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Die Gleichheit
Riesa und Großenhain , der Rest sind fleinere Ortschaften. Man sollte meinen, daß für deren Einwohner die Themen Die Arbeiterbewegung in Rußland " und" Die finnländische Frage" wenig Interesse besessen hätten. Trotzdem waren alle Versammlungen in kleinen Orten sehr gut besucht. Das Erfreulichste war die große Zahl der Frauen, die ihnen in Dörfern wie Grödel, Weinböhla usw. beiwohnten. Der starke Versammlungsbesuch der Frauen wird hoffentlich zu einer Stärkung der weiblichen Mitgliedschaft in den sozialdemokratischen Ortsgruppen führen. Hier kommen auf einige hundert organisierte Männer meist nur 10 bis 20 organisierte Frauen. Haben sich aber die Frauen erst einmal aus dem engen Kreis der Familie und des Haushalts heraus in eine Versammlung gewagt, so ist damit meist der erste Schritt zur Organisation getan. Einzig in Großenhain , wo es den Frauen unbekannt geblieben war, daß eine Genossin sprechen würde, wies die Versammlung wenige Teilnehmerinnen auf. überall zeigte sich, daß gerade in kleinen Orten die Proletarierinnen zunächst mehr Interesse für Versammlungen haben, in denen eine Frau referiert. Ich will auch mal eine Frau reden hören", sagte eine alte, aber noch frische Proletarierin beim Eintritt in die Versammlung, und mein Alter da soll auch mal hören, daß Frauen reden können". Als sich am Schluß niemand zur Diskussion meldete, bemerkte die nämliche Versammlungsbesucherin vergnügt:„ Die Männer bleiben still, haben nichts zu entgegnen; also haben wir Frauen doch etwas im Kopfe."
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Nach Schluß der Versammlung pflegte die Referentin in per fönlicher Unterhaltung den Frauen zwei Fragen vorzulegen. Bereits organisierte Genossinnen frug ich:" Wie famen Sie zum Sozialismus?" und die noch unorganisierten Proletarierinnen:„ Was hält Sie davon ab, der Organisation beizutreten?" Die Mehrzahl der organisierten Genossinnen waren durch ihren Mann der Partei zugeführt worden. Andere das waren meist in Fabriken und Werkstätten beschäftigte Frauen und Mädchen sagten, ihre Eltern wären schon Sozialdemokraten gewesen und sie seien von Jugend an mit dem Sozialismus vertraut. Ganz wenige der Genossinnen hatten sich selbständig, ohne Anregung und Förderung durch den Mann oder die Eltern, zum Sozialismus durchgerungen. Und zwar befanden sich unter diesen letteren nicht nur Arbeiterinnen und andere Erwerbstätige, sondern auch Hausfrauen. Wie viel Hindernisse hatten sie zu überwinden, bis sie den Weg zur Sozialdemo tratie fanden, und wie viele bittere Stunden hatten manche von ihnen durchzukosten, weil sie ihr angehörten." Heimlich" fauften sie sich die Parteizeitung," heimlich" besuchten sie die Partei versammlungen. Es gab wohl gar Schläge dafür von den„ anständigen" Eltern. Eine dieser Frauen erzählte, sie habe ihren Mann zum Sozialismus bekehrt und er sei nunmehr Parteifunktionär geworden. Man muß die Gesamtsumme der Verhält nisse im Auge behalten, unter denen die Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse und der kleinbürgerlichen Streise leben und aufwachsen, um die Willenskraft und den Intellekt derjenigen richtig werten zu können, die aus eigener Kraft Sozialdemokratinnen werden. Der Dorfschulmeister lehrt ihnen, Sozialdemokraten seien ,, lauter Lumpen, die alle Reichtümer in Besitz nehmen wollen, um sie unter sich zu teilen". Ein katholischer Pfarrer zeigte auf ein Madonnenbild und erklärte den schaudernden Mädchen:„ die Sozialisten wollten die heilige Mutter Gottes herunterreißen und sie mit ihren schmutzigen Stiefeln zertreten." Auf die zweite Frage: Was hindert Sie, der Organisation beizutreten?" erfolgte meist die Antwort: Mangel an Zeit. In den Dörfern müssen die Frauen häufig neben dem Haushalt noch etwas Gärtnerei oder Landwirtschaft treiben, um die Löcher im Einkommen zuzuopfen. Denn mit 10 Mt. Wirtschaftsgeld in der Woche fann die Frau unmöglich die Kosten für die Ernährung der Familie bestreiten. Da bleibt keine Zeit, Versammlungen zu besuchen, die Presse zu verfolgen und sich Aufklärung zu verschaffen. In manchen Fällen hielt es auch der Mann für überflüssig, daß die Frau der Organisation angehöre. Ganz verwundert frugen Versammlungsbesucherinnen: Können wir denn wirklich der Organisation beitreten? Das wußten wir gar nicht, der Mann hat nichts davon gesagt." Vielfach wurde mir die Frage gestellt, ob es teine Schrift gäbe, in der ganz leicht verständlich dargelegt sei, was der Sozialismus für die Frau bedeute.
Sehr fiel mir der Unterschied auf zwischen den Hausfrauen und ben in Textil, Seifen- und Tabakfabriken beschäftigten Arbeiterinnen. Die Hausfrauen, namentlich wenn sie vom Lande stammten oder noch Dorfbewohnerinnen waren, sahen frischer, gesünder aus als die Arbeiterinnen. Besonders wenn diese letzteren aus Familien stammten, die schon mehrere Generationen hindurch in der Industrie frondeten, so zeigten sie die Merkmale der kapitalistischen Ausbeutung: blasse, abgespannte Gesichter, häufig törperliche Gebrechen,
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wie Lahmheit, hoher Rücken, eingesunkene Brust usw. Doch gerade bei den Fabritarbeiterinnen fanden die Worte von Ausbeutung und Klassenkampf einen lebendigen Widerhall, während die Haus frauen meist ruhig weiter strickten. Aus Mangel an Kräften ist es in den kleinen Orten sehr schwierig, Diskussionsabende und der gleichen für Frauen einzurichten. In den größeren Orten aber, wie Riesa und Großenhain , finden Frauenversammlungen statt und die„ Gleichheit" wird hier viel gelesen. Meine Agitationstour traf die Genossinnen in tätiger Erwartung des Frauentags", und auch die unorganisierten Frauen waren voller Spannung auf die Demonstration. Die Tausenden Schwierigkeiten ihres proletarischen Daseins überwindend, reihen sich die Frauen immer mehr in die große Kampfesarmee des klassenbewußten Proletariats ein, um eine bessere, hellere Zukunft für sich und ihre Kinder zu erkämpfen. A. K.
Der Frauenabteilung des sozialdemokratischen Wahlvereins Döbeln gehören jezt über 50 Mitglieder an. Eine besondere För derung hat der Abteilung die öffentliche Frauenversammlung am 19. März gebracht, in der Genosse Wilde- Glauchau über das Frauenwahlrecht referierte. Genossin Drechsler und Genosse Spindler wiesen in der Diskussion auf die Notwendigkeit hin, daß sich die arbeitenden Frauen der sozialdemokratischen Partei anschließen, die die einzige konsequente Berfechterin des allgemeinen Frauenwahlrechts ist. Von den etwa 100 anwesenden Frauen und Mädchen ließ sich eine Anzahl in den Wahlverein aufnehmen. Jede Genoffin mache es sich zur Aufgabe, wo es ihr möglich ist, Leserinnen für die„ Gleichheit" und Mitglieder für den Wahlverein zu werben. Die Aufklärung der proletarischen Frauen und Mädchen muß gefördert werden, damit wir dem Tage näher kommen, der durch die Aufhebung der Lohnsklaverei der elenden Lage des Prole tariats ein Ende bereitet.
M. D.
Der sozialdemokratische Verein in Wilhelmsburg a. d. Elbe hielt am 9. Mai eine öffentliche Frauenversammlung ab. Genoffin Baumann- Hamburg behandelte in lebendiger und klarer Weise das Thema:„ Weshalb müssen sich die Frauen politisch organisieren?“ Ihr Vortrag fand den Beifall der Zuhörerinnen und wird hoffent lich noch lange nachwirken. Die proletarische Frauenbewegung in Wilhelmsburg ist in den Anfängen. Es muß hier noch viel Arbeit geleistet werden, bis auch die letzte proletarische Frau genügend Mut und Selbstachtung aufbringt, sich der Sozialdemokratie anzuschließen. Darum fäumt nicht Genosfinnen! Sagt es den Frauen bei jeder Gelegenheit: Einzeln seid ihr machtlos! Nur wenn ihr euch vereinigt, könnt ihr eine Anderung eurer unwürdigen Lage, könnt ihr die notwendige Umwälzung der Gesellschaft herbeiführen.
Ella Wierzbijki.
Von der proletarischen Frauenbewegung in Kempten im Algän. Eine kleine Zahl von Genossinnen war es, die Ende letzten Jahres beschloß, in Kempten eine regere Aufklärungsarbeit unter den Frauen zu entfalten und zu diesem Zwecke eigene Frauenversammlungen zu veranstalten. Und fanden sich in der ersten Veranstaltung nur wenige Frauen zusammen, so wurden es mit jeder Versammlung mehr, und ein lebhaftes Interesse für unsere Sache begann sich unter den Proletarierinnen zu regen. Zu Hilfe fam den Genossinnen die Reichstagsnachwahl im hiesigen Kreise, die der Partei einen großen Erfolg brachte und auch an den Frauen nicht spurlos vorüberging. Als dann allerorts zum Kampfe für das Frauenwahlrecht gerüstet wurde, waren auch die Genossinnen in Kempten nicht müßig. Eifrig wurde agiliert, Handzettel wurden verteilt, und in allen Versammlungen forderten die Genossinnen zur Beteiligung an der Kundgebung für das Frauenwahlrecht auf. Die Arbeit war auch nicht umsonst, es tam eine über Erwarten imposante Frauenversammlung zustande, wie sie Kempten bis dahin noch nicht gesehen hatte. Genossin Deffner hielt das Referat; 21 Frauen traten der Partei bei. Nunmehr gilt es für uns, all die in der letzten Zeit neugewonnenen Mitglieder zu überzeugten Genossinnen heranzubilden. Heute beträgt die Zahl der politisch organisierten Genossinnen in Kempten über 50 und in Rottern, einer Sektion des hiesigen Vereins, über 20. Gewiß ein schöner Erfolg. Um die Aufklärungsarbeit wirksamer betreiben zu können und um zugleich für die„ Gleichheit" zu werben, stellten die Genofsinnen in einer Parteiversammlung den Antrag, es möchte ihnen eine Anzahl Nummern der„ Gleichheit" unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Die Versammlung bewilligte 30 Exemplare der „ Gleichheit" für ein ganzes Quartal. Die Genossinnen sind aber nicht nur unter den Frauen tätig, sondern sie beteiligen sich auch eifrig an allen Parteiarbeiten. So haben drei Genosfinnen das Eintassieren der Parteibeiträge für ihre Bezirke übernommen, und im Bildungsausschuß ist ebenfalls eine Genossin tätig.
J nächster Zeit wird in Rottern eine öffentliche Frauenversammlung stattfinden. Hier kommen für unsere Werbearbeit besonders