den Gesezen untertan ist, und die Welt der Ideen, wo der Wille des Menschen herrscht; zwischen das Reich der Natur, das Reich dessen, was ist, und das Reich der Freiheit, das Reich dessen, was sein soll. Aber so start war in Schiller neben dem suchenden Philosophen der nach der Praris des Lebens verlangende Kämpfer, daß er
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die Kantschen Gedankengänge aus dem Reiche der abstrakten Spekulation auf das der konkreten Gesellschaftsverhältnisse fibertrug. Rants Reich der Natur wurde für ihn zum Naturstaat, wie er den absolutistischen Feudalstaat bezeichnete, das Reich der Willensfreiheit, zum bürgerlichen Vernunftstaat, zum„ Ban einer wahren persönlichen Freiheit", wie Schiller selbst sich ausdrückte. Die Kunst aber, die ästhetische Erziehung sollte die Menschheit aus den dumpfigen Niederungen der Knechtschaft in die lichten, sonnigen Höhen der Freiheit emporführen.
Aber die Auffassung, daß die Schönheit zur Freiheit führen müsse, daß die ästhetische Kultur und nicht der politische Kampf der Klassen der Hebel der Menschheitsbefreiung sei, mußte in eine unfruchtbare philosophisch- ästhetische Gedankenspielerei ausmünden. Ihr Ergebnis war eine blendende Jdeologie. Das Mittel wurde zum Zwecke. Der politische Freiheitsstaat banfte an den ästhetischen Staat ab als Endziel. Der ästhetische Staat aber ist die Welt des schönen Scheins, wo das Ideal der Freiheit und Gleichheit für jede feingeftimmte Seele" erfüllt ist, wo ein liebliches Blendwerk der Freiheit" über die Knechtschaft in der wirklichen Welt hinwegtäuscht. Die philosophischen Abhandlungen Schillers, insbesondere seine Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts spinnen und weben die gleichen Gedankenfäden.
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Mit diesem philosophisch- ästhetischen Jdealismus klingt für mich Schillers Entwicklung in ergreifender Tragit aus. Der Kämpfer, der stets die Tat vor das Wort gestellt hatte, der dem Sein sein Recht vor dem Scheine erringen wollte, erklärt: ,, mein Reich ist nicht von dieser Welt", an dem Scheine mag der Blick sich weiden". Er, der die Menschen zur Freiheit zu führen begehrt, mahnt sie:
,, Werft die Angst des Jrdischen von euch! Fliehet aus dem engen, dumpfen Leben
In der Ideale Reich."
Der Philosoph, der als vollkommenstes aller Kunstwerke den Bau einer wahren politischen Freiheit erkannt hatte, bescheidet sich mit dem Kartenhaus des ästhetischen Staats. Der Weltbürger, der feuertrunken" jubelt:„ Seid umschlungen, Millionen", begnügt sich mit der Erkenntnis, daß nur eine fleine Minderheit auserlesener Seelen die Möglichkeit finden könne, in der Welt des schönen Scheins zur Freiheit zu genesen! Dieser tragische Ausgang berührt um so befremdender, wenn man der weltgeschichtlichen Ereignisse gedenkt, in deren Schatten er stand. In Frankreich war die große Revolution am Wert, den barbarischen Naturstaat der Feudalordnung in den bürgerlichen Vernunftstaat des kapitalistischen Regimes umzuschmieden. Aber was Schiller als Historiker in der Perspektive der Zeiten wahrscheinlich richtig gewürdigt hätte, bas vermochte er als Miterlebender, als Zeitgenosse nicht historisch zu beurteilen. Die rückständige Entwicklung Deutschlands , die keine reife, kämpfende Bourgeoisie aufkommen ließ, versperrte ihm den Weg zum Verständnis der Klassengegensäge und Klassentämpfe und ihrer geschichtlichen Rolle. Und so begeistert Schiller den Idealen anhing, mit denen die französische Bourgeoisie ihren Kampf um die Macht schmückte, so entsetzt wendete er sich von den Erscheinungsformen des Kampfes, unter denen sich der bürgerliche Vernunftstaat der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit durchsetzte. Er konnte nicht begreifen, daß die Revolution in furchtbarer Herrlichkeit. einherschritt, den Mantel blutbefleckt, das Schwert mehr als die Kelle führend, daß sie nicht fam im weißen Feiertagsgewand, den Palmenzweig des Friedens in den Händen. Über den schwelenden Rauch des revolutionären Brandes vergaß er deffen läuternde, lodernde Flamme; er sah nur das Blut, das den Boden düngte, aber nicht seine schöpferische Kraft in der jungen Saat, die lebensstart emporsproßte. Von den oberen Klassen erwartete Schiller leine gesellschaftliche Erneuerung, denn sie zeigten Schlaffheit und Verkommenheit des Charakters, Laster, die ihn um so mehr abstießen, da er mit Rousseau die Kultur als ihre Quelle betrachtete. In den niederen und zahlreicheren" Klassen wieder sah er, rohe und geseglose Triebe" finnlos walten". So fam es, daß Schiller , der mit tausend Masten heißen Freiheitssehnens in den Ozean