58Die GleichheitNr. 4weit anregender als Vorträge, weil die Teilnehmer selbsttätigwerden können und müssen. Auch das Vorhandensein besondersgeschulter Kräfte zur Leitung solcher Diskussionsabende ist nichtabsolute Bedingung. Nur muß mit dieser Leitung eine Personbetraut werden, der es Ernst ist mit ihrem Streben nach Aufklärung und die etwaige persönliche Reibereien absolut zu verhindern weiß.— Zu einer regen Frauenagitations- und Organisationsarbeit muß auch unsere Presse mithelfen, die bisher derFrauenbewegung leider noch wenig Aufmerksanlkeit schenkt. MitGewinnung der Frauen wird unsere Partei nicht nur an Zahlgrößer, sie wird auch ihre Schlagkraft erhöhen. Die Genossen, dieeine aufgeklärte Frau an ihrer Seite haben, werden tüchtigereKämpfer sein als die. deren Frau ihrem Streben gleichgültig odergar feindselig gegenübersteht; und in ihren Kindern werden unseremHeere wackere Rekruten erwachsen.An der Diskussion beteiligten sich die Genossinnen Zetkin,Schradin-Reutlingen, Page-Stuttgart, Hiller-Heilbronn, sowiedie Genossen Reichel-Fellbach, Lachenmeier-Gmünd, Duncker-Stutlgart und andere. Die Genossinnen Schlad in und Pagewiesen darauf hin, daß die Kommunalfragen uns Frauen viele Anknüpfungspunkte sowohl für die Agitation als auch für die praktischeArbeit darböten. Armen- und Waisenpflege, das Schulwesen, Mutler-und Kinderschutz, das feien alles Gebiete, auf denen die Frauensich betätigen müßten. Genossin Schradin berichtet außerdem nochüber die günstigen Erfahrungen, die sie in Reutlingen mit besonderen Frauenversammlungen gemacht habe, zu denen bishernoch nicht organisierte Frauen von Genossen schriftlich eingeladenwurden. Genossin Zetkin gab in kurzen Zügen ein Bild der wirtschaftlichen Entwicklung in Württemberg, die uns die Gewinnungund Schulung der wachsenden Scharen erwerbstätiger Frauen zurPflicht mache. Sie redete auch besonderen Veranstaltungen zur Aufklärung und Schulung der Frauen das Wort und wies darauf hin,wie die Gewerkschaften, die mit einem großen weiblichen Proletariatzu rechnen haben, so vor allem der Textilarbeiterverband, zu besonderen Veranstaltungen für die Frauenagitalion übergegangen seien.Von mehreren Genossen wurde gewünscht, daß eine Frau in denLandesvorstand gewählt werden solle, die dann eine rege Frauenagitation planmäßig betreiben könne. Zum Schluß wurde folgendeResolution einstimmig angenommen:„Der Landesvorstand wird beauftragt, Mittel und Wege zusuchen, die Frauenbewegung im Lande zu fördern und den Vorurteilen, die noch vielfach in den Reihen der Genossen der Frauenorganisation gegenüber bestehen, mit Nachdruck entgegenzutreten.Zum Zwecke intensiver und planmäßiger Arbeit unter den Frauenfordern die Unterzeichneten, daß gemäß des Organisationsstalutsder Partei eine Genossin als Beisitzerin dem Landesvorstand angehört."Als Beisitzerin für den Landesvorstand wurde von der Frauenkonferenz Genossin Zetkin in Vorschlag gebracht.Die rege Teilnahme— vor allem auch der Genossen— an derBeratung, sowie der Ernst und die Sachlichkeit, mit der die Verhandlungen geführt wurden, berechtigen uns zu den besten Hoffnungenfür die Zukunft der württembergifchen Frauenbewegung. Die Resolution, von den Genossinnen Duncker, Zetkin und Schradinvertrete», fand auf der Landesversammlung einstimmige Annahme, und Genossin Zetkin wurde als Beisitzerin in den Landesvorstand gewählt. 0.Nachtrag zu dem Bericht über die Franenkonferenz destvestlichrn Westfalen. Wie wir berichteten, beschäftigte sich unsereKonferenz mit der Frage, ob es zweckmäßig sei, eine eigene Frauenzeitung für unser Agitationsgebiet herauszugeben. Wir vergaßenmitzuteilen, daß sich Genossin Zieh gegen ein solches Unternehmenaussprach und ersuchte, den Beschluß hinauszuschieben, bis eineEntscheidung über das auf dem Parteilag angeregte Projekt gefallen sei, eine Modezeitung zu schaffen. Genossin Zietz empfahl,die Genossinnen auf das Abonnement der„Gleichheit" zu verweisen.Anna Nemitz.Sophie Koenen-Z-, Ein rascher Tod hat in Hamburg unsereGenossin Koenen von einem qualvollen, tückischen Leiden erlöst.Die Verstorbene gehörte zu der kleinen Schar von Proletarierinnen,deren Herz und Hirn sich bereits vor dem Erlaß des Ausnahmegesetzes dem Sozialismus erschlossen halte. Daher fanden die erstenAnfänge der klassenbewußten Frauenbewegung Hamburgs in ihreine hingebungsvolle Förderin. Als kaum einundzwanzigjährigesDienstmädchen trat Sophie lS7S dem Verein für Arbeiterfrauenund-mädchen bei, und die sozialistischen Erkenntnisse, die sie hiererwarb, trug sie in treuer Seele. Ihre Verheiratung mit dem Genossen Heinrich Koenen, der unter dem Schandgesetz in den vordersten Reihen der sozialistischen Arbeiterbewegung kämpfte, befestigte und vertiefte ihre llberzeugung. So trug sie denn ohneSchwanken und Wanken alle Gefahren, Opfer und Bitlernisse,welche die Härte der Zeit über die junge Familie brachte. Wieoft hat Genossin Koenen innerlich fiebernd, äußerlich gefaßt beiHaussuchungen standgehalten, die die wirtschaftliche Existenz unddas bescheidene häusliche Glück zu zerstören drohten. Gar manchesliebe Mal war sie dabei, wenn es galt, die Polizei hinters Lichtzu führen. Und in ihrem Leben haben die Tage nicht gefehlt, woes nicht bloß sparen hieß, nein verzichten und darben, weil derKampf für das erkorene Ideal seine Anfordexungen stellte. Mochtees noch so knapp in der Familie hergehen: der gehetzte, bedürftigeMitkämpfer fand hier stets einen gastlichen Tisch. Es lag in derNatur der Dinge, daß auch in Hamburg die proletarische Frauenbewegung lange nach der richtigen Form tasten mußte, in der dieFrauen des werktätigen Volks zusammenzuschließen waren. Soentstand und verschwand in den weiter zurückliegenden Jahrenmanche Frauenorganisation, deren Mitbegründerin oder MitgliedGenossin Koenen war. Bei ihren Fähigkeiten wäre es ihr einleichtes gewesen, Ehrenämter zu erhalten. Jedoch ihr Sinn stand nichtnach persönlichem Ansehen und Ruhm. Meist lehnte sie die Ehrenposten ab, um an anderer Stelle unbemerkt, aber unermüdlich ihrePflicht als Bekennerin des Sozialismus zu tun. Den Ihrigen warsie die Verkörperung von Liebe und Güte, den Freunden ein Vorbild schlichter, bescheidener Überzeugungstrene. Ihr Scheiden istein kaum zu überwindender Schlag für die Angehörigen, zumalfür den betagten Gatten, dem die aufopferungsfreudige Gefährtinvon Jahrzehnten der Arbeit und des Kampfes entrissen wordenist. Viele werden sie schmerzlich vermissen, alle, die sie kannten,ihr Bild in rühmlichem Angedenken hallen.Politische Rundschau.Der Entwurf des Reichshaushalts für das kommendeEtaisjahr 1S11/12 ist veröffentlicht worden. Er erreicht die gigantische Höhe von 2 Milliarden 707 Millionen Mark. Das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben ist nicht erreichtworden trotz der neuen Steuern und trotzdem die noch gar nichtvom Reichstag bewilligte Reichswertzuwachssteuer bereits in denEtat eingestellt wurde. Um den Ausgleich herzustellen, muß nocheine Anleihe von 37 Millionen Mark aufgenommen werden. Bonden Ausgaben entfällt der Löwenanteil auf Heer und Marine.An ordentlichen und einmaligen Ausgaben für den Land- undWaffermilitarismus sind 1 Milliarde IL5 Millionen 473130 Markangesetzt. Dazu kommen die Kosten der neue» Heeresoerstärkung.Die betreffende Militärvorlage tritt vorerst noch verhältnismäßigbescheiden auf. Für das Jahr IVIl/12 werden 7903717 Markgefordert. Indes ist dies« anscheinende Bescheidenheit nur eineMaske, die die Heeresverwaltung wegen der kommenden Wahlenvorzubinden für nötig hält. Die Vorlage verlangt an Verstärkungen 107 Maschinengewehrkompagnien, 1 Fußartillerieregiment, 1 Kraftfahrbataillon und 2 Luftschifferbataillone, sowie ein«Heeresinspeklion des Militärverkehrswesens und eine Inspektiondes Militärlnftschiffs- und Kraftsahrwesens. Berechnet man nunnach diesen Angaben, auf Grund der bisherigen Stärke der entsprechenden Truppenteile, die Zahl der dafür notwendigen Mannschaften und Offiziere, so kommt man auf 12000 Mann. Es istseltsam, daß eine solche Verstärkung nur etwa 3'/« Millionen Markpro Jahr an fortlaufenden und 4 Millionen 177 VSS Mark an einmaligen Ausgaben verursachen soll. Des Rätsels Lösung liegtdarin, daß man wichtige Ausgaben, die die Vermehrung erfordert,auf spätere Jahre zurückgestellt hat, in denen man keine Rücksichtauf nahe Wahlen zu nehmen braucht. Diese Taktik ist nicht neubei unserer Negierung. Schon seit Jahren übt sie das Verfahren,dem Hunde den Schwanz stückweise abzuhacken. Zunächst werdennur die Rahmen für neue Truppenteile aufgestellt.� Später werdensie ausgefüllt unter dem Hinweis, daß sie zu schwach sind. Unddie bürgerlichen Parteien, die einmal A gesagt haben, sagen dannauch regelmäßig B. So wird's auch diesmal gehen, das dicke Endewird nachkommen. Wenn die Vorlage erst in vollem Umfange bekannt gegeben wird, dürfte sich das noch deutlicher als jetzt schonerkennen lassen. Die fortwährende Steigerung der Heeresausgabcnwird bald für sich allein eine Milliarde ausmachen. Die Sozialdemokratie muß in ihrem Kampf gegen den Militarismus diesehinterlistige Methode, die das Volk immer stärker drückende Militärlast noch mehr zu beschweren, klar aufdecke».In Berlin hat vor der dritten Strafkammer des Landgerichts lim Kriminalgerichtsgebäude zu Moabit dersogenannte MoabiterKrawallprozeß begonnen. Eine Schwurgerichlsverhandlungsoll folgen. Schon lange vor Beginn ist dem Prozeß unauslöschlich