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Die Gleichheit

Unsere Tätigkeit baut sich auf einen bestimmten Plan auf, den wir bis jetzt mit Erfolg durchgeführt haben. Jeden Monat wird eine Versammlung und eine Vergnügung abgehalten. Für jeden Mittwochabend find Arbeitsstunden angesetzt. In diesen In diesen Stunden haben die Mädchen Gelegenheit, ihre Kleider und Wäsche auszubessern. Dabei gehen ihnen zwei Schneiderinnen mit An­leitungen zur Hand. Zugleich liest eine der Teilnehmerinnen aus einem guten Buche oder einer Zeitung vor. In diesen Arbeits­stunden fühlen sich die Mädchen am wohlsten. Die Beteiligung baran ist fast ebenso groß wie bei den Versammlungen. Doch daß die Nebensachen nicht zum Hauptinhalt der Bewegung werden, das für sorgen die monatlichen Versammlungen mit Vorträgen und Diskussion über die soziale und berufliche Lage der Dienst boten. Referate wurden bis jetzt gehalten von den Arbeitersekres tären Kleeis und Güldenberg, den Genossinnen Baar  , Wackwitz und der Unterzeichneten. Besonders erfreulich ist, daß sich die Mitglieder rasch und gern daran gewöhnt haben, an der Agitationsarbeit tatkräftig Anteil zu nehmen. So laden wir jetzt zu den Versammlungen öffentlich nur noch bei besonderen Anlässen ein. In allen anderen Fällen besorgen die Mädchen die notwendigen Vorarbeiten selbst, und ihnen zum Lobe sei konstatiert, daß sie sich unaufgefordert zur Flugblatt- und Handzetfelverteilung einfinden. Eine freudige Abwechslung in das an Annehmlichkeiten nicht ge= rade reiche Dienstbotendasein bringen die Vergnügungen, die für die Mitglieder gänzlich kostenlos sind und an denen sich Angehörige anderer Gewertschaften, Gäste und sonstige Freunde der Sache in überraschend großer Zahl zu beteiligen pflegen. Diesem Umstand vor allem verdanken wir es, daß die Vergnügungen stets mit ansehnlichen überschüssen abschlossen, die dann den Bedürf­nissen der Agitation nutzbar gemacht wurden. Die bedeutsamste Errungenschaft unserer Arbeit ist aber wohl die Einrichtung eines Sekretariats und die Anstellung einer Beamtin. Diese Beamtin versieht die Stellen vermittlung, die in kurzer Zeit einen großen Aufschwung genommen hat, und erledigt die laufen den Verbandsarbeiten. Dadurch konnten die Genossinnen, die bis jetzt die Hauptarbeit hatten, entlastet werden. Als Sekretärin ist Genossin Klose provisorisch tätig. Für das bevorstehende Winter­halbjahr haben wir ein reichhaltiges und vielseitiges Arbeitspro­gramm ins Auge gefaßt. Wir dürfen hoffen, daß der Verband in seiner verheißungsvollen Entwicklung weiter fortschreiten wird. Zum Schlusse möchte ich noch alle politisch organisierten Frauen auffordern, sich der Dienstbotenorganisation mit aller Kraft anzu nehmen, bei jeder Gelegenheit für sie zu werben und vor allem ihre eigenen Töchter, die als Hausangestellte tätig sind, dem Ver­band zuzuführen. Johanna Rühle.

Frauenarbeit auf dem Gebiet der Industrie,

des Handels- und Verkehrswesens.

Zur Frauenarbeit in den kaufmännischen Berufen, speziell in den Warenhäusern, belundet die Handelswacht", das Organ des antisemitisch Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes, wie bekannt, eine urreaktionäre Haltung. Charakteristisch dafür ist, wie sie vor etlicher Zeit über einen Prozeß berichtete, in dem 34 Angestellte eines Warenhauses in Lübeck   sich wegen Massen­diebstahls zu verantworten hatten. Das Geschäft war in Konkurs geraten, und das Personal folgte dem Beispiel des Inhabers und schaffte so viel Waren wie möglich auf die Seite. Eine Verkäuferin suchte auf diese Weise ihre Aussteuer zusammenzubringen. Die Verlesung des Verzeichnisses der von ihr gestohlenen Gegenstände dauerte 20 Minuten. Nun ist es gewiß bedauerlich, wenn die Warenhausverkäuferinnen ihre Hungerlöhne durch Diebstahl und Veruntreuungen zu ergänzen suchen, mehr als unbegreiflich sind jedoch die Schlußfolgerungen, welche die Handelswacht" seinerzeit aus dem Vorfall gezogen hat. Sie schreibt wörtlich: Diebstahl, Hehlerei, Betrug, Untreue, das sind die Früchte der Warenhaus­fultur, die mit ernster Sorge erfüllen müssen. Nicht allein, daß die Verkäuferinnen von der Diebsucht befallen werden, das schlimmste ist, daß nicht selten auch die Angehörigen der Warenhausmädchen mit ins Verderben gerissen werden. Um nur einen Fall anzu­führen. So wurden vor nicht langer Zeit in Magdeburg   Mutter und Tochter wegen Diebstahl und Hehlerei verurteilt. Die Mutter hatte einer anderen Frau neue Wäsche verkauft, die diese eben be­nötigte. Die Verkäuferin hatte erklärt:, Die Wäsche besorgt Ihnen meine Tochter billig, die ist in solchem Geschäft und bekommt dort alles zum Einkaufspreis. Das Mädchen aber hatte die Wäsche in dem Geschäft gestohlen, wo es angestellt war. Dieser Vorgang steht leider nicht vereinzelt da, er ist deshalb ein weiterer Beweis für die sittlichen Gefahren, die unserem Volkskörper aus dem Hin­

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einstoßen der gegen Versuchungen aller Art weniger gefeiten jungen Mädchen in die kaufmännische Berufsarbeit drohen. Darum leisten alle diejenigen, die an der Arbeit des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes teilnehmen, der fortdauernden Zu­nahme weiblicher Arbeitskräfte im Handelsgewerbe entgegenzuwirken, unserem Volte einen guten Dienst. Die Versuchungen und Ge­legenheiten zu Eigentumsvergehen sind in den weiblichen Berufs arten weniger groß als im Handelsgewerbe. In jenen aber finden arbeitsfrohe junge Mädchen Arbeitsgelegenheit in Hülle und Fülle.(!) Wirken wir darum weiter dahin, die Mädchen in ihre natürlichen Arbeitsgebiete zurückzuführen."

Niemand wird leugnen, daß Diebstahl und Unterschlagungen im Handelsgewerbe leider verhältnismäßig häufig sind, und zwar sind es nicht nur schlecht bezahlte Angestellte, die schuldig wer den, sondern auch leitende Persönlichkeiten, mit dem einzigen Unter­schied, daß man die kleinen Diebe hängt und die großen laufen läßt. Die Ursache der häufigen Veruntreuungen ist jedoch nicht in einer besonderen Charakterschwäche des weiblichen Geschlechts zu suchen. In erster Linie ist es die miserable Bezahlung der Ange­stellten, die dafür verantwortlich ist. Gerade unter den am schlech­testen entlohnten Angestellten befinden sich viele junge Mädchen. Wie sollen Verkäuferinnen mit 30, 40, 50 bis 60 Mt. im Monat auskommen, wenn sie nicht einen Rückhalt an der Familie haben? Nicht alle Verkäuferinnen waren so vorsichtig in der Wahl ihrer Angehörigen, daß sie auf Unterstügung von ihnen rechnen fönnen. Von dem, was der Chef an einem Abend ausgibt, soll seine Ver täuferin einen ganzen Monat lang essen, wohnen und sich kleiden. Unter solchen Verhältnissen sich durchzubringen, ohne aufzuhören anständig zu sein, dazu gehört eine bewundernswerte Energie und ein Verzicht auf die Befriedigung der dringendsten Lebensbedürf­nisse. Sicherlich sind auch viele Fabritarbeiterinnen im allgemeinen nicht besser daran, und trotzdem sind unter ihnen die Unterschlagungen nicht häufig. Aus einem naheliegenden Grunde: In wenigen Be rufen ist die Gelegenheit zu Veruntreuungen so groß wie im Handelsgewerbe und besonders in den Warenhäusern, in wenigen auch stellt der Beruf die Anforderungen an den Schein einer ge­wissen äußeren Eleganz wie dort. Wenn es nach der Handels­wacht" ginge, so müßte die weibliche Jugend durch eine Radikal­fur vor den Versuchungen der Berufsarbeit in den Warenhäusern geschützt werden. Das Blatt möchte die Frauen überhaupt aus dem Handelsgewerbe verdrängen, anstatt daß sie die Beseitigung vorliegender Gefahren durch menschenwürdige Gehälter fordert. Das Mittel wäre ebenso probat als einfach, besonders wenn es wirklich andere Berufe gäbe, in denen junge Mädchen gutgelohnte Arbeit in Hülle und Fülle" fänden. Da solche Arbeitsgebiete aber nur in der frausen Phantasie der Handelswacht" existieren, bleibt den jungen Mädchen, die sich ihrer liebevollen Sorge erfreuen, wohl fein anderer Ausweg, als redlich und ehrlich zu verhungern. Übrigens find Veruntreuungen weiblicher Angestellter verhältnis­mäßig nicht häufiger als die Verfehlungen von Männern. Darum will es nicht recht einleuchten, warum sich die Handelswacht" be= sonders über die Sittlichkeit und Zukunft der Verkäuferinnen in Warenhäusern fürsorglich aufregt. Offenbar soll der logische Fehl­schluß, der ihren moralischen Angsten zugrunde liegt, das Bestreben stützen, die Frauenarbeit aus dem Handelsgewerbe zu verdrängen. Nicht darauf kommt es dem Blatte an, das weibliche Geschlecht vor den Gefahren einschlägiger Berufsarbeit zu bewahren, sondern das männliche von einer lästigen Konkurrenz zu befreien. Wie den Versuchungen des Berufs, so kann auch den schädigenden Begleit­erscheinungen einer Konkurrenz, welche die kapitalistische Ordnung zur Schmußkonkurrenz werden läßt, nur durch ein Mittel entgegen­gewirkt werden: durch die gemeinsame Organisation der im Handels­gewerbe Ausgebeuteten ohne Unterschied des Geschlechts, eine Dr­ganisation, welche den gemeinsamen Feind bekämpft: die Aus­beutung und dadurch bessere Verhältnisse im Beruf schafft. Gine solche Organisation ist der Zentralverband der deutschen Handlungsgehilfen und gehilfinnen. Die proletarischen Eltern, deren Söhne und Töchter im Handelsgewerbe tätig sind, haben die Pflicht, ihre Kinder darüber aufzuklären und dafür zu sorgen, daß sich diese ihrer Gewerkschaft wie auch der sozialdemo R. F. kratischen Partei anschließen.

Soziale Gesetzgebung.

Kuiffe der Stellenvermittler zur Umgehung des neuen Reichsstellenvermittlungsgesetzes. Hamburg   besitzt noch immer feinen allgemeinen städtischen Arbeitsnachweis auf paritätischer Grundlage. Ersatz hierfür sollen die gemeinnützigen Arbeits­nachweise der Patriotischen Gesellschaft  , die Arbeitsnachweisungs­