Nr. 5
Die Gleichheit
Gendarmerie und der Herr Landrat in höchsteigener Person halfen dem Herrn Direktor, bei der Anlegung der Bergleute eine„, weife" Auslese zu halten. Der Landrat machte sich noch besonders um den Kapitalismus verdient, indem er jeden einzustellenden Bergmann durch Handschlag verpflichtete, dem Bochumer Verband nicht beizutreten. Die Landräte in Preußen sind unzweifelhaft sehr brauchbare Staatsbeamte, von deren vielseitigen Kenntnissen und Fähigfeiten der profane Mensch keine Ahnung shat, die der bechränkte Untertanenverstand nicht fassen kann. Was die hohen Staatsbeamten und die Büttel in Mansfeld den Arbeitern etwa noch nicht besorgt haben, das erledigen nun die Gerichte. Es hagelt Prozesse gegen Streifende, die die lieben Streitbrecher angesprochen oder gar angefaßt oder sonstwie die heilige Ordnung gestört haben sollen. Im Gericht sitzt ein Fahrsteiger. Beantragt der Amtsanwalt einen Monat Gefängnis, so erkennt das Gericht auf zwei Monate, es sieht seine Aufgabe darin, das Strafmaß zu verdoppeln. Alle noch so berechtigten Einwendungen des Verteidigers, des Genossen Dr. Landsberg, bleiben wirkungslos. über die meisten Urteile wird die Straffammer in Halle als Berufungsinstanz noch zu entscheiden haben. Die Strafe mag einzelne der Verurteilten hart treffen, die Arbeiterbewegung hat aber schon viel größere Opfer gefordert, und sie ist dabei groß und stark geworden. Das Leid des einzelnen wird der Klasse zum Segen gereichen. Denn die harte Lehre vom Klassenstaat, der Klassenjustiz, die es mit sich bringt, trägt für die Arbeiterbewegung und ihre hehren Jdeale gute Frucht!
Die Zechenbesiger schicken sich zur Durchführung ihres Gewaltattes an. Der Zentralarbeitsnachweis soll am 1. Januar eingeführt werden. Seine Zentrale wird sich in Essen befinden, in etwa 14 Städten des Ruhrreviers werden Filialen errichtet. Eine Konferenz von Vertretern der vier Bergarbeiterorgani fationen beschloß einmütig, die in Aussicht stehenden Verhandlungen des Reichstags über den Zwangsarbeitsnachweis der Zechenbesitzer abzuwarten und dann in einer abermaligen Zu sammenkunft Beschluß über die Situation zu fassen. Die Lage ist sehr ernst. Der Bergarbeiter hat sich eine ungeheure Erregung ob des Vorgehens der Zechenbesitzer bemächtigt, und sie drängen dar= auf, das drohende Maßregelungsbureau durch den Streit abzuwehren. Bemerkenswert, aber nicht neu ist, daß der evangelische Arbeiterbund beziehungsweise dessen Organ sich zuerst gegen den Zechennachweis erklärte. Nun aber hat ein Bundestag unter Leitung eines Rettors eine Resolution angenommen, die von einem Prediger vorgelegt wurde. In ihr heißt es, daß abzuwarten sei, wie der Nachweis wirken werde. Und das nennt sich Arbeitervertreter!!!
Den Anschluß an den internationalen Gewerkschaftsbund hat der Kongreß des amerikanischen Gewerkschaftsverbandes beschlossen. Damit hat sich eine der stärksten Gewerk schaftsbewegungen der Internationale angeschlossen und hilft ihre Macht kräftigen. Das internationale Band verknüpft nunmehr alle Gewerkschaftsverbände von größerer Bedeutung. # Aus dem Ausland. Der Kampf der schwedischen Arbeiter hat ihnen letzten Endes doch noch Erfolg gebracht. In den Vergleichsverhandlungen, die von Regierungsbeamten eingeleitet wurden, waren die Unternehmer wieder völlig bockbeinig. Sie mußten aber schließlich die Aussperrung in der Eisenindustrie aufgeben, die legte, die faktisch noch bestand. Damit hatte die Massenaussperrungstaktit der Unternehmer ein völliges Fiasio erlitten. Die Landeszentrale der schwedischen Gewerkschaften übermittelte den deutschen Gewerkschaften telegraphisch den Dank der schwedischen Arbeiter für ihre reiche materielle Beihilfe. Nach der letzten Quittung find den schwedischen Brüdern 1283 161,60 Mark von deutschen Gewerkschaften zugegangen. In Australien ist ein größerer Berg arbeiterstreit ausgebrochen, der leicht zu einem allgemeinen Streit aller gewerkschaftlich Organisierten werden kann, wenn die Anrufung der staatlichen Schlichtungsbehörden erfolglos bleibt. In Kopenhagen fordern die Straßenbahner Lohnerhöhungen durch Tarifvertrag. In Italien streifen die Gasarbeiter seit Wochen. Der Präsident der amerikanischen Gewerkschaften, Gompers, wird ein Jahr Gefängnis absitzen müssen. Die Strafe wurde ihm im Lande der Freiheit wegen Boykottierung einer Firma beziehungsweise wegen Mißachtung eines Gerichtsbeschlusses, der den Gewerkschaften die Boykottierung verbot, von den Gerichten zudiktiert.
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In der vogtländischen Spikenindustrie gärt es weiter. Die Lohnschiffchenstickmaschinenbesitzer brachten den Stein ins Rollen. Sie drohten, wie bekannt, mit Aussperrung ihrer Arbeiter und in weiterer Folge mit Reduzierung des Stichlohnes, wenn die Fabrifanten ihnen nicht ihre höheren Preise bewilligten. Die Arbeiter
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standen Gewehr bei Fuß und eilten in größeren Scharen in bie Organisation. Die Fabrikanten haben nun die Forderungen der Lohnschiffchenstickmaschinenbesizer bewilligt, die erregten Arbeiter sind aber durchaus nicht gewillt, unter den alten Bedingungen ruhig weiterzuschuften. Mit der alten behäbigen Zufriedenheit der Sticker ist es vorbei. Ihre Löhne sind bis auf 10 und 12 Pf. pro 1000 Stich zurückgegangen, gegen 20 Pf. und mehr früher. Ihre Klagen sind also berechtigt. Die Sticker haben Forderung auf höhere Stichlöhne an die Fabrikanten und Maschinenbesitzer gestellt. Ein seit vier Wochen vorhandener außerordentlich guter Geschäftsgang tommt ihnen zustatten. Die Zahl der Organisierten hat sich vermehrt, und ihre Arbeit wird nun zweifellos Früchte zeitigen. Die Sticker machen aber auch endlich Front gegen einen seit vielen Jahren geübten Betrug. Wie der Weber betrogen wurde und wo automatische Schußzähler nicht vorhanden sind, heute noch betrogen wird, indem eine vereinbarte Kettenlänge durch die verschiedensten Manipulationen ohne sein Wissen überschritten wurde; wie der Spinner oft betrogen wird durch falsche Angabe der Tara der Garnförbe an den Etiketten, so betrügt man den Sticker durch falsche Angabe der Stichzahl auf den Schablonen. Der Betrug ist schließlich zu einer Gefahr für die ganze Branche geworden. Daher auch der früher gar nicht gekannte Eifer mancher Unternehmerfreise, dem Betrug zu steuern. Die Arbeiter haben Stichzahlstellen errichtet. Jetzt verlangen sie Anbringung automatisch wirfender Stichzähler an den Schiffchenmaschinen. Daß die Unternehmerorganisationen nicht schon längst selbst nach dieser Richtung gewirkt haben, beweist, daß es mit ihrem Kampf gegen den Betrug nicht allzuweit her ist. Hoffentlich lassen die Sticker in ihrem Eifer nicht wieder nach, die Organisation steht hinter ihnen. Bedauerlich ist die Indifferenz der Arbeiterinnen. Die Schwierig feiten der Arbeiterinnenorganisation in der Spitzenindustrie find groß, ganz besonders in der Hauptstadt der Spißen, Plauen . Die start verbreitete Heimarbeit, zahlreiche Zwergbetriebe und fortgesetzter Zuzug junger Mädchen erschweren außerordentlich die Arbeit. Immerhin muß es Aufgabe der Männer sein, die jetzige Zeit der Gärung zu benutzen, um Licht in die Köpfe der Arbeiterinnen zu bringen. Auch ihre Löhne sind gesunken, und auch fie standen vor der Gefahr der Aussperrung. Es handelt sich um große Massen. In Plauen wurden 1907 nicht weniger als 18918 Personen in der Spitzenbranche innerhalb der Betriebe beschäftigt. Davon waren 12270 weibliche und von diesen 1103 verheiratete Arbeiterinnen. Auch die Genossinnen des Vogtlandes müssen die Gelegenheit nutzen, Fühlung mit den großen Massen der noch indifferenten Arbeiterinnen zu gewinnen. Die Situation eröffnet ihrer Aufklärungs- und Organisationsarbeit ein weites Tätig teitsfeld. bj.
Notizenteil. Dienstbotenfrage.
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Die Ausbeutung der häuslichen Arbeitskräfte in Bad Kreuznach bestätigt die allbekannte Tatsache, daß ihre Arbeitsund Lebensbedingungen gerade dort die denkbar traurigsten sind, wo die oberen Zehntausend Erholung suchen viele nur von Völlerei und Müßiggang . In unserem berühmten Sol- und Salinenbad beträgt der Lohn der Dienenden je nach dem Alter 10 bis 20 Mark monatlich, wenige nur dürfen sich rühmen, 25 Mf. zu erhalten. Und was wird nicht alles für diesen Lohn gefordert! Eine tägliche Arbeitszeit von 16 Stunden, zuweilen auch noch länger, in der das Mögliche und Unmögliche geleistet werden soll. Besonders während der Saison könnten sich die Mädchen in den Familien, wo Badegäste in Wohnung und Pension genommen werden, die Füße ablaufen und die Arme ausrenten, um allen Anforderungen zu genügen. Dabei sollen sie aber natürlich stets ein heiteres Gesicht" und ein liebenswürdiges Benehmen" zeigen. Die Beköstigung der Mädchen läßt nur zu oft an Quantität und Qualität zu wünschen übrig. Erst wenn die Herrschaften gespeist haben, dürfen in vielen Häusern die Dienenden ihre Mahlzeit von Resten rasch hinunterschlingen. Die Schlafräume sind nur selten gesundheitlich einwandsfrei, geschweige denn gemütlich. Die Lage der Zugängerinnen und Pußfrauen ist ebenfalls nichts weniger als rosig. Wer Studien über die sozialen Gegensäge machen will, der tomme während der Kursaison nach Kreuznach und tue einen Gang durch das Badeviertel. Auf der einen Seite ein schier unglaublicher Lebensgenuß jeder Art, der täglich mehr als ein Zwanzigmarkstück verschlingt. Auf der anderen Seite hinter den Kulissen Arbeitssflavinnen, die sich um fargen Lohn übermäßig abrackern müssen. Es wird dem Verband der Hausangestellten vorbehalten