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Die Gleichheit

rein bürgerliche, das heißt, Frauen aus den Reihen der gebildeten Mittelklassen waren ihre hauptsächlichen Trägerinnen und Anhänge rinnen. Aber während der letzten Jahre ist sie mächtig in die Kreise der Arbeiterinnen gedrungen, und gerade dieser Tatsache verdankt sie ihren Aufschwung. Viele Arbeiterinnen sind in der Frauenbewe­gung tätig. Es bestehen eine ganze Reihe Frauenstimmrechtsvereine, die zum großen Teile, wenn nicht ausschließlich, Arbeiterinnen als Mitglieder haben, und die organisierten Arbeiterinnen der Ver­ einigten Staaten   haben sich auf ihrem letzten nationalen Kongreß mit der Frauenstimmrechtsbewegung solidarisch erklärt.

Die nationale Frauenstimmrechtsorganisation ist unpolitisch, das heißt, sie repräsentiert keine besondere politische Richtung, sondern die verschiedensten politischen Richtungen und Gesinnungen find in ihr vertreten, und auch eine ganze Anzahl Sozialistinnen sind in der Frauenbewegung tätig. Ferner ist in dieser Bewegung keine Rede von einem beschränkten Frauenwahlrecht. Die offiziellen Re­präsentantinnen der nationalen Frauenstimmirechtsorganisation haben mehrere Male mündlich und schriftlich erklärt, daß sie für feine andere Form des Frauenwahlrechts als für das allgemeine eintreten werden, und sie haben ihr Wort gehalten, indem sie in zwei namhaften Fällen fich streng geweigert haben, Gesetzesvorlagen zu unterstützen, die ein beschränktes Wahlrecht fordern. In dem einen Falle sollte in einem westlichen Staate ein beschränktes Wahlrecht für steuerzahlende Frauen erwirkt werden. In dem anderen Falle handelte es sich in einem südlichen Staate darum, eine Gesetzesvorlage einzureichen, die nur weißen Frauen das Wahlrecht zuerkannte und die farbigen ausschloß. In beiden Fällen hat die nationale Frauenstimmrechts­organisation ihre finanzielle und moralische Unterstützung verweigert und sogar die Niederlage der vorgeschlagenen, Reformen" veranlaßt.

Nun sind es die Frauenrechtlerinnen, welche die Mitwirkung der sozialistischen   Frauen suchen. Unsere letzte Stonferenz im Ottober erhielt ein diesbezügliches Schreiben von der Hauptleitung der nationalen Frauenstimmrechtsorganisation. Unsere Antwort hierauf lautete: Wir werden die Frauenstimmrechtsbewegung immer unter­stüzen, wenn sie mit keinem Prinzip der Partei, zu der wir ge­hören, in Konflikt kommt."

Die Frage, welche uns zur Diskussion vorliegt, ist nun: Inwie­weit tönnen und sollen wir die Frauenstimmrechtsbewegung unter. stützen? Können wir, zusammen mit den Frauenrechtlerinnen, ges legentlich eine Massendemonstration veranstalten, zu der wir unsere sozialistischen Rednerinnen entsenden, bei der wir unsere sozialistische Literatur verteilen, und bei der wir Gelegenheit finden, den sozia­ listischen   Standpunkt in der Frauenfrage zu vertreten? Oder ist es flüger und ratsamer, wie bisher gesondert und abseits zu be harren? Auf unserer Konferenz am 19. Dezember werden wir eine Antwort finden. Meta 2. Stern, New York  .

Verschiedenes.

320 Haushaltungsrechnungen von Metallarbeitern. Der Deutsche Metallarbeiterverband hat den Versuch gemacht, die Ein­nahmen und Ausgaben einer möglichst großen Zahl seiner ver­heirateten Mitglieder und ihrer Familien im Jahre 1908 zuver­lässig festzustellen. Es ist ihm dies für 320 Familien in 41 Orten gelungen. Die crmittelten Zahlen nebst einer Besprechung der selben sind jetzt in einer Broschüre erschienen.* Obgleich die Er­hebung sich nur auf organisierte und auch sonst besonders zuver­lässige Arbeiter und deren Familien bezieht, und hier meistens die Verhältnisse günstiger sind als bei vielen der anderen Proletarier, entrollen die ermittelten Zahlen das denkbar traurigste Bild: das langsame Verhungern der Arbeiter.

Das durchschnittliche Gesamteinkommen der 320 Familien ist 1856,19 Mt. für jede Familie. Die durchschnittliche Gesamtausgabe jeder Familie stellt sich auf 1825,28 Mt. Das ergibt einen über­schuß von durchschnittlich 30,91 Mt. für jede Familie. Das ist ver­schwindend gering. Es schließen denn auch tatsächlich nur 228 Fa milien mit einem überschuß und 92 mit einem Fehlbetrag ab.

Die Ausgaben dienen fast ganz zur Befriedigung der dringend­ften Lebensbedürfnisse, für Nahrung, Wohnung und Kleidung. Für Erholung, Vergnügen und Weiterbildung tonnten die Familien nur ganz geringe Beträge aufwenden. Troydem bleibt die Nahrung der Familien weit hinter den Erfordernissen einer ausreichenden Ernährung zurück. Wir werden in der nächsten Nummer der Gleichheit" auf die ermittelten Zahlen noch näher eingehen.

h.

Ernstes und Heiteres aus dem Mansfelder Bergbaugebiet. Verständnislos, ja jogar feindlich haben die ehrsamen Spießer im Mansfelder Revier dem großen Kampje der Knappen gegen ihre

* Stuttgart   1909, Druck und Verlag von Alexander Schlicke& Co.

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Nr. 7

Ausbeuter und Unterdrücker zugeschaut. Nun, da dieser Kampf vorüber ist, wollen auch sie ihr Scherflein zur Aufklärung" der " Irregeführten" beitragen. Dabei passiert es dem einen oder anderen Biertischpolitiker, daß er sich eine Abfertigung holt, die ihm zu denken geben würde, wenn das Denken eben nicht ein so überflüssiger Luxus für Leute seines Schlages wäre. Kommt da neulich in Hettstedt  ein Lehrer und erlaubt sich, dem Besitzer einer Wirtschaft sanft zu be merten, es sei nicht schön von ihm gewesen, den Streifenden, unter denen sich schauderhaft!- Sozialdemokraten befunden hätten, fein Lokal zur Verfügung zu stellen. Auf den bescheidenen Hinweis des Wirtes, daß Sozialdemokraten doch im Staate, in der Ge­meinde, in Banken und Kaufhäusern neben besseren Menschen" tätig seien, gab der Herr höchst charakteristisch zur Antwort: Ja, Geld flebt nicht." Der Wirt erklärte sich mit dieser weisen Be­obachtung völlig einverstanden und meinte, es genüge dann auch, wenn er die Betten nach Gebrauch durch die Gäste ohne Unter­schied der Parteirichtung frisch überziehe. Zur Beruhigung des Herrn Lehrers jedoch wolle er das Bett, in dem Sachse geschlafen habe, einer chemischen Reinigung unterziehen. Nun ging endlich dem Erzieher des Volfes" ein Licht auf, daß er gehänselt worden war, und er machte sich schleunigst aus dem Staube. Einen größeren erzieherischen Erfolg als der verehrte Flachsmann hatte - das Militäraufgebot, das zur Beruhigung" der Streifenden erfolgt war. Schon der bloße Anblick der bewaffneten Volks. söhne wirfte aufreizend und erbitternd auf die kämpfenden Ar­beiter, und das brutale, rücksichtslose Verhalten einzelner Mili tärs verstärkte noch diese antimilitaristische Propaganda der Tat" Eines besonders krassen Falles von militärischer Roheit sei hier Erwähnung getan, den mir die Frau eines Berginvaliden erzählte. Ihr Mann erhält 22,50 Mt. Unterstüßung. Natürlich reicht dieser Bettel nicht, um die ganze Familie zu ernähren, die aus Mann, Frau und zwei Kindern besteht. Die Frau muß mitverdienen, wie es in Arbeiterfamilien üblich ist. Wenn sie in ihrer Wohnung, an ihrer Maschine, mit dem Garne, das sie selbst zahlt, glücklich ein ganzes Dugend Barchenthemdchen genäht hat, bekommt sie eine ganze Marf. An dem Tage nun, an dem in Hettstedt   das Militär zur Aufrechterhaltung der Ordnung" einrückte, wollte die Frau ihre Arbeit abliefern und neue in Empfang nehmen. Sie wurde von ihrem Mann und ihren beiden Kindern begleitet. Auf dem Heimweg wollte die Familie den Marktplay passieren, war aber sehr überrascht, den Play durch das Militär gesperrt zu sehen. Auf die Bitte, sie durch zulassen, erhielt der franke Mann, der das vierjährige Kind an der Hand führte, einen solchen Stoß, daß er der Länge nach hinfiel und das Kind neben ihm zu Boden stürzte. Über das am Boden Liegende Kind stürmten einige Soldaten hinweg, so daß die ent­fetzte Mutter glaubte, es würde zertreten. Der Eindruck, den das Kind erhalten hat, ist so groß, daß es bis jetzt weder durch Schelten noch durch Versprechungen zu bewegen ist, über den Marktplatz zu gehen. Diesen Keim des Entsetzens und des Abscheus vor dem Wiilitär, der in die Kindesseele gepflanzt worden ist, wird fein noch so hurrapatriotischer Unterricht in der Schule zu töten imstande sein. Die Arbeitereltern im Mansfelder Bergrevier   haben nebst vielen anderen Lehren aus dem Kampfe auch die gezogen: Wenn die Ge wehrläufe der Söhne sich nicht drohend auf sie richten sollen, um ihr Ringen für bessere Lebensbedingungen niederzuschlagen, müssen sie ihre Kinder so erziehen, daß diese wissen, was ihre Pflicht ist, wenn der entmenschte Besehl an sie ergeht, auf ihre Eltern und Geschwister zu schießen. Agnes Fahrenwald.

Zur Beachtung!

Dem Wunsche vieler Genossinnen entsprechend, liefert der Verlag der Gleichheit" von nun an

Einbanddecken

in einfacher, aber guter Ausstattung. Sie werden bald nach Neujahr zu beziehen sein und kosten:

a. die Decke in 4° für das Hauptblatt und die Beilage Für unsere Mütter und Hausfrauen",

b. die Decke in 8° für die Kinderbeilage" zusammen 1 Mart. Titelblatt und Inhaltsverzeichnis werden den Decken gratis beigegeben.

Es empfiehlt sich, die Bestellungen bald an den Verlag ge­langen zu lassen. Die organisierten Genofsinnen sollten dafür sorgen, daß die Neuerung in den weitesten Leserkreisen befannt wird. Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara gettin( Bundel), Wilhelmshobe, Post Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttgart  .