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Die Gleichheit

manchen Städten sich mit immer erneuten Versuchen, ein Zusammen­gehen mit den Sozialistinnen herbeizuführen, bei diesen lächerlich mache". Daß diese Auffassung eine gewisse Berechtigung hat, wird wohl anerkannt werden müssen.

3. Die Kritik im Berliner Tageblatt"( Nr. 624) rührt nicht von einem Mitglied her, sondern von dem Berichterstatter des Blattes; den, verzückten Augenaufschlag" können wir also auch nicht akzep tieren.

Was im übrigen die Behauptung angeht, daß die Gegnerschaft gegen das gleiche Wahlrecht im Stimmrechtsverband an Boden ge­wonnen habe, so sind dafür feinerlei Beweise vorhanden. Im Gegenteil: und es dürfte wohl auch im Interesse der sozialdemo­fratisch organisierten Arbeiterinnen liegen, wenn die Versuche einer Opposition gegen das gleiche Wahlrecht immer mit so starker Majori tät abgewiesen werden. Tony Breitscheid  ." Wir haben zu diesen Ausführungen das Nachstehende zu be­merken:

Zu 1: Wir bedauern, daß wir betreffs der Antragstellerinnen falsch informiert worden sind. Die Mitteilung stammt von einer Seite, an deren Zuverlässigkeit und gutem Glauben zu zweifeln wir nicht den geringsten Grund haben. Es muß ein Mißverständ­nis vorliegen, das um so erklärlicher erscheint, wenn man Frau Cauers Jeremiade gelesen hat: Eindrücke aus dem Westen" ( Frauenbewegung" Nr. 24 vom 15. Dezember v. J.). Dort konsta tiert Frau Gauer ausdrücklich, daß in Rheinland- Westfalen durch den, Westdeutschen Verband" eine Spaltung hervorgerufen worden ist, und daß selbiger Verband dafür agitiert, der preußische Landes­verein möge doch eine Parole annehmen: wie das Wahlrecht ist und wie es sein wird", das heißt auch das preußische Dreitlassen wahlrecht, ein Pluralwahlrecht oder irgend eine andere politische Bevorrechtung des Besitzes.

Und die genannte Führerin betont, daß die Zustände in Schlesien  ,, ähnlich" unerquicklich seien. Das scheint sehr glaubhaft angesichts der Tatsache, daß eine schlesische Frauenstimmrechtsorganisation sich schon früher sehr nachdrücklich gegen das demokratische Bürger­recht gewendet hat. Schade, daß Frau Breitscheid ihre Richtig­ftellung nicht durch die Feststellung ergänzt, wer denn eigentlich den Antrag gestellt hat, die Forderung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts aus den Sagungen des Vereins zu streichen. Nach dem Bericht des Berliner Tageblatts" soll es der Schleswig- Holsteinische   Provinzialverband gewesen sein. Woher der kompromittierende Antrag gefommen ist, bleibt übrigens zur Beurteilung der Sache von ganz nebensächlicher Bedeutung. Ob seine Mutter Minchen oder Trinchen heißt, ändert gar nichts an der Tatsache selbst, daß er eingebracht worden ist und eifrige Be­fürworterinnen gefunden hat, und an der Bedeutung dieser Tatsache.

Zu 2: Es erscheint uns wirklich belanglos, ob sich eine Dele­gierte in der einen oder anderen Lesart ausgedrückt hat. Wir haben die betreffende Außerung aus dem Vorwärts" Nr. 290 über­nommen, gegen dessen Veröffentlichung kein Protest erfolgt ist, ob­gleich ein solcher doch den Berliner   Frauenrechtlerinnen nahe genug gelegen hätte. Der Gegensatz zwischen bürgerlichen und sozialisti­schen Frauenstimmrechtstämpferinnen liegt nicht in Außerlichkeiten des persönlichen Verhaltens, sondern in der verschiedenen grund­fäßlichen Wertung der politischen Gleichberechtigung und in der Tattit und Kraft des Ringens für ihre Eroberung. Die bürger­lichen Frauenrechtlerinnen werden sich von der Stunde an nicht mehr ,, lächerlich machen", wo sie ohne jede Zweideutigkeit, so zu­verlässig und mit aller Energie für das allgemeine Wahlrecht kämpfen, wie das Proletariat dies tut.

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Zu 3: Der Bericht des Berliner Tageblatts" ist in der Frauen­Rundschau enthalten, deren einzelne Beiträge gewöhnlich und bei wichtigen Gelegenheiten erst recht nicht von dem ersten besten Berichterstatter herstammen, sondern von bekannten führenden Frauenrechtlerinnen. Doch sei dem wie ihm sei: bis jetzt hat weder im Berliner Tageblatt" noch in einem frauenrechtlerischen Organ jemand die ebenso lächerliche als verächtliche Auffassung des Be­richts kritisiert. Uns wundert baß, daß Frau Breitscheid diese Auffassung nicht mit einem Teil des Eifers zurückgewiesen hat, den sie zur Korrektur" unserer Ausführungen befundet. Solange führende Frauenrechtlerinnen derartige Ausbrüche serviler Gesin­nung nicht mit aller Rücksichtslosigkeit abschütteln, gilt das Wort: ,, mitgegangen, mitgefangen".

Was die Schlußbemerkung anbelangt, es sei nicht richtig, daß die Gegnerschaft gegen das allgemeine Wahlrecht im Frauenstimm­rechtsverband an Boden gewinne, so stellen wir ihr nur drei Tat­sachen aus jüngster Zeit entgegen. Die Opposition gegen die demo­kratische Forderung im Schleswig- Holsteinischen   Berband; Frau Krutenbergs Erklärung zugunsten eines Pluralwahlrechts; das mehr

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als zweideutige, das schimpfliche Verhalten von bekannten Mit gliedern des Frauenstimmrechtsverbandes bei den Verhandlungen der Generalversammlung des Bundes deutscher   Frauenvereine" in Heidelberg   über das Gemeindewahlrecht. Gute Wünsche, es möchte anders sein, sind gewiß eine schöne Sache, aber gefährlich wäre es, sich durch sie über das täuschen zu lassen, was ist.

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Frauenbewegung.

Der Bund für Mutterschutz   hatte am 3. und 4. Dezember 1910 eine außerordentliche Konferenz einberufen mit der Tagesordnung Die Mutter in der Reichsversicherungsordnung". Frau Stritt leitete die Verhandlungen mit einem Vortrag ein, der über die Bedeutung sozialer Fürsorge für Mutter und Kind manches Gute sagte, aber in der Einleitung durch typisch frauenrechtlerische Be hauptungen fündigte. Sie legte dar, das Verhältnis zwischen Mutter und Kind sei Hauptfaktor und ursprünglich treibende Kraft der Zivilisation, sowohl in technisch- gewerblicher wie in sozial ethischer Beziehung". Eine Auffassung das, die sich nicht über feuilletonistische Schönrederei erhebt und die Kulturgeschichte gegen sich hat. Mit der Reichsversicherungsordnung beschäftigte sich ein­gehend der Vorsitzende der Berliner   Ortskrankenkasse der Kaufleute, Albert Cohn. Seine sachkundige Kritik des Entwurfs gipfelte in den unseren Leserinnen bekannten Forderungen, welche das klassen­bewußte, organisierte Proletariat erhebt. Nach einer lebhaften Diskussion erklärte sich die Tagung für Zusäße zum Entwurf, die diesen Forderungen entsprechen. Soweit, so gut. Dem bekundeten sozialen Verständnis reihte sich jedoch eine Demonstration vollster Verständnislosigkeit an. Nach all den inneren Krisen, die der Bund durchgemacht hat, war diese Tagung eine günstige Gelegenheit, den Nachweis seiner Existenzberechtigung zu erbringen, aber es ist ihm nicht gelungen. Dieselbe Unklarheit, die charakteristisch ist für die gesamte bürgerliche Frauenbewegung, trat auch hier zutage. Die im Augenblick zur Verhandlung stehende Versicherungsordnung ist für die proletarischen Frauen von einer weit größeren Bedeutung als die bürgerlichen Mutterschüßlerinnen begreifen können. Ents stammen diese doch fast ausschließlich wohlhabenden bürgerlichen Kreisen. Und wenn auch dort häufig genug nach dem verhältnis­mäßig frühzeitigen Tode des Ernährers die Lebenshaltung eine ganz bedeutende Einschränkung erfährt, so tritt doch die Not, die nackte Armut nur in Ausnahmefällen an sie heran. Anders in der Arbeiterklasse. Der Arbeiter erreicht ein Durchschnittsalter von 38 Jahren. Dieser frühen Sterblichkeit entspricht auch die enorm hohe Zahl von rund 2 Millionen Witwen im Deutschen Reiche. Von diesen bleibt die Mehrheit völlig unversorgt zurück. Aufgabe der Gesetzgebung ist es daher, die Hinterbliebenen derer, die frühzeitig ihr Leben der volksvernichtenden kapitalistischen   Wirtschaftsordnung opfern müssen, vor Not und Elend zu schützen. Die von unseren Genossen in der Reichstagskommission gestellte Forderung, alle Witwen, die ein Einkommen unter 5000 Mart haben, in die Ver­sicherung einzubeziehen, ist selbstverständlich von den bürgerlichen Parteien niedergestimmt worden.* Und nun haben die Mutter­schützlerinnen, die ihren Namen sehr zu unrecht führen, gezeigt, daß fie die würdigen Frauen der Männer ihrer Klasse sind. Sie beschlossen mit allen gegen eine Stimme, daß nur invalide Witwen einen Anspruch auf Rente erhalten sollen. Diese eine Stimme, die für die allgemeine Witwenversicherung abgegeben wurde, gehörte nicht etwa einem einsichtsvollen weiblichen Mits glied des Bundes für Mutterschutz an, sondern dem linksliberalen Reichstagsabgeordneten Heinz Potthoff  , dem, wie er selbst schreibt,** ,, dieser Beschluß vom Standpunkt eines Bundes für Mutterschutz geradezu unverständlich erscheint". Uns allerdings nicht. Denn alle diese bürgerlichen Frauen, mögen sie sich mehr oder weniger volksfreundlich zeigen, mögen sie mehr oder weniger Anlehnung nach links suchen sobald es zum klaren Aussprechen kommt dessen, was ist, bleiben sie stets ihrem Klassencharatter treu, wie wir es auch nie anders von ihnen erwartet haben und erwarten

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dürfen. Deshalb ist es auch eine der wichtigen Aufgaben der sozial­demokratischen Frauen, dadurch Klarheit zu schaffen, daß in aller Öffentlichkeit und in aller Schärfe die Grenzlinien zwischen den Bestrebungen der Proletarierinnen und denen der bürgerlichen Frauen gezogen werden. Dazu wird auch der von der internatio nalen Frauenkonferenz in Kopenhagen   beschlossene Frauentag die beste Gelegenheit geben. Mathilde Wurm  .

* Ausführliches darüber siehe ,, Gleichheit" Nr. 6 vom 19. Dezember 1910. ** Die Frauenbewegung. Nr. 1. 1. Januar 1911. Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Verlag von Paul Singer   in Stuttgart  .