Nr. 8

Die Gleichheit

da Beschäftigungsdauer und Beschäftigungsgrad zu nennen, ebenso die Höhe der Löhne, die nicht die Existenz auch nur der alleinstehenden Arbeiterin ermöglichen, geschweige denn sie befähigen, Angehörige zu unterhalten. Während der Saison von 6 bis 8 Monaten wird die Beschäftigung zuweilen sehr erheblich ausgedehnt, und der Arbeitstag übersteigt dann weit das zuläffige Maß. Für die große Zahl von Heimarbeiterinnen, die noch einen Haushalt zu besorgen haben, besteht schon bei normaler Beschäftigung die Notwendigkeit, die Erwerbsarbeit hauptsächlich in die späten Abend- und Nachtstunden zu ver­legen, weil nur während dieser Zeit an ein ungestörtes Fort­schreiten der Arbeit zu denken ist. So erklärt es sich, daß 4 bis 6 Stunden Nachtarbeit die Regel auch bei vielen Heimarbeis terinnen ist, deren tägliche Arbeitszeit auf den ersten Blick nicht als lang erscheint. Wie weit die Nachtarbeit verbreitet ist, geht daraus hervor, daß von 79 Heimarbeiterinnen, von denen An­gaben vorliegen( bei zirka 250 bis 270 beschäftigten Heimarbei terinnen in dem bezeichneten Gebiet), 47 erst gegen 10 Uhr abends und noch später ihr Tagewerk beenden, davon zirka 20 erst gegen Mitternacht. Viele benützen auch die frühen Morgen stunden, um ungestört arbeiten zu können. Sonntagsarbeit ist nicht selten, und sie wird zur Zeit der flotten Saison oft bis auf 10 Stunden ausgedehnt.

Der Lohn ist Stücklohn; er ist während des ganzen Jahres gleich, steigt in der Saison nicht und fällt auch nicht in der stillen Zeit. Er ist örtlich verschieden und zeigt auch fleine Differenzen nach der Qualität der Hüte. Besonders bei den Filzhüten für Herren werden die geringeren Qualitäten etwas schlechter bezahlt als die besseren. Nach den Angaben der Ar­beiterinnen ist aber die Arbeit bei den geringeren Qualitäten eher schwieriger als bei den besseren. Das Material ist härter und leistet der Nadel mehr Widerstand als das der besseren Qualität. Und die Bearbeitung( Garnieren) muß auch bei den Hüten geringerer Qualität genau so sorgfältig sein wie bei den anderen. Für das Garnieren eines harten Herrenhuts erhält die Arbeiterin 12 bis 18 Pf. Das vollständige Garnieren eines weichen Herrenhuts trägt dagegen der Näherin nur 8 Pf. pro Stüd ein, und bei Strohhüten sinkt der Lohn auf 3 bis 5 Pf. Für Damenhüte schwanken die Preise nach Art der Garnitur; einfaches Garnieren, das heißt Einsetzen von Futter und das Anbringen des Kopfbandes mit Schleife wird mit 4 bis 5 Pf. pro Stück bezahlt; für elegantere Garnituren steigt der Lohn bis zu 25 Pf. Sie erfordern natürlich einen erheblichen Zeit­aufwand. Für das Garnieren eines Seidenhuts erhält die Ar beiterin je nach Qualität des Hutes 14 oder 16 Pf. und für das Nähen der Plüschkappe zum Zylinder 10 Pf. pro Stück, und das Nähen des Seidenfutters zum Zylinder wird mit 7 Pf. pro Stück bezahlt.

Die Löhne verringern sich noch um die Unkosten für Garn, Seide, Wachs und Nadeln, die zwar nicht sehr hoch sind, bei den geringen Löhnen aber doch ins Gewicht fallen. In einigen Fällen wird den Arbeiterinnen Garn und Seide geliefert. Für die in den Großstädten wohnhaften Arbeiterinnen kommen auch als Unkosten noch die Aufwendungen für Trambahn und der oft 3 bis 4 Stunden betragende Zeitverlust bei der Ablieferung hinzu, die gewöhnlich wöchentlich einmal erfolgt. Ohne Berück sichtigung der Unfosten finden wir Stundenverdienst von 6 bis 42 Pf. verzeichnet. Die hohen Säge werden nur von einigen wenigen Arbeiterinnen erzielt, die seit 10 bis 20 Jahren eine Spezialarbeit verrichten, wie das Nähen von Futter für Seiden­hüte. Für die meisten Arbeiterinnen dürfte der Stundenlohn 20 bis 22 Pr. nicht übersteigen, für nicht wenige bleibt er unter diesem Betrag. Es wurde aus dem Lohnbuch einer Hut­garniererin, in das von einem Fabrikangestellten Arbeiten und Lohn eingetragen werden, festgestellt, daß die Arbeiterin während cines vollen Jahres 263,07 Mt. verdient hatte. Die Arbeiterin war 32 Jahre alt, verheiratet und Mutter von zwei Kindern im Alter von acht und zwei Jahren. Seit acht Jahren war sie als Heimarbeiterin beschäftigt. Zeiten völliger Arbeitslosigkeit hatte sie gar nicht zu verzeichnen; ihr höchster Verdienst für die Lohnzahlungsperiode von zwei Wochen hatte 14,60 Mt., der

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niedrigste 4,38 Mt. betragen. Sie arbeitet bei normalem Be schäftigungsgrad täglich 8 bis 9 Stunden, in der Saison zu weilen 11 bis 12 Stunden, trotzdem erreicht sie nur einen Durch schnittsverdienst von 5 Mt. in der Woche.

Mutter und Kinder in der Armenpflege.

Auf dem Kongreß der fortschrittlichen Frauenvereine in Berlin  am 28. September 1911 erklärte Frau Ehrlich:" Für die allein stehenden Frauen mit mehreren Kindern ist eine Erhöhung der Armenunterstügung zu verlangen." Diese bescheidene Forderung ist so selbstverständlich jedenfalls für Sozialdemokraten-, daß keine Veranlassung vorläge, davon an dieser Stelle Notiz zu nehmen. Das um so weniger, als sie in bürgerlichen Kreisen nicht die geringste Beachtung gefunden hat und auch nicht zu erwarten ist, daß diese die Lage der armen alleinstehenden Frauen verbessern werden. Wichtig ist jedoch die Tatsache, daß es selbst von diesem Kongreß bürgerlicher Frauen für nötig erachtet wurde, auf die Lage der Frauen mit Kindern in der Armenpflege hinzuweisen. Sie läßt erkennen, daß die Lage der alleinstehenden Frau mit mehreren Kindern ein ganz besonderes Kapitel des fürchterlichsten Elends und zugleich der Schande der heutigen Gesellschaft darstellt.

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Solche Frauen fallen soweit sie vermögenslos sind und feine Rente beziehen fast durchweg der Armenpflege anheim. In den Großstädten wird für sie verhältnismäßig noch am besten und der gesorgt, weil hier das Armenwesen am geregeltsten Einfluß der Sozialdemokratie am stärksten ist. Trotzdem ist auch in den Großstädten die Unterstützung noch eine ungenügende, oft eine jämmerliche. Aber wesentlich schlimmer sind die allein­stehenden bedürftigen Frauen mit Kindern in den kleinen Orten daran, besonders in den Dörfern. Von allen traurigen Zuständen im Armenwesen ist tatsächlich die Behandlung dieser Frauen die traurigste und empörendste Erscheinung. Eine Statistik gibt es hierüber nicht, und die stummen Zahlen könnten auch nur wenig fünden. Eine Aufzählung aller einzelnen Fälle aber würde viele Bände füllen mit Bildern des schrecklichsten Elends, aber auch der Herzlosigkeit gewisser Kreise der herrschenden Klassen und vor allem: des großen Heldentums jener armen alleinstehenden Frauen, die mit einem bewundernswerten Mut unter unsagbaren Opfern und harter, rastloser Arbeit und Mühe ihr furchtbares Los ertragen und für ihre Kinder kämpfen. Zum Beweis dafür seien einige typische Beispiele wiedergegeben, die tausendfach vermehrt werden fönnten. Und das muß dabei festgehalten werden: diese Beispiele sind nicht etwa aus den oftelbischen Junkergefilden zusammengetragen worden, wo die Zustände im Armenwesen am traurigsten sind, oder aus armen Dörfern des Odenwaldes, Fichtelgebirges oder Erzgebirges. Sie stammen vielmehr aus Vororten einer Großstadt mit verhältnis­mäßig wohlhabender Bevölkerung und geringen Armenlasten.

Eine Frau mit fünf kleinen Kindern, von denen das älteste zehn Jahre alt ist, erhält keinerlei Unterstützung vom Ehemann, der ein unheilbarer Säufer ist, weshalb die Ehe getrennt wird. Die Familie hat ihren Unterstützungswohnsiz verloren, ist land­arm, und die Gemeinde hat deshalb die Unterstüßung nicht selbst zu tragen, sondern nur auszulegen, das Geld wird ihr vom Landarmenverband zurückerstattet. Aus diesen Gründen erhält die Frau auch eine wesentlich höhere Unterstützung, als die Gemeinden bezahlen: 8 Mt. pro Woche und freie Wohnung im Armenhaus. Aber schon die geringe Verwaltungsarbeit wird lästig empfunden, die solche Ortsarmen verursachen. Dazu kommt, daß die Kinder den Schuletat belasten, während die Frau weder Steuern noch Schulgeld bezahlen kann. Die Ges meindeverwaltung gibt sich deshalb alle Mühe, die Familie abzuschicken. Die Wohnung" im Armenhaus eine alte, baufällige Hütte ist ein kleines, elendes Loch, in dem die Frau mit fünf Kindern unmöglich längere Zeit hausen kann. Die Armenbehörde rät ihr auch, sich eine Wohnung zu suchen, die Miete soll ihr bezahlt werden. Obwohl die Frau ordentlich und sehr fleißig ist sie stickt vom frühen Morgen bis spät

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