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Die Gleichheit
schon nach acht Tagen vor, den Staub Aumas von ihren Pan toffeln zu schütteln. Nun griff die Gesellschaft wohl zu dem letzten Mattel , ich billige Arbeitskräfte zu verschaffen: sie ließ sich Ausländer, Polen und Polinnen, fommen, im ganzen 91. Die erste Abteilung davon, 46 an der Zahl, traf im November v. J. ein und verpflichtete fich lontraktlich bis zum 1. März 1911 gegen einen Tageslohn von 2,50 Mt., freie Wohnung, Beleuchtung und Feue rung. Aber die Arbeitgeber hielten auch diesen Kontrakt nicht. Die polnischen Arbeiter und Arbeiterinnen mußten im Afford arbeiten und bekamen sage und schreibe drei, vier und fünf Mark Wochenlohn. Für Wohnung wurden ihnen 10 Prozent, für Feuerung 20 Pf. pro Kopf abgezogen, und nun follen fie auch noch das Licht bezahlen, das sie abends brauchen. Burschen wurden zu einem Tagelohn von 2 Mt. und Arbeiterinnen für 1,60 Mt. angenommen. Die Ausländer protestierten gegen das Verhalten der Fabrikanten und verlangten die Innehaltung des Kontrattes. Zwei Borarbeiter, die der deutschen Sprache mächtig waren, Närten ihre Arbeitsbrüder über die tatsächlichen Verhältnisse auf, eine Deputation ging zum Kontor und versuchte den Fabrikanten zu bewegen, setne Pflicht zu erfüllen. Da teine Einigung erzielt wurde, weigerten sich die Arbeiter und Arbeiterinnen, weiterzuschaffen, sie gingen nicht in die Fabrik, sondern blieben in ihren Baracken. Die Fabrikleitung versuchte nun, mit einem probaten Mittel die Ausländer willfährig zu machen. Ein Arbeiter gab sich zu dem feigen Bütteldienst her, vom Maschinenhaus her einen Schlauch nach der Wohnung der polnischen Arbeiter und Arbeiterinnen zu legen, um fie aus dem Hause herauszusprigen. Am Eingang der Baracke soll ein anderer mit dem Messer in der Hand gestanden haben, um einzugreifen, wenn die Arbeiter sich zur Wehr sehen würden. Die Ausländer hatten aber schon vorher die Wohnung verlassen, manche waren in den Wald, die anderen zum Bürgermeister gelaufen und hatten thm die Not geklagt. Wie es nicht anders zu erwarten war, hat diese hohe Obrigkeit die Armen wieder an thre Arbeit vers wiesen. Die beiden Vorarbeiter wurden furzerhand von Polizeibeamten über die weimarische Grenze gebracht, natürlich obendrein unter den üblichen empörenden Umständen. Auf Ersuchen der Fabrikleitung erschienen zwei Gendarmen, der eine war aus Triptis herbeigerufen worden, da sich der einheimische Gendarm geweigert haben soll, die ihm angesonnene Arbeit zu verrichten. Unter dem Jammer der Angehörigen wurden die zwei Vorarbeiter von den beiden Bewaffneten durch die Stadt nach dem Bahnhof geführt; zwei Polizeibeamte und zwei Nachtwächter in Uniform paßten dort auf, daß die Abreise der übeltäter" auch richtig erfolgte. Zwei Gendarmen begleiteten sie bis über die Grenze. Kurz, die Behörden bewiesen wieder einmal, daß sie wissen, was ihres Amtes ist, wenn Arbeiter- und Unternehmerinteressen gegeneinander stehen. Daher war es auch möglich, daß ohne vorherige Untersuchung eine Ausweisung verfügt und ausgeführt wurde, ja ohne daß der Ortsvorstand von Auma eine Ahnung von der Maßregel hatte, wie er auf eine persönliche Nachfrage nach dem Grund selbst erklärte. Der Vorfall hatte noch ein Nachspiel. Die Arbeiter und Arbeiterinnen der Berghausschen Fabrit hatten von den Fenstern dem aufregen den Transport der beiden Ausländer zugesehen. Der Vorarbeiter Müller stellte daraufhin eine Arbeiterin zur Rede, die seiner Aufficht nicht einmal unterstand, und verhängte eine Strafe von 50 Pf. über ste. Als die Arbeiterin selbstverständlich dagegen protestierte, wurde sie kurzerhand entlassen. Derselbe Herr Müller, der so schneidig gegen Arbeiter und Arbeiterinnen vorgeht, nimmt es anscheinend mit anderen Dingen nicht so genau. Er soll sich auf billige Art Brennholz verschafft haben, indem er im Walde, an dem er wohnt, Bäume fällte, sie zerkleinerte und dann das Holz von zwei Arbeiterinnen, die bei ihm in Kost und Logis sind, nach Hause tragen ließ. Herr Müller ist jetzt wegen Holzdiebstahls angezeigt worden. Bei einer Haussuchung, die bei ihm abgehalten wurde, fand man einen großen Borrat an Holz. Gefragt, wo er ihn her habe, behauptete der ehrenwerte Mann, seine beiden Logismädchen hätten es ihm ins Haus gebracht. Diese gaben das zu, erklärten aber, der Vorarbeiter habe sie zum Einholen des Holzes in den Wald geschickt, und sie hätten geglaubt, das Holz sei gekauft. Herr Müller hat also die Arbeiterinnen indirekt des Holzdiebstahls bes zichtigt. Würden solche traurigen Zustände wohl möglich sein, wenn die Arbetter und Arbeiterinnen gut organisiert wären? Wäre es nicht thre Pflicht, ihrer Gewerkschaft beizutreten? Müßten nicht sämtliche Arbetter und Arbeiterinnen hinter den ausgewiesenen Kameraden stehen und verlangen, daß sie wieder eingestellt werden? Ste wagen teine Forderung, weil von 300 Arbeitern und Arbeite rinnen nur einige fünfzig organisiert sind. So müssen sie wie Hungerlögne auch Beugungen des Rechtes hinnehmen. Sie sind Schwache, die sich ducken müssen. Stärke kann ihnen nur aus ihrer
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Vereinigung mit den anderen Ausgebeuteten ihres Berufs kommen. Arbeiter und Arbeiterinnen der Porzellanfabrit von Auma, von anderwärts, wo die kapitalistische Ausbeutung blüht: tretet dem Porzellanarbeiterverband bei! Helft euch dadurch selbst, und euch wird geholfen. Agnes Fahrenwald.
Frauenstimmrecht.
Die Einführung des Frauenwahlrechts in Kalifornien , Kansas und Oregon hat in den gesetzgebenden Körperschaften dieser drei Weststaaten der nordamerikanischen Union starke Majo ritäten, beziehungsweise teinen Widerspruch gefunden. In Oregon gilt das letztere für die Beschlußfassung sowohl des Senats, als auch der Kammer; in Kalifornien stimmte der Senat mit 35 gegen 5, die Kammer mit 65 gegen 6 Stimmen für die Einführung des Frauenwahlrechts; in Kansas erklärte sich der Senat mit 94 gegen 28, die Kammer mit 27 gegen 12 Stimmen für diese Neuerung. Nun hat in den drei Staaten eine Volksabstimmung über die nötige Verfassungsänderung zu entscheiden.
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.
Ein Erfolg der Genossinnen in Österreich ist zu melden. Der§ 80 des Vereinsgesezes, der Frauenspersonen" von der Mitgliedschaft in politischen Vereinen ausschließt, wurde vom Abgeordnetenhaus aufgehoben. Die Leserinnen der„ Gleichheit" er innern fich wohl noch an die große demonstrative Frauenversamm lung, welche die Beseitigung der mittelalterlichen Bestimmung for derte. Jm österreichischen Barlament hatten die sozialdemokratischen Abgeordneten einen Antrag zur Reform des Vereinsgesetzes eingebracht und, nur von wenigen bürgerlichen Abgeordneten unterstützt, den Kampf um das politische Vereinsrecht der Frauen ge. führt. Als der Verfassungsausschuß den Forderungen der Frauen entsprach und dem Genossen Pernerstorfer das Referat über trug, bekämpften namentlich die Abgeordneten der deutschbürgerlichen Parteien das politische Vereinsrecht der Frauen. Sie bes fürchteten von der politischen Betätigung der Frauen eine Gefahr für deren„ reine Weiblichkeit", und einer ihrer Abgeordneten be tannte noch vor kurzer Zeit, daß ihm die Frauen zu hoch stehen, um sie in den Schmutz des politischen Lebens zu ziehen". Ihm haben unsere Genoffinnen in einer Versammlung geantwortet, in der sie auf den wirklichen Schmuh verwiesen, mit dem die Arbeite rinnen beim Mörteltragen und Kohlenschieben in Berührung kommen. Die Regierung sträubte sich bis zum letzten Augenblick gegen die „ Lex Bernerstorfer".
Jm Verlauf der Debatten im Parlament wies Genosse Viktor Adler die Einwände zurück, daß die Frauen selbst kein Bedürfnis nach politischen Rechten haben und daß sie geistig minderwertiger als die Männer seien. Genosse Adler sprach dabei das für die Ge noffinnen ehrende Wort, daß die Männer die Frauen nach jenen beurteilen, mit welchen sie umgehen". Es gelang den sozialdemo tratifchen Abgeordneten, alle Gegner zu widerlegen, so daß das Recht der Frauen, politische Vereine zu bilden, einstimmig angenommen wurde. Das Gesetz bedarf noch der Zustimmung des Herrenhauses. Da das Haus der Abgeordneten ein einstimmiges Votum abgegeben hat, so hofft man, fast feinen Widerstand zu finden. Damit sind die Genoffinnen ihren Schwestern in Deutschland gleich an Rechten" geworden. Daß es die österreichischen sozialdemokratischen Frauen nicht daran fehlen lassen werden, den deutschen Genossinnen in den glänzenden organisatorischen Erfolgen nachzueifern, dafür bürgt ihr bisheriges Wirken im Dienste der Partei.
Verschiedenes.
a. p.
Das Erholungsasyl der Stadt Karlsruhe im Kurort BadenBaden wird in diesem Jahre auch den Frauen zur Benutzung zugänglich gemacht werden, die in Karlsruhe ihren Wohnsitz haben. Das Erholungsheim ist ein ehemaliges Kurhaus, das die Stadt vor einiger Zeit erworben hat. Die Verpflegungsgebühr in diesem fommunalen Institut beträgt 2,50 Mart pro Tag. Die Gesuche um Aufnahme müssen den Nachweis erhalten, daß die Erholungss bedürftigen 1. feiner regelmäßigen ärztlichen Pflege mehr bedürfen und gute Verpflegung außerhalb des Bettes in frischer Luft und Sonnenschein genießen sollen, 2. durch Berufsarbeit oder häusliche Sorgen ermüdet sind und Ruhe haben müssen, 3. wegen geschwächter Veranlagung eine Kräftigung des Körpers nötig haben.
m. g.