Nr. 8

Die Gleichheit

Auch in Goldberg ist die Industrie noch nicht heimisch, der Rapitalismus hat hier erst mit einer Lohngeberei tastend Fuß ge= faßt. In der Stadt war große Not, seit Wochen herrschte dort nachts Dunkel, weil die elektrische Zentrale fich in Zwangsver steigerung befindet. Die Straßenbeleuchtung fehlte ganz, Restaura­tionen, Geschäfte, Post und Bahnhof waren spärlich mit aus den Rumpelfammern wieder hervorgeholten Petroleumlampen beleuchtet. Glücklicherweise erbarmte sich der Mond der Versammlungsbesucher und beschien ihren Heimweg nach der Stadt. Auch in Goldberg macht sich der Mangel an geeigneten Personen bemerkbar, um die Bewegung in Fluß zu halten. In Sternberg herrscht mehr Leben. Dort bestehen Schneidemühlen und eine Faßfabrit, in der Arbeiterinnen beschäftigt sind. Im Sommer erhalten diese in An­betracht der durch die Landarbeit vermehrten Arbeitsgelegenheit pro Tag 1,50 Mt., im Winter jedoch bei zehnstündiger Arbeitszeit nur 1,25 Mt. Der Tagelohn der Männer beträgt im Sommer 2,50 Mt., im Winter 1,75 bis 2 Mt. Wie bei solch horrender Be­zahlung die Lebenshaltung der Arbeiter fich gestaltet, fann sich jeder leicht denken. In Brüel und Warin warten die wenigen dortigen Genossen sehnsüchtig auf die noch ganz fehlende Industrie, weil sie hoffen, daß mit ihr die Parteibewegung einen Aufschwung nehmen wird. Die Versammlung in Wismar war sehr stark besucht, ob­gleich dort zurzeit infolge des Stilliegens der Waggonfabrik Arbeits­losigkeit herrscht. Unter der Leitung der Genossinnen tagte eine große Versammlung in Schwerin . In der Sprengkapselfabrik sowie in der Dynamitfabrik zu Dömiz werden Arbeiterinnen gegen 2 Mt. Tagelohn beschäftigt. Da diese Proletarierinnen von außer­halb herangeholt werden, find Arbeiterinnenheime errichtet worden, in denen es außer der Behausung für 35 Pf. eine warme Mahl zeit gibt. Die Beschäftigung in den genannten Fabriken ist äußerst gefährlich; ich lernte ein junges Mädchen kennen, das durch einen Unfall im Betrieb die Sehkraft des linken Auges eingebüßt hat und mit einer Rente von monatlich 10,50 Mt. abgespeist worden ist. In Grabow sind zirka 600 Industriearbeiter vorhanden, doch läßt die Bewegung trotzdem auch hier noch viel zu wünschen übrig. Die Ausführungen über das Thema Die Reichstagswahlen und die Aufgaben der Frauen" fanden in allen Versammlungen leb­hafte Zustimmung. Es wurden 96 neue Mitglieder und 30 Abon­nenten für die Arbeiterpresse gewonnen. Viel Arbeit und wenig Lebensfreude, das ist das Los der mecklenburgischen Arbeiterbevölke­rung. Abgesehen von der Last indirekter Steuern und Abgaben, die sie wie die werftätigen Massen von ganz Deutschland trägt, drückt eine direkte Steuer, die Landeskontribution, schwer auf sie. Die großen Steuersummen gehen zum Teil für Apanagen an die Mitglieder des Fürstenhauses darauf. Da ist zunächst die Stiefgroß­mutter des regierenden Großherzogs, die Großherzogin Marie, die 186 000 t, erhält. Folgt die Mutter des Großherzogs, Groß­herzogin Anastasia, sie bekommt 161 000 Mt., der wegen Verschwen­dung entmündigte Herzog Paul Friedrich 99000 Mt., Herzog Jo­hann Albrecht, der als Regent von Braunschweig eine Zivilliste von 1125 000 Mt. bezieht, erhält 48000 Mt., Herzog Adolf Friedrich, der Afrikareisende, ist mit 40 000 Ml. bedacht, Herzog Heinrich, der Mann der Königin von Holland , die selbst eine Zivilliste von 2100 000 Mt. hat, bekommt 40 000 Mt., Herzog Heinrich Borwin, wie sein Vater wegen Verschwendung entmündigt, erhält 30000 Mart, Herzogin Maria Antoinette , die Schwester des Vorgenannten, wird mit 16 000 Mt. dotiert. Es sind das Ziffern, die auch in Mecklenburg zu denken geben, weil sie den Blick geradezu gewalt sam auf Zustände lenken, die sich nicht mit dem Wohle der ar­beitenden Mehrheit des Volkes vertragen. In dieser feimt die Er­kenntnis empor, daß sie ihres Glückes Schmied sein und Hand an die Umgestaltung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse legen muß. Trotz aller Schwierigkeiten gewinnt daher auch in Mecklenburg die Sozialdemokratie an Boden.

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In Bitterfeld fand am 11. Dezember v. J. eine Versammlung statt, in der die Unterzeichnete das Thema erörterte Der Arbeiter­frauen Kampf ums Recht". Ihr unmittelbarer Erfolg bestand in der Aufnahme von 15 neuen Parteimitgliedern. Wir marschieren!

Am 9. und 10. Dezember v. J. sprach die Unterzeichnete im Auf­trag der Zahlstelle Berlin des Bäckerverbandes in zwei gut besuchten Versammlungen über Der Kampf der Arbeiterklasse". Die Versammlungen dienten dem Zwecke, die Zuckerwaren und Schokoladearbeiterinnen dem Verband zuzuführen. Birta 5000 solche Arbeiterinnen kommen für Berlin in Betracht, von denen bis jetzt ungefähr 200 der Organisation angehören. Die Agitation unter diesen Arbeiterinnen ist sehr schwer, obgleich sie zum größten Teil unter schlechten Löhnen und miserabler Behand lung leiden und bekanntermaßen noch eine ehr- und schamverletzende förperliche Visitation über sich ergehen lassen müssen. W. Kähler.

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In den industriereichen niederschlesischen Kreisen Reichen­bach- Neurobe und Waldenburg sprach die Unterzeichnete in öffent­lichen Versammlungen über das Thema Arbeiterfrauen im Kampfe um Recht und Brot". Die Versammlungen erfreuten sich mit einer Ausnahme eines überaus starten Besuchs. In Peterswaldau , Reichenbach, Langenbielau , Friedland und Wüstegiers= dorf waren die Besucher überwiegend Textilarbeiter und arbeite­rinnen, in Altwasser, Weißstein, Gottesberg, Hermsdorf, Schlegel und Fellhammer famen hauptsächlich Bergarbeiter und deren Frauen als Versammlungsteilnehmer in Betracht, während in Sandberg und Hausdorf die Arbeiterschaft beider Industrien anwesend war. Schon äußerlich unterscheiden sich die Orte der Textilindustrie und der Bergbaureviere voneinander. In den Weber­dörfern findet man niedere Häuschen mit kleinen Fenstern, durch die der Vorübergehende bequem die ganze dürftige Einrichtung über­sehen kann. Im Bergbaurevier dagegen herrschen hohe Häuser vor, in der Art großstädtischer Mietfasernen, nur daß hier die Menschen noch enger zusammengepfercht sind als in den Arbeiterwohnungen der Großstadt. 30 bis 40 Familien wohnen in einem Hause, und eine zweifenstrige Stube dient einer ganzen Familie als Wohn-, Schlaf- und Kochraum. Die elende Lage der Arbeiterschaft des Waldenburger Kreises ist ja erst kürzlich in der Gleichheit" geschildert worden. Bei den Webern in Reichenbach- Neurode sieht es fast noch trauriger aus. In den Fabriken verdienen Mann und Frau bei intensiver Arbeit zusammen einen Wochenlohn von 14 bis 18 Mr. Die Hausweber bringen es durch 14 stündige tägliche angestrengteste Tätigkeit gar nur zu einem Wochenver­dienst von 6 bis 8 Mt. Dafür müssen sie meist noch einmal jede Woche einen 6 stündigen beschwerlichen Weg zurücklegen, um die fertige Ware abzuliefern und neues Garn mitzunehmen. Wie die armen Menschen es fertig bringen, mit ihren Hungerlöhnen auch nur die notwendigsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen, wäre gerade­zu rätselhaft, wenn man nicht wüßte, welcher Entbehrungen der Mensch fähig ist. Trotz der traurigen Verhältnisse haben unsere Organisationen in allen Orten festen Fuß gefaßt. Der unermüd­lichen Tätigkeit der dortigen Genossen gelingt es, immer mehr An­hänger zu gewinnen. Daß in einzelnen Orten, zum Beispiel in Langenbielau , Reichenbach, Altwasser, Weißstein, Gottes­berg und Fellhammer Hunderte von Frauen unserer Parteiorgani sation angehören, ist vor allem darauf zurückzuführen, daß die Ge nossen dort die Notwendigkeit begriffen haben, die Proletarierinnen aufzuklären. In Glay mit seinen drohend über der Stadt ragenden Festungswerken fand eine Mitgliederversammlung der Partei in der Wohnung eines Genossen statt. Ein Lokal steht uns dort nicht zur Verfügung dank der Umtriebe der Diener der alleinfeligmachenden Kirche. Leider war der Besuch der Versammlung sehr schwach. Hat die Kirche in dieser Stadt noch solche Macht über die Gemüter, daß es nur wenige wagten, sich als klassenbewußte Arbeiter zu be= kennen? Um so mehr müssen die wenigen Genossen ihre Kräfte anstrengen, um auch hier für die Partei weiteren Boden zu er obern. In allen Orten wehte ein erfrischender Geist durch die Ver­sammlungen. Aufmerksam folgten die Erschienenen den Ausfüh­rungen. 314 Beitrittserklärungen zur Partei bewiesen, daß die Worte der Rednerin auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Auch eine Anzahl Abonnenten für die Gleichheit" und die örtliche Partei­presse wurden gewonnen. Möge den Frauen Niederschlesiens dieser neue Erfolg ein Ansporn sein, auf dem eingeschlagenen Wege fort­zuschreiten.

In zwei öffentlichen Versammlungen in der Provinz Posen , in Rawitsch und Posen, behandelte die Unterzeichnete das Thema ,, Arbeiterfrauen im Kampfe gegen den Lebensmittelwucher". Beide Versammlungen waren gut besucht. Für die Partei konnten einige neue Mitglieder gewonnen werden. Die sprachlichen Verschieden­heiten in der dortigen Gegend erschweren den Genossen die Arbeit und lassen sie nur mühsam Erfolge erringen. M. Bollmann. Von den Organisationen. Im Wahlkreis Hanau- Bockenheim­Gelnhausen- Orb hat die Frauenbewegung erst nach dem In­frafttreten des neuen Reichsvereinsgesetzes Ende 1908 eingesetzt. Im Laufe der verflossenen zwei Jahre nahm sie schon eine erfreu liche Entwicklung. Es gehörten der politischen Organisation weib­liche Mitglieder an: am 31. Dezember 1908 in 5 Orten 177, am 30. Juni 1909 in 22 Orten 784, am 31. Dezember in 27 Orten 840, am 30. Juni 1910 in 34 Orten 1138 und gegenwärtig in 39 Orten 1300. Und zwar zählt unsere Wahlkreisorganisation weibliche Mit glieder in 2 Orten je über 100( Hanau 325 und Bockenheim 120), in 6 Orten je 50 bis 99, in 10 Orten je 25 bis 49, in 9 Orten je 10 bis 24 und in 12 Orten je unter 10. Selbst der rückständigste Teil unseres Wahlkreises, der Kreis Gelnhausen- Orb, wo am 30. September 1908 in 6 Orten nur 34 männliche Mitglieder vor­