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Die Gleichheit

da nur geschaffen werden durch die wachsende Aufklärung und Schulung der proletarischen Frauen und Mädchen. Gewiß hat sich in dieser Beziehung mit der fortschreitenden gewerkschaftlichen und politischen Organisierung der Proletarierinnen manches gebessert, aber noch sehr viel bleibt zu tun. Es ist heute angesichts der steigenden Zahl weiblicher Erwerbstätigen eine unabweisbare Forde rung der Gerechtigkeit, daß den Frauen das Wahlrecht und die Wählbarkeit zu allen Zweigen der sozialen Arbeiterversicherung gewährt werden muß. Aber was erfahren wir leider? Die Reak­tionäre können frohlockend darauf hinweisen, wie außerordentlich gering bisher die Wahlbeteiligung der weiblichen Versicherten in ben Krankenkassen gewesen ist. Allerdings gibt es Orte, auf welche die Behauptung durchaus nicht zutrifft. Bedauerlich genug gehört Pforzheim trotz der großen Zahl der weiblichen Versicherten nicht zu ihnen. Diese stehen in ihrer großen Mehrzahl den Wahlen zur Generalversammlung noch gleichgültig gegenüber. Jm Interesse der Proletarierinnen, aber auch der gesamten Arbeiterbewegung liegt es, daß die weiblichen Versicherten ausgiebigsten Gebrauch von ihrem Wahlrecht machen. Je größer die Zahl der weiblichen Raffenmitglieder ist, um so gebieterischer ist die Pflicht, auf die Ver waltung der Kasse und die Ausgestaltung ihrer Leistungen den ge­bührenden Einfluß auszuüben. Die proletarische Frauenbewegung führt mit allen Kräften den Kampf um den Schutz für Mutter und Kind, und die Krankenkassen haben auf diesem Gebiet sozialer Für forge eine wichtige Rolle zu spielen. Das ist nur einer unter den vielen Gesichtspunkten, die die Notwendigkeit erhärten, die Frauen aus ihrer bisherigen Gleichgültigkeit gegen die Krankenkassenwahlen aufzurütteln. Die neue Reichsversicherungsordnung soll die Selbst­verwaltung der Versicherten vernichten und die Herrschaft der Unter­nehmer und Bureaukraten in den Krankenkassen sichern. Da gilt es namentlich auch den Frauen zu zeigen, welche Rechte sie be­fizzen, und ihnen die gefährdeten Rechte dadurch teuer und wert­voll zu machen. Neben dem direkten praktischen Nutzen, den die Ausübung des Wahlrechts und die Betätigung der weiblichen Mit­glieder in den Krankenkassen den Frauen bringt, ist der ideelle Wert für die proletarische Frauenbewegung unverkennbar. Die Mitarbeit in den Krantenkassen macht die Frauen mit der sozialen Gesetz­gebung, mit ihren Lücken und Unzulänglichkeiten bekannt, vertieft ihr soziales Verständnis. Die Ausübung des Wahlrechts zu den Krankenkassen fördert die Erkenntnis von der sozialen und poli­tischen Notwendigkeit des Frauenwahlrechts zu allen staatsrecht­lichen, öffentlichen Körperschaften. Die Pforzheimer Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen sollten in den vordersten Reihen derer stehen, die durch das praktisch betätigte Interesse an der Ortskrankenkasse ihre soziale Reife bekunden und das Wohl vieler Tausende von Frauen wahrnehmen.

st.

Von der Agitation. Gegen Fleischwucher und Lebensmittel­verteuerung" lautete das Thema in sechs gut besuchten öffentlichen Frauenversammlungen, welche am 1. Dezember v. J. in allen Stadtteilen Magdeburgs stattfanden. Die Voragitation war von den Genossinnen durch die Verbreitung des bekannten Flug­blatts der Partei rührig betrieben worden. Magdeburger Genossen referierten, die den aufmerksamen Zuhörerinnen zahlenmäßig nach wiesen, daß dank der Zoll- und Steuerpolitik des Reiches die wich­tigsten Lebensmittel tatsächlich mit Wucherpreisen bezahlt werden müssen, und daß nur Großgrundbesitzer und Großkapitalisten Vor­teil davon haben. Als schamlos wurde es mit Recht bezeichnet, daß sogenannte Voltsvertreter im Reichstag von einem Fleischnots rummel gesprochen haben. An der Debatte beteiligten sich auch Frauen und forderten zur regen Mitarbeit, zur Beseitigung der politischen Mißwirtschaft in Deutschland auf. Es wurden in den Versammlungen insgesamt 71 Mitglieder für die Partei und 8 Abon­nenten für die Gleichheit" gewonnen. Die Stimmung, die sich in den Versammlungen träftig äußerte, bietet die Gewähr, daß auch die Magdeburger Genofsinnen bei dem nächsten Wahlkampf dazu beitragen werden, daß den Volksausbeutern das Handwerk gelegt wird. Jda Undeutsch.

Im Auftrag des Textilarbeiterverbandes hielt die Unter­zeichnete anfangs Dezember v. J. im Gau Oberfranken Ver­fammlungen in folgenden Orten ab: Hof, Schwarzenbach a. S., Münchberg , Helmbrechts , Weißau, Kulmbach , Bayreuth , Wunsiedel , Marktredwig, Brand, Rehau , Weißenstadt und Rößlau. Zieht man in Betracht, daß der Verband in Ober­ franken noch nicht die zahlreiche und feste Gefolgschaft besitzt, die man angesichts der traurigen Lebensverhältnisse vermuten sollte, so kann der Besuch der Versammlungen als gut bezeichnet werden. überall wurden neue Mitglieder für die Organisation gewonnen. In Hof, wo der siebzehnwöchige Streif bei der Firma Münch die Arbeiter aufgerüttelt hatte, war die Versammlung sehr gut, von

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gegen 700 Personen besucht. Zu erwähnen ist noch die Versamm lung in Weißenstadt , die als allgemeine Gewerkschaftsversamm lung einberufen worden war. Die früher hier bestehende Zahlstelle des Textilarbeiterverbandes hatte sich nicht halten fönnen. Die Schüchternheit, mit der die erschienenen Tertilarbeiter und arbeite­rinnen den Versammlungssaal betraten, zeigte, wie stark noch die Furcht vor dem Unternehmertum ist. Der Wirt des Lotals ist nämlich der Schwager des Inhabers der Textilfabrik in Weißen­ stadt . Daß er den Ausführungen der Rednerin beistimmte und sich als Mitglied in die Partei aufnehmen ließ, wirkte ermutigend auf die Erschienenen, so daß für den Verband Mitglieder geworben werden konnten. Damit hat auch hier wieder die Organisation Wurzel gefaßt und die weitere gedeihliche Entwicklung wird nicht ausbleiben. Die Agitationstour gewährte einen Einblick in die Lage des Tertilproletariats Oberfrantens. Wochenlöhne von 9 bis 12 Mt. für erwachsene männliche Arbeiter sind nicht selten. Welche Höhe" da die Löhne der Frauen erreichen, läßt sich denken. überhaupt ist hier das Los der Frauen besonders hart, sie müssen unbedingt mitverdienen, und für sie gibt es feine Erholung. Auch die Kinderausbeutung steht in vollster Blüte. So beschäftigen Textilfabriken Kinder vom dreizehnten Lebensjahr an in großer Anzahl. Namentlich eine Kulmbacher Firma tut sich in der Aus­wucherung der kindlichen Arbeitskraft hervor. Diese Firma möchte auch am liebsten die erwachsenen Arbeiter und Arbeiterinnen den jugendlichen in Behandlung und Lohn gleichstellen. In vielen Orten Oberfrankens herrscht noch die Heimarbeit für die Textil­industrie mit all ihren traurigen Folgeerscheinungen. Natürlich sind die Heimarbeiter schwerer für die Organisation zu gewinnen als die Fabrikarbeiterschaft, obwohl ihre ganz elenden Lebensverhält­nisse noch viel dringender ein Eingreifen der Organisation erfordern. Das Versagen und die Unzulänglichkeit des Kinderschutzgesetzes treten hier wie überall in der Heimindustrie besonders traß zu tage. Vom fünften Lebensjahre an werden die Kinder mit an die Arbeit getrieben. Diese wenigen Angaben lassen die elenden Lebens­bedingungen der Textilproletarier Oberfrankens deutlich erkennen. Ihre mageren Gestalten, ihre bleichen Gesichter reden unzweideutig von überanstrengung und Hunger und stehen in schreiendem Gegen­satz zu den Schönheiten dieser Gegend mit ihren bewaldeten Bergen und anmutigen Tälern. Von der erfrischenden und stärkenden Luft, in der so viele andere Menschen Erholung suchen und finden, spüren die früh dahinsiechenden Textilarbeiter in ihren Arbeitsräumen nichts, die mit Staub und Dunst geschwängert sind. Leider gibt es unter der Arbeiterschaft noch zu viele, die fein volles Bewußtsein ihrer jämmerlichen Lage besitzen, oder die den Mut nicht haben, an ihren Fesseln zu rütteln. Doch die Schar derjenigen wächst, die sich klar darüber sind, was not tut. Das Versammlungsleben, das danieder­lag, hat in letzter Zeit einen Aufschwung genommen, die Erkenntnis von der Notwendigkeit und Bedeutung der Organisation hat an Boden gewonnen, und die Angst vor dem Unternehmertum beginnt zu schwinden. So geht es vorwärts trotz aller starken Bemühungen, die Textilarbeiter und-arbeiterinnen im Banne der alten, unter­nehmerfrommen Auffassung zu halten. Denen, die immer noch zaghaft beiseite stehen, rufen wir zu:" Sie drücken euch nur, fo­lang ihr euch duckt, Solange ihr schafft und euch nicht muckt."

Frida Wulff.

Die Agitation zur Gewinnung der Frauen für die moderne Ar­beiterbewegung brachte mich auf zehn Tage nach Mecklenburg . Ich freute mich darüber um so mehr, als ich seit zwölf Jahren nicht mehr in Mecklenburg tätig gewesen war. Von Lübeck trat ich meine Reise an. Neustadt, ein kleiner Ort mit zirka 2500 Ein­wohnern, war mein erstes Ziel. Welch stilles, ungewohntes Bild. Zu beiden Seiten der Straße niedrige, höchstens mit Giebelzimmern versehene, meist dürftige Häuschen, vor deren Fenstern der in fleinen Orten übliche Spion" prangte, das heißt ein Spiegel, der jeden Straßenvorgang zeigt, so daß die im Zimmer befindlichen Personen ohne große Mühe ihre Neugierde befriedigen tönnen. Die Industrie ist in Neustadt bis jetzt nur durch eine Pantinen­fabrit vertreten, in der die weibliche Arbeitstraft gegen eine jämmer­liche Entlohnung ausgebeutet wird. Die Versammlung war für die dortigen Verhältnisse recht gut besucht, auch konnten Mitglieder für die Parteiorganisation gewonnen werden; leider fehlt es jedoch an Kräften, die weiter an dem begonnenen Werke bauen. Bei schönem klaren Wetter fuhr ich nach dem etwas größeren Orte Goldberg. Das Bähnlein troch im Schneckentempo durch öde Acker und Weiden . Hier und da sah man auf den kahlen Feldern bereits die junge Saat sproffen, zur Freude nicht nur des Land­mannes, sondern auch der Rehe, die in Rudeln von bis zu sechs Stück sich an dem zarten Grün gütlich taten und sich dabei nicht einmal durch das Geräusch des herannahenden Zuges stören ließen.

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