Nr. 14

21. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichbett erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Poft viertelfährlich obne Bestellgel 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jabres- Abonnement 2,60 Mart.

Inhaltsverzeichnis.

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Stuttgart  10. April 1911

Flammenzeichen.- Heimarbeiterinnenelend in Paris  . Von Otto Pohl.  - Erneuerung der Invalidenversicherung. Von H. Sch. Die erfolgreiche Beendigung der Tarifbewegung im Holzgewerbe. Von gb.- Die Liga für die Interessen der erwerbstätigen Frauen in Großbritannien  . Schulzeugniffe. Bon J. Kr.- Die bevorstehende Tarifbewegung im Buchbindergewerbe.

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Aus der Bewegung: Von der Agitation. Von den Organisationen. Politische Rundschau. Von H, B. Gewerkschaftliche Rundschau. Aus der Textilarbeiterbewegung. Von h. j. Aus der Holzindustrie. Bon fk. Aus der Gewerkschaftsbewegung in Nuffisch- Polen  . Von ed. Der Verband der Sattler und Portefeuiller. Von n. w. Notizenteil: Dienstbotenfrage. Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen. Frauenstimmrecht. Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.- Verschiedenes.

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Flammenzeichen.

Herausfordernd häufig und barbarisch sind in letzter Zeit Gerichtsurteile geworden, die sich wider Proletarier fehren, welche im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Kämpfen Aus­gebeuteter angeblich gegen irgend einen dehnbaren Paragraphen jener bürgerlichen Ordnung gesündigt haben, die den Habe nichtsen bis zum Tüpfelchen auf dem i heilig sein soll, weil sie den Besitzenden Profit und Herrschaft schützt. Sie treten als eine Parallelerscheinung der drakonischen Richtersprüche auf, die sich gegen Wahlrechtsdemonstranten, gegen Rämpfer für das politische Recht des Proletariats wenden. Ihr Gegenstück finden beide an der überströmenden Milde, mit der die gemeingefähr lichsten Ausschreitungen der goldenen Jugend" geahndet werden, vor allem aber an den freisprechenden Erkenntnissen, Lobpreisungen und Belohnungen, deren sich Polizeier erfreuen, die bei dem kleinsten Anlaß gegen Proletarier den Säbel hauen und den Browning Inallen lassen. Das Außerordentliche wird in dieser Beziehung zum Alltäglichen. Kaum vergeht eine Woche, in der die Presse des kämpfenden Proletariats nicht von einem Schreckensurteil" zu berichten hätte.

Ende März befaßte sich das Schwurgericht zu Köln   mit dem sogenannten Landfriedensbruch, der gelegentlich eines Streits von Tiefbauarbeitern zu Deutz den Staat in Gefahr gebracht haben sollte. Es verhängte über die 15 Angeklagten zusammen 23 Jahre und 2 Monate Gefängnis. Die Ungeheuerlichkeit des Gesamt ergebnisses dieser Rechtsprechung wird fast noch übergipfelt durch die einzelnen Entscheidungen. Der Gewerkschaftsbeamte Fröhlich zum Beispiel wurde zu 2 Jahren 7 Monaten Gefängnis ver urteilt, obgleich die einwöchigen Verhandlungen seine völlige Schuldlosigkeit für jeden halbwegs normal Denfenden unzweifel haft festgestellt hatten. Der Verurteilung war noch eine un­erhört leichtfertige Beschimpfung dadurch vorausgegangen, daß die Anklage behauptet hatte, Genosse Fröhlich erhalte für jeden Streiftag 4 Mt. Gehaltszulage.

Während die Empörung über den Spruch der Geschworenen zu Köln   noch in aller Stärke lebendig ist, fällte in Bremen   das Schwurgericht ähnliche Erkenntnisse, und das aus ähnlichem Anlaß. Im Oktober vorigen Jahres ist es dort beim Straßen­

Zuschriften an die Redaktion der Gleichbett find zu richten an Frau Klara Zetkin  ( Zundel), Wilhelmshöhe. Doft Degerloch bei Stuttgart  . Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furtbach- Straße 12.

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bahnerstreik zu Aufläufen und Krawallen gekommen. Die Ur sachen waren die nämlichen, wie fast stets in solchen Fällen: die Anwerbung von Streifbrechern, die liebevolle Fürsorge der Polizei für diese bem Staate nützlichen Elemente", und das Gegenstück dazu: ihre Schneidigkeit gegen die Streifenden; end­lich und nicht zum mindesten das bekannte tappige, wenn nicht geradezu provokatorische Einschreiten der Schutzleute gegen prole tarische Massen, die aus ihrer Sympathie für die Ausständigen und ihrer Berachtung der Arbeitswilligen fein Hehl machten. In den juristisch geschulten Gehirnen von Dienern des Kapita listenstaats spiegelten sich die Vorgänge als Aufruhr und Land. friedensbruch" wider. Nicht anders wurden sie von den bürger lichen Geschworenen erfaßt: Kaufleuten, Fabrikanten, höheren Angestellten und Handwerksmeistern. Das Schwurgericht ver urteilte den Arbeiter Langhorst wegen Aufruhr zu 1 Jahr 4 Monaten Zuchthaus, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf 4 Jahre und Stellung unter Polizeiaufsicht. Es erkannte gegen die Ehefrau des Transportarbeiters Jühring auf 2 Jahre und 7 Tage Zuchthaus, Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte und sofortige Berhaftung, weil die Angeklagte sich des Aufruhrs und der Beleidigung der bremischen Schußmannschaft schuldig ge­macht haben soll. Wodurch? Nach der Anklage hat Frau Jühring mit der Menge zusammen den Polizisten Banditen! Moabiter  ! zugerufen, ist sie der wiederholten Aufforderung eines Schuh­manns nicht gefolgt, das Trottoir in einer Straße zu verlassen, wo es zu randalierenden Ansammlungen gekommen war. Sie soll dem Beamten zugerufen haben: Ick heff nicks makt, id kann hier stahn blieben; faten Sie nich an, sonst passeert wat." Als der Schutzmann die Menge fortzudrängen suchte, soll Frau Jühring in die Tasche ihrer Schürze gegriffen und ihm eine Handvoll feinen Pfeffers ins Gesicht geworfen haben, so daß der Polizist mit dem rechten Auge nichts, mit dem linken nur blinzelnd sehen konnte. Irgendwelche Schädigung der Sehkraft ist dem Schußmann aus dieser Tat" des Aufruhrs" nicht er­wachsen. Frau Jühring soll den Pfeffer vorher gekauft haben, eigens zu dem Zwecke, wie es von der Anklage und einigen Zeuginnen behauptet wird, damit vorkommendenfalls die Schuy leute zu beattentaten.

Der Vorsitzende des Schwurgerichts gab den Verhandlungen von vornherein ein charakteristisches Gepräge. Die Feststellung, daß Frau Jührings Ehemann Transportarbeiter sei, ergänzte er durch die Frage, dann gehöre dieser wohl auch dem Trans­portarbeiterverband an. Das Zeugenverhör ergab fein flares Bild der Vorgänge, die der Anflage zugrunde liegen. Frau Jühring gab zu, daß Pfeffer in ihrer Schürzentasche gewesen fei, fie bestreitet aber, damit geworfen zu haben. Nach dem polizeilichen Protokoll hat sie das bei der ersten Vernehmung zugegeben, Frau Jühring behauptet ihrerseits jedoch, sie wisse nicht, wie dieser Say in das Protokoll gelommen sei, ihr sei er nicht vorgelesen worden. Den belastenden Aussagen von zwei Zeuginnen stellte sie die Behauptung entgegen, gerade diese beiden Frauen hätten den Schuyleuten Pfeffer in die Augen werfen wollen. Kurz, die Angeklagte machte nichts weniger als den Eindruck einer bewußten, überlegten Aufrührerin", die

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