214 Die Gleichheit Nr. 14 zwungen ist, einmal von der Kündigung einer Vertragsrate abzusehen, so fällt dies« dann ohne weiteres mit der nächstjährigen zusammen. Hierdurch hoffte der Schutzverband dem ReichStarif, der ihm als Inbegriff aller Glückseligkeit erscheint, ein erhebliches Stück näher zu kommen. Dem Holzarbeiterverband schien in dem Ablaufstermin keine Gefahr zu liegen. Wenn Jahre kommen sollten, wo er eine Bewegung durchzuführen nicht in der Lage ist, braucht ja der Schutzverdand die Kündigung der Verträge des betreffenden JahreS nur auszusprechen— auch wenn der Ablaufstermin in anderen Monaten liegt—, um ohne Vertrag bis zum kommenden Februartermin arbeiten zu lassen und dann den Kampf in allen Städten gleichzeitig aufzunehmen. Mit solchem Vorgehen wird es aber voraussichtlich noch gute Weile haben. Di« beiden letzten Jahre haben bewiesen, daß die Unternehmerorganisation auch während der Zeit der Krise einen Kampf außerordentlich fürchtet, weil dann die Arbeitgeber durch die ungünstige Konjunktur geschwächt eventuell die Heeresfolge versagen würden und einen billigen Frieden einem unsicheren Kampfe vorziehen. Aus diesem Grunde hat der Arbeitgeberschutzverband auch im Februar 1910 mit allen Mitteln auf die Erhaltung des Friedens hingearbeitet, trotzdem die Arbeiter diesen nur zugestehen konnten, wenn erhebliche Verbesserungen der Lohn- und Arbeitsverhältnisse erfolgten. Mit dem Arbeitgeberschutzverband waren bis zum Vorjahr drei solcher Vertragsperioden vereinbart worden, und zwar zu je dreijährigen Verträgen. Insgesamt dürften ihnen rund.8()0(X> Arbeiter und Arbeiterinnen unterstehen. Die im Vorjahr bis 1913 abgeschlossenen Verträge erfaßten zirka 5S0cx> Beschäftigte, und der Rest verteilte sich fast gleichmäßig auf die beiden weiteren Jahre. Inzwischen sind die Hamburger Unternehmer aus chem Schutzverband ausgetreten. Die im Februar 1911 abgelaufenen Verträge gelten in der Folge für rund 13<XX1 Beschäftigte. Um allen Eventualitäten gewachsen zu sein und die Lasten gleichmäßiger auf einen größeren Zeitraum verteilen zu können, beschloß die Generalversammlung des Holzarbeiterverbandes im vorigen Jahre, den Beitrag zu erhöhen und die Tarisdaucr von drei auf vier Jahre zu verlängern. Hierüber gab es in diesem Jahre erhebliche Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeberschutzverband, der durch den Beschluß seine Pläne in bezug auf den Reichstarif gefährdet sah. Er wollte sogar bei der dreijährigen Dauer der neuen Verträge„mindestens dieselben Zugeständniffe" machen wie bei vierjähriger. Von der Leitung des Holzarbeiterverbandes wurde der Unlernehmervertretung ganz offen gesagt, daß die beschlossene Maßnahme darauf berechnet sei, den Reichstarif zu verhindern, daß gerade aus diesem Grunde die dreijährige Vertragsperiode ganz entschieden abgelehnt werde. Schließlich gab der Schutzverband sich mit der Erklärung zufrieden, daß der Holzarbeiterverband bereit ist,«ine Vereinheitlichung der Verträge in bezug auf den Inhalt und nach der geographischen Lage eintreten »u lassen. Die Unternehmer wollten hiermit eine weitere Stärkung »er Vertragsgruppe 1913 erreichen, während der Holzarbeiterverband seinerseits ein Interesse daran hat, diese zu verkleinern, so daß sich der Ablaufstermin betreffender Orte auf die übrigen Jahre »erteilt. Nach dem Sinn und Wortlaut der Erklärung muß der Holzarbeiterverband zu seinem Ziele kommen. Rheinland-Westfalen , Südwestdeutschland, Bayern , Schlesien , Ost- und Westpreußen muffen nach der Vereinbarung aus der genannten Vertragsrate ausscheiden, «eil der Ablaufstermin der Hauptorte dieser Bezirke in anderen Jahren liegt. Dank der Vereinbarung wird so wieder einmal das Gegenteil von dem eintreten, was die Herren Unternehmer anstrebten. Darüber ist man sich inzwischen im Schutzverbandslagcr auch klar geworden und wäre froh, das Ding wieder los zu werden. Dazu die Hand zu bieten, hat der Holzarbeiterverband kein Interesse, obwohl er weiß, daß das Versprechen nur— auf dem Papier steht! Weit wichtiger als die Vereinbarung in bezug auf die Vereinheitlichung nach der geographischen Lage ist die bezüglich des Inhalts der Verträge. Der Holzarbeiterverband hat von jeher auf dem Standpunkt von Ortsverträgen gestanden, und die beiden letzten Verbandstage haben diese seine Ansicht noch ganz besonders unterstrichen. Für den Vertragstext hatte er zwar schon früher gewiss« Anleitungen gegeben, doch legten diesem die Arbeiter sehr oft nicht die gebührende Bedeutung bei. Häufig genug handelten die Unternehmer gegen eine geringe Lohnerhöhung eine ihnen genehme Fassung des Vertrags ein. Aus diesem Grunde war die Faffung der Verträge recht buntscheckig. Solange die einzelnen Ortsparleien über die Auslegung der Bestimmungen allein zu entscheiden hatten, war das weiter nicht schlimm. Das wurde aber anders, als die Unternehmerorganisation erstarkte und viele Orte sich solidarisch erklärten, wenn es an einem einzelnen zu einer Auseinandersetzung über Streitpunkte des Vertrags kam. Nun mußten sehr oft die Zentralleitungen als Schiedsgericht fniigiereu, und dabei zeigte sich in den meisten Fällen die Unzulänglichkeit der Vertragsbestimmungen. Dieser Stand der Dinge führte schon 190S dazu, für die Schlichtungskommission eine gemeinsame Fassung der Verträge zu suchen, die seither für alle Verträge angenommen wurde, die mit dem Arbeitgeberschutzverband zum Abschluß kamen. Gelegentlich der diesjährigen Tarifbewegung verhandelten die Zentralvorstände auch über diese Angelegenheit und vereinbarten die Ausarbeitung eines Mustervertrags. Die Vorarbeiten hierzu wurden dem Borstand des Holzarbeiterverbandes übertragen. Die Verschiedenartigkeit der Verhältnisse im Holzgewerbe selbst, das sich allein in der Tischlerei in Dutzende verschiedener Branchen teilt, ferner auch die Meinungsverschiedenheiten in den Kreisen der Arbeiter über die zweckmäßigste Lohnform und Lohnnorm erschwerten diese Arbeit außerordentlich. Die Arbeit, die im November v. I. in Angriff genommen wurde, kam erst im Januar zum Abschluß. Der ausgearbeitete Mustervertrag fand die einmütige Billigung der Städtekonferenz des Holzarbeiterverbandes und im großen ganzen auch die Zustimmung der Leitung des Arbeitgeberschutzverbandes. In dessen Reihen gab es jedoch helle Empörung, als dies bekannt wurde. Die schleswigholsteinische Gruppe der Unternehmerorganisation erließ eine „dringende Mahnung" an ihre Vertreter in den Städten, wo Verhandlungen stallfanden, das den„sozialdemokratisch-terroristischen Geist des Holzarbeitcrverbandes atmende Vertragsmuster unter allen Umständen" abzulehnen. Trotzdem kann heute gesagt werden, daß sämtliche Verträge, die jetzt für 19 Februarstädte abgeschlossen sind, diesen„Geist atmen". Und das Vertragsmuster wird auch bei allen weiteren Verträgen mehr oder'minder Geltung finden, bis eS sich allgemein durchgesetzt haben wird. Das ist mit ein Hauptersolg der diesjährigen Tarifbewegung. Neben diesem ist es die Frage der Arbeitszeitverkürzung, der auch in diesem Jahr« besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde. „Bei gut ausgebauter Organisation erhöht sich der Lohn während der Vertragsdauer von selbst, das Hauptgewicht ist darum auf die Verkürzung der Arbeitszeit zu legen." Dieser Standpunkt ist immer wieder besonders scharf im Holzarbeiterverband vertreten worden und der Mehrzahl der Mitglieder in Fleisch und Blut übergegangen. Sie haben dank einer unermüdlichen, zielklaren Propaganda den Wert der kurzen Arbeitszeit begriffen. So ist es der Macht des Holzarbeiterverbandes auch in diesem Jahre gelungen, den Holzarbeitern in allen beteiligten Orten eine Verkürzung der Arbeitszeit zu verschaffen. Sie beträgt: in 19 Städten mit 7230 Arbeitern 1 Stunde pro Woche, . 10-- 3130- 2--- » 1-- 430» 3--- LI" 10810 Tie Bedeutung dieses Erfolges kommt erst voll zum Ausdruck, wenn man sich das Folgende vergegenwärtigt. Dank der Arbeitszeitverkürzung beträgt die wöchentliche Arbeitszeit nun 32 Stunden in 3 Orten mit 4900 Arbeitern Die Orte Breslau , Bremen und Stuttgart sind in die V2-Stundenklasse aufgerückt, in welcher sich bisher nur München , Hamburg , Leipzig und Dresden befanden. Elberfeld , Barmen, Helmstedt und Chemnitz wurden in die 33-Stunden- klasse eingereiht, und die 34stündige Arbeitszeit haben erhalten Aachen, Detmold , Herford , Kirchheim u.T. , Neu münster , Osnabrück und Posen. Nun gilt es, durch Ausdehnung und Stärkung der Organisation, durch Pflege der Erkenntnis und des Idealismus der Organisation neue Siege vorzubereiten. gb. Die Liga für die Interessen der erwerbstätigen Frauen in Großbritannien . I. X. Die Liga für die Interessen der erwerbstätigen Frauen in Großbritannien , über die wir wiederholt berichtet habe», gehört ihrem Wesen, ihren Zielen nach zur parlainentarischen„Arbeiterpartei", mit welcher sie auch durch organisatorische Fäden verknüpft ist. Sie stellt gleichsam einen Zweig dieser Partei dar, der rie
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22 (10.4.1911) 14
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