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Die Gleichheit

Die ersten drei Sozialisten sind bei den Kongreßwahlen in den Bereinigten Staaten von Nordamerika   in das Bundes parlament eingezogen. Außerdem wurden Erfolge bei den Wahlen zu den Parlamenten der Einzelstaaten erzielt. Auch in Amerika  schreitet endlich der Sozialismus vorwärts.

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Gewerkschaftliche Rundschau.

H. B.

Sind die Gewerkschaften politische Vereine? Eine juri ftische Preisfrage das. Bei der jetzigen besonders starken reaktio­nären Strömung, bei dem immer offener zutage tretenden Haffe gegen die politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterorganisationen entscheiden die Gerichte die Frage meist in bejahendem Sinne. Viele unserer Zentralverbände sind schon gerichtlich auf Herz und Nieren geprüft worden, ob sie nicht doch politisch seien. So vor einiger Zeit der Töpferverband. Nun wird bekannt, daß eine Bahlstelle des Malerverbandes und eine des Bergarbeiter­verbandes auf Grund ihrer politischen" Tätigkeit mit Straf­mandaten bedacht worden sind. Sie hatten die Mitgliederlisten bei der Polizeibehörde nicht eingeliefert! In beiden Fällen wurde ge­richtliche Entscheidung beantragt. Dem Zweigverein Thorn des Malerverbandes hat vor Gericht ein ganzer Stab höherer Polizeibeamter nachgewiesen", daß er sich mit politischen Dingen beschäftige, daß auswärtige Referenten politische Fragen erörtert hätten und dergleichen mehr. In der Folge hat auch das Gericht diesen Verband als einen politischen angesehen. In betreff der Bahlstelle des Bergarbeiterverbandes tam es zu feiner flaren Entscheidung. Es ist aber bezeichnend, daß die Staatsanwaltschaft gegen die ersten gerichtlichen Freisprechungen Berufung einlegte, Wichtiger als das jedoch ist ein Umstand. Auch das Landgericht erblickte in den Knappschaftsältestenwahlen, in der Frage der Sicherheitsmänner und der Grubenkontrollen, politische" Angelegen­heiten. Nicht die Höhe der Strafe denn die kann nur sehr gering sein ist bei diesem Vorgehen gegen die Gewerkschaften von Bedeutung, sondern die Tendenz in der Auffassung der Richter. Mit welchen Fragen soll sich eine Gewerkschaft befassen, um nicht als politischer Verein zu gelten? Die weltbewegenden Fragen, die in Lotterieklubs oder gar in studentischen Saufvereinen behandelt werden, haben ja wohl für Gewerkschaftsmitglieder keinen Wert. Wenn die Erörterung von Fragen, die mit dem Berufsleben der Bergleute so innig verknüpft sind, wie die Wahlen der Sicherheits­männer, dem Bergarbeiterverband als politische Handlung an gerechnet werden, so verbleibt den Gewerkschaftsverbänden über­haupt kein Raum mehr für eine unpolitische Betätigung. Das Vor­gehen der Polizei und der Gerichte zeigt wieder, welcher Wert einer Erklärung der Reichsregierung über die Handhabung und Auslegung der Gesetze beizumessen ist. Als uns seinerzeit das ,, liberale" Reichsvereinsgesetz beschert wurde und unsere Vertreter im Reichstag seine verschiedenen Schönheitsfehler" scharf fritis fierten, wurde vom Regierungstisch aus feierlich erklärt, daß die Bestimmungen die politischen Vereine betreffend keineswegs An­wendung auf die Gewerkschaften finden sollten. Die Klaffenbewußten Arbeiter haben natürlich feinen Augenblick vergessen, daß dieses Bersprechen auch nicht einen Pfifferling wert war. Sie sind ge­witzigt durch die Praxis der deutschen   Behörden und Richter, durch das Messen mit zweierlei Maß nach dem obersten Grund­satz: Wenn zwei dasselbe tun, so ist es nicht dasselbe. Aber das erwähnte Versprechen gab den bürgerlich- liberalen Parteien- Forts schritt und Zentrum inbegriffen den heiß ersehnten Vorwand, Glauben an den liberalen Geist" des Reichsvereinsgesetzes heucheln und die Verbesserungsanträge der Sozialdemokratie niederstimmen zu können. Und die Arbeiter, die noch am Gängelband dieser Parteien laufen, fielen auf den Schwindel von der, liberalen Ara" und ihrer vollsaftigen Frucht herein. Die Entwicklung der Dinge hat seither ihre naiven Hoffnungen aufs grausamste zerstört, und es dient nur ihrer Aufklärung, wenn das durch eine wiederholte Abrechnung mit der Praxis des zweierlei Rechtes im Reichstag vor der breitesten Öffentlichkeit festgestellt wird. Die Gewitter­stimmung der Lage kommt auch zum Ausdruck in dem Strafprozeß gegen die Moabiter ,, Aufrührer", über den an anderer Stelle diefer Nummer berichtet wird.

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Im Schuhmachergewerbe rückt eine Generalaussperrung immer drohender heran. In Pirmasens   gilt es den Neun stundentag zu erringen. Hier, in der Metropole dieser Industrie, hat sich reichlicher Konfliktstoff aufgehäuft. Besonders scharf zu­gespitzt haben sich die Dinge in Dresden  . Dort streifen seit einigen Wochen die Arbeiter und Arbeiterinnen bei zehn Schuh warenfabrikanten, die dem Unternehmerverband angehören. Sie verlangen eine geringe Lohnerhöhung. Die Unternehmer stellten

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ihnen das Ultimatum, die Arbeit bedingungslos wieder auf­zunehmen. Da das nicht geschah, hat die Ortsgruppe Dresden  des Unternehmerverbandes bei der Zentralleitung den Antrag ein­gereicht, die Aussperrung über die Schubarbeiterschaft von ganz Deutschland   zu verhängen. Eine Delegiertenversammlung der or ganisierten Schuhfabrikanten soll darüber Beschluß fassen. Die fleinen Scharfmacher meinen, den großen nachäffen zu müssen. Doch sie haben nicht entfernt die Macht dazu. Selbst wenn alle Fabrikanten aussperrten, die dem Unternehmerverband angehören, würden immer erst 50 Prozent der im Schuhgewerbe Beschäftigten von der Maßregel betroffen werden. Aber auch nicht einmal so große Kreise würde die Aussperrung ziehen. Der Schuhmacherverband mit seinen 36000 Mitgliedern und seinen guten Kassenverhältnissen fann den Scharfmacherplänchen ruhig entgegensehen.

Der Streit der Wäschearbeiterinnen in Bielefeld   dauert unverändert fort. Neuerdings versuchen die Unternehmer ihre Auf­träge in Berlin   ausführen zu lassen. Die Absicht dürfte ihnen aber kaum gelingen.

Auch der Kampf in den Geschäftsbücher- und Kartonnage fabriken in Hannover   steht noch auf dem gleichen Flecke. Die 1000 Streifenden, von denen über die Hälfte Frauen sind, harren unerschütterlich aus; den Unternehmern gelingt es nicht, Streif brecher von auswärts zu bekommen. Ein Ausstand ist in den Kartonnagefabriken in Frankfurt   a. M. in Sicht.

In den Pforzheimer   Bijouteriefabriken ist die Aussper­rung der Arbeiterschaft angekündigt. Die Maßregel würde zahl reiche Arbeiterinnen treffen, da in der betreffenden Industrie die Frauenarbeit eine sehr große Rolle spielt. Die Unternehmer haben bereits den Anfang mit dem Aussperren gemacht und sämtlichen organisierten Arbeitern gekündigt. Es soll sich um zirka 6000 Ar­beiter handeln. Ihnen sollen später die übrigen Arbeiter und Arbeiterinnen folgen. Die Unternehmer wollen einen sogenannten Arbeitswilligenfonds gründen zur Unterstützung der Streitbrecher.

Jm Bergbau frijelt es wegen der Sicherheitsmänner. Auf einer ihrer Konferenzen haben die Bergherren die Institution der Grubenkontrolle durch die Sicherheitsmänner als harmlose weiße Salbe" bezeichnet. Aber da die Grubenproletarier auch aus dieser sehr unvollkommenen Einrichtung an Nuzen herauszuschlagen suchen, was sie herausschlagen fönnen, soll dem ein Riegel vorgeschoben werden. Es kommt, wie es kommen mußte. Wozu auch hätten die Berggewaltigen die Hungerpeitsche in der Hand? Die Gruben direktionen entlassen diejenigen Sicherheitsmänner, die die Gruben­fontrolle ernst nehmen. Eine Bergarbeiterversammlung im Ruhr­revier nahm bereits dazu Stellung und beschloß, gegen dergleichen Maßregelungen alle gefeßlich zulässigen Mittel in Anwendung zu bringen.

Arbeitswilligenprämien" haben die süddeutschen Textilindustriellen als neueste Kampfmittel gegen die Streits eingeführt. In Hof streiten bei einer Firma die Textilarbeiter schon zehn Wochen für die Anerkennung der Organisation. Der Werband der Unternehmer erklärte diesen Streit selbstverständlich für ungerechtfertigt und beschloß zugleich, jedem der zweihundert Arbeitswilligen 10 Mt. als Judaslohn zu zahlen. Die Streitbrecher die Gnade von modernen haben öffentlich für diese Gnade Stlavenhalterngedankt. Die Textilbarone können sich den Spaß der Ausgabe leisten, denn bei den gezahlten Hungerlöhnen und dem reichen Dividendensegen fällt das Sümmchen schon noch ab. Aller dings hätten sie auch diese Aufwendung sparen können. Tief ge wurzelter Knechtsfinn läßt Arbeitswillige auch ohne besondere Be lohnung Verräterdienste gegen die proletarischen Brüder verrichten.#

Tarifabschluß in den Schmöllner   Knopffabriken. Was wir in der letzten Nummer nur als Hoffnung auszusprechen wagten, ist inzwischen Tatsache geworden: die Arbeiterinnen und Arbeiter der Steinnuß- und Hornknopffabriken in Schmölln  , Sachsen­Altenburg, haben einen bemerkenswerten Erfolg in ihrer Lohn bewegung erzielt, ohne daß es erst zu einem allgemeinen Kampfe gekommen wäre. Die Stärke der Organisation und das geschlossene Auftreten der Arbeiterschaft haben ihre Wirkung auf die Unter­nehmer ausgeübt. Erreicht wurde in erster Linie eine Vertürzung der Arbeitszeit um% Stunden pro Woche und eine Vereinheits lichung der Lohnhöhe. Die Löhne werden derart verbessert, daß auf die niedersten Säße die höchsten Zulagen kommen. Die Bran­chen, die bisher zu Löhnen unter dem Einheitstaris arbeiteten, und ihnen gehörte das Gros der Arbeiterschaft an, erreichten eine durch schnittliche Erhöhung des Verdienstes um 7% Prozent. Das von den Arbeitern so lästig empfundene Kaufen des Ols für die Arbeit bet Licht wird abgelöst. Die Affordarbeiterinnen bekommen in Zukunft, wenn sie sich an Reinigungsarbeiten beteiligen müssen, pro Stunde 20 Pf. Entschädigung, während sie bisher diese Arbeiten

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