Nr. 14
Die Gleichheit
bürgerlichen Parteien und nur dank dem Drucke der sozialdemoIratischen Abgeordneten und der hinter ihnen stehenden flaffen bewußten Arbeitermassen. Die Regierung wäre für alle Vers schlechterungen der mageren„ Reformen" zu haben gewesen, trotz dem sie ihr lebhaftes Interesse" an der ersten Konferenz zur Förderung der Arbeiterinneninteressen durch Entsendung eines Vertreters fundgegeben hatte und es diesmal wiederum durch die Anwesenheit eines Herrn vom Reichsversicherungsamt den Damen gnädigst bezeugte.
Dieselben Referentinnen fagten auch im wesentlichen dasselbe wie damals. Helene Simon sprach über den Anteil der Frau an der deutschen Industrie nach den Ergebnissen der Berufszählung von 1907" und empfahl gegen die körperliche und geistige Vers elendung der gewerblich tätigen Frauen wieder: Staatshilfe in Form vermehrten Schutzes und befferer Berufsausbildung und Selbst hilfe, das heißt Organisation. Dabei erscheint es ihr heute wie damals völlig gleichwertig, welcher fonfessionellen oder politischen Organisation fich die Arbeiterinnen anschließen. Ihre Leitsätze, Begründungen und Forderungen deckten sich vollständig mit denen von Dr. Hanns Dorn auf der fünften Generalversammlung des Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine im Oftober 1909, wor über in der„ Gleichheit" seinerzeit ausführlich berichtet worden ist ( Nr. 2 vom 25. Oftober 1909). Aber bis zur Ermüdung wiederholten auch die drei anderen Referentinnen ihre alten Forderungen; Dr. Agnes Bluhm :„ Der Einfluß der gewerblichen Hilfe auf den Organismus der Frau"; Dr. Marie Baum : ,, Der Einfluß der gewerblichen Arbeit auf das persönliche Leben der Frau"; Dr. Elisabeth Jaffé Richthofen:„ Die Frau in der Gewerbeinspektion". Ja, zum Teil sind diefe Damen in ihren Forderungen reaktionärer ge
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fratie hätte diefer bürgerlich- reformerischen Damentagung doch ein gewiffes Relief gegeben. Seit die flaffenbewußte Arbeiterschaft den Glauben verloren hat an eine Harmonie zwischen Arbeit und Kapital, hat sie es im allgemeinen auch abgelehnt, an derartigen Tagungen Vorspanndienste zu leisten. Auf dem Stuttgarter Gewerkschaftsfongreß erklärte Genosse Legien unter der Zustimmung aller Delegierten:„ Wir Arbeiter wissen selbst, was auf dem Gebiet der Arbeiterschußgesetzgebung gemacht werden muß. Wollen uns bürgerliche Politiker helfen, so sind sie uns willkommen, aber hinterher laufen wir ihnen nicht. Wir deutschen Arbeiter brauchen feinen Vormund. Wir gehen den Weg der modernen Arbeiterbewegung, und wer uns von diesem Wege abbringen will, den weisen wir rücksichtslos von uns."
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Hätte Frau Deutsch und alle diejenigen, deren Sprachrohr sie ist, sich dieser Erklärung erinnert, die„ peinliche Empfindung" über das Fernbleiben der höchsten Vertretung der Arbeiterschaft" wäre ihr erspart geblieben. Die Sozialdemokratie hat keine Ursache, ihren Standpunkt zu ändern; sie betrachtet mit Recht alle diese bürgerlichen sozialpolitischen Kongresse als ein Mittel, die Arbeiterklasse - und in unserem Falle insbesondere die Frauen einzufangen und ihr Hirn mit der Utopie einer Harmonie zwischen Arbeit und Kapital zu umnebeln. Die Erkenntnis der proletarischen Klassenlage soll getrübt werden, Phrasen sollen den tatsächlich vorhandenen unüberbrückbaren Gegensatz der Klassen verhüllen und die Ausgebeuteten über die wahren Ursachen ihres Elends hinwegtäuschen. Warum das alles? Damit die Massen sich an Brosamen bürger lichen Wohlwollens begnügen, statt für ihre Befreiung zu kämpfen. Mathilde Wurm .
worden. So empfahl beispielsweise Dr. Marie Baum die Ein- Die Arbeiterinnen und die
führung der Halbtagsschicht für verheiratete Arbeiterinnen.
Ganz abgesehen davon, daß alle von der Konferenz befürworteten Reformen nur Berwässerungen sozialdemokratischer Forderungen find, steht keine einzige bürgerliche Partei hinter ihnen, die bereit wäre, ernsthaft für sie zu tämpfen. Das wissen zwar sowohl die bürgerlichen wie die chriftlichen Frauen, aber sie trösten sich mit dem bequemen Worte:„ Große Dinge gewollt zu haben, ist auch schon etwas." Besonders das Zentrum hat es zur Meisterschaft in der Kunst gebracht, programmatische Forderungen zu stellen, die in Hunderttausenden von Flugblättern der Welt verkündet werden, aber bei der Verfechtung dieser Forderungen in den Parlamenten ftets umzufallen. Auch das wissen zum mindesten die Führerinnen der christlichen Arbeiterinnen, trotzdem fahren sie mit vollem Bewußtsein darin fort, ihre unaufgeklärten Anhängerinnen über den wahren Charakter des Zentrums zu täuschen.
Zu derselben Zeit, in der auf dieser bürgerlichen Konferenz für Arbeiterinnenschutz eine langatmige Resolution angenommen wurde, die die Beseitigung aller Ausnahmebestimmungen für Überarbeitszeit der Frauen und die Freigabe des Sonnabendnachmittags für Fabrifarbeiterinnen fordert, richtet die siebente Generalversammlung des Verbandes deutscher Waren- und Kaufhäuser an den Bundesrat die„ Bitte", in den Konfektionswerkstätten und in der Puzzbranche während der Saison und auch an Sonnabenden bis zum Ladenschluß, das heißt also bis acht Uhr arbeiten laffen zu dürfen. Natürlich nur, weil das im Interesse der Geschäfte wie der Arbeiterinnen liege! Die Tatsache illustriert am besten, welchen Eindruck die Forderungen der bürgerlichen Frauen auf die Männer ihrer Klasse machen. Sobald der heilige Profit in Frage kommt, wird das im Empfangssalon der Frau Gemahlin sehr gut wirfende Dekorationsstück„ Schutz den Müttern und der Familie" als überflüssiger Ballast hinausgeworfen.
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Reformen im Rahmen der heutigen Verhältnisse", wie Helene Simon sie erstrebt, sind entweder teine oder können soweit fie in dem herrschenden kapitalistischen Wirtschaftssystem überhaupt durchführbar sind nur durch den proletarischen Klassenkampf er zwungen werden. Nicht durch die bessere Berufsausbildung, in der die bürgerliche Frauenwelt vor allem die Möglichkeit einer höheren Wertung der Frauenarbeit sieht, kann die Befreiung der Frau aus ihrer wirtschaftlichen Unterdrückung erfolgen. Die ökonomische Entwicklung wird mit der fortschreitenden Technit nur noch eine Vermehrung, ganz gewiß aber keine Verminderung der ungelernten Arbeit mit sich bringen. Daran ändern alle bürgerlichen Bildungsbestrebungen auch nicht das geringste. Daß die Sozialdemokratie dieser höchst überflüssigen Konferenz fernblieb, war selbstverständlich. Darob erhebt Frau Deutsch in Nr. 1 des neu begründeten bürgerlichen Frauenblattes Frauenfortschritt" großes Jammern, was um so ergöglicher wirft, als sie selbst von der ganzen Konferenz nur den Eindruck gewonnen hat, daß es verlorene Zeit" gewesen sei. Vermutlich war sie der Meinung, eine Beteiligung der Sozialdemo
Gesetzgebung
I. K. Die Wahlen zur Boltsvertretung in Finnland , die am 1. Februar stattgefunden haben, riefen es den Leserinnen der„ Gleichheit" ins Gedächtnis zurück, daß auch das dritte Parlament des Landes feines natürlichen Todes" gestorben ist. Der Zar löste es im vorigen Jahre auf, kaum daß es einige Monate existiert und gearbeitet hatte. Diese Volksvertretung war erst Anfang Mai 1909 gewählt worden und hatte nur eine einzige Session beenden können. Aber in dieser einzigen Session ist emsig gearbeitet worden, und namentlich auch seitens der sozialdemokratischen Frauen, die als Abgeordnete der Volksvertretung angehörten.
Unter anderem lag der Volksvertretung der Entwurf eines Arbeiterschutzgesetzes vor, an dem unsere Genofsinnen eifrig mitgearbeitet haben. Die bisherigen Arbeiterschutzgesetze, wie die ganze foziale Gesetzgebung überhaupt, sind in Finnland äußerst dürftig geblieben. So regeln und beschränken sie zum Beispiel nicht die Länge des Arbeitstags für Erwachsene. Die Altersgrenze für die Kinderarbeit ist auf zwölf Jahre festgesetzt. Über die Nachtarbeit und die Überzeitarbeit fehlen jegliche Bestimmungen. Mutterschaftsfürsorge und Unterstützung für Wöchnerinnen sind unbekannt.
Nach dem Generalstreit von 1905 verlangte die Arbeiterklasse entsprechende zeitgemäße Reformen. Die Regierung sah sich gezwungen, einen Ausschuß zum Studium der einschlägigen Fragen einzusetzen. Die parlamentarischen Arbeiten der dritten Volksver tretung haben zum Teil die Vorarbeiten dieser Regierungskommission benutzt.
Unterdessen hatte jedoch die Reaktion im Lande wieder seslen Fuß gefaßt, während die wirtschaftliche Krisis die Arbeiterorganisationen vorübergehend schwächte. Dadurch schwoll der Bourgeoisie aufs neue der Kamm; anstatt die soziale Gesetzgebung zu fördern, ließ sie sich nun angelegen sein, alle derartigen Versuche mög lichst zu hintertreiben. Die starke sozialdemokratische Fraktion, welche die Wahlen in das dritte Parlament entfendet hatten, zwang nichtsdestoweniger die Volksvertretung, den Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung in Angriff zu nehmen. Die Materie wurde dem Ausschuß für wirtschaftliche Angelegenheiten überwiesen, dem neun bürgerliche und sieben sozialdemokratische Abgeordnete angehörten. Unter den letzteren befand sich auch die Schreiberin dieser Zeilen und Genossin Miina Sillanpää . Die Genannte tennt die Arbeitsbedingungen sowohl in der Industrie wie auch im Dienstboten beruf aus eigener Erfahrung. Als Fabrifarbeiterin hat sie Tagund Nachtarbeit leisten müssen, sie hat auch als Dienstmädchen ihr Brot verdient. Von seiten der bürgerlichen Parteien waren ebenfalls zwei Frauen in den Ausschuß entsendet worden: die Gattin eines Pfarrers und die Gewerbeinspektorin des Landes. Pfarrersgattin hat sich unter den proletarischen Frauen besonders dadurch einen Namen gemacht, daß sie in einer früheren parlamen