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Die Gleichheit

auf die Straße fliegt. Daß von den zahlreichen Gemaßregelten viele nicht wissen, warum gerade sie nicht wieder eingestellt wurden, ist bei dieser russischen   Wirtschaft mitten im Herzen Deutschlands   kein Wunder. Schon drei Dynamitattentate sind seit dem Streit gegen Mansfelder   Bergbeamte und ihre Helfer verübt worden. Das legte erfolgte in Hergisdorf   gegen einen Steiger, von dem die Knappen annahmen, daß er sich besonders um Maßregelungen verdient mache. Allerdings ist es möglich, daß es sich bei diesen Knalleffeiten denn weiter waren die Attentate bis jetzt nichts -nicht um Taten Verzweifelter handelt, sondern um Schufte­reien gekaufter Achtgroschenjungen, damit Vorwände für ein noch schärferes Vorgehen gegen die früher reichstreuen Bergarbeiter ge­liefert werden. Die Herren oben können es noch nicht begreifen, daß die so viel belobte Mansfelder Reichstreue in die Brüche ge­gangen ist. Deshalb werden die arbeitswilligen Musterknaben in jeder Beziehung bevorzugt. Die Streitet dagegen erhalten zum Beispiel feinen Vorschuß, auch kein Schachtbrot mehr. Laßt's euch von Sachse geben", wird gesagt. Diesem Treiben gegenüber heißt es: Augen auf! Treu dem Verband, treu der Partei! Die Reihen. gestärkt und Einigkeit gehalten! ge.

Zur Ehrung der verstorbenen Genossin Pauline Stäge mann fand am 18. März, ihrem Geburtstag, eine stille Feier statt. Die politisch und gewerkschaftlich organisierten Frauen von Groß. Berlin hatten es sich nicht nehmen lassen, aus eigenen Mitteln der treuen Kämpferin einen Grabstein zu setzen und übergaben ihn an diesem Tage ihren Kindern. Gerne hätten bei dieser Gelegenheit die nächsten Freundinnen der Verstorbenen einen furzen Nachruf gewidmet, aber die Behörden hatten dahinter wieder einmal um­fturz gewittert. Es war ja der 18. März; jede auch noch so kurze Ansprache war untersagt worden. Der Staat der Junker war wieder einmal gerettet. Alls fich die zahlreich erschienenen Genossinnen in einem nahe gelegenen Lofal sammelten, fennzeichnete Genoffin Ihrer bas reaktionäre Verhalten der Behörden als etwas, was uns alle zwar schon lange nicht mehr wundere, aber das Gefühl der Em­pörung immer wieder von neuem in jedem einzelnen wachrufen müsse. Rühmend erinnerte sie an den unermüdlichen Kampfesmut ber Genoffin Stägemann und stellte sie den jüngeren Parteigenos finnen als ein leuchtendes Vorbild auf, dem sie nacheifern möchten in treuer Pflichterfüllung, auf daß die Saat, die sie gefät, tausend fältig aufgehe, auf daß die Sache des Proletariats immer wieder neue, junge Rämpfer gewinne, die die Arbeit der Alten fortseßen. Die tiefe Ergriffenheit aller bewies, wie sehr Genossin Jhrers Worte gezündet hatten. Trotz aller Polizeiverbote läßt sich die Ar­beiterklasse das Recht nicht rauben, ihre Toten zu ehren, wie sie

es will.

m. w.

Grete Brüggemann. Eine große Lücke ist in die Reihen der Augsburger Genoffinnen gerissen worden. Grete Brügge mann ist nicht mehr. Sie starb mit 24 Jahren, in einem Alter, wo die Seele reich an Blütenträumen ist. Tiefes Weh hat ihr Scheiden uns allen gebracht, die wir wissen, welch edle, aufrichtige, charaktervolle Genossin mit ihr von uns geschieden ist. Ihr Ver­Tuft ist um so schmerzlicher, als sie zu den schönsten Hoffnungen für eine fruchtreiche Arbeit im Dienste unserer Joeen berechtigte. Sie ist um so schwerer zu ersetzen, als es nicht viele gibt, die in so jugendlichem Alter sich zu solch flarer Erkenntnis der Ziele der fozialdemokratischen Bewegung durchgerungen haben wie Grete Brüggemann. Als echte Proletarierin bekam sie von klein auf all die Leiden der Arbeiterkinder zu kosten. Sie teilte auch das Los Hunderter, Tausender ihrer Klassengenossen darin, daß die Prole­tarierkrankheit schon frühzeitig ihren zarten Körper zerstörte. Das langjährige, hartnäckige Lungenleiden hat ihr viele qualvollen Stunden bereitet. Vergebens suchte sie Heilung im Sanatorium. Am 29. März nahm der Tod sie von dem Krankenbett, das sie seit sechs Monaten nicht verlassen hatte. Grete Brüggemann war ein leuchtendes Beispiel für die Genossinnen. Mit welchem Eifer, welchem Fleiß, welcher Auf­opferung unterzog sie sich gewerkschaftlichen wie politischen Arbeiten. Trotz ihres schweren Leidens war sie jederzeit zur Stelle, wenn die Ge­noffinnen auf Posten gerufen wurden. Sie eilte durch Straßenzüge treppauf treppab und stand vor Fabriktoren, um Flugblätter oder Ein­ladungen zu Versammlungen zu verteilen. Weder Sturm noch Regen, weder Frost noch Sonnenhige konnte sie zurückhalten, wenn es galt, Aufklärung und Wissen unter die Arbeiterschaft zu tragen. Wenn auch ihre Tätigkeit nach außenhin nicht so auffiel, war sie doch äußerst wertvoll. Grete Brüggemann war eine von jenen, die unermüdlich Kleinarbeit leisten, und deren Wirken für den Gesamterfolg unent­behrlich ist. Wir können uns keine Versammlung, teine Parteiarbeit denken, bei der unsere Grete nicht dagewesen wäre, um sich auf diese oder jene Weise nüßlich zu erweisen. Nur wenige Jahre sind es her, daß der Wirkungskreis ihres Vaters als Gauleiter des

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Deutschen Textilarbeiterverbandes fie in unsere Mitte führte, aber sie genügten, daß wir das liebenswürdige, stets heitere Mädchen aufrichtig lieben und schätzen lernten. Wir gedenken der Verstorbenen als eines Musters treuer und gewissenhafter Pflichterfüllung. Die politisch und gewerkschaftlich organisierten Proletarier von Augsburg  , ganz besonders aber die Genossinnen werden der teuren Toten ein dauerndes Andenken bewahren. Relie Deffner.

Politische Rundschau.

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Die Parlamente sind in die Osterferien gegangen- die parla mentarische Behandlung der preußischen Wahlrechtsvorlage ruht bis zum 12. April. Dann findet die bei Verfassungsänderungen vorgeschriebene vierte Lesung im Abgeordnetenhaus statt, nach der die Vorlage an das Herrenhaus gehen würde, vorausgesetzt, daß das Haus keine Änderung vornimmt. Wird dagegen an dem schwarz­blauen Schandwerk noch geändert, so muß abermals nach drei Wochen eine erneute Abstimmung vorgenommen werden. Die Parteien des Schnapsblocks möchten gern die Angelegenheit schleu­nigst erledigen. Sie fürchten die Erregung im Wolfe und hoffen - allerdings in völliger Täuschung befangen, daß sie vor der vollendeten Tatsache des neuen Wahlgesezes abflauen werde. Des­halb wäre ihnen eine Verzögerung des Abschlusses durch eine neue Anderung sehr unangenehm. Die Vorlage täme dann erst nach Pfingsten ans Herrenhaus und da diese Stätte der geborenen Gesetzgeber sich nicht durch besondere Arbeitsfreudigkeit auszeichnet - würde sie möglicherweise vor der Sommerpause nicht mehr er­ledigt. Das bedeutete dann die Vertagung bis zum Herbst. So tăme das reaktionäre Machwerk wohl erst im Jahre 1911 zum Ab­schluß dieses Jahr ist aber auch das Jahr der Reichstagswahlen, und von der Einwirkung der Wahlrechtsbewegung auf sie haben die Schnapsblockparteien nichts Gutes zu erwarten. Diese Er­wägungen sprechen für die schleunige Vollendung der Schand. vorlage. Aber andere Gründe stehen dem wieder entgegen. Die beiden Wahlrechtsräuber fühlen sich, wie schon in der vorigen Nummer ausgeführt wurde, in ihrer Isolierung durchaus nicht wohl. Sie möchten die Nationalliberalen und die Freikonservativen gern zu Mitschuldigen haben. Ohne irgend ein Zugeständnis, also ohne eine Änderung sind diese beiden Parteien aber nicht zu haben. Dieses Zugeständnis wäre, wie sich jetzt immer deutlicher herausstellt, die Aufhebung der Steuerdrittelung in den Urwahl­bezirken, also eine außerordentliche Verschlechterung der miserablen Vorlage. Und diese Verschlechterung würde der Arbeiterklasse vor­aussichtlich den eben erst mühsam erkämpften Eintritt in das Drei­tlassenhaus wieder völlig verlegen. Es ist bezeichnend für den Charakter der nationalliberalen Opposition, daß sie die Bewilli gung einer so ausgesprochenen arbeiterfeindlichen Bestimmung immer mehr zur Haupt, ja zur alleinigen Bedingung ihres Umfalls macht. Um dem Zentrum einige Mandate im Westen abzujagen, um sich vor dem anschwellenden Ansturm der sozialdemokratischen Arbeiter schaft auf die Landtagssige im westfälisch- rheinischen Industriebezirk zu sichern, sind die Nationalliberalen bereit, die volksfeindliche Schand. vorlage des Schnapsblocks mitzuverantworten, wenn sie noch mehr verschlechtert wird. Allerdings spricht das Fraktionsinteresse des Zentrums gegen den Fortfall der Urwahlbezirksdrittelung. Jedoch aus Außerungen der führenden Zentrumspresse, der Kölner Volks­zeitung" zum Beispiel, geht hervor, daß ihm der Beitritt der National­liberalen zum Bündnis der Wahlrechtsräuber schon ein Zugeständnis wert wäre. Anscheinend erwägt man in Zentrumstreifen, ob nicht eine Einigung auf der mittleren Linie zwischen den nationalliberalen und den Zentrumsinteressen möglich wäre, so daß zwar nicht die Steuerdrittelung in den Gemeinden, aber doch in größeren Be­airten als die Urwahlbezirke erfolgte. Auch das würde noch eine erhebliche Verschlechterung des Wahlrechts für das Proletariat be. deuten indes, nachdem das Zentrum schon so viel für die Re­attion getan hat, kann es ihm auf etwas mehr ja schließlich nicht ankommen. Die Tatsache, daß solche Spekulationen überhaupt mög­lich sind, daß die Nationalliberalen als Faktor in solche Berech nungen eingesetzt werden können, zeigt jedenfalls, was es mit dem Gerede vom Linksabmarsch der Nationalliberalen und von der Mög­lichkeit eines Blocks von Bassermann ois Bebel auf sich hat.

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Steht es doch auch mit dem Liberalismus der neuen fort­schrittlichen Volkspartei ziemlich bedenklich. In der Berliner Stadtverordnetenversammlung hat der Freisinn sich nicht entschließen können, dem sozialdemokratischen Antrag beizutreten. der gegen die total ungerechtfertigten und ungefeßlichen Maßnahmen des Berliner Polizeipräsidenten vom 6. März protestierte. Von einer Anerkennung des Rechts auf die Straße wollte der Freifinn nichts wissen, er vermochte sich lediglich zu einem Protest gegen das Ver­