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Die Gleichheit
weigert ihnen das Wissen, das nötig ist, um die hinter dem trügerischen Scheine verborgene Wirklichkeit zu erkennen. Klarheit über die Zusammenhänge in der Gesellschaft, Klarheit über die treibenden Kräfte und die Richtung ihrer Entwicklung, Klarheit vor allem über Stellung und Bedeutung der eigenen Klasse in der Produktionsund Gesellschaftsordnung das ist es, wessen sie bedürfen. An die Stelle blinden Glaubens an das, was ist, hat das Wissen zu treten, warum es so ist, und warum und wie es anders werden muß. Dieses Wissen läßt die Arbeiterinnen erkennen, daß der Bau der Gesellschaft auf den Schultern der Arbeiterklasse ruht. Ihrer Hände Wert sind die sich häufenden Reichtümer, ihre Arbeit schafft die materielle Grundlage für die Fortschritte der Wissenschaft und Kultur. Die Arbeiterklasse selbst aber steht entbehrend zur Seite. Kommt der Arbeiterin die Bedeutung ihrer Klaffe für den Bestand und die Entwicklung der Gesellschaft zum Bewußtsein, so weiß sie auch, daß das Proletariat die Kraft besitzt, die gegenwärtige Ord nung umzugestalten, wenn die Zeit erfüllet ist".
Damit tritt an die Stelle demutvoller Ergebung in ein scheinbar unabänderliches Schicksal das bewußte Streben nach Einfluß auf die Gestaltung der gesellschaftlichen Zustände. Alle Vorgänge und Einrichtungen des öffentlichen Lebens erscheinen jetzt wichtig und beachtenswert. Sie werden daraufhin geprüft, ob sie dem Inter esse der Ausbeutenden oder der Ausgebeuteten dienen. Die Arbeiterin, die zum Bewußtsein ihrer Klaffenlage gelangt ist, hält Umschau nach Waffen für die Verteidigung ihrer Interessen, sie wird die tatkräftige Kampfesgefährtin des zielklaren Proletariers, der seine Befreiung erstrebt. Dadurch wird das Leben reich an geistiger Anregung, an höherem Gehalt. Tag für Tag wird die Arbeiterin von neuen Gedanken bestürmt. Ihr Leben hört auf, dem eintönig und polternd dahinrollenden Güterzug zu gleichen. Es wird bewegt wie das Meer mit seiner Ebbe und Flut, seinen Wogen und Brandungen.
Wohl ist das Leben der Arbeiterin draußen im Kampfe beschwerlich und opferreich. Aber was tut das? Der Kampf um die höchsten Ziele der Zeit, der Menschheit weckt alle geistigen und sittlichen Kräfte und bringt sie zum Blühen und Reifen. Er erhebt über die Not des Tages. Entschädigt das nicht reichlich für die Mühen, die Opfer, die das Leben im Kampfe um das Recht unserer Klasse mit sich bringt? Ist ein solches Leben dem Dahinvegetieren in geistiger Trägheit nicht vorzuziehen?
Darum mögen die Arbeiterinnen um das Wissen ringen, dessen sie benötigen, um jenes Leben des Rampfes leben zu können, es ist das Wissen, das ihnen die Macht gibt, die kapitalistische Gesellschaft zu überwinden. Es ist eine Waffe, die sie den Händen der Gegner entreißen müssen. Dies Ziel vor Augen, mögen die Arbeiterinnen rustig und hochgemut dem neuen Jahre entgegenschreiten. Hoffnungsfreude, kühner Mut und klarer Blick seien ihre steten Begleiter. Anderer Schutzgeister" bedürfen sie nicht. Wenn Kämpfe sie umbrausen und Gefahren sie bedrohen, so dürfen sie nicht vergessen, daß das Schiff ihrer großen Sache am schnellsten im Sturm ſegelt. Es leite sie das Wort: Empor zum Licht! R. S., Berlin .
Aus der Bewegung.
Von der Agitation. Im niederrheinischen Agitationsbezirk war die Unterzeichnete vom 6. November bis 6. Dezember tätig. Versammlungen fanden statt in Hagen , Haßlinghausen, Haspe , Oben, Ratternberg bei Solingen , Wald, Gräfrath , Brucks hausen, Alstaden, Mülheim a. Ruhr, Gerresheim , Rheydt , Neuß , Obertassel, Benrath , Mörs , Rheinhausen , Pletten berg, Essen, Essen- Krey, Lüdenscheid , Ronsdorf , Rade vormwald , Remscheid , Elberfeld , Barmen, Krefeld , ür dingen, Fischeln , Dülten, Goch und Ratingen . Die meisten davon waren als öffentliche Versammlungen einberufen worden, in benen folgende Themata behandelt wurden: Haben die Arbeiter ein Vaterland?"," Die Gewaltpolitit der Scharfmacher in politischer und wirtschaftlicher Beziehung"," Voltsbeschwindelung und Voltsaufklärung". Einige Versammlungen sollten besonders der Aufflärung der Frauen dienen. Hier lautete das Thema:„ Die Frau im Wirtschaftsleben und in der Politit" und" Was müssen die Frauen tun, um die Lage ihrer Familien zu verbessern?" Fast überall erfreuten sich die Veranstaltungen eines guten Besuches. Die neuen Steuern, wie auch der letzte Vorstoß der scharfmacherischen Grubenherren gegen die Bergarbeiter haben in den schwärzesten Winkeln des Rheinlandes Männer und Frauen aufgerüttelt. Ist. es doch leider so, daß die Massen erst durch außergewöhnliche Ereignisse zum Nachdenken gebracht werden. Unseren Gegnern, befonders den Bentrümlern, ist angesichts der Empörung der Arbeiter
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gegen die verruchte Politik der Herrschenden angst und bange geworden. Sie versuchen alles, um das Volk zu beschwichtigen. Nur das eine lassen sie bleiben: in unseren Versammlungen die Schandwirtschaft zu verteidigen. Hier, wo sie Aug in Auge Rede und Antwort stehen sollten, schweigen fie. Außerordentlich guten Besuch wiesen die Versammlungen in den Orten auf, wo die sozialdemokratische Bewegung noch verhältnismäßig jung ist. So in Bruckhausen, Plettenberg , Radevormwald und Goch . In manchen Parteiorten scheint es großer Aftionen zu bedürfen, damit es lebhaft wird. Hier und da machte sich nach den kaum beendeten Stadtratswahlen auch eine gewisse Versammlungsmüdigkeit geltend. Überall aber waren die Versammlungen vom besten Geiste beseelt. In Barmen trugen die Genofsinnen, die dem Gesangverein an gehören, ein prächtiges Lied vor, das zweifellos die Stimmung er höhte. In Gerresheim befinden sich die bekannten Heyeschen Glasfabriken. Die dort beschäftigten Arbeiter werden vom Kapital besonders hart gefnechtet. Nur selten haben sie den Mut, oft auch nach der schweren Tagesarbeit kaum die Kraft, eine Versammlung zu besuchen. Die Zahl der Versammlungsteilnehmer war in Gerres heim verhältnismäßig klein und viele davon sahen so gedrückt aus, daß es durchs Herz schnitt. Sie zeigten finnenfällig, was bas Kapital fündigt, was es aus den sogenannten„ freien" Arbeitern macht: Sklaven, die sich nur bei den Reichstagswahlen an ihr Menschen- und Bürgerrecht erinnern. Dann bekunden die meisten durch den Stimmzettel, daß sie auf eine Befreiung aus ihrem Jammer hoffen, und daß sie innerlich zur Sozialdemokratie gehören. Leider genügt das nicht. Diese schlecht bezahlten, schlecht wohnenden Lohnsklaven mitsamt den Ihrigen haben alle Ursache, fich offen zur Sozialdemokratie zu bekennen und sich der gewerkschaftlichen wie politischen Organisation anzuschließen. Am selben Tage, wo unsere Versammlung in Ronsdorf stattfand, mußten auch die streikenden Bandwirker tagen. Das wirkte ungünstig auf den Besuch unserer Versammlung ein. Allerdings hatten unsere Genossen in der Streifversammlung auf die öffentliche Veranstaltung hingewiesen und beantragt, die eigene Zagung abzubrechen. Die christlichen Textil arbeiter machten jedoch einen Strich durch die Rechnung; sie stimmten den Antrag nieder. Der mäßige Besuch unserer Versammlung ver anlaßte leider einige Genossen, in der Diskussion Dinge zu erörtern, die wohl die politische Organisation angingen, aber nicht zu einer öffentlichen Besprechung geeignet waren, und die mit der Tagesordnung absolut nichts zu tun hatten. Als der Vorsitzende mahnte, zur Sache zu sprechen und einem Redner das Wort entzog, ent spann sich ein lärmender Streit, und der überwachende Beamte löste die Versammlung auf. So ist die Versammlung, die zur Aufflärung der Frauen dienen sollte, ziemlich nuglos verlaufen, ja manche Teilnehmer hat sie abgestoßen. Von dieser einen Ausnahme abgesehen, nahmen die Versammlungen einen guten Verlauf; überall wurden Mitglieder für die Partei gewonnen. In mehreren Orten fanden vor oder nach der Versammlung noch Sigungen mit der Referentin statt, die Anregungen für die Agitation und Organisation zu geben hatte. Überall geht es vorwärts. Was pfäffischer Geist und die Knute des Kapitalismus auch zur Niederhaltung der Massen tut, die traurigen Verhältnisse, unter denen die Proletarier heute leben, erweisen sich mächtiger als alle raffiniert ausgeflügelten Mittel, die Massen von der Sozialdemokratie fernzuhalten. Wären Regierung, bürgerliche Politiker und die herrschenden Klassen überhaupt nicht so verblendet, so würden sie sich anders zu den Arbeitern stellen. Es ist aber ihr geschichtliches Verhängnis, daß sie verblendet sein müssen. Uns fann es recht sein. Wir bearbeiten gern den von den Gegnern vorbereiteten Boden. Mögen die Herren nur so weitermachen. Sie beschleunigen damit den unabwendbaren Sturz der Klassengesellschaft. Frida Wulff.
Agitation in Altenburg und Hannover . Ihr seid nicht reif! Vor allem nicht reif genug für das öffentliche Leben, für die politische Betätigung. Das ist das Lied, das heute noch den prole tarischen Frauen von oben herab in allen Tonarten gesungen und gepfiffen wird. Aber die Wortgespinste verfangen nicht mehr. Denen, für die die Botschaft bestimmt ist, ist der Glaube an die angebliche ,, ewige Norm" längst verloren gegangen. Das Süpplein, das die Wolfsverderber legten Sommer in der Herenküche des Schnapsblocks gekocht haben, hat gar vielen der proletarischen Hungerleider den Geschmack an der" göttlichen" Weltordnung auf immer verdorben. Auch in unseren Frauen erstarkt das kritische Empfinden mehr und mehr. Sie, die jeden Pfennig hundertmal umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben, empören sich mit vollstem Rechte über die wahnwißige Verschwendung, die im Staatshaushalt mit den blutigen Zinsgroschen der Armen und Armsten getrieben wird. Dabei predigt man ihnen immer noch, ste sollten ihre Interessen lediglich auf Rochtopf und Kinderwiege beschränken und alles andere