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Die Gleichheit
Teil ihres politischen Rechts geprellt werden, weil keine Neueinteilung der Wahlkreise erfolgt, die diese Bevölkerungsbewegung berücksichtigt. Was schert das die bürgerlichen Parteien, die der ungerechten Wahlkreiseinteilung Mandate auf Kosten der Sozialdemokratie verdanken? Die kapitalistische Ausbeutung zwingt den Proletarier in den Kampf ums Dasein, kaum daß er die Schulbank verlassen hat, sie fürzt seine Lebensdauer beträchtlich ab, fnapp bemessen ist die Zeit, in der er seine Interessen mit der Waffe des Bürgerrechts verteidigen kann. Die Herabsetzung der Wahlmündigkeit auf das 20. Lebensjahr tst eine soziale Notwendigkeit für Hunderttausende junger Proletarier, die reif befunden werden, im bunten Rod den Beutel ber Besitzenden gegen den äußeren und inneren Feind zu schirmen. Die bürgerlichen Parteien aber verhöhnen die Rechtsforderung Mündiger als das Geschrei„ grüner Jungen", als bie politische Emanzipation der„ Säuglinge".
9% Millionen Frauen, die im Hauptberuf erwerbstätig find, 3 Millionen, die nebenberuflich dem Verdienst nachgehen, mehren mit Hand und Hirn den materiellen und kulturellen Reichtum im Deutschen Reich. Sie mühen sich schaffend wie die Männer, sie tragen gleich ihnen alle Lasten des Kampfes ums Brot. Hinter ihnen stehen Millionen von Hausmüttern, die mit klugem Sinn und nimmerrastenden Händen zum Besten der Familie das Wenige verwalten, das der Mann erwirbt, die unter Sorgen und Plagen Kinder erziehen, der Gesellschaft zum Nußen. Wozu mancher Dividendenprotz und mancher regierende Fürst unfähig ist, das tun sie: fie leisten gesellschaftlich notwendige, wertvolle Arbeit. Alle biese Frauen bedürften vollen Bürgerrechts, um den Staat, die Gesellschaft zur Rücksicht auf ihr Wohl und Wehe zu zwingen. Ist es nicht heilige Pflicht für sie, sich um der Thrigen willen gegen die Ausplünderung durch das Unternehmertum, durch den Zoll- und Steuerwucher des Reichs zur Wehr zu setzen, für ihr Fleisch und Blut durchgreifende soziale Fürsorge, ausreichende Bildungsgelegenheit zu heischen? Aber die Millionen Frauen, ohne deren Arbeit das Näderwerk des Wirtschaftslebens stillstehen müßte, die Gesellschaft nicht auszukommen vermöchte: sie sind politisch rechtlos. Und das, obgleich ihre arbeitende Eristenz die volle soziale Rechtfertigung ihres politischen Anspruchs ist.
Die bürgerlichen Parteien haben weder ein Auge für den endlosen Zug schwerbebürdeter Weiber, denen ihr Bürgerrecht Stab und Stüße sein könnte, noch ein Ohr für den Schrei nach Gerechtigkeit, der von Millionen Frauenlippen zittert. Mit den urältesten Gemeinpläßen des Philistertums, mit Spässen, die keine Spur von Geist erträglich macht, tun sie das Frauenwahlrecht ab. Hat sich nicht die Fortschrittliche Volkspartei geweigert, diese Forderung in ihr Programm aufzunehmen, und ergreifen nicht manche ihrer Führer jede Gelegenheit, um die Sache und ihre Vorkämpfer zu höhnen? Weiße Raben sind diejenigen ihrer Kandidaten, die sich in der gegenwärtigen Wahlkampagne flipp und klar verpflichtet haben, für das Frauen wahlrecht einzutreten. Die Fortschrittliche Volkspartei aber bezeichnet sich auf ihrer Visitenkarte als die Hüterin des demokratischen Prinzips. Welch eine Selbstverhöhnung, welch eine Schmach!
Die bürgerlichen Parteien finden sich als die eine reaktionäre Masse bei dem Kotau vor dem Gottesgnadentum einer Familie zusammen, wie bei der Verteidigung des Gottesgnadentums eines Geschlechts. So schließt sich der Ring ihres Verhaltens zu den Forderungen der Demokratie. Die Macht des toten Besizes geht vor dem Rechte des lebendigen Menschen, das ist die Losung, der sie gehorchen.
Nur die Sozialdemokratie trägt im Wahlkampf wie in den großen politischen Schlachten dieser Zeit überhaupt den Massen das Banner der Demokratie voran. Sie beugt sich nicht mit den bürgerlichen Parteien dem hochmütigen Spruch: Des Königs Wille ist das höchste Gesez, sie beantwortet ihn fühn mit dem Nufe: Es lebe die Republik ! Sie stellt der„ Affenkomödie" der Wahlrechtsreform im preu
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ßischen Dreiklassenparlament und in anderen hohen Häusern die Sammlung der Massen zum Kampfe für das volle unbeschränkte Wahlrecht aller Großjährigen entgegen. Sie täuscht sich nicht darüber, daß im Ringen für Bürgerrecht nicht die fadenscheinige Weisheit der Staatsmänner das legte Wort hat, sondern die Macht opferwilliger Massen. Der Reichstagswahlkampf der Sozialdemokratie ist der Auftakt zum Massenaufmarsch für die Rechte der Demokratie. Vorwärts, Proletarierinnen! Mit der Sozialdemokratie, für die Sozialdemokratie in den Kampf um unser Bürgerrecht!
Zur Lage der Heimarbeiterinnen in der Hutfabrikation.
Von Johannes Heiden.
I.
Die Hutfabrikation ist einer jener Zweige der Heimarbeit, die ausschließlich oder doch vorwiegend Frauen beschäftigen. Die Lage der Heimarbeiterinnen in dieser Branche wird in zwei Abhandlungen beleuchtet, welche in der Sammlung* von Monographien aus der Heimarbeit enthalten find, die zur Frank furter Heimarbeitsausstellung des Jahres 1908 gehörten und später vereinigt in Buchform erschienen sind. Die eine Monographie behandelt die Strohhutfabrikation in Darmstadt und ist von Dr. jur. et phil. Artur Human, Syndikus der Handels fammer in Darmstadt verfaßt, die andere, von mir verfaßte, erstreckt sich auf die Hutfabrikation in Frankfurt a. M., im Taunus und im Vogelsberg .
Die Heimarbeit in der Hutfabrikation verrichtet fast nur Nebenarbeiten: Garnieren von Herren-, Damen- und Kinderhüten; nur Strohhüte werden auch von Heimarbeiterinnen vollständig hergestellt. Das Garnieren besteht in der Anbringung des Leders im Innern des Hutes, des Einfaßbandes am Hut rand, des Kopfbandes mit Schleife und des Sturmbandes. Alle diese Arbeiten werden in der Hausindustrie sowohl bei weichen wie bei harten Hüten mit der Hand verrichtet. Die Nadel ist das einzige Werkzeug, das hierbei Verwendung findet. Zum Garnieren gehört weiter die Anbringung des Puzes bei Damenhüten. Das Nähen der Plüschkappen für Seidenhüte( oberer Teil, Deckel) wird ebenfalls mit der Hand besorgt, und auch hierbei wird als Werkzeug nur die Nadel verwendet und als Arbeitsmaterial Seide. Den gleichen einfachen Vorgang finden wir beim Nähen des Seidenfutters für Zylinder, das von der Heimarbeiterin zusammengenäht und in der Fabrik in den Hut getan wird. Dagegen werden beim Nähen von Strohborten Maschinen mit Fußbetrieb verwendet. In den Fabriken ist es motorische Kraft, die die Maschinen treibt.
Die Ausbildung der Heimarbeiterinnen ist sehr verschieden. Viele von ihnen haben vor ihrer Verheiratung in Fabriken gearbeitet und nach der Heirat ihre Arbeit zu Hause fortgesetzt. Die Lehrzeit ist für Arbeiterinnen, die sich nur mit Garnieren beschäftigen, recht furz; sie beträgt gewöhnlich zwei bis sechs Wochen. Strohhutnäherinnen müssen dagegen eine längere Lehrzeit von neun bis zwölf Monaten und Puhmacherinnen eine solche von ein bis zwei Jahren durchmachen. Für die in kleinen ländlichen Gemeinden gelegenen Fabriken werden, wenigstens zur Saison, fast immer zur Heimarbeit die Frauen der Hutmacher herangezogen, die in dem Betrieb beschäftigt sind. Die meisten Frauen sehen das als ganz selbstverständliche Pflicht an.
Verglichen mit der Heimarbeit in anderen Gewerben, zeigt die Heimarbeit in der Hutfabrikation noch lange nicht die schlechtesten Zustände. Trotzdem machen sich auch in ihr eine ganze Reihe der Erscheinungen geltend, die als typisch für die Mißstände in der Heimarbeit bekannt sind. In erster Linie sind
* ,, Die Heimarbeit im rhein- mainischen Wirtschaftsgebiet", Monographien, herausgegeben im Auftrag des Wissenschaftlichen Ausschusses der Heimarbeitsausstellung Frankfurt a. M. 1908 von Professor Dr. Paul Arndt . Jena , Gustav Fischer. Der Band enthält in den vereinigten etwa 30 Monographien viel Material, das Beachtung verdient, wenn man auch die Schlußfolgerungen ablehnen mag, zu denen die Verfasser vieler einzelner Abhandlungen kommen.