Nr. 4
Die Gleichheit
aus irgendwelchen Gründen die Versammlungen nicht besuchen fönnen. Bei unserer weiteren Agitation werden sie alsdann gleich. falls Trägerinnen unserer Forderungen. Eine Broschüre, die die Frage des Mutter- und Säuglingsschutzes behandelt und das wichtigste Material zusammenfaßt, ist in Arbeit und wird in allernächster Zeit vom Parteivorstand herausgegeben. Es versteht sich, daß die Agitation für die Mutterschaftsversicherung verbunden ward mit einer Agitation für Partei und Presse. So wurden zum Beispiel im sechsten Berliner Wahlkreis an einem Abend 350 neue Parteimitglieder und eine stattliche Anzahl Abonnenten für die„ Gleichheit" gewonnen. Auch in Leipzig traten die Frauen zahlreich der Partei bei. Und Frauen waren es, die die ganze Arbeit der Mitgliedererwerbung und Abonnentensammlung schnell und sicher erledigten, in Berlin und in Leipzig . Dessen freuen wir uns besonders. it Luise Ziez.
Aus der Bewegung.
Von der Agitation. Jm Wahlkreis Hanau, und zwar in den Orten Hanau , Bockertheim und Forchenheim sprach Genossin Zetkin über„ Die Aufgaben des Proletariats angesichts der wirtschaftlichen und politischen Situation". Von wichtigen Ergebnissen der Berufsund Gewerbezählung von 1907 ausgehend, gab die Referentin ein Bild der wirtschaftlichen Entwicklung, die in der Richtung zur sozia listischen Ordnung vor sich geht. Sie ging dann auf die wirtschaftlichen und politischen Kämpfe zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten ein, die sich mit dieser Entwicklung und den wachsenden Klaffengegensätzen verschärfen. Zum Schlusse begründete sie die Notwendigkeit, die Massen reif und bereit zu machen, außer den bisherigen erprobten Waffen gegebenenfalls auch die neuen Kampfes mittel der Straßendemonstrationen und des Massenstreits anzuwenden. Die glänzend besuchten Versammlungen waren vom Geiste präch tigster Rampfesfreudigkeit getragen und stimmten den Gedanken gängen der Rednerin begeistert zu. Nach eindringlicher Begründung durch Genossin Dißmann gelangte überall eine Protestresolution gegen die geplante reaktionäre Ausnutzung der Moabiter Vorgänge zur Annahme. Die Versammlungen warben der Parteiorganisation neue Mitglieder und erweiterten den Leserkreis unserer Presse.
Tätigkeitsbericht der Mannheimer Genossinnen. Die Leis tung unserer Frauenorganisation hat in den letzten anderthalb Jahren eine rege Tätigkeit entfaltet. Aber trotz aller Bemühungen war es nicht möglich, Fortschritte zu erzielen. An jedem Quartalschluß mußte man mit Bedauern vernehmen, daß die weiblichen Mitglieder einen Rückgang zu verzeichnen hatten. Die meisten Genossinnen bes gründeten ihren Austritt aus der Organisation damit, daß der Beitrag von 30 Pf. für sie zu hoch sei, da sie infolge der verteuerten Lebens haltung mit jedem Pfennig rechnen müßten. Alles Zureden und der Hinweis, daß für diesen Beitrag noch die„ Gleichheit" geliefert würde, waren in solchen Fällen erfolglos; wiederholt wurde erklärt, es sei nicht die nötige Zeit zum Lesen vorhanden. Auf Grund dessen wurde in einer Frauenversammlung der Antrag gestellt, den Beitrag auf 15 Pf. herabzusetzen und die Gleichheit" im Abonnement zu liefern. Nachdem noch die Monatsversammlung des Sozialdemokratischen Vereins diesen Antrag angenommen hatte, trat die neue Beitragsform am 1. Januar 1910 in Wirksamkeit. Die Zahl der weiblichen Mitglieder betrug zu Beginn der Berichtszeit 273, am Ende der selben 233; 165 davon sind Leserinnen der„ Gleichheit". Bei der Agitation beschränkte man sich auf die mündliche, durch Abhaltung von Versammlungen. Es fanden 17 Mitglieder und 4 öffentliche Versammlungen statt. Für lehrreiche Themata war stets gesorgt. Genosse Dreyfus erläuterte in verständnisvoller Weise die Bedeutung von„ Soll und Haben". Den neuen Steuerraubzug beleuchtete Ge nosse Strobel. Einen intereffanten Vortrag hielt Genosse Dr. Frant über„ Bilder aus dem englischen Wahlkampf". Die Genossen Meißner und Remmele schilderten„ Das Genossenschaftswesen" und Genosse Geil behandelte das Thema„ Die politischen und wirt schaftlichen Kämpfe der Frauen". Auch die Vorsitzende Genoffin Blase hielt zwei Vorträge über„ Die Stellung der Frau im wirtschaftlichen Kampfe" und den Weihnachtsfrieden der Arbeiterschaft". Zwecks Demonstration für die Einführung des Frauenwahlrechts in den Gemeinden wurde eine größere öffentliche Frauenversammlung abgehalten, die überfüllt und eine würdige Kundgebung für diese Forderung war. Bei dem Versuch, durch Agitation in den Vororten weibliche Mitglieder zu gewinnen, hatten wir Erfolge in Käferthal und Waldhof , wo wir jetzt eine schöne Anzahl Mitglieder haben. dundog
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Bei dem Landtagswahlkampf im Oftober 1909 hatten sich mehrere Genossinnen zur Mitarbeit bereit erklärt. In den einzelnen Lokalen
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halfen sie falzen und kuvertieren, Adressen schreiben, und am Wahltag selbst waren in den Wahllokalen ebenfalls Frauen mit Liſtenführen beschäftigt. Mit freudiger Genugtuung konnten die Ge nossinnen den schönen Sieg vernehmen, zu dem sie mitgeholfen hatten. Es wird stets darauf gesehen, daß zu allen Veranstal tungen weibliche Mitglieder herangezogen werden. So nahmen an den von Genossen Merkel abgehaltenen Lehrkursen drei Genossinnen teil. Auch ist auf den vierteljährlichen Wahlkreisfonferenzen immer eine Genossin als Delegierte anwesend. Dem badischen Parteitag im Jahre 1909 wohnte Genossin Blase und 1910 die Genossin Anna Gewehr als Delegierte bei. In einer Versammlung wurde nach dem Referat des Genossen Merkel eine Kinderschutzkommission ins Leben gerufen. Es erklärten sich zu dieser Arbeit 12 Genossinnen bereit. Wie notwendig eine solche Kommission ist, bewiesen mehrere Fälle, die zugunsten der armen ausgebeuteten Kinder erledigt wurden. Im Monat September wurde die Generalversammlung der weiblichen Organisierten mit Neuwahl der Leitung abgehalten. Die bisherigen drei Beauftragten wurden wieder mit den Agitationsarbeiten betraut, und zwar Genossin Blase als erste Vorsitzende, Genossin Wehner als zweite Vorsitzende und Genossin Gewehr als Schriftführerin. Es wird jedoch dem Vorstand allein niemals gelingen, die Organisation auf die gewünschte Höhe zu bringen, wenn ihm nicht von seiten der Mitglieder selbst die tat fräftigste Unterstügung zuteil wird. Deshalb ergeht der Ruf an alle Genossinnen, sich in treuer und fleißiger Arbeit zusammenzufinden, dann wird auch der Erfolg nicht ausbleiben. Vor allem könnten die Kassiererinnen und Austrägerinnen der„ Gleichheit" zur Agitation Ersprießliches beitragen. Auch die Genossen sollten die Frauenorganisation mehr als bisher fördern. Wir gehen ernsten Zeiten entgegen und dürfen deshalb in der Aufilärungsarbeit nicht erlahmen. Viele Frauen stehen unseren Bestrebungen noch fremd gegenüber. Sie zu gewinnen, muß in Zukunft unsere Aufgabe sein. Denn ohne die Mithilfe der Frau tönnen die Ziele der Sozial demokratie nie verwirklicht werden. Therese Blase.
Erste württembergische Frauenkonferenz. Am Sonntag ben 9. Oktober fand in Stuttgart die erste Besprechung sozialdemokratischer Frauen Württembergs statt, und zwar in Ber bindung mit der württembergischen Landesversammlung, die pom 8. bis 9. Oktober dort tagte. Außer den zur Landesversammlung delegierten Frauen waren auch die männlichen Delegierten, die sich für die Frauenagitation interessieren, zur Teilnahme an der Be sprechung aufgefordert worden, und gegen 60 Genossen hatten dem Rufe Folge geleistet.
Genossin Zetkin eröffnete die Konferenz und begrüßte als Vorfizzende die Anwesenden. Genossin Duncker führte darauf folgendes aus: Nach dem Bericht des Landesvorstandes hat die Frauenbewegung auch in Württemberg im letzten Jahre erfreu liche Fortschritte gemacht. Die Anzahl der politisch organisierten Frauen ist von 346 auf 808 gestiegen, das heißt von 1,7 auf 3,5 Prozent der Württemberger Parteigenossen; sie hat sich also in einem Jahre reichlich verdoppelt. Jm Vergleich mit der Frauen bewegung im übrigen Deutschland sind wir in Schwaben freilich immer noch arg im Hintertreffen, denn dort machen die Frauen durchschnittlich 12 Prozent der politisch Organisierten aus. Von den ungefähr 300 Ortsvereinen haben über die Hälfte noch keine weiblichen Mitglieder, darunter sind 12 Vereine mit mehr als 100 Männern. Nur 8 Vereine zählen über 25 Frauen zu ihren Mitgliedern. Da bleibt noch viel zu tun übrig, da muß gar manches Vorurteil überwunden werden, das auch in den Kreisen der Genossen gegenüber der Frauenbewegung noch besteht. Die wirtschaftliche Entwicklung macht ja vor den württembergischen Grenzpfählen nicht Halt; auch bei uns werden immer größere Scharen von Frauen der Familie entzogen und ins Erwerbsleben geschleudert. Diese zu organisieren und zu schulen, das ist unsere Aufgabe. Bei aller prinzipiellen Betonung der Einheit der Männerund Frauenbewegung wird es sich doch taktisch empfehlen, ge sonderte Frauen zusammenkünfte neben den allgemeinen Parteiversammlungen zu veranstalten. Schon weil die Familienverhältnisse es vielen Frauen unmöglich machen, zugleich mit ihrem Manne eine Versammlung zu besuchen, vor allem aber, weil in besonderen Zusammenkünften dem Interessenfreis und dem Ver ständnis der Frauen mehr Rechnung getragen werden kann. Mehrere Stuttgarter Bezirke sind seit einiger Zeit dazu übergegangen, alle Monate besondere Frauenversammlungen abzuhalten, und zwar mit gutem Erfolg. Es ist durchaus nicht notwendig, daß in diesen Frauenzusammenfünften immer großartige Referate gehalten werden; fie können sich auch zu einfachen Diskussionsabenden gestalten, in denen kleinere Broschüren oder Artikel aus der„ Gleichheit" gelesen und diskutiert werden. Derartige Besprechungen wirken oft noch