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Die Gleichheit
nicht
zugrunde zu legen; erstens weil es für diesen Zweck seinem Werte nach, wohl aber für den Geldbeutel unserer Frauen zu teuer ist; zweitens weil es sein Beweismaterial natürlich fast ausschließlich den österreichischen Verhältnissen entnimmt; und endlich, weil es leider fast völlig vergriffen ist. Deshalb soll im folgenden und einigen weiteren Artikeln versucht werden, unter Anlehnung an den Bauerschen Gedankengang, aber mit Bezugnahme auf„ reichsdeutsches" Tatsachenmaterial den Lese- und Diskussionsabenden eine Grundlage zur prinzipiellen Behandlung der Teuerungsfrage zu schaffen. Es werden zunächst diejenigen Ursachen der Lebensmittel verteuerung behandelt werden, die in der kapitalistischen Produktionsweise als solcher liegen, die Rückständigkeit der landwirtschaftlichen Produktion, die Anarchie in der Produktion über haupt, die Kartelle, Ringe und Trusts, Handel und Spekulation, die Berringerung des Geldwertes. Danach sollen die verteuernden Wirkungen der staatlichen Wirtschaftspolitik zur Besprechung gelangen.
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Einleitung. Der Kapitalismus hat die Produktivität der menschlichen Arbeit ungeheuer gesteigert. Er hat ganz andere Wunderwerke vollbracht als ägyptische Pyramiden, römische Wasserleitungen und gotische Kathedralen"; er hat im Laufe eines Jahrhunderts„ massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen als alle bergangenen Generationen zusammen. Unterjochung der Naturkräfte, Maschinerie, Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampfschiffahrt, Eisenbahnen, elektrische Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile, Schiff barmachung der Flüsse, ganze aus dem Boden gestampfte Bevölkerungen welches frühere Jahrhundert ahnte, daß solche Produktionskräfte im Schoße der gesellschaftlichen Arbeit schlummerten."( Mary- Engels, Das Kommunistische Manifest .) Früher beruhte die Produktion meist auf Handarbeit, dadurch war ihre Leistungsfähigkeit sehr beschränkt. Ließ sich einerseits die Anzahl der Hände nicht nach Bedarf vermehren, so ließ sich andererseits auch ihre Kraft nicht beliebig steigern. Heute vervielfältigen zahllose, bis ins einzelne spezialisierte Werkzeugmaschinen den Fleiß und die Geschicklichkeit der menschlichen Hand. Mächtige Kraftmaschinen vertausendfachen die Kraft der menschlichen Muskeln. Das Werkzeug des Menschen hat sich gewissermaßen selbständig gemacht; damit sind der Produktion unbegrenzte Möglichkeiten eröffnet. In welchem Grade die Maschine die Produktivität der Arbeit gesteigert hat, das mögen einige Zahlen aus der letzten Gewerbezählung veranschaulichen. 1907 wurden im Deutschen Reiche in der Industrie allein 233 360 Betriebe mit motorischer Kraft gezählt. Die Umtriebsund Kraftmaschinen dieser Betriebe repräsentieren 8008405 Pferdestärken. Nun setzt man 1 mechanische Pferdestärke" gleich der Kraft von 3 lebendigen Pferden und 1 Pferdekraft gleich der Kraft von 8 Männern. Die 8 Millionen Pferdes stärken in der Industrie repräsentieren also( mit 24 multipliziert) die Arbeitskraft von 192 Millionen erwachsener Per sonen. Die wirkliche Bevölkerung von Deutschland betrug 1907 -vom Säugling bis zum Greis- ungefähr 62 Millionen. Und dabei sind doch erst die Kraftmaschinen in der Industrie berechnet, noch nicht die arbeitsparenden Werkzeugmaschinen, nicht die zahllosen Maschinen in der Landwirtschaft und im Verkehrswesen.
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Diese großartige Entfaltung der Produktivkräfte kommt aber bei der herrschenden Gesellschaftsordnung nicht der Allgemeinheit zugute. Sie hat der Menschheit im Gegenteil furchtbare Opfer gekostet. In einer Gesellschaft, in der Güter für den gemeinsamen Bedarf ge schaffen werden, würde die vermehrte Arbeitsproduktivität dazu führen, für alle Mitglieder der Gesellschaft das Leben reicher und die Arbeitslast geringer zu machen. In einer Gesellschaft, in der die Produktionsmittel Privateigentum sind und in der Waren für den Verkauf produziert werden, gestalten sich die Dinge anders. Zwar dient auch hier jede Erhöhung der Arbeitsproduktivität zur Verringerung der Arbeitszeit, die zur
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Herstellung eines Gebrauchsgegenstandes notwendig ist. Aber das führt nicht zu einer Verkürzung der Arbeitszeit für den Arbeiter, sondern zu einer Verminderung der Arbeiterzahl. Jede neue Maschine macht menschliche Arbeitskräfte überflüssig, und das Angebot dieser überflüssigen dient dazu, den Lohn der Arbeitenden herabzudrücken. Dieser Lohn genügt nicht mehr, die Arbeiterfamilie zu erhalten, auch Frauen und Kinder müssen mitverdienen. mitverdienen. Mit der Verringerung der zur Herstellung einer Ware notwendigen Arbeitszeit sinkt der Wert dieser Ware; der Besitzer der fortgeschrittenen Produktionsmittel ist daher imstande, sie billiger zu verkaufen, als es seinen noch technisch rückständigen Konkurrenten möglich ist. Dadurch werden diese entweder gezwungen, sich die bessere Technik auch anzueignen, oder aber sie werden zugrunde gerichtet. So sind noch nicht einmal die billigeren Warenpreise eine Wohltat für alle Glieder der Gesellschaft, sondern sie werden zur mörderischen Waffe, der das städtische Handwerk, die länd liche Hausindustrie erliegen, und der jeder erliegen muß, dem es nicht möglich ist, der rasenden Entwicklung der Produktivfräfte zu folgen, jede neue Erfindung, jede Verbesserung der Maschinentechnik sich nutzbar zu machen. Arbeitslose Arbeiter, ausgebeutete Frauen und Kinder, ruinierte Handwerker und Kleinindustrielle, das sind die Opfer des Siegeszugs der kapitalistischen Wirtschaftsweise.
Das fortwährende Sinken der Warenpreise war das Zeichen, in dem die kapitalistische Produktionsweise anfangs fiegte. Das Kommunistische Manifest konnte vor 63 Jahren sagen:„ Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der die Bourgeoisie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt."
Dagegen stehen wir heute einer stetigen Steigerung der Preise gegenüber. Trotz der beispiellosen Entwicklung der Produktivkräfte, trotzdem ein Heer kunstvoller Maschinen der arbeitenden Menschheit dient und den Ertrag ihrer Arbeit hundertfach vermehrt, trotzdem immer neue Umwälzungen in der Industrie die Erzeugungskosten der Waren senken, steigen unablässig die Warenpreise."
Wie ist dieser Widerspruch zu erklären?
I. Die kapitalistischen Ursachen der Teuerung. 1. Rückständigkeit der landwirtschaftlichen Produktion.* Nicht auf allen Gebieten der menschlichen Arbeit haben die Produktivkräfte sich in gleicher Weise entwickelt. Gerade die wichtigsten Zweige der Produktion, die Landwirt. schaft und die Viehzucht, sind von der technischen Umwälzung am wenigsten ergriffen worden. Die rasche Entwicklung der Industrie und des Verkehrswesens hat un geheure Menschenmengen in den Städten zusammengehäuft. Diese Menschenmengen wollen ernährt, die Industrie will mit Rohstoffen versehen werden. Aber Landwirtschaft und Viehzucht, die Produktionszweige, die uns mit Nahrungsmitteln versorgen, mit Getreide, Obst, Gemüse, Fleisch, Milch usw., und die der Industrie wichtige Rohstoffe liefern, Flachs, Wolle, Häute, Ole , Talg usw., haben mit der industriellen Entwick lung nicht Schritt gehalten. Zwar hat auch in der Landwirtschaft die Produktivität im Laufe der letzten Jahrzehnte zugenommen. Es betrug der durchschnittliche Jahresertrag eines Heftars:
1878 bis 1887 1900 1909
Roggen Weizen Gerste Kartoffeln Dopp. 8tr. Dopp.- 8tr. Dopp.- Str. Dopp.- Str.
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10,0 . 16,1
13,3
13,1
82,1
19,5
19,0
134,5
* Benutzte Literatur: Kautsty, Die Agrarfrage. Stuttgart 1899, Verlag von J. H. W. Diet. Gothein, Agrarpolitisches Handbuch. Berlin 1910/11, Verlag von Liebheit& Thiesen. Landwirtschaftliche Be triebsstatistit des Deutschen Reiches vom 12. Juni 1907. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich von 1890 und 1911. Den Ges nossinnen sei noch als Material empfohlen: Bebel , Die Frau und der Sozialismus. 22. Kapitel: Sozialismus und Landwirtschaft. 50. Auflage von 1910. Hofer, Der Bauer als Erzieher. Artikelfolge in der„ Neuen Zeit", 27. Jahrgang, 2. Band.