Nr. 4

Die Gleichheit

zu sagen, daß auch sie nur eine scheinbare Ausnahme sind. Denn sie wurden im Kampfe gegen die Herrschaft der Aus beuterklasse errungen, sie sind selbst ein Kampfmittel gegen diese Herrschaft. Sie werden also überflüssig in dem Augenblick, wo jene Herrschaft und mit ihr jene anderen Gesetze aufhören. Brinzipiell müssen wir für sie sein, weil sie gegen den Geist der anderen Gesetze ankämpfen.

Der Geist der Gesetze unserer bürgerlichen Ordnung besteht darin, das Eigentum und die Autorität zu schüßen. Man nehme sich nur die Mühe, sie durchzustudieren, und man wird es immer wieder finden: vom kleinsten Zivilgesetz, das irgend eine nebensächliche Frage von mein und dein regelt, bis zu den furcht baren Hochverratsparagraphen, die zum Beispiel schon den tät. lichen Angriff auf den Landesherrn, selbst wenn diesem nicht das geringste passiert, mit lebenslänglichem Zuchthaus oder gar mit dem Tode bedrohen, haben sie alle den Zweck, in irgend einer Weise das Eigentum oder die Autorität zu schützen.

Fragt man sich, warum gerade diese beiden als Heiligtümer gelten, so ist die Antwort nicht schwer: weil sie die unerläß­lichen Garantien der kapitalistischen Ausbeutung sind. Soll das Geschäft der Mehrwertgewinnung regelrecht vor sich gehen, so ist Ordnung" nötig, das heißt stramme Unterordnung der Arbeiter unter die Besitzenden, der Ausgebeuteten unter die Ausbeuter und ihre Hilfsknechte. Und diese zu sichern, dazu sind die Gesetze da. Und daß das private Eigentum Voraus setzung dieser Ausbeutung ist, brauche ich wohl kaum erst zu sagen.

Mit anderen Worten: Wir haben Gesetze überhaupt nur, weil wir eine Klassenherrschaft haben. Die herrschende Klasse hat die Gesetze gemacht, um ihre Herrschaft über die unter drückte Klasse zu sichern.

Ich glaube, selbst der eingefleischteste Bourgeois wird diese Behauptung nicht bestreiten, wenn ich sie in eine etwas andere Form fleide, wenn ich zum Beispiel sage: Zweck der Gesetze ist, den Bestand des Staates und der Gesellschaft zu sichern. Unter Gesellschaft" wäre an und für sich jegliches Zusammenleben der Menschen zu verstehen. Und so meint es der Bourgeois auch. Er glaubt, wenn sich jemand den Gesetzen nicht fügen wollte, so wäre ein Zusammenleben der Menschen überhaupt unmöglich. Dabei verwechselt er jedoch das Zusammenleben an sich mit der Art und Weise des Zusammenlebens, die Gesell schaft selbst mit der Gesellschaftsform. Wenn er sagt: Der Bestand der Gesellschaft soll gesichert werden," so meint er das mit den Bestand der kapitalistischen Gesellschaft. Und dann find wir einig; genau das meine ich auch: die Gesetze sollen den Bestand der kapitalistischen Gesellschaft schützen, das ist eben: sie sollen das Ausbeutungsverhältnis, die Klassenherr schaft sichern. Hätten wir keine Klassenherrschaft, so hätten wir feine Gesetze. Diese Zusammenhänge sind schon längst aufgedeckt worden, wie ich durch ein paar Beispiele zeigen will.

Linguet, ein Nationalökonom des achtzehnten Jahrhunderts, den Mary in seinem Buche Theorien über den Mehrwert" ausführlich behandelt, legt in seinem Werke über Die bürger­lichen Gesetze" dar, daß es das Privateigentum sei, welches zu seinem Schuße die bestehenden politischen und sozialen Einrich tungen geschaffen habe. Er nennt die Geseze direkt Schutz­maßregeln zugunsten der Besitzenden gegen die Besitzlosen" und schreibt weiter:" So hart es flingt, so ist es doch darum nicht minder gewiß, daß die Geseze gewissermaßen eine Verschwörung gegen den zahlreichsten Teil des Menschengeschlechts( nämlich gegen die Besitzlosen) darstellen." Das Buch ist 1767 erschienen. Womöglich noch deutlicher drückte sich 1775 Necker aus, der berühmte Finanzminister Ludwigs XVI. Er schrieb wörtlich: Eine kleine Anzahl von Menschen hat sich in die Erde geteilt und hinterher Gesetze gemacht, um sich gegen die Masse zu einigen und zu schützen, wie man im Walde einen Verhau zur Verteidigung gegen wilde Tiere errichtet."

Alles schön und gut, wird man mir vielleicht antworten. Linguet und Necker mögen das gesagt haben. Aber Linguet und Necker waren keine Sozialdemokraten. Was also können ihre Aussprüche für den Sozialismus beweisen? Nehmen wir denn ein paar andere Beispiele. Ich denke wohl, unter Sozial­

51

demokraten keinem Widerspruch zu begegnen, wenn ich sage: der Sozialismus will die Scheidung der Menschen in Klassen aus der Welt schaffen. Es soll überhaupt keine Klassengesellschaft mehr geben. In seiner Schrift über das Elend der Philosophie" erklärt Karl Mary( Originalausgabe von 1896, Seite 243): " Bedingung für die Befreiung der Arbeiterklasse ist die Auf­hebung aller Klassen." Weshalb dies die unerläßliche Voraus­sehung ist, das sagt er wenige Zeilen zuvor mit folgenden Worten: Eine unterdrückte Klasse ist die Lebensbedingung jeder auf dem Klassengegensatz beruhenden Gesellschaft."

Das bedeutet also: solange es verschiedene Klassen mit gegen. säglichen Interessen gibt, so lange gibt es auch eine unter­drückte Klasse. Folglich, um alle Klassenunterdrückung aufzu heben, ist es nötig, alle Klassen aufzuheben. Freiheit ist uner­reichbar ohne Gleichheit. Und nun fährt Mary fort: Die Ar­beiterklasse wird im Laufe ihrer Entwicklung an Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft eine Gesellschaft ohne Klassen und ohne Klassengegensatz sezen", und dann heißt es unmittel bar weiter: Und es wird feine politische Gewalt im eigent lichen Sinne mehr geben, denn die politische Gewalt ist eben nur die offizielle Zusammenfassung des Klassengegensazes in der bürgerlichen Gesellschaft." Genau in demselben Sinne heißt es im Kommunistischen Manifest( Ausgabe 1906, Seite 25): Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuß, der die gemeins schaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet."

"

Ich frage nun: Was bedeutet dies alles anders, als daß der Staat, und somit auch die Gesetze des Staates, nur zu dem Zwecke vorhanden sind, die Klassenherrschaft der Bourgeoisie zu sichern? Heißt es doch an einer späteren Stelle des Kom munistischen Manifestes( Seite 31) noch deutlicher: Die Ge setze, die Moral, die Religion sind für den Proletarier ebenso viele bürgerliche Vorurteile, hinter denen sich ebenso viele bürger­liche Interessen verstecken."

Wenn aber das zutrifft, wenn die Gesetze zum Schutze bürger­licher Interessen da sind, zum Schutze der Klassenherrschaft­wie kann dann die Sozialdemokratie das Strafen billigen, das doch nur den Zweck hat, diesen Geist der Gesetze zum Ausdruck und zur Wirksamkeit zu bringen? Julian Borchardt .

Die Teuerung.

Für die Lese- und Diskussionsabende. Von Käte Duncker .

Vorbemerkung. Es wird heute wohl keine Frage geben, die gerade die Frauen lebhafter interessiert, als die Frage der fortschreitenden Verteuerung aller Lebensmittel. Des. halb ist diese Frage gewiß ganz besonders geeignet, zum Gegen stand unserer Lese- und Diskussionsabende gemacht zu werden. Jedoch sollten diese Veranstaltungen, die ja vor allem die tiefere grundsätzliche Schulung unserer Genossinnen bezwecken, nicht bei der Behandlung der staatlichen Wirtschaftspolitik stehen bleiben. Denn so groß auch der Einfluß ist, den die Bollgesetzgebung, die Viehsperre und die indirekten Steuern auf die Lebensmittelpreise ausüben, so darf doch nicht vergessen werden, daß diese wirtschaftspolitischen Maßnahmen die Teue rung nicht veranlaßt, sondern nur verschärft haben. Die legten Ursachen der Teuerung liegen in der Organi sation der kapitalistischen Gesellschaft überhaupt. Wenn in dem Leseabend auch diese letzten Ursachen erörtert werden, so führt das zu einer Kritik der kapitalistischen Pro­duktionsweise und bietet Gelegenheit, die Teilnehmerinnen mit den wirtschaftlichen Grundlagen des wissenschaftlichen Sozia lismus befannt zu machen.

Nun besigen wir zwar in dem Schriftchen des österreichi­schen Genossen Bauer eine vortreffliche grundsätzliche Behand­lung des Problems der Teuerung. Es wird aber leider nicht möglich sein, dieses Werk ohne weiteres den Frauenleseabenden

* Die Teuerung. Eine Einführung in die Wirtschaftspoluik der Sozialdemokratie. Von Otto Bauer . Wien 1910, Verlag der Wiener Volksbuchhandlung Ignaz Brand& Co. Preis 80 Pf.