Nr. 8

Die Gleichheit

Und dürfen wir im Parlament Nicht unsre Meinung sagen, So zeigen wir durch die Partei: Wir können euch doch schlagen!

Emma Dölz.

Politische Rundschau.

Der Wahlschwindel der bürgerlichen Parteien beherrscht die politische Bühne. Zwar fehlt ihm der große einheitliche Zug des Reichstagswahlkampfes von 1907, wo für den bürgerlichen Wähler alle anderen Fragen vor der Hottentottengefahr und den glückver­heißenden Aussichten der neu eröffneten ära Dernburg ber­schwanden. So aus dem Vollen schöpfen wie damals die Bülow und Dernburg   fönnen diesmal die Bethmann und Wermuth nicht. Das nationale Bugmittel fehlt, und alle Versuche sind mißglückt, schnell noch eine Vogelscheuche aufzupußen, die die braven Bürger an die Wahlurne jagt, um mit dem Stimmzettel die große Gefahr bom geliebten Vaterland abzuwehren. Die Englandhezze, die diesem Zwecke gut dienen könnte, muß doch mit Vorsicht gehandhabt wer­den, soll sie nicht ein verheerendes Kriegsfeuer entfachen. Die Regierung kann sich an ihr nicht offen und mit voller Kraft be­teiligen, sie ist vielmehr zeitweilig gezwungen, den Eifer und die Begeisterung der Hezer zu dämpfen. Ebenso unmöglich ist es, nach der Finanzreform die Forderung großer Heeres- und Flottenverstärkungen zur Wahllosung zu machen. Kurz, die wahre, alle Bedenken und Erwägungen niedertrampelnde patriotische Erregung will nicht auftommen. Die Regierung muß mit nüchterneren Mitteln arbeiten. So ist ihr die saure Aufgabe ge­worden, den Wählern einen günstigen Stand der Reichsfinanzen borzutäuschen. Eingeleitet wurde dieser untaugliche Versuch durch die Rede des Herrn Schatzsekretärs Wermuth, deren Untauglich­keit wir in der vorigen Nummer gekennzeichnet haben. Der zweite Streich war nun die Veröffentlichung des Entwurfes für den Reichshaushalt 1912/13 in der offiziösen Nord­deutschen Allgemeinen Zeitung". Wenn man den Zahlenkunst­stücken dieses Entwurfes trauen dürfte, so wäre der Reichssädel in leidlicher Verfassung. Aber der Erfolg dieses Wahlmanövers wird schon dadurch beeinträchtigt, daß es allzufrüh angekündigt wurde. Bereits im Sommer des Jahres 1911 haben die Zeitungen der Konservativen und des Zentrums bei der Regierung einen sauber hergerichteten Etat bestellt, mit dem ausdrücklichen Be­merken, daß damit die Anklagen gegen die Reichsfinanzreform zum Schweigen gebracht werden sollten. Die Regierung hat den Auftrag ausgeführt zur Zufriedenheit der Besteller, die jetzt jauchzend aller Welt verkünden, daß der Steuerraubzug glänzend gerechtfertigt sei. Nun, das müßte schon ein erbärmlicher Finanz­künstler sein, der es nicht verstünde, durch Schiebungen und durch borläufiges Zurückstellen von Ausgaben einen günstig aussehenden Entwurf des Reichshaushaltes aufzustellen. Aber selbst wenn an den Zahlen des Entwurfes nichts auszusehen wäre, so ist das Bild, das sie geben, keineswegs so erfreulich, wie man nach dem Triumphgeschrei der Schwarzblauen annehmen sollte. Zunächst tommt die Regierung auch diesmal nicht ohne Anleihe aus. Das Reich muß 43,8 Millionen Mark pumpen, um die Einnahmen mit den Ausgaben ins Gleichgewicht zu bringen. Und dies, trotz­dem der Schatzsekretär die Einnahmen aus den Zöllen und Steuern um 78,1 Millionen Mark höher einschäßt als im laufenden Jahre und die aus dem Post- und dem Reichseisenbahnbetrieb um 57,1 Millionen, von einigen weiteren kleineren Einnahmesteige­rungen abgesehen. Erfüllen sich diese Hoffnungen auf das Steigen der Einnahmen nicht und niemand weiß, wie bald wieder ein Niedergang des Wirtschaftslebens einsetzen und ein Sinken der Reichseinnahmen zur Folge haben kann, so flafft der Fehlbetrag weit, und um ihn zu stopfen, muß das Reich neue Schulden machen. Chnehin erhöht sich die Summe der Schulden um die Kolonial­anleihen, die man des besseren Eindrucks wegen besonders auf­führt, als ob die Kolonien sie verzinsen würden. Auch diese Last muß, da unsere Kolonien uns nichts einbringen, sondern Millionen Mark an Zuschüssen fordern, von den deutschen Steuerzahlern ge= tragen werden. Im Jahre 1912 soll der Kolonialpump an 34 Mil­lionen betragen, wodurch die Reichsschulden für das Jahr 1912 auf 77,8 Millionen erhöht werden. Und damit dieses klägliche Re­sultat zustande kommt, mußte zudem noch die Lebenshaltung des Volkes auf das ungeheuerlichste belastet werden. Die schänd­lichsten, ungerechtesten Steuern, die den Besitzenden kaum fühl­bar werden, die Proletarier aber aufs härteste treffen, die in­direkten Steuern, bringen den Löwenanteil der Reichseinnahmen auf. Die Einnahmen aus den Zöllen und Steuern sind auf 1610 Millionen Mark gesteigert worden. Im Jahre 1885 ergaben sie

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nur 290 Millionen Mart um mehr als das Fünffache ist die durch Steuern und Zölle aus der Bevölkerung gepreßte Summe seit 27 Jahren gestiegen. Und dabei ist die Abgabe, die das Volk in Gestalt höherer Preise der Lebensmittel an die Junker und einzelne begünstigte Kapitalistengruppen zu leisten hat, noch nicht einmal mitgerechnet. Die Bevölkerung aber wuchs in diesen 27 Jahren noch nicht einmal um die Hälfte an, nämlich von 46 auf 65 Millionen.

Das Beste aber kommt noch. Die ganze schöne Milchmädchen­rechnung des Herrn Wermuth fällt nämlich rettungslos zu= sammen, sobald ihre Vorausseßung nicht zutrifft, daß die Aus­gaben für Heer, Marine und Kolonien nicht erhöht werden. Nun weiß aber jedes politische Kind, daß dem neuen Reichstag binnen furzem sowohl eine Heeres- als auch eine Flottenvorlage vorgelegt werden wird. Nur der Herr Schatzsekretär Wermuth tut so, als wisse er von nichts. Er sieht keinen Pfennig Mehrausgabe für diese Zwecke vor, und zwar aus dem guten Grunde, weil er keinen Pfennig dafür zur Verfügung hat. Dabei versichert dieselbe Nord­deutsche Allgemeine Zeitung" in einem Atem mit der Lobpreisung der guten Finanzlage, daß die verbündeten Regierungen in der Erhaltung und Entwicklung unserer Wehrmacht allezeit eine ihrer ernstesten Aufgaben erblicken und nie zögern werden, danach zu handeln". Was auf gut deutsch   heißt, daß die Rüstungsvorlagen, deren Spuren die besorgten Patrioten im Etat vermißten, schon zur rechten Zeit kommen werden. Die rechte Zeit ist aber nach den Wahlen, denken die verbündeten Regierungen. Dann ist es an der Zeit, dem Volke, das seines Rechtes, mitzuentscheiden, wieder ein­mal auf fünf Jahre beraubt ist, zu sagen, daß der Etatsentwurf durch einen Nachtrag ergänzt werden muß. Ein Nachtrag, der für die Vergrößerung des Heeres und der Flotte und für die so­genannte kulturelle Erschließung der neu erworbenen Kolonial­gebiete eine faftige Millionenausgabe fordert. Natürlich muß diese Ausgabe gedeckt werden: entweder durch neue Schulden oder durch neue Steuern! Das ist, bei Licht besehen, die glänzende Finanz­lage", das Hauptstück der Regierungswahlmache.

Außerdem versuchen es die Herren Minister mit einer Be= einflussung der Beamten und Staatsarbeiter. Durch Erlässe wird diesen eingepauckt, daß es ihre vaterländische Pflicht sei, das Wahlrecht auszuüben. Eine Kontrolle der Abstim­mung ist freilich bei der geheimen Wahl nicht überall möglich. So sucht man denn die Leute möglichst durch Erinnerung an ihren Beamteneid zu packen. Den Arbeitern aber gibt man wieder ein­mal drohend zu verstehen, daß der Staat mit ihrer Arbeitskraft auch ihre Gesinnung gekauft hat und jeden unnachsichtig auf die Straße werfen wird, der irgend einer Handlung zugunsten der Sozialdemokratie überführt wird.

Indes find die Junker mit diesen Anstrengungen der Regie­rung noch lange nicht zufrieden. Sie vergleichen die Tätigkeit der Bethmann und Wermuth mißvergnügt mit der der Bülow und Dernburg   und finden, daß diese beiden es doch besser verstanden, die Wähler einzuseifen. Ungestüm fordern sie, daß die Regierung mit allen Mitteln und ganz offen für die schwarzblaue Armee werbe. Den Liberalen, die lärmenden Widerspruch erheben, halten sie mit berechtigtem Hohne vor, daß sich diese Herrschaften 1906/07 den Silvesterbrief Bülows und die orientalischen Märchen Dern­burgs schmunzelnd gefallen ließen. Indes verlassen sich die Junker nicht einzig auf die Regierungshilfe sie leisten selbst das Mög­lichste an Wahlschwindel und Wahlvergewaltigung. In den länd lichen Bezirken sind Knüppel und Steine beliebte Waffen der Non­servativen im Wahlkampf, und sie werden nicht nur gegen die Sozialdemokratie angewendet, sondern auch gegen Fortschrittler und Nationalliberale. Auch mit kräftigen Boykottdrohungen für liberale Händler und Handwerker sparen die Herren Ritterguts­befizer nicht. Für das verbündete Zentrum mißbrauchen die geist­lichen Hilfskräfte Kanzel und Beichtstuhl auf das tatkräftigste. Im übrigen sorgt das Zentrum dafür, daß keine falschen Stich­wahlen entstehen, indem es in einer ganzen Reihe von Wahl­kreisen, in denen es keine Aussichten hat, in der Stichwahl durch­zukommen, auf die Aufstellung von Kandidaten zugunsten der Konservativen oder Christlichsozialen verzichtet.

Der Vorstoß der sächsischen Konservativen und Liberalen gegen das Koalitionsrecht hat bei den Nationalliberalen Ham­ burgs   begeisterte Zustimmung gefunden. Sie haben schleunigst vor Toresschluß noch einen Antrag in der Bürgerschaft eingebracht, daß der Senat im Bundesrat für die Anträge auf Abwürgung der Koalitionsfreiheit einzutreten hat, die die sächsische Regierung einzubringen versprochen hat. Die hat inzwischen eingesehen, daß fie etwas allzu dreist aufgetreten ist. In ihren amtlichen Blättern hat die sächsische Regierung erklären lassen, daß sie keine neue