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Die Gleichheit
Die Klage ist abzuweifen, wenn nachgewiesen wird, daß die Mutter während der Empfängnisfrist einen„ notorisch unfittlichen Lebenswandel" geführt oder mit einem anderen Indivi duum Umgang gehabt" hat.
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Man sieht, wie bequem es diese Bestimmungen den außer ehelichen Vätern noch immer machen, sich ihren Verpflichtungen zu entziehen. Die Fälle von Entführung und Notzucht kommen im Vergleich zu der Gesamtziffer der illegitimen Vaterschaften doch überhaupt nicht in Betracht. In den unvergleichlich zahl reicheren Fällen aber, wo Mißbrauch der Autorität- wie dehn bar ist übrigens dieser Begriff! vorliegt, wird man sehr selten ben geforderten„ Beginn eines schriftlichen Beweises" finden. So vorsichtig sind die lüfternen Unternehmer, Vorgesetzten, Dienst geber schon. Das„ notorische Konkubinat" wiederum wird wohl bie Alimentationspflicht in vielen Fällen herbeiführen, wo die Bäter den besitzlosen oder minderbemittelten Schichten angehören, bagegen wird diese Bestimmung gerade meistens versagen, wenn es fich um reiche Bäter handelt. Der reiche Bourgeois fann fich den Lurus mehrerer Haushaltungen leisten. Er hält seine Geliebte aus, er lebt nicht mit ihr. Von der Ungerechtigkeit des Einwands des Umgangs mit Dritten der ebenso leicht als leichtfertig erhoben werden fann brauchen wir nicht erst zu sprechen. Er ist seinerzeit in der Diskussion über das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch hinreichend kritisiert worden.
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Der entscheidende, fundamentale Fehler des Gesetzes aber ist seine vollständige Verkennung der Tatsache, daß es sich bei der Feststellung der Vaterschaft nicht um den Ersatz für einen der Mutter zugefügten materiellen oder moralischen Schaden, nicht um Sühne für eine Schuld, sondern um das Recht des Kindes auf den materiellen Beistand seines Erzeugers handelt. Es ist widersinnig, nur der verführten oder vergewaltigten Mutter ein Klagerecht zuzusprechen. Hört die Verpflichtung des Vaters auf, wenn seine geschlechtliche Verbindung mit der Kindesmutter, wie es doch wohl die Regel ist, auf freier Vereinbarung begründet war, wenn sie einer dauernden gegenseitigen Zuneigung oder auch nur einem flüchtigen Rausche entsprungen ist? Warum ist in diesem Falle nur die Mutter verantwortlich, warum soll sie alle Folgen tragen, warum das Kind dem Vater gegenüber rechtlos sein? Bricht hier nicht die Angst um das bürgerliche Eigentum durch, die mit der geschlechtlichen Heuchelei einen widerlichen Bund geschlossen hat?
Das Gesetz ist also himmelweit von der großzügigen Auf faffung entfernt, die zur Zeit der großen Revolution in Frank reich triumphierte. Es gehört zu einer der Ruhmestaten dieser Revolution, daß unter ihr zum Schutze von Mutter und Kind ein Gesetz geschaffen wurde, welches das außereheliche Kind mit dem ehelichen Kind rechtlich vollständig gleichstellte. Dieses Gesetz gehört zu den mancherlei wichtigen Neuerungen auf dem Gebiet des Privatrechts, mit denen die Revolution gleiches Recht für beide Geschlechter anerkannte und schuf, Neuerungen, die beweisen, wie unwissend die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen sind, wenn sie erklären, das weibliche Geschlecht habe der Revolution gar nichts zu verdanken. Das Recht des unehelichen Kindes, das die große Revolution geschaffen hatte, wurde zusammen mit anderen fortschrittlichen Bestimmungen von Napoleon aufgehoben, dem„ Säbel" der Bourgeoisie, der bürgerlichen Ordnung, die den Frauenrechtlerinnen so teuer ist. Das der Kammer nun vorliegende Gesetz ist eine sehr geringfügige Abschlagszahlung an die Gerechtigkeit. Und vermut lich wird es eben darum nicht einmal die Wirkungen haben, die seine Schöpfer im Auge hatten. Weil es die Existenzbedingungen der außerehelichen Kinder nicht allgemein verbessert und nur die bei der sexuellen Erpressung und im Konkubinatsverkehr unvorsichtigen Väter unterhaltspflichtig macht, wird es die Vorbeugungspraktiken, die das eheliche Geschlechtsleben in Frankreich regieren, auf das außereheliche verpflanzen, wo sie bisher vielfach noch außer acht gelassen wurden. Auch für das Problem der Bevölkerungsvermehrung gibt es keine Lösung im Rahmen der heutigen Eigentums- und Gesellschaftsordnung. Otto Pohl , Paris .
Die wirtschaftliche Lage
der Zigarettenarbeiterinnen.
Nr. 17
Eine Untersuchung über die Arbeitsverhältnisse in der deutschen Zigarettenindustrie liegt in Herrn Dr. Kurt Bormanns wiffenschaftlicher Arbeit vor:„ Die deutsche Zigarettenindustrie."* Sie beansprucht schon deshalb ein besonderes Interesse, weil sie von neuem den Beweis erbringt, daß die Heimarbeit nicht nur die schamloseste Ausbeutung der in ihr selbst beschäftigten Proletarier ermöglicht, sondern auch die Lebenslage der gesamten Arbeiterschaft des in Betracht kommenden Industriezweigs verschlechtert.
In der Zigarettenindustrie handelt es sich fast durchweg um Frauenarbeit. Von den 13000 bis 14000 Personen, die in den Zigarettenfabriken Deutschlands arbeiten, sind durchschnittlich 90 Prozent Arbeiterinnen. Nur die Berliner Zigarettenindustrie macht eine Ausnahme davon, denn hier find 40 Prozent der Fabritarbeiter männlichen Geschlechts, darunter eine größere Anzahl Russen. In Berlin werden aber auch nur etwa 1500 bis 1600 Personen in den Zigarettenfabriken beschäftigt, während in den Zigarettenfabriken in Dresden etwa 5300 verwendet werden. Auch die Heimarbeit ist in Dresden am meisten verbreitet, und in der Heimarbeit sind im allgemeinen nur Frauen tätig. Wie groß die Zahl der Heimarbeiterinnen ist, fonnte nicht festgestellt werden, und Dr. Bormann hält die vorliegenden Angaben für so unwahrscheinlich, daß er auf die Wiedergabe verzichtete. Wie es die Sozialdemokratie vorher gesagt hatte, so ist es gekommen. Durch die Zigarettensteuer vom Jahre 1906 hat die Heimarbeit eine sehr starke Ausdehnung erfahren. Dr. Bormann stellt das fest:" Gerade in der letzten Zeit hat die Sitte, Arbeit außer Haus zu geben, immer mehr zugenommen, da die Fabrikanten bestrebt waren, die ihnen durch die Banderole, erhöhte Tabakpreise usw. entstandenen Mehrkosten durch Ersparnisse an Lohn( folche bringt die Heimarbeit) wieder herauszuschlagen." Die Heimarbeit bringt also„ Ersparnisse" an Lohn, das heißt die Heimarbeiterinnen erhalten einen noch erbärmlicheren Lohn als die Fabrikarbeiterinnen. Die Tatsache ist allgemein befannt, Dr. Bormann bestätigt sie durch seine Untersuchung. Die Erhebung über die Löhne weist aber noch eine andere Tatsache aus: in allen den Orten, wo die Heimarbeit stark ver breitet ist, sind die Löhne der Fabrikarbeiterinnen ganz wesentlich niedriger als dort, wo weniger Heimarbeit vorhanden ist. Dr. Bormann hat an eine größere Anzahl Arbeiter und Arbeiterinnen in den Zigarettenfabriken der verschiedensten Orte Fragebogen ausgegeben, die genau be antwortet wurden. Aus den Angaben über die Höhe des Verdienstes geht hervor, daß sich der Wochenverdienst für die in den Zigarettenfabriken arbeitenden Proletarier im Durchschnitt wie folgt stellt:
M
M
•
15,33 Mr.
•
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18,30=
21,93
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8,50 M
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11,94
15,43
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Hamburg
·
18,60
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M
Der große Unterschied in der Entlohnung, der in diesen Ziffern auffallen muß, kommt auch zum Ausdruck in den Angaben, die eine Anzahl von Arbeitern und Arbeiterinnen über ihren Jahresverdienst gemacht haben. Danach beläuft sich der Jahresverdienst
.
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907,36 970,50
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415,14
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582,93 767,79 820,00#
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