Nr. 8

Die Gleichheit

die Staatsanwaltschaft will den Jungen durch die Gefängnis strafe bessern! Preußische Gefängnisse als Besserungsanstalten!

Natürlich werden alle harten Strafen und alle Reden der Staats­anwaltschaft nicht verhindern, daß der Prozeß in der weitesten Offentlichkeit als eine furchtbare moralische Niederlage der Polizei, als eine beispiellose Bloßstellung dieser sogenannten Sicherheits­behörde wirkt. Selbst ein Blatt wie die Nationalzeitung", das Organ der Nationalliberalen, erklärt, der Prozeß habe dem Staatsinteresse nicht gedient, er lasse ein Gefühl der Erbitterung über polizeiliche Mißgriffe und Unvermögen der Behörden zurück. Nur noch die reine Junker- und Scharfmacherpresse hält, unbekümmert um die Ergebnisse des Prozesses, an ihren Lügen mit Zähigkeit fest und sucht die Richter zur Verhängung von Bluturteilen aufzuheben. Ob sie Erfolg hat oder nicht, das Urteil der großen Mehrheit des deutschen Volkes fann das nicht mehr trüben, zu laut sprechen die Zeugnisse, die in dem Verfahren gehört wurden. Der Moabiter Prozeß bedeutet eine Niederlage der Realtion; die Grube, die für die Sozialdemokratie gegraben werden sollte, wurde der Polizei und dem herrschenden System zum Verhängnis.

Indes hat die Reaktion schon einen neuen Knochen gefunden, von dem sie hofft, daß er ihr gegen die Sozialdemokratie dienen soll wie der Eselskinnbacken dem Simson wider die Philister. Es ist nichts so dumm, daß es nicht geglaubt wird, sofern es gegen die verhaßte Arbeiterbewegung verwendbar erscheint. Im ganzen Bereich des 15.( badischen) Armeekorps ist den Kommandos ein streng vertrauliches Schreiben zugegangen, wonach in den Weih­nachtsfeiertagen an beurlaubte Soldaten sozialdemokratische( 1) Flug­blätter verteilt worden sein sollen, die zur Gehorsamsverweigerung am 27. Januar( dem Geburtstag des Kaisers), zur Verweigerung des Parademarsches oder gar zur Proklamierung der badischen Republik auffordern. Obgleich jedermann auf den ersten Blick er tennen muß, daß dieser unsinnige Wisch nur das Erzeugnis eines Narren oder eines Lockspizels sein kann, behauptet die Militär­behörde in ihrem vertraulichen Erlaß ohne weiteres, daß die Blätter von sozialdemokratischer Seite verteilt werden. Und die Scharf­macherpresse nimmt diese unsinnige Behauptung zustimmend auf und schreibt höchst ernsthafte Leitartikel über rote Wühlerei im deutschen Heere"!

Die Wahlen in England haben keinerlei wesentliche Verände rung in der Stärke der Parteien gebracht, die Hoffnung der Libe­ralen, daß fie mit vergrößerter Mehrheit ins neue Parlament ein­ziehen würden, hat sich nicht erfüllt, ihr unentschlossenes, zaghaftes Vorgehen gegen die Lords des Oberhauses hat keine Voltsbewegung schaffen tönnen. Sie bleiben nach wie vor auf die Hilfe der Fren und der Arbeiterparteiler angewiesen, wenn sie eine Mehrheit bilden wollen. Was sie nun tun werden, ist noch nicht zu erkennen. Die Arbeiter­partet ist um drei Mandate stärker geworden, sie zählt jetzt 43 Ab­geordnete. Die Genugtuung über diesen Gewinn wird indes dadurch sehr gedämpft, daß die sämtlichen 43 Gewählten nur mit Hilfe der Liberalen in einem Falle der Konservativen durchgekommen find, keiner aber aus eigener Kraft. Wo ein Arbeiterparteiler gegen Liberale( beziehungsweise gegen Liberale und Konservative) kandi­dierte, ist er jedesmal und meist böse durchgefallen. Ebenso ging es dem einzigen Kandidaten der Sozialdemokratischen Partei. Das enthüllt eine große Schwäche der politischen Arbeiterbewegung Großbritanniens . Ihre parlamentarische Vertretung stützt sich nicht auf das Klassenbewußtsein der Arbeiterschaft, sie ist daher abhängig von der Unterstützung der liberalen Partei, und im Gefühl dieser Abhängigkeit wagt sie feine Arbeiterpolitik zu treiben.

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In Rußland machen sich die Anzeichen eines neuen Erwachens der Voltskräfte nach den furchtbaren Aderlässen der Gegenrevolution bemerkbar. Der Tod Tolstois gab den russischen Studenten Anlaß zu Straßendemonstrationen gegen die Todesstrafe, die der große Dichter mit aller Kraft bekämpft hatte. Auch in der Arbeiterschaft regt sich's wieder. Indes fährt die Reaktion womöglich in ver stärkter Weise in ihrem Wüten fort. Durch brutale törperliche Miß­handlungen, durch Unterstellung unter die Prügelstrafe, treibt sie Scharen politischer Gefangener zum Selbstmord. So entleibte sich im Dezember in einer sibirischen Gefängnishöhle der Revolutionar Ssasonow, der im Jahre 1904 den Blutmenschen Plehwe tötete.

Ein furchtbarer Justizmord soll in Japan vollbracht werden. Das Land der aufgehenden Sonne hat noch keine klassenbewußte Arbeiterbewegung, sondern vorerst nur fleine Gruppen sozialistischer Intellektueller, die von der Regierung aufs schärfste verfolgt werden. Ein angebliches Komplott zur Ermordung des Mitados, von an geblichen Anarchisten geplant, wurde entdeckt. Db an der ganzen Schauergeschichte überhaupt etwas Wahres ist, steht dahin, der Anschein spricht schon deshalb dagegen, weil die Regierung die Untersuchung streng geheim führen ließ, das Gericht ebenfalls ge­

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heim war und der Presse jede kritische Außerung über die Affäre verboten wurde. Dieses Komplott muß als willkommener Vorwand dienen, fast alle bekannten Sozialisten zu verhaften. Die Richter haben natürlich die Erwartungen der Regierung erfüllt, 26 Sozia­listen und Anarchisten sind zum Tode verurteilt worden. Japan wird aber sowenig wie Rußland durch alles Blutvergießen die Entstehung und Entwicklung der Arbeiterbewegung auf die Dauer hindern können.

Freilich, es sind nicht bloß halbkultivierte Staaten wie Ruß­ land und Japan , wo Bluturteile und Justizmorde vorkommen, auch hochzivilisierte bürgerliche Staatswesen verzichten im Kampfe gegen die Arbeiterklasse nicht auf solche Waffen. Der Fall Durand in Frankreich , der in der Gleichheit" schon an anderer Stelle be­handelt wurde, zeigt es flärlich. Inzwischen ist das Todesurteil über den Gewerkschaftssekretär Durand freilich in siebenjährige Kerkerhaft verwandelt worden. Aber dadurch ist der Justizmord nicht aufgehoben, und das französische Proletariat wird nicht ab­stehen, die Revision des Prozesses Durand zu erzwingen. H. B.

Gewerkschaftliche Rundschau.

Das Urteil gegen den französischen Gewerkschaftssekretär Durand ist von der Revisionsinstanz bestätigt worden. Der zum Tode Ver­urteilte wurde aber zu siebenjähriger Gefängnisstrafe begnadigt". Der Bewegung gegen dieses Urteil der Klassenjustiz haben sich die Gewerkschaften fast aller Länder angeschlossen. Noch ehe die Be­gnadigung erfolgte, hatte der Zentralvorstand der französischen Ge­wertschaften erklärt, die Arbeiter seien entschlossen, die Freilassung Durands mit allen Mitteln durchzusetzen, nötigenfalls durch den Generalstreit mit allen seinen Folgen. Sollte das Urteil vollstreckt werden, so würde den dafür Verantwortlichen Gleiches mit Gleichem vergolten" werden. Die organisierten Arbeiter Frankreichs werden sich sicher mit der Begnadigung" nicht zufrieden geben, sondern die Freisprechung Durands verlangen. Das Urteil, das schon von vornherein auf recht wackligen Füßen stand, ist inzwischen noch mehr erschüttert worden dadurch, daß der Hauptbelastungszeuge seine Aussagen wesentlich zugunsten Durands abgeändert hat.

In der Bergarbeiterbewegung des Ruhrreviers haben jetzt die drei gemeinsam vorgehenden Organisationen, der alte Berg­arbeiterverband, der Hirsch- Dunckersche Gewerkverein und die pol­nische Berufsvereinigung einen Aufruf erlassen, in dem zur Ab­haltung von Versammlungen für alle Zechen im Ruhrgebiet auf­gefordert wird. Die Meinung der Bergarbeiter selbst zur gegen­wärtigen Lage soll zum Ausdruck kommen. Der Streit auf den Gruben in Hausham und Penzberg in Oberbayern konnte mit teilweisem Erfolg für die Arbeiter beendet werden. Einige Arbeiterkategorien erhalten ab 1. Februar, andere bei besserer Kon­junktur Lohnausbesserungen. Sämtliche Streifende sind am 27. De­zember wieder angefahren.

Der Kampf in der Pforzheimer Edelmetallindustrie ist von den Arbeitern abgebrochen worden. Die Einigungsversuche der Regierung waren ergebnislos. Die Unternehmer stellten Bedingungen, auf die die Arbeitervertreter nicht eingehen konnten. Die Vernichtung der Organisation ist den Kapitalprozen natürlich nicht gelungen, der Verband geht gekräftigt aus dem Kampfe hervor. Zu gelegener Zeit soll der Kampf wieder aufgenommen werden.

Die Lohnbewegung in den Rohglasschleifereien der Ober­ pfalz hat zwar einstweilen noch nicht zum Ausstand geführt; aber eine Einigung wurde bei den Verhandlungen zwischen Arbeitern und Unternehmern doch nicht erzielt, weil die letzteren selbst die revidierten Forderungen der Arbeiter ablehnten. Die bayerische Regierung will vermittelnd eingreifen.

Über die allgemeine Tarifbewegung, die sich in der Holz­industrie vorbereitet, wird an anderer Stelle berichtet.

Ausgesperrt wurden die Kürschner in Rötha bei Leipzig am Vorabend des heiligen Weihnachtsfestes. Weil die Arbeiter nicht dulden wollten, daß einige ihrer Arbeitsgenossen wegen Zugehörig­feit zur Organisation gemaßregelt würden, ließ der Obermeister der Innung, der im Kirchenvorstand sitt, aus christlicher Nächstenliebe 250 Mann aufs Straßenpflaster werfen. Auch von den Arbeiterinnen wird der Austritt aus der Organisation verlangt. Schwarze Liste und die allezeit unternehmerdienstbeslissene sächsische Polizei müsse im übrigen helfen, die Arbeiter niederzuringe... Der Brauerei­arbeiterverband hat in verschiedenen Malzfabriken erfolg­reiche Lohnbewegungen durchgeführt.

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Durch die bürgerliche Presse geht eine Mitteilung, derzufolge auf den Reichswerften Verbesserungen der Arbeitsverhältnisse - zunächst probeweise erfolgen sollen. Die Arbeitszeit, die jetzt 60 bis 65 Stunden beträgt, würde nach dieser Meldung auf 56. Stun