2l2 Die Gleichheit Nr. 14 60 vom Hundert der befragten Arbeiterinnen verdienen also bis IS CtS.(das ist 12 Pf.!) in der Stunde, 83 vom Hundert, 186 von 217, kommen nicht über 25 Cts.! Diese Arbeiterinnen haben nicht einmal die Hoffnung auf eineauf­steigende Richtung� der Löhne, in der die bürgerlichen National­bkonomen und die demokratischen Optimisten ein Nachlassen der kapitalistischen   Ausbeutung erschauen, sondern trotz der außer­ordentlichen Steigerung der Lebensmittelpreise in den letzten fahren sind die Löhne noch gesunken. So wird das Dutzend llmlegkragen statt mit 80 nur noch mit 60 Cts. bezahlt, das Dutzend Knopflöcher statt mit 3S nur mit 25 Cts. Aber die angeführte Tabelle gibt nur die Löhne der regel­mäßig beschäftigten Arbeiterinnen wieder, nicht die der un­regelmäßig arbeitenden Greisinnen, Kranken, mit Arbeit im kinderreichen Haus belasteten und derjenigen Frauen, die bei den verschiedenen Wohltätigkeitsinstituten um Arbeit vorstellig »erden. Diese Unglücklichen werden noch schlechter bezahlt. Sie sind gar nicht imstande, ihren Jahres- oder Tagesverdienst anzugeben. Angaben über den Jahresverdienst wurden von 366 Wäschearbeiterinnen der verschiedenen Kategorien gemacht. Die »achstehende Tabelle gibt den Reinverdienst wieder, der nach Abzug der Kosten, namentlich für das von den Arbeiterinnen «t liefernde Garn und für den Transport anläßlich der Ab- aeferung der Arbeit, übrig bleibt. Es verdienten jährlich bis 150 Fr....... 35 Arbeiterinnen von 15 l bis 200-...... 17, - 201. 25V-...... 41- . 251............. - 301- 350-...... 47 - 351. 400-...... 34 - 401- 450-...... 32- - 451- 500-...... 13 . 501. 600-...... 45 - 601- 700....... 29 - 701........... 12 . 801. 900....... 12 - 901. 1000-...... 4 Über 1000-...... 10- Also von 366 Arbeiterinnen verdienen 213, das ist drei Fünftel, höchstens 400 Fr. im Jahr, knapp 95 Pf. täglich! und dies in einer der teuersten Großstädte der Erde, wo die Wohnungsmiete im normalen Proletarierhaushalt oft ein Viertel deS ganzen Einkommens verschlingt und die Preise gerade für die notwendigsten Lebensmittel, wie Milch und Eier, außer­ordentlich hoch sind. Unter diesen miserabel entlohnten Arbeite­rinnen haben viele Kinder zu erhalten, ganz aus Eigenem zu erhalten, da das Gesetz noch immer die Nachforschung nach der Vaterschaft verbietet und die ledige Mutter hilflos macht. Selbst wo ein Nebenverdienst möglich ist, bedeutet er nicht viel. Die Enquete ergab, daß von den allein, daS heißt nicht in einer Familiengemeinschaft lebenden Arbeiterinnen 57 vom Hundert »wischen 300 und 600 Fr. reines Gesamteinkommen im Jahre aus ihrer Arbeit hatten. Wir stellen diesen Feststellungen gegenüber, was derKon­fektionär" neulich berichtete. Die Modefirma Paquin, eine eng- ltsche Aktiengesellschaft, verteilte 1910 eine Dividende von 15 Pro­zent, überwies den Reserven 255100 Mk. und buchte 850520 Mk. als Vorttag. Das Mühen der Arbeiterinnen, die Hungerlöhne erhalten, ist also recht einträglich für die Aktionäre. Die Gewerbeinspektoren berichten auch über die Wohnungs­verhältnisse der Heimarbeiterinnen. Sie lasten von der Man­sardenpoesie nicht? bestehen. Von 500 besuchten Wohnungen bestanden 135 aus einem einzigen Raum, und davon hatten 61 weniger als 30 Kubikmeter Rauminhalt. Es gibt aber auchWohnungen", die 6Kubikmeter groß sind, und wo man nicht aufrecht stehen kann. Dazu die llbcrlülluug. Die Inspektoren fanden je 4 Familien von 5 Personen, 6 Fa­milien von 6 Personen und eine Familie von 7 Per­sonen in einem einzigen Wohnranm, der zugleich Arbeits­stättewar. In einem Zimmer von 20Kubikmetern trafen sie eine Arbeiterin an, ihren Mann und zwei Kinder, in einem anderen eine Arbeiterin, deren Tochter und das Kind der Tochter, in einem Räume von weniger als 30 Kubik­metern ein Ehepaar mit 5 Kindern. Von den oben­erwähnten 61 Wohnungen unter 30 Kubikmetern waren 24 von mehr als drei Personen bewohnt. Der durchschnittliche Zins aber betrug 150 bis 300 Fr. 32 Prozent der inspizierten Woh­nungen werden als wahre Infektionsherde bezeichnet. Zur Veranschaulichung dieser entsetzlichen Verhältnisse fügen wir einige Einzelberichte an, die durch die nüchterne Feststellung der Tatsachen und durch die Sprache ihrer Ziffern wirken mögen: Nr. 228. Frau R., 32 Jahre alt. Sie ist Witwe mit 5 Kindern. Verfertigt Vorhemden in Zephir, Wolle, Perkal, Leinen. Hat 3 Monate im Jahre Arbeit, arbeitet durchschnitt­lich 10 Stunden täglich und verdient 2,50 Fr. Ihr jährlicher Bruttoverdienst beträgt 500 Fr., der Reinverdienst 450 Fr. Ihre Wohnung besteht ans einem Zimmer, einer kleinen Küche und Abtritt. Ein einziges Bett. Am Abend wird eine Ma­tratze auf den Fußboden gelegt. Das jüngste Kind ist 4 Monate alt. das älteste 10 Jahre. Frau R. sagt, daß ihre Kinder, mit Ausnahme der zwei, die das Mittagsmahl in der Schulkantine bekommen, nur von Suppe leben. Ihr eigenes Mittagessen besteht aus gerösteten Kartoffeln und Brot für je einen Sou(5 Cts.). Sie erhält von verschiedenen Wohltätigkeitsinstitutcn ungefähr 300 Fr. im Jahre, in Geld und Naturalien. Nr. 329 und 349. Zwei Schwestern, 45 und 56 Jahre alt, leben zusammen. Die jüngere arbeitet Schürzen für Stuben­mädchen(durchaus Handarbeit), die ältere Schürzen für Diener (Maschinenarbeit). Die Arbeitszeit ist für die jüngere in der Hochsaison 16 Stunden, bei laufender Arbeit 12, in der toten Saison(ungefähr 2 Monate) ist die Arbeitslosig­keit fast vollständig. Diese Arbeiterin leider an einer stören­den Eingeweidelähmung. Sie kann in der normalen Saison 1,20 Fr. täglich verdienen. Sie schätzt die Zahl ihrer Arbeits­tage im Jahre auf 250, und ihr Lohn beträgt rein etwa 300 Fr. Die Arbeitszeit für die ältere Schwester beträgt 19 Stunden in der Hochsaison, 12 bis 14 Stunden bei lau­fender Arbeit. In 19 Stunden ist sie imstande, 2'/, taschen­lose Schürzen mit einem Bruttoverdienst von 2,50 Fr. oder ein Dutzend Schürzen mit Taschen um 1,50 Fr. zu verfertigen. Der jährliche Bruttoertrag ihrer Arbeit ist 526,50 Fr-, der Reinertrag 416 F» Die beiden Schwestern verfügen so un­gefähr über 716 Fr. Für den Zins gehen davon 250 Fr. aus, die Heizung kostet 80 Fr. Der Rest, 386 Fr., soll für die Kosten des Haushaltes reichen. Man sieht, die Schwestern haben für Nahrung und sonstigen Unterhalt nur über 1,05 Fr. täglich auszugeben. Sie leben fast ausschließlich von Milch und genießen sie nur in kleinen Quantitäten. Ihre Magen haben sich an diese dauernde Entbehrung so an­gepaßt, daß sie jetzt gar nicht mehr imstande wären, eine normale Mahlzeit aufzunehmen, wenn ihre Mittel ihnen eine solche Ausgabe gestatteten. Das sind so einige Bilder von der Kehrseite des rauschen­den fröhlichen Lebens derLichtstadt". Sie sind gar nicht so verborgen, wie man glauben möchte. Man braucht nur von den großen Boulevards um die Ecke zu biegen, um in engen, schmutzigen Gäßchen durch schmale Fensterhöhlen in die Be­hausungen dieses Jammers zu blicken. Aber der Fremde, der in Paris   die weltstädtischenFreuden" sucht, geht daran so gleichgültig vorüber wie der einheimische, in kleiner oder großer Profitjagd abgestumpfte Bourgeois. Wenn aber die Geschöpfe der grauenvollen Elendsnacht, die von der Kindheit an jeg­licher Entartung preisgegeben waren, auf die Straße hinab­steigen mit einem wilden Lebensgelüst, das sich zwischen Alkohol­rausch und Blutrausch erschöpft, jammert der gute Bürger über die zunehmende Verwahrlosung der Jugend und protestiert gegen diefalsche Humanität", die den Scharsrichter feiern lassen will. Er sieht den Verbrecher, den Handlanger des Verbrechens, der das Messer zückt und den Schlagring niedersausen läßt, nicht den wahren Schuldigen, die Gesellschaft, die einer Schar von Müßiggängern die volle Schale der Genüsse dar­bietet, die sie aus den Leiden der Arbeitenden destillier!. Otto Pohl  , Paris  .